„Das Ziel ist der ‘neue Mensch’“
Barbara Rosenkranz im Gespräch mit Moritz Schwarz www.jungefreiheit.de 09/10 26. Februar 2010
Schwarz: Frau Rosenkranz, These eins: Gender Mainstreaming (GM) 1) ist kompliziert und interes-siert mich nicht.
Rosenkranz: Falsch, lassen Sie es mich zugespitzt formulieren: Man macht es kompliziert, damit es Sie nicht interessiert. Der Bürger soll es nicht verstehen, damit er sich der Sache nicht in den Weg stellt.
Schwarz: These zwei: Gender Mainstreaming ist „linker Firlefanz“ und geht mich nichts an.
Rosenkranz: Falsch, Gender Mainstreaming wurde 1999 von Ihrer Bundesregierung zum „Leitprinzip und (zur) Querschnittsaufgabe“ für die deutsche Politik erklärt. Die Regierung Merkel hat 2005 diese Politik übernommen und sogar in die Verantwortung einer CDU-Politikerin, Familienministerin von der Leyen, gestellt. Nicht besser in Österreich: Dort ist GM im Jahr 2000 Regierungsmaxime geworden. Wien und Berlin handelten entsprechend EU-Vorgaben: Bereits 1995 erhob der Ministerrat GM zum EU-Aktionsprogramm, 1999 macht es der Amsterdamer EU-Vertrag gar rechtlich verbindlich, und 2007 hat das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen die Arbeit aufgenommen, unter anderem mit dem Ziel, GM in ganz Europa durchzusetzen.
Schwarz: Dritte These: Gender Mainstreaming ist harmlos, weil lediglich ein moderner Ausdruck für die Gleichberechtigung von Mann und Frau.
Rosenkranz: Wieder falsch. Das ist vielleicht das, was Sie denken sollen. Aber es ist nur das gefällige Gewand, in das sich Gender Mainstreaming kleidet. Und weil heute niemand mehr gegen Gleichberechtigung ist, ist dies das ideale Mittel, um die Sache harmlos aussehen zu lassen. Tatsächlich aber hat GM mit Gleichberechtigung von Mann und Frau gar nichts zu tun.
Schwarz: Sondern?
Rosenkranz: Gleichberechtigung von Mann und Frau setzt voraus, daß es Mann und Frau gibt. Bei GM dagegen geht es darum: Mann und Frau sollen abgeschafft werden!
Schwarz: Klingt verrückt – so was kann man doch gar nicht ernst nehmen?
Rosenkranz: Ein Budget von gut 52 Millionen Euro Steuergeldern bis 2013 allein für das genannte EU-Institut für Gleichstellungsfragen muß man ernst nehmen, denn damit wird politische Realität geschaffen. Dazu kommen zahllose Gender-Initiativen in allen EU-Mitgliedsstaaten, und zwar auf nationaler, Landes-, regionaler und kommunaler Ebene und in zahllosen öffentlichen und gesellschaftlichen Institutionen, wie Verwaltung, Armee, Polizei, Verbänden, Parteien, Gewerkschaften, aber auch Unternehmen und vor allem in Universitäten, Schulen und Kindergärten, wo man inzwischen versucht, vor allem die Intelligenz und die Kinder möglichst von Anfang an zu „gendern“. Ganz Europa ist mittlerweile von einem dichten Gender-Mainstreaming-Netzwerk überzogen!
Schwarz: Wie soll man sich aber die Abschaffung von Mann und Frau konkret vorstellen?
Rosenkranz: Die Ideologen der Gender-Theorie behaupten, daß man Frau oder Mann nicht von Natur aus ist, sondern man dazu erst gemacht wird. „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es“, so lautet das radikale Credo von Simone de Beauvoir. Geschlechtsidentität ist somit keine biologische Tatsache, sondern Ergebnis von „gesellschaftlichem Zwang“, sprich Erziehung: Männer und Frauen verhielten sich nur deshalb unterschiedlich, weil sie von der Gesellschaft so erzogen würden. Ziel müsse daher sein, Rollenbilder erst aufzuweichen, dann abzuschaffen.
Schwarz: Das Magazin „Cicero“ nennt GM nichts weniger als „die Neuerfindung der Menschheit“ und „eine Art totalitären Kommunismus in Sachen Geschlechterbeziehung“.
Rosenkranz: Die FAZ spricht von „politischer Geschlechtsumwandlung“ und sieht hinter der „wissenschaftlichen Disziplin“ in Wahrheit eine „politische Bewegung“. Und sogar der Spiegel attestiert, GM wolle nicht etwa nur die Lage der Menschen ändern, „sondern den Menschen selbst“. Es geht den Gender-Ideologen tatsächlich um nichts weniger als um die Schaffung des „neuen Menschen“ – das zentrale Wesensmerkmal des Totalitarismus. Und dieser neue Mensch soll, wie der Untertitel meines Buches lautet, ein „geschlechtsloser Mensch“ sein.
Schwarz: „Menschinnen“ so der verwirrende, eigentliche Titel Ihres Buchs. Was ist (das)?
Rosenkranz: Das könnte der Begriff für jenes Wesen sein, in das uns die Vordenker des GM in naher oder ferner Zukunft einmal verwandeln wollen: ein Wesen ohne feststehende Geschlechtsidentität.
Schwarz: Wie soll man sich das vorstellen?
Rosenkranz: Gute Frage. Die Gender-Ideologen beschreiben es als „beliebig, welche Geschlechtsidentität sich auf welchen Körper bezieht, weibliche könnte einem männlichen Körper zugewiesen werden und umgekehrt“. Und so müsse es „nicht bei zwei Geschlechts?identitäten bleiben“, es könnte also in Zukunft „drei, fünf oder auch fünfzig geben“. Das soll heißen, daß die Norm der Zweigeschlechtlichkeit eine „Zwangsmatrix“ sei, die aufgelöst werden muß, um einer Vielfalt von gleichberechtigten Geschlechtsidentitäten zu weichen. Nicht die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist also gemeint, sondern die Gleichstellung aller sexuellen Lebensformen. Um dies zu erreichen, müsse zur „Geschlechterverwirrung angestiftet werden“, die mit den Mitteln der Parodie und der Travestie zu erreichen sei. Judith Butler, die amerikanische Vordenkerin der Gender-Theorie, läßt an der umfassenden Radikalität des Projekts keinen Zweifel. Unter dem Stichwort „Queer“ versucht man ja heute schon, Homo-, Bi-, Inter-, Trans-, oder Pansexualität gegen Mann und Frau in Stellung zu bringen.
Schwarz: Inzwischen hat jeder schon die „provokativen“ Piktogramme gesehen, in denen das Männchen, das etwa zum Notausgang rennt, durch ein weibliches Männchen ersetzt ist.
Rosenkranz: Diese Abbildungen identifizieren wir heute mit GM, dabei stellen sie dessen eigentlichen, abstrakten, ideologischen Kern gar nicht dar – ja, sie stehen in gewisser Weise sogar im Widerspruch zur „reinen Lehre“: Gender-Puristen würden kritisieren, daß damit Rollenbilder, die ja verwirrt werden sollen, konstruiert und gefestigt werden. Andererseits aber zeitigt auch diese scheinbar harmlose Vorstufe der eigentlichen Gender-Theorie eine erwünschte Wirkung: Indem man etwa eine Frau als Bauarbeiterin an der Schaufel zeigt, sollen traditionelle Rollenmuster von Mann und Frau aufgelöst werden. Das ist, was die schon erwähnte US-Philosophin Judith Butler meint, wenn sie verlangt, daß zunächst gezielt „zur Geschlechter-Verwirrung angestiftet werden muß“.
Schwarz: Handelt es sich also um eine Verschwörung?
Rosenkranz: Nein. Meine eingangs gemachten zugespitzten Formulierungen dürfen auch nicht in diesem Sinne verstanden werden. Denn der Vorwurf, einer Verschwörungstheorie anzuhängen, wird nicht selten als Waffe gegen die Kritiker der Gender-Theorie eingesetzt. Gender Mainstreaming wird zwar in der Tat – wo irgend möglich – unter Umgehung öffentlicher Debatten und demokratischer Diskurse „lautlos“ durchgedrückt, aber das erleben wir auch auf anderen Politikfeldern. Was aber auffällt, ist, wie unbedingt und leidenschaftlich die meisten Gender-Ideologen an ihre Thesen glauben. Eine Überprüfung der eigenen Argumente riskiert man erst gar nicht, bislang ist sowohl eine rationale, wissenschaftliche wie eine demokratische Diskussion ausgeblieben. Kritiker und Gegner werden vielmehr diffamiert und möglichst mundtot gemacht. Selbstgerechtigkeit und Unduldsamkeit sind aber Nährboden für totalitäre Ansätze.
Schwarz: Was bedeutet es, wenn Sie sagen, die Gender-Ideologie zeige totalitäre Züge?
Rosenkranz: Der Mainzer Soziologe Michael Bock ist dieser Frage 2004 in einem pointierten Essay nachgegangen und zu dem Schluß gekommen, daß es sich bei Gender Mainstreaming um eine „totalitäre Steigerung von Frauenpolitik“ handelt, da ihm eine „umfassende politische Zielvorstellung“ eigen sei. Diesen „unbedingten Willen“, die Gesellschaft „durch ein einheitliches Gestaltungs-prinzip ‘auf Kurs’ zu bringen“ und „diesem die gesamte soziale Wirklichkeit unterzuordnen bzw. diese zu durchdringen“, vergleicht er mit der Vorgehensweise totalitärer Regime und wertet es als im völligen Gegensatz zur liberalen Staatsauffassung stehend. Längst sei GM aus dem „demokratischen Pluralismus herausgenommen“ und statt dessen „die Gesellschaft unter die Diktatur des Gender-Aspekts gezwungen worden“.
Schwarz: Und konkret?
Rosenkranz: Konkret hat Bock für seine Analyse den totalitären Charakter von GM am eigenen Leib erfahren müssen. Denn sein Artikel wurde nicht veröffentlicht, laut Bock hatte man ihm mit disziplinarischen und sogar mit strafrechtlichen Konsequenzen gedroht. Der Uni-Präsident habe ihn gar gedrängt, den Text von seiner Netzseite zu nehmen. Schließlich erhielt er, dank einer kollegialen Denunziation, eine förmliche Rüge seines Dienstherren, des Wissenschaftsministers von Rheinland-Pfalz. Bock berichtet weiter von Schmähanrufen, Distanzierungen und dem Bestreben, ihn der Lächerlichkeit preiszugeben. Schließlich zog sich der Mann entmutigt und in seinen Vorwürfen gegen GM bestätigt ganz vom Thema zurück.
Schwarz: Noch einmal das Magazin „Cicero“: „Gender Mainstreaming gleicht einem lautlos heranrollenden Tsunami.“
Rosenkranz: Ja, denn eine von der Gender-Theorie unabhängige Geschlechterforschung existiert inzwischen fast nicht mehr. Alles läuft über die Gender-Geldtöpfe, wer sich nicht einklinkt, bleibt draußen. Die FAZ schreibt: „Wer glaubt, als Mann oder Frau geboren zu sein, gilt in manchen universitären Kreisen als unterbelichtet.“ Der Spiegel warnte 2006 davor, GM zu unterschätzen: „An jeder der zahlreichen deutschen Hochschulen, die Gender-Studien anbieten, gehört (GM-Vordenkerin) Judith Butler zum Kanon“, und es sei inzwischen tatsächlich „gelungen, aus dieser akademi-schen Nischendisziplin ein bürokratisches Großprojekt zu machen“. Für die Bundesregierung gilt GM wie gesagt als „Querschnittsaufgabe“, das bedeutet, GM ist nicht Sache eines Ressorts – sondern alle Ressorts sind angehalten, GM in ihrem Bereich umzusetzen!
Schwarz: Guido Westerwelle geißelt den Sozialismus und Angela Merkel spricht gern vom christlichen Menschenbild.
Rosenkranz: Und dennoch protegieren beide eine Politik, die strategisch auf eine quasi-totalitäre Umstürzung unserer gesellschaftlichen Verhältnisse und auf die Vernichtung von Mann und Frau abzielt – sprich von Adam und Eva, denn für das christliche Menschenbild ist die Existenz von Mann und Frau fundamental. Abgesehen davon genügt GM auch den Ansprüchen einer rational-wissenschaftlichen Weltbetrachtung nicht.
Schwarz: Also belügen uns Westerwelle und Merkel?
Rosenkranz: Ich weiß es nicht. Daß eine Ideologie, die von ganz links kommt, ins Zentrum der bürgerlichen Politik vordringen konnte, ist eine Folge von „1968“. Damals haben die Bürgerlichen kapituliert, und es ist bis heute nicht gelungen, den Alternativentwurf, den gerade auch Ihre Zeitung repräsentiert, prägend in die Politik einzubringen. Daran muß mit aller Kraft gearbeitet werden! Ich vermute, daß man in CDU, FDP, ÖVP – und bis vor kurzem auch in der FPÖ – gar nicht richtig versteht, was Gender Mainstreaming eigentlich ist. Man darf nicht vergessen, daß Gender Mainstreaming Politikern wie Bürgern meist als vielleicht spinnerte, aber harmlose gesellschaftliche „Errungenschaft“ gegenübertritt.
Schwarz: Zum Beispiel in Gestalt des große Binnen-I oder des Ersetzens geschlechtsspezifischer durch geschlechtsneutrale Substantive.
Rosenkranz: Etwa „Vater und Mutter“ durch „Elternteile“, „Studenten und Studentinnen“ durch „Studierende“ oder auch „Rednerpult“ durch „Redepult“ etc. oder wenn in Kindergärten die Buben mit Mädchenspielzeug spielen sollen und umgekehrt, so wirkt das meist eher skurril als bedrohlich, und man kann den Marketing-Beratern, Betriebsräten, Lehrern oder Kindergärtnerinnen, die das durchsetzen, nicht unterstellen, sie planten heimlich die Auslöschung von Mann und Frau. Die meisten von ihnen wissen selbst nicht, was hinter der eigentlichen GM-Idee steckt, und handeln eher aus einer naiven Vorstellung von gesellschaftlicher Gerechtigkeit heraus. Schließlich wird ihnen das Ganze als „Gleichstellung“, „Chancengleichheit“ und „Antidiskriminierung“ verkauft. Sogar das Bundesfamilienministerium hat den Begriff GM fallengelassen und spricht inzwischen von „Gleichstellungsstrategie“, wenn es GM meint.
Schwarz: Der Zeitschrift „Zuerst!“ sagten Sie jüngst, dennoch werde GM scheitern.
Rosenkranz: Davon bin ich überzeugt, denn mit dieser Ideologie kann man nicht leben, sondern nur zugrunde gehen. Die entscheidende Frage ist aber: Können wir uns rechtzeitig aus diesem Irrtum befreien? Denn die schlimmste Wirkung entfaltet GM gerade in dem Schlüsselbereich schlechthin, in der Pädagogik. Was die Erschütterung bzw. Vernichtung des Selbstverständnisses von Mann und Frau für Buben und Mädchen bedeutet, die sich an Vorbildern, an Rollenbildern entwickeln müssen, kann gar nicht ernst genug genommen werden: Es geht um unsere Zukunft! Ja, GM wird scheitern, aber wenn wir einfach darauf warten, wird es uns mit in den Abgrund reißen. Denn in der Konkurrenz der Kulturen wird eine Kultur, die gegen die Gesetze des Lebens handelt, nicht bestehen, sondern vitaleren Kulturen zum Opfer fallen.
Anmerkung: 1) Anders als im Deutschen gibt es im Englischen zwei Worte für den Begriff Geschlecht: Das Wort sex bezeichnet das biologische Geschlecht, gender dagegen das sogenannte soziale Geschlecht, also das geschlechts-typische Rollenverhalten. Der Begriff mainstream meint die vorherrschende gesellschaftliche Ausrichtung, das, was allgemein anerkannt ist. Gender Mainstreaming ist also das Einspeisen des Gender-Gedankens in alle Bereiche des sozialen Lebens, um die Gesellschaft zu durchdringen und zu revolutionieren: Das biologische Geschlecht ist demnach nicht entscheidend, Mann und Frau seien lediglich gesellschaftliche Einbildung, hergestellt durch Erziehung. Jedes Bewußtsein für die Mann/Frau-Matrix soll durch diesen Umerziehungsprozeß langfristig gelöscht werden.
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Zur Person: Barbara Rosenkranz ist freiheitliche Landesministerin im Bundesland Niederösterreich und war zuvor Abgeordnete des Nationalrats, des österreichischen Parlaments, zuständig für die Themen Familie und Gesundheit. Sie studierte Geschichte und Philosophie und veröffentlichte 2008 ihre detaillierte Studie „MenschInnen. Gender Mainstreaming – auf dem Weg zum geschlechtslosen Menschen“ (Ares-Verlag). Geboren 1958 in Salzburg, ist die Mutter von zehn Kindern seit 2005 Vize-Bundesvorsitzende der FPÖ. |