Vor 750 Jahren starb die hl. Klara von Assisi,
Mitbegründerin des Klarissenordens
Klara wurde 1194 als Tochter einer der vornehmsten Adelsfamilien in
Assisi geboren. Ihre Mutter Hortulana, die vor dem Kruzifix kniend um
eine glückliche Niederkunft gefleht hatte, soll die Worte gehört haben:
"Fürchte dich nicht! Du wirst ein Licht gebären, das die ganze Welt
erleuchtet." Bald darauf brachte sie eine Tochter zur Welt und gab ihr
den Namen Clara.
Durch das Beispiel des hl. Franziskus, sein Leben ganz in Armut zu
verbringen, angezogen und ebenfalls für die "allerhöchste Armut"
gewonnen, legte sie als 18jähgrige am 18.3.1212 im Kloster Portiuncula
die drei Ordensgelübde in seine Hände ab. Als Clara vor dem Altar der
allerseligsten Jungfrau stand, legte sie ihre reichen Kleider ab,
worauf ihr Franziskus die Haare abschnitt und ihr ein Bußgewand
reichte, das nichts weiter war als eine Art Sack, den sie mit einem
Strick gürtete. Franziskus brachte sie, da in jener Zeit noch keine
Frauenklöster seines Ordens bestanden, zu den Benediktinerinnen von St.
Paul außerhalb von Assisi. Von da an zählen die armen Klarissen die
Jahre der Stiftung ihres Ordens. Wegen der Verfolgung durch ihre
Verwandten, die den Eintritt ins Kloster nicht hinnehmen wollten, zog
Klara ins Kloster S. Angelo de Panso, später wurde sie zusammen mit
ihrer 14jährigen Schwester Agnes vom hl. Franziskus in einem Häuschen
bei der wiedererrichteten Kapelle S. Damiano untergebracht. Hier
sammelte sich nun um sie eine rasch wachsende, in strenger Klausur
lebende klösterliche Gemeinschaft, der auch bald eine weitere Schwester
Klaras, Beatrix, angehörte wie auch ihre verwitwete Mutter. Klara stand
dem Kloster über 40 Jahre vor, die sie in äußerster Bußstrenge und
Demut verbrachte, obwohl von Gott bis zu ihrem Tode am 11.8.1253 über
27 Jahre lang durch Krankheiten geprüft. Gegen 1240 vertrieb sie durch
ihr inbrünstiges Gebet zum allerheiligsten Sakrament die Sarazenen von
S. Damiano und Assisi, weshalb sie noch heute als Retterin der Stadt
verehrt wird. Ihre Leiche wurde unter Begleitung Papst Innozenz IV. in
S. Giorgio/Assisi beigesetzt. Nach ihrer Heiligsprechung, die bereits
zwei Jahre nach ihrem Tod im Jahre 1255 erfolgte (Festtag: 12. August)
wurde sie 1260 in die ihr geweihten Kirche Sta. Ciara/Assisi
übertragen. 1872 wurde sie in einer eigenen Kapelle beigesetzt.
Aus Anlaß ihres 750. Todestages veröffentlichen wir ihr Testament.
Eberhard Heller
***
Das Testament der heiligen Klara
Im Namen des Herrn. Amen.
1. Unter den verschiedenen Gnadengaben, die wir von unserem freigebigen
Spender, dem Vater der Erbarmungen (2 Kor 1, 3), empfangen haben und
noch täglich empfangen, müssen wir ihm, dem Glorreichen, größten Dank
sagen; denn groß ist unsere Berufung; je vollkommener und größer sie
aber ist, desto mehr schulden wir ihr das Höchste. Daher sagt der
Apostel: "Erkenne deine Berufung" (vgl. 1 Kor 1, 26).
2. Der Sohn Gottes ist uns Weg (vgl. Jo 14,6) geworden, den uns unser
seliger Vater Franziskus, sein wahrer Liebhaber und Nachfolger, durch
Wort und Beispiel gezeigt und gelehrt hat.
3. Deshalb, geliebte Schwestern, müssen wir die uns erwiesenen
unendlichen Wohltaten Gottes betrachten, besonders aber diejenigen, die
Gott in uns durch seinen geliebten Diener, unseren seligen Vater
Franziskus, zu wirken sich gewürdigt hat, nicht nur nach unserer
Bekehrung, sondern auch damals, als wir noch in der Eitelkeit der Welt
weilten.
4. Denn als der Heilige bis dahin weder Brüder noch Gefährten hatte,
als er fast sofort nach seiner Bekehrung die Kirche in S. Damiano
aufbaute, wo er, von göttlicher Tröstung völlig erfüllt, angetrieben
wurde, die Welt ganz und gar zu verlassen, siehe, da weissagte er über
uns in großer Freude und Erleuchtung des Heiligen Geistes, was der Herr
später auch erfüllt hat.
Er stieg nämlich damals auf die Mauer der genannten Kirche und rief mit
lauter Stimme in französischer Sprache einigen dort in der deren
ruhmvollen und heiligen Wandel unser himmlischer Vater in Nähe
weilenden Armen zu: "Kommt und helft mir beim Bau des Klosters S.
Damiano; denn fürder werden dort Frauen wohnen, durch die seine ganzen
heiligen Kirche verherrlicht werden wird".
5. Darin also können wir die überreiche Güte Gottes gegen uns
betrachten, der ob seiner überfließenden Barmherzigkeit und Liebe durch
seinen Heiligen solches über unsere Berufung und Erwählung zu sprechen
sich gewürdigt hat.
Und nicht nur über uns hat unser hochseliger Vater solches geweissagt,
sondern auch über die anderen, welche kommen werden in der heiligen
Berufung, zu welcher uns der Herr berufen hat.
6. Mit welcher Sorgfalt also, mit welchem Eifer des Geistes und Körpers
müssen wir die Gebote Gottes und unseres Vaters beobachten, auf daß wir
mit des Herren Beistand ihm das Talent verviel-fältigt zurückgeben
(Vgl. Mt 25, 15 ff.).
Der Herr selbst nämlich hat uns nicht allein den anderen Menschen als
ein Vorbild zum Beispiel und Spiegel aufgestellt, sondern auch unseren
Schwestern; denn sie hat der Herr zu dem gleichen Leben berufen, zu dem
er uns berief, auf daß sie gleichfalls denen, die in der Welt wandeln,
Spiegel und Beispiel seien.
Da uns also der Herr zu so Großem berufen hat, daß diejenigen in uns
sich spiegeln können, die anderen zum Beispiel und Spiegel sind, so
sind wir gehalten, den Herrn besonders zu preisen und zu loben und uns
überdies im Herrn zu stärken, Gutes zu tun. Deshalb werden wir, wenn
wir nach der genannten Weise leben, den anderen ein edles Beispiel
hinterlassen und durch geringste Mühe den Siegespreis ewiger Seligkeit
erlangen.
7. Nachdem der höchste himmlische Vater sich gewürdigt hatte, mein Herz
durch seine Barmherzigkeit und Gnade zu erleuchten, daß ich nach dem
Beispiel und der Lehre unseres hochseligen Vaters Franziskus Buße tue,
habe ich bald nach seiner eigenen Bekehrung ihm freiwillig zusammen mit
einigen Schwestern, die mir der Herr bald nach meiner Bekehrung
gegeben hatte, Gehorsam versprochen, so wie uns der Herr durch dessen
preiswürdiges Leben und dessen Lehre das Licht seiner Gnade verliehen
hatte.
8. Als aber der selige Franziskus bemerkte, daß wir körperlich schwach
und gebrechlich seien, trotzdem aber vor keiner Not, Armut, Beschwerde,
Mühsal oder Niedrigkeit und Verachtung der Welt zurückscheuten, ja nach
dem Beispiel der Heiligen und seiner Brüder dies sogar für große Wonne
erachteten, wie er persönlich und seine Brüder häufig festgestellt
haben, war er hocherfreut im Herrn. Und zur Liebe gegen uns bewegt,
verpflichtete er sich, immer für uns wie für seine Brüder fleißig
besorgt und auf eine ganz besondere Weise um uns bekümmert zu sein,
sowohl in eigener Person als auch durch seinen Orden.
9. Und so gingen wir nach dem Willen des Herrn und unseres hochseligen
Vaters Franziskus zur Kirche S. Damiano, um dort zu wohnen; dort aber
hat der Herr unsere Zahl in kurzer Zeit durch seine Barmherzigkeit und
Gnade vermehrt, damit erfüllt werde, was der Herr durch seinen Heiligen
vorausgesagt hatte; denn an einem anderen Orte [d.i. in den beiden
Benediktinerinnen-Klöstern S. Paolo zu Bastia und S. Angelo di Panso]
hatten wir uns nur ganz kurze Zeit aufgehalten.
10. Später schrieb er uns die Weise zu leben nieder und betonte am
meisten, daß wir immer in der heiligen Armut verharren sollten. Und er
war nicht damit zufrieden, uns zu seinen Lebzeiten durch viele
Predigten und Beispiele zur Liebe und Beobachtung der heiligsten Armut
zu ermuntern; vielmehr übergab er uns auch mehrere Schreiben, damit wir
nach seinem Tode in keiner Weise von ihr abwichen, gleichwie der Sohn
Gottes, solange er auf Erden lebte, niemals von dieser heiligen Armut
abweichen wollte. Seinen Fußspuren nachfolgend ist auch unser
hochseliger Vater Franziskus, so-lange er lebte, niemals von der
heiligen Armut, die er, für sich und seine Brüder erwählt hat,
abgewichen, weder in seinem Beispiel noch in seiner Lehre.
11. Ich, Klara, Christi und der Armen Schwestern des Klosters S.
Damiano obschon unwürdige Magd und kleine Pflanze des heiligen Vaters,
habe mit meinen Mitschwestern unsere höchste Berufung und das Gebot
eines so großen Vaters überdacht, zugleich aber auch die
Gebrechlichkeit der anderen Schwestern, die wir nach dem Heimgang
unseres heiligen Vaters Franziskus, der unsere Säule, nächst Gott unser
einziger Trost und unsere Stütze war, auch für uns fürchteten; darum
haben wir uns immer und immer wieder freiwillig unserer, heiligsten
Herrin Armut verpflichtet, damit nach meinem Tode die Schwestern, die
jetzigen und die kommenden, auf keine Weise sich von ihr abzuwenden
imstande wären.
12. Und wie ich immer eifrig bemüht und besorgt gewesen bin, die
heilige Armut, die wir dem Herrn und unserem heiligen Vater Franziskus
zu beobachten und von den anderen beobachten zu lassen versprochen
haben, so sollen auch die anderen Äbtissinnen, die mir in meinem Amte
nachfolgen, gehalten sein, bis ans Ende sie selbst immer zu beobachten
und von ihren Schwestern beobachten zu lassen. Ja, zur größeren
Sicherheit war ich besorgt, vom Herrn Papst Innozenz, zu dessen Zeit
wir angefangen haben, und von seinen Nachfolgern, unser Gelübde der
heiligsten Armut, das wir auch unserem Vater versprochen haben, durch
ihre Privilegien bekräftigen zu lassen [das Privileg der Armut, das
Innozenz III. erstmalig verlieh und Gregor IX. erneut bestätigte],
damit wir zu keiner Zeit und auf keine Weise von ihr abwichen.
13. Darum verneige ich mich ganz, mit Leib und Seele, ich beuge meine
Knie und empfehle alle meine Schwestern, die gegenwärtigen und die
kommenden, der heiligen Mutter, der Römischen Kirche, dem Papste und
besonders dem Herrn Kardinal, der für den Orden der Minderbrüder und
uns bestimmt ist. Um der Liebe jenes Herrn willen, der arm in der
Krippe lag, arm in der Welt lebte und nackt am Marterholze verblich,
möge der Herr Kardinal allzeit seine kleine Herde die heilige Armut
beobachten lassen, die wir Gott und unserem hochseligen Vater
Franziskus versprochen haben, und er möge die Schwestern in dieser
Armut immer bestärken und erhalten. Diese kleine Herde hat ja der Herr
und Vater in seiner heiligen Kirche durch das Wort und das Beispiel des
seligen Vaters Franziskus erweckt, welcher der Armut und Demut seines
geliebten Sohnes und der glorreichen Jungfrau, seiner Mutter,
nachgefolgt ist.
14. Der Herr hat uns unseren hochseligen Vater Franziskus zum Gründer,
Pflanzer und Helfer im Dienste Christi und in all dem gegeben, was wir
Gott und diesem unserem Vater versprochen haben, der zu seinen
Lebzeiten in gleicher Weise in Wort und Tat besorgt war, uns, seine
kleine Pflanze, zu hegen und zu pflegen. Ebenso empfehle ich nun meine
zurückbleibenden Schwestern, die gegenwärtigen und kommenden, dem
Nachfolger unseres seligen Vaters Franziskus und dem ganzen Orden. Sie
mögen uns helfen, im Dienste Gottes stets zum Besseren voranzuschreiten
und vor allem die heilige Armut besser zu beobachten.
15. Wenn es sich aber ereignen sollte, daß die genannten Schwestern zu
irgendeiner Zeit die genannte Stätte verlassen und sich an eine andere
begeben, so sollen sie nichtsdestoweniger verpflichtet sein, nach
meinem Tode, wo immer sie auch sein mögen, die genannte Lebensweise der
Armut, die wir Gott und unserem hochseligen Vater Franziskus
versprochen haben, zu beobachten.
16. Es seien jedoch sowohl jene Schwester, die mein Amt innehat, als
auch die anderen Schwestern stets besorgt und bedacht, um die genannte
Stätte herum nicht mehr Land zu erwerben oder anzunehmen, als die
äußerste Notwendigkeit für einen Garten zum Anbau von Gemüse fordert.
Wenn es aber zu irgendeiner Zeit für das auskömmliche Leben, in der
Abgeschiedenheit des Klosters notwendig sein sollte, außerhalb des
Gartenzaunes noch mehr Land zu haben, so sollen sie nicht gestatten,
mehr zu erwerben, als die äußerste Notwendigkeit fordert; und dieses
Land soll gar nicht bearbeitet und besät werden, sondern stets brach
und unangebaut liegenbleiben.
17. Ich mahne aber inständig im Herrn Jesus Christus alle meine
Schwestern, die gegenwärtigen und kommenden, sich immer zu bemühen, den
Weg heiliger Einfalt, Demut und Armut nachzugehen wie auch einen
ehrbaren und heiligen Wandel zu führen; so nämlich wurden wir seit dem
Anfang unserer Bekehrung zu Christus von unserem seligen Vater
Franziskus belehrt. Darum sollen die Schwestern nicht durch unsere
Verdienste, sondern einzig durch die Barmherzigkeit und Gnade des
freigebigen Spenders, welcher der Vater der Erbarmungen (2 Kor 1, 3)
ist, sowohl jenen, die fern, als auch denen, die nahe sind, stets den
Duft eines guten Rufes verbreiten.
18. Und liebet einander mit der Liebe Christi und zeiget die Liebe, die
ihr im Herzen habt, auch nach außen durch die Werke, damit die
Schwestern, durch dieses Beispiel aufgefordert, stets in der Liebe
Gottes wachsen und einander immer mehr lieben.
19. Ich bitte auch jene, welche das Vorsteherinnenamt bei den
Schwestern innehaben wird, sie möge sich bemühen, die anderen mehr
durch Tugenden und heiligen Wandel als durch das Amt zu überragen, auf
daß die Schwestern, von ihrem Beispiel entzündet, ihr nicht so sehr
wegen des Amtes, als vielmehr aus Liebe gehorchen.
Sie soll auch rücksichtsvoll und fürsorglich ihren Schwestern gegenüber
sein wie eine gute Mutter gegen ihre Töchter; besonders aber soll sie
sich bemühen, sie nach dem Bedürfnis einer jeden mit den Gaben zu
versorgen, die der Herr geben wird. Sie soll auch so gütig und
umgänglich sein, daß sie ihr sorglos ihre Nöte offenbaren und zu jeder
Stunde sich vertrauensvoll an sie wenden können, wie es ihnen
förderlich scheint, sowohl für sich persönlich als auch für ihre
Mitschwestern.
20. Die Schwestern aber, die Untergebene sind, sollen eingedenk sein,
daß sie um des Herrn willen dem eigenen Willen entsagt haben. Daher
will ich, daß sie ihrer Mutter gehorchen, wie sie mit freiem Willen dem
Herrn versprochen haben. Die Mutter soll beim Anblick der gegenseitigen
Liebe, Demut und Eintracht alle Last, die sie von Amts wegen trägt,
leichter tragen. Und das Lästige und Bittere möge ihr um deren heiligen
Wandels willen in Süßigkeit verwandelt werden.
21. Und weil der Weg und Pfad, auf dem man geht, eng und die Pforte,
durch die man zum Leben eintritt, schmal ist, so sind es nur wenige,
die darauf wandeln und durch sie eintreten (vgl. Mt 7,13 f.); und wenn
es schon wenige sind, die eine Zeitlang darauf wandeln, so sind es die
wenigsten, die auf ihm ausharren.
Selig aber jene, denen es gegeben ist, auf ihm zu wandeln und auszuharren bis ans Ende (vgl. Mt 10, 22).
22. Wir sollen uns also hüten, wenn wir schon den Weg des Herrn
betreten haben, daß wir keineswegs durch unsere Schuld, Nachlässigkeit
und Unwissenheit zu irgendeiner Zeit davon abweichen, damit wir nicht
einem so großen Herrn, seiner jungfräulicnen Mutter, unserem seligen
Vater Fran-ziskus, der triumphierenden und auch der streitenden Kirche
Schande machen. Es steht nämlich geschrieben: "Verflucht, die abweichen
von deinen Geboten!" (Ps 118,2l).
23. Um dessentwillen beuge ich meine Knie vor dem Vater unseres Herrn
Jesus Christus (Eph 3, 14), damit durch die fürbittenden Verdienste der
glorreichen, heiligen Jungfrau Maria, seiner Mutter, unseres
hochseligen Vaters Franziskus und aller Heiligen der Herr selbst, der
einen guten Anfang verliehen hat, auch das Gedeihen gebe (vgl. 1 Kor
3,7); auch gebe er immer die Beharrlichkeit bis ans Ende. Amen.
24. Dieses Schreiben hinterlasse ich euch, meine geliebtesten und
teuersten Schwestern, den gegenwärtigen und zukünftigen, damit es
besser beobachtet werde, als Zeichen des Segens des Herrn und unseres
hochseligen Vaters Franziskus und des Segens euerer Mutter und Magd.
(aus: P. Engelbert Grau OFM: "Leben und Schriften der heiligen Klara" Wert/Westf. 41976, S. 109 ff.) |