Der Atheismus als moderne Wissenschaft
von Norbert Dlugai
I. Hinführung zur aktuellen Problematik
Der Verfasser möchte mit diesem Beitrag an seinen Aufsatz im August-Heft 2009 anknüpfen "Das christliche Abendland vom Untergang bedroht". Der Sclußsatz lautete: "Das Schicksal des Abendlandes - ein immer größer werdender Fleck der Heilsgeschichte - dürfte besiegelt sein." Eine tragische Schicksalhaftigkeit - und es sollte kein Geheimnis sein, daß dies alles von den modernistischen Repräsentanten der Konzils-Kirche und ihren super-aufgeklärten Laien Funktionären geleugnet bzw. ignoriert wird - falls das Ganze überhaupt ins Bewußtsein gedrungen ist, was noch bei einer immer mehr zusammenschrumpfenden Christenschar hier und da der Fall sein möge. Infolgedessen ist man auch blind und taub geworden für das Verhängnisvolle, weil die Unterminierung des "christlichen Abendlandes" im Grunde und im Endeffekt ein Werk des Atheismus ist.
II. Versuch einer Auseinandersetzung mit dem heutigen Atheismus mit Blick auf das theo-dezentrierte Abendland
Als noch der Kommunismus an der Macht war, sagte man - den damaligen Gegebenheiten Rechnung tragend - zurecht: Im Osten wird der Atheismus zur zwangsverordneten Staatsreligion, im freien Westen wird er freiwillig praktiziert und de facto gelebt... Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus ist der praktische Atheismus mehr und mehr gesellschaftsfähig geworden, ja er entwickelte sich geradezu zu einem gesellschaftlichen System mit allen nur möglichen Ausformungen - besonders in den vergangenen Dezennien. Dieser Prozeß hat alles andere als seinen Abschluß gefunden. Im Gegenteil, es nimmt eine erschreckende Progredienz ihren Siegeslauf, dem sich kein Hindernis mehr entgegenstellt - durch unser aller Schuld.
Der große Antimodernistenkämpfer und Realist auf dem Stuhl Petri, der hl. Papst Pius X., hatte bereits Anfang des 20. Jahrhunderts in seinem ersten Rundschreiben drohendes Unheil für die abendländische Menschheit vorausgesehen, indem er mahnte: "Uns schreckt auf das allerheftigste die gegenwärtige so schwere Bedrängnis des menschlichen Geschlechtes. Es ist allen bekannt, daß die Gesellschaft heute an einer tiefeingesessenen Krankheit leidet, wie sie die früheren Zeiten nie gekannt haben. Diese Krankheit ist der Abfall, die Trennung von Gott, der engste Bundesgenosse des Verderbens. Die Betrachtung dieser Zustände ruft die Befürchtung wach, als hätten wir in dieser Verderbnis der Herzen die Vorboten, ja den Anfang jener Greuel vor uns, welche am Ende der Zeiten zu erwarten sind."
Wenn nach dem Zusammenbruch des Kommunismus der praktische Atheismus an geistigem Boden gewann, dann muß um des rechten Verständnisses willen gesagt werden, daß der Atheismus bereits Jahrhunderte zuvor, d.h. konkret seit der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit sich der menschlichen Herzen zu bemächtigen versucht hat, sie für Zeit und Ewigkeit zu verderben trachtete.
Die hinter allem stehende Macht der Finsternis ist verkörpert im Widersacher Gottes, dem Satan, "welcher wie ein brüllender Löwe umherschleicht, suchend, wen er verschlingen könne" (1 Petr. 5,8-9), und den unser Heiland und Erlöser Jesus Christus "den Vater der Lüge und Menschenmörder seit Anbeginn" nennt. (Jo. 8,44-45) Sein einziges Sinnen und Streben ist darauf gerichtet, das Schöpfungsebenbild Gottes (Gen. 1,26) in die Fänge des Atheismus zu ziehen, um es für Zeit und Ewigkeit der Gnade Gottes verlustig gehen zu lassen, und um es damit für Zeit und Ewigkeit zu verderben.
Wenn bereits von "der satanischen Ausgeburt" des Atheismus als Weltanschauung die Rede war, so ist dies eine schlichtweg feststehende Tatsache, die keiner ethisch-wissenschaftlichen Begründung bedarf. Denn die Merkmale, wie sie z.B.in einer Enzyklopädie zu finden sind, liegen vor: Weltanschauung ist eine auf das Ganze des menschlichen Lebens abzielende Sinndeutung, nach der sich die Rangordnung der Werte richtet, die das Handeln des Menschen bestimmen.
Es erhebt sich die Frage, ob diese Merkmale bei entsprechender konkreter Umsetzung es rechtfertigen, dem Abendland den Stempel des Atheismus aufzudrücken? Die äußere Fassade vermag jedoch nicht über das wahre Bild hinwegzutäuschen, denn die 'Kirche', und d.h. ihre Repräsentanten und das heutige Kirchenvolk machen es mehr als evident, daß und wie sehr die atheistische Zersetzung im Inneren fortgeschritten ist.
Um das alles zu erhärten, soll aufgezeigt werden, daß von den Wurzeln des Atheismus her die Dinge ihren Lauf genommen haben. Mit Hilfe des Heiligen Geistes muß daher den Ursprüngen und den Wurzeln der desaströsen Entwicklungen nachgespürt werden, welche wie eine Pest die menschlichen Seelen zerstören und sie der Gnade Gottes für Zeit und Ewigkeit entreißen.
Der moderne Atheismus gründet offensichtlich in einer angeblich besonderen Art des Wissens, dessen Wurzeln die sog. 'Gnosis' ist. Darin steckt ein griechisches Wort, das soviel wie 'Erkenntnis' bedeutet. Die so denken und agieren nennet man 'Gnostiker'. Allen gnostischen Systemen ist gemeinsam, daß sie versuchten, den Glauben durch rein menschliches Wissen und Erkennen zu ersetzen. Alle Wahrheiten des Glaubens seien darum den Gnostikern grundsätzlich durchschauber. Es existieren somit für sie keine eigentlichen Geheimnisse, welche die Vernunft allein nicht mehr geistig zu bewältigen vermag. Damit stattet sich der Gnostiker in seiner ihm vom Widersacher eingegebenen Hybris selbst mit einer göttlichen Erkenntnisfähigkeit aus, während es doch allein Gott, dem Allwissenden zukommt, alles vollkommen zu sehen und zu erkennen; denn unser menschliches Erkennen ist "armseliges Stückwerk", wie es der heilige Paulus zutreffend beschreibt.
Dies bedeutet aber, daß der Gnostiker Gott und seine Unumschränktheit auf das Maß seines eigenen Erkenntnisvermögens reduziert, und damit erhebt er sich selbst auf einen 'göttlichen' bzw. gottesglei-chen Standpunkt empor. Es erhalten der Mensch, die Welt und die Gesellschaft gewissermaßen einen göttlichen Charakter, der lebensbestimmend ist.
Diese überhebliche gottlästerliche Selbstvergötzung des Menschen, die das Antlitz-Christi entstellt, überzieht z.B. Walter Hoeres in seinem Buch "Aufstand gegen die Ewigkeit" mit richtungweisender Kritik. Seine Überlegungen und Gedanken veranschaulichen sehr deutlich die geradezu radikal gewandelte Mentalität der Gegenwart, und vor allem die der Christen von heute:
"Der Zeitgeist, so wird argumentiert, erfordere es, daß die menschliche Vernunft das Maß aller Dinge sei, und daß nun die Glaubenswahrheiten herabgezogen werden müssen zum 'Level', zum Bewußtseinsstand, zur Mentalität der jeweiligen Gegenwart. Nicht mehr der Mensch ist offen für sie, um sie demütig anzunehmen und soweit möglich zu verstehen, sondern sie müssen solange 'geöffnet', d.h. gedreht und gepreßt werden, bis sie dem Geist der Epoche entsprechen und so wahrhaft 'geschichtlich' geworden sind. Und da die Mentalität unserer Epoche nicht etwa deshalb, weil der Mensch tatsächlich ein geschichtliches Wesen im Sinne der Heidegger-Mythologie wäre, sondern weil er sich freiwillig und radikal für das Diesseits entschlossen hat, eine rein diesseitige ist, werden auch die Glaubenswahrheiten der Diesseitsreligion angepaßt. Nicht zufällig ist der große Entmythologisierer Bultmann ein geistiger Schüler Heideggers und seiner Lehre vom Menschen als 'In-der-Welt-Sein' gewesen!"
Hoeres hat das Kernproblem, das seit Jahrhunderten, besonders aber in den letzten Jahrzehnten nach dem Konzil das Gesicht von Kirche und Christenheit von Grund auf verändert hat, beim Namen genannt: Anpassung der Glaubenswahrheiten an eine Diesseits-'Religion'. Die Glaubensinhalte werden den rein menschlichen Wahrheitskriterien unterworfen! Das hat zur Folge, daß in alledem der Mensch im Mittelpunkt steht! Der blanke Anthropozentrismus tritt an die Stelle des das ewige Heil verbürgenden Theozentrismus, der allein der Ebenbildhaftigkeit Gottes gerecht wird, gerecht werden kann! Das ganze Dilemma erfuhr noch einen Auftrieb dadurch, indem generell ein rigoroser Bruch mit der (gottgewollten) Tradition vor sich ging und damit dem Theozentrismus gewissermaßen ein Dolchstoß versetzt wurde.
ATHEISMUS bedeutet Trennung von Gott. Der Gnostiker wähnt sich in dem Irrglauben, daß er allein zuständig sei für alles, was an innerweltlichen Fragen und Problemen sich ihm aufdrängt und einer Antwort bedarf. Und wenn Frage und Antwort sich auf die Existenz Gottes beziehen, gilt die Verneinung der Existenz heutzutage hier und da sogar als ein Zeichen besonderer Intelligenz.
Man wird nun schwerlich behaupten können, daß von dieser Art 'Intelligenz' die Mehrheit der abend-ländischen Christenheit befallen ist. Die geistigen Schwerpunkte sind aber dennoch gekennzeichnet durch eine Lebensgestaltung, die man als "praktisch gelebten Atheismus" bezeichnet. Konkret bedeutet das: Man bejaht die Gebote Gottes, kurzum seine sittliche Ordnung, lebt aber tatsächlich so, als ob es eine solche Ordnung Gottes nicht gäbe, eines Gottes, der ja die Ordnung im Interesse unseres zeitlichen und mehr noch des ewigen Heiles verbürgt.
In dem Maße aber, wie wir glauben, als aufgeschlossene 'Gnostiker' unverrückbare tradierte Glaubenswahrheiten göttlichen Ursprungs nach eigenem Ermessen dem Zeitgeist zuliebe uminterpretieren zu können, trennen sich der Heilige Geist und damit letztlich Christus von uns, der durch alle Zeiten hindurch die Echtheit, Unverfälschtheit und Beständigkeit der göttlichen Ordnung gewahrt und bewahrt wissen will. Gerade in Dingen, die das zeitliche und vor allem das ewige Heil des Menschen in der Gnade Gottes betreffen, die uns als Frucht des Kreuzestodes Jesu Christi gratuiert zugewendet wird, wenn der Mensch willens ist, sie anzunehmen. Werden jedoch die am Kreuz verdienten Gnadenschätze, die der Heilige Geist bewahrt und hütet, vom Menschen mißachtet, wird der Heilige Geist sozusagen vertrieben.
Dort aber, wo der Heilige Geist als das Lebensprinzip der Kirche 'nicht mehr ist', nicht mehr weht und waltet, ist auch Christus nich mehr präsent, ja nicht mehr real-präsent - durch unsere Schuld. Die Schrift bezeugt das in Röm. 8,27, wo es heißt: "[der Geist] tritt im Sinne Gottes ein für die Heiligen" d.h. für den Menschen, der sich streng nach der tradierten Ordnung Gottes ausrichtet.
Dieser Verlust des Hl. Geistes ist hauptsächlich in den vergangenen Jahrzehnten, schwerpunktmäßig nach dem II. Vatikanischen Konzil - im den Sog einer anthropozentrisch-modernistischen sog. 'Neuen Theologie' - eingetreten. Die Folge ist ganz zweifelsfrei und eindeutig ein in allen Bereichen des religiösen und kirchlichen Lebens praktisch gelebter Atheismus, der unaufhaltsam alles unterwandert. Und deshalb wurde, wie es einmal jemand sehr drastisch zum Ausdruck brachte, das 'christliche Abendland' schon längst von den Feinden Gottes, und nicht zuletzt von der Kirche stillschweigend zu Grabe getragen. Aber die Raffinesse Satans versteht es, dieses Drama auf Blindheit und Taubheit stoßen zu lassen.
III. Der heilige Thomas v. Aquin und der Atheismus
Es ist interessant, daß der heilige Thomas v. Aquin das Thema "Atheismus" nicht außer acht lassen konnte, handelt es sich doch hier um ein Wesenselement der Heilsgeschichte im dunkelsten, negtivsten Sinne. Thomas schreibt darüber in seiner "Summa Theologica" (II II, q 46). Der Aquinate stellt den Atheismus in Zusammenhang mit der "Dummheit". Sie ist etwas vom Menschen selbst Verschuldetes und daher vom Menschen vor Gott zu verantworten. Der Mensch werde nicht "dumm geboren", sondern er gerate im Laufe des Lebens aus eigener Schuld in den Zustand der Dummheit. Mithin könne ein hochintelligenter Wissenschaftler ebenso dumm sein wie ein intellektuell wenig begabter einfacher Hilfsarbeiter. Thomas setzt es als sebstverständlich voraus, daß Gott von jedem Menschen mit genügender Sicherheit erkannt werden kann, weshalb eine Leugnung Gottes immer etwas Unvernünftiges und darum moralisch Verwerfliches, also Sündhaftes ist.
Wir liegen durchaus auf der Linie der Lehre des heiligen Thomas v. Aquin, wenn das zuvor Gesagte in gleicher Weise Gültigkeit beansprucht für eine Zeit wie die unsere, wo die Menschheit bzw. die Christenheit einem anthropozentrisch-modernistischem Denken, verkörpert durch ein entsprechendes Gottesbild, frönt, welches der Tradition in keiner Weise mehr gerecht wird.
Wir sind hier zwar mit keinem streng dogmatischen, aber mit einem praktisch anders gearteten Atheismus konfrontiert, weil der moderne, aufgeklärte Mensch - auch der sog. 'Christ' - vom einzig wahren Gott der Tradition de facto und objektiv eine Kehrtwende vollzogen hat. Sie hat die Beliebigkeit im Gefolge, denn der heutige modene Zeitgenosse gestaltet in vielem sein Dasein so, als ob auch dieser neue tolerante Gott überhaupt nicht existierte, selbst wenn man in ihm die Verkörperung einer sittlichen Ordnung sehen wollte, die man zu akzeptieren bereit sei.
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