Kino:
Zum Konflikt um Mel Gibsons "The Passion"
"Da nun die Stunde des Herrn gekommen war, rang er mit dem Tode, und
ein kalter Schweiß drang aus seinen Gliedern. Johannes stand an dem
Kreuz und trocknete Jesu Füße mit seinem Schweißtuch. Magdalena lehnte,
ganz von Schmerz zermalmt, an der Rückseite des Kreuzes. Die heilige
Jungfrau stand zwischen Jesu und des guten Schächers Kreuz, von den
Armen der Maria Kleophä und der Salome unterstützt, und sah zu ihrem
sterbenden Sohn hinauf. Da sprach Jesus: "Es ist vollbracht und
richtete das Haupt empor und rief mit lauter Stimme: "Vater, in deine
Hände empfehle ich meinen Geist!" Es war ein süßer, lauter Schrei, der
Himmel und Erde durchdrang; dann senkte er sein Haupt und gab seinen
Geist auf. Johannes und die heiligen Frauen sanken zur Erde auf ihr
Antlitz nieder."
Clemens von Brentano, der Dichter der Romantik, schrieb diese Zeilen
"nach den Betrachtungen der gottseligen Anna Katharina Emmerich",
Augustinerin des Klosters Agnetenberg zu Dülmen. Neben den Evangelien
waren die Visionen dieser begnadigten Nonne eine Hauptquelle für den
von dem zweifachen Oscarpeisträger, ("Braveheart")
Hollywood-Schauspieler und -Regisseur Mel Gibsons gedrehten - und
heftig unstrittenen - Film über die Leidensgeschichte Christi "The
Passion". Gibson, der selbst aus einer frommen katholischen Familie
stammt, seit fast dreißig Jahren in erster Ehe ver-heiratet ist und
sieben Kinder hat, was inzwischen nicht nur für Hollywoodstars
ungewöhnlich ist - die einzige Tochter ist Ordensfrau in einer
traditionalistischen Schwesterngemeinschaft -, ist gläubiger Katholik,
der jedoch mit der nachkonziliären Kirche seine Schwierigkeiten hat. Er
hält daher u.a. auch an der alten lateinischen Messe fest.
Seit zwölf Jahren trug er sich mit dem Gedanken einen Film über die
letzten Stunden im Leben Jesu Christi zu drehen. Nun gab es bis jetzt
eine ganze Reihe Filme zu diesem Thema von Pier Paolo Pasolinis Werk
"Das erste Evangelium Matthäus" bis zu Martin Scorseses "Die letzte
Versuchung Christi", aber Pasolini war Atheist und Scorsese ist
Agnostiker, sein Jesusbild ist alles andere als bibeltreu. Gibson
hingegen ist nicht nur der Ansicht, die Bibel sei das größte Abenteuer
der Welt, sondern bekannte auch unumwunden, daß dieser Film für ihn ein
Zeichen der Dankbarkeit seinem Herrn und Erlöser gegenüber sei. So
steckte er 25 Millionen Dollar aus seinem Privatvermögen in die
Produktion, und ließ sich bei den Dreharbeiten im süditalienischen
Städtchen Sassi di Matera - in dem auch der Pasolini-Film gedreht wurde
- von ausgewiesenen Theologen und Historikern beraten. Vor dem Beginn
der Arbeiten besuchte er täglich in einer kleinen Kapelle die heilige
Messe im traditionellen lateinischen Ritus, dem er sich besonders
verbunden fühlt. Dadurch habe er Gottes Führung erfahren, die ihn die
strapaziösen Dreharbeiten zu diesem bisher "härtesten Projekt" seines
Lebens durchstehen ließ. )
Niemand sei von der Arbeit an dem Film unberührt geblieben, erzählte
der Hollywood-Star. Die epileptische Tochter eines Kameramannes, mit
mehreren Anfällen pro Tag, sei überraschend und spontan geheilt worden,
und einige Agnostiker und Moslems aus dem bunt zusammengewürfelten Team
hätten unter dem Eindruck ihrer Arbeit zum Glauben an Jesus Christus
gefunden. Seine eigene Hoffnung ist, daß durch "The Passion" der Glaube
wächst, da die Bilder auf den Evangelien basieren und diese das
Verständnis der ganzen Wirklichkeit und des Geheimnisses vertiefen, das
darin enthalten ist. So hat der Regisseur die letzten Stunden Christi
aus den gewohnten sentimentalen Bildzusammenhängen gelöst und genau
nach den Regieanweisuungen der Evangelien auf die Straßen und Plätze
versetzt, auf denen sie sich real abgespielt haben und seit fast
tausend Jahre den Kern des Kanons des christlichen Glaubens und der
abendländischen heiligen Kunst bilden. Neben den Texten der Evangelien
dienten Gibson auch die Passions-Visionen der Augustinerin Anna
Katharina Emmerich und der spanischen Äbtissin Maria von Agreda als
Quelle der Inspiration.
Sehr früh, der Film war, außer einer Rohfassung, noch gar nicht
fertiggestellt, ertönten die ersten Antisemitismus-Vorwürfe der
jüdischen "Anti-Defamation-League", dem Hauptsprachrohr Israels in den
USA. Auf illegale Weise in den Besitz einer Drehbuch-Kopie gekommen,
wurde eine angebliche "Expertenkommission" "katholischer" und jüdischer
Theologen beauftragt, das Skript zu "prüfen". In der "New Republic"
bestätigte die Theologin Paula Frederiksen dann die Vorwürfe ihrer
Auftraggeber, jedoch waren die Argumente waren offenbar derart dürftig,
daß die US-Bischofskonferenz sich prompt bei Mel Gibsons Anwälten für
ihre prophylaktische Kritik, die wohl einer auch in den USA
grassierenden politischen Korrektheit geschuldet war, entschuldigte.
John Foley, der Präsident des Vatikanischen Medienrates nannte "The
Passion", nachdem er Ausschnitte gesehen hatte, "exzellent", wer den
Film kritisiere, der kritisiere gleichzeitig das Evangelium. Der
Präfekt der Klerus-Kongregation, Kardinal Hoyos gratulierte Gibson
persönlich. Andere, wie die Theologie-Professorin Mary Boys legten
dagegen noch einmal nach: der Film würde angeblich "Judenhaß schüren",
da diese durchgängig als "blutrünstig, rachsüchtig und geldgierig"
dargestellt würden. Die Rolle des römischen Statthalters Pilatus werde
dagegen "heruntergepielt".
Den Vorwurf, "The Passion" laste den Juden den Tod Christi an, während
die Römer exkulpiert würden, und sei mithin "antisemitisch", hält
Gibson für unhaltbar. Weder er noch sein Film seien antisemitisch, im
übrigen halte der Film sich an die Botschaft des Neuen Testaments und
handle von "Glauben, Liebe, Hoffnung und Vergebung." Dies bestätigten
auch über 800 Prediger der "Life Giving Leadership Conference", die den
Film auf dem Jahrestreffen der evangelikalen "New Life Church" zu sehen
bekamen, während Ted Haggard, der Präsident der einflußreichen
konservativen "National Association of Evangelicals", Gibson mit
Michelangelo verglich. "The Passion" sei ein "unglaubliches Kunstwerk
und eine wunderbare Darstellung der letzten zwölf Stunden im Leben von
Jesus Christus", vor allem aber halte es sich an die Fakten, da es mit
den Überlieferungen der Apostel völlig übereinstimme. Und über Vorwürfe
von "antisemitischen Tendenzen" könne er nur lachen.
In den biblischen Texten und in den kanonischen Evangelien liest man
dazu über die starken Bedenken des Pontius Pilatus, der noch dazu von
seiner Frau Claudia bedrängt wurde, Jesu Kreuzigung nicht zuzulassen.
Pilatus Opportunismus überwog jedoch schließlich und er überließ Jesus
den Hohepriestern und jüdischen Autoritäten, die ihn regelrecht erpreßt
hatten: "Wenn du ihn freiläßt, bist du kein Freund des Kaisers. Wer
sich zum König erklärt, empört sich gegen den Kaiser" (Joh. 19,12). Wer
die Hauptschuldigen sind, von denen die Tötungsabsicht ausging, ist
also klar. Tatsächlich zeigte die jüdische Forschung bislang naturgemäß
"Interesse an der Belastung des Pilatus und der Römer", wie Klaus
Berger schreibt ("Pilatus heißt die Kanaille", FAZ v. 21.8.03). Dagegen
werde er in der äthiopischen gar als Heiliger verehrt, eine
Einschätzung die die apokryphen "Akten des Pilatus" vorbereiten. Lorenz
Jäger hat nun dankenswerterweise auf eine innerjüdische Debatte
hingewiesen ("Mel Gibsons Film "Passion": Nun auch ein innerjüdisches
Echo", FAZ v.13.10.03). Danach zitiert der für zeitgeschichtliche
Themen im "American Jewish Committee" zuständige Gelehrte, Steven
Bayme, talmudische Quellen, die die Bereitschaft der Rabbiner belegen,
Verantwortung für Christi Tod am Kreuz zu übernehmen. Den Hinweis auf
die Obergewalt der römischen Besatzungsmacht hält der Gelehrte hingegen
für apologetisch. Zudem würden im christlich-jüdischen Dialog die
talmudischen Bezüge auf Jesus verschwiegen. Als die Nachfragen
begannen, verschwand Baymes Artikel jedoch von der Internet-Seite des
AJC. Doch sprang ihm kurz darauf ein weiterer Gelehrter bei. Der am
"Jewish Theological Seminary" talmudische Studien lehrende David
Kraemer erklärte, daß "Tatsächlich zwischen dem Judentum und der frühen
Kirche ein scharfer Konkurrenzkampf" geherrscht habe, worauf "manche
der haßerfüllten Passagen des Talmuds" zurückzuführen seien. Für einen
offenen Glaubensdialog sei es "geradezu zwingend, sich diesen Fragen zu
stellen."
Die New York Times, das Zentralorgan der US-Linken, schießt dagegen
immer noch aus allen Rohren auf das Engagement des Schauspielers und
Regisseurs in einer traditionalistisch-katholischen Gemeinde in Los
Angeles und auf "The Passion", obwohl, wie Gibsons Pressesprecher
mitteilte, der Film inzwischen überarbeitet wurde, und einen
"weicheren" Verlauf erhielt, um ihn der Kritik "verdaulicher" zu
machen. So würden jetzt auch Juden gezeigt, die nicht zu der Menge
gehören, die Christi Kreuzigung fordert. Auch gegenüber den
Evangelienberichten habe man den Lauf der Erzäh-lung gemildert. Auf die
Aussage bei Matthäus 27,25 "Sein Blut komme über uns und unsere
Kinder", die als biblischer Text bezeugt, wie sehr das jüdische Volk
von Jesu Schuld überzeugt war, daß es nicht einmal vor dieser
Selbstverwünschung zurückschreckte, habe man beispielsweise verzichtet.
An der Darstellung der Darbringung des Opfers Christi am Kreuz ändern
diese Einschränkungen und Auslassungen jedoch nichts.
Tatsächlich steht hinter dem Konflikt auch die notorische Feindschaft
zwischen den Liberalen, die in den USA fast immer Linke sind, auf der
einen und den Christlich-Konservativen auf der anderen Seite. Das
offizielle Hollywood hat sich - von wenigen Ausnahmen abgesehen - zu
Mel Gibsons Film bisher noch nicht geäußert. William Peter Blatty, der
Autor des "Exorzist", nannte "The Passion" eine "gewaltige Darstellung
des Bösen", und für Jack Valenti, den Chef der "Motion Picture
Association of America" ist er ein "eindringliches Kunstwerk". Nun hat
sich offenbar, nachdem die Fox abgesprungen war, doch ein Verleih für
den ausschließlich in Aramäisch und in lateinischer Sprache - mit nur
wenigen Untertiteln - gedrehten Film gefunden. Mel Gibson hat nach
neuesten Meldungen mit der Firma Newmarket einen Vertrag unterzeichnet,
diese soll den Vetrieb in den USA übernehmen und wird auch an den
Einspielergebnissen beteiligt, während die Rechte für den Welt-markt
zunächst bei Gibsons eigener Firma Icon verbleiben. Unter dem Titel
"The Passion of Christ" soll der Start jetzt endgültig am
Aschermittwoch, der 2004 auf den 25. Februar fällt, erfolgen.
Werner Olles
***
"Luther" von Eric Till
(Start: 30.10.2003)
Wir schreiben das Jahr 1505. Seit vier Jahren studiert der aus einer
Bergarbeiterfamilie stammende Martin Luther (Joseph Fiennes) in Erfurt,
mit dem Ziel Jurist zu werden. Als er in einem gewaltigen Unwetter fast
von einem Blitz getroffen wird und nur knapp dem Tode entrinnt,
entschließt er sich Mönch zu werden und zieht sich in ein
Augustiner-Kloster zurück. Eine Pilgerfahrt führt ihn 1510 nach Rom, wo
Papst Leo X. (Uwe Ochsenknecht) zur Finanzierung des Neubaus des
Petersdoms einen schwunghaften Ablaßhandel betreibt. Zurück in
Wittenberg ruft Luther zu einer akademischen Disputation über den
Mißbrauch kirchlicher Gnadenmittel auf. In 95 Thesen, die er an die Tür
der Schloßkirche nagelt, fordert er Rom auf, den Ablaßhandel zu
unterbinden. Seine öffentliche Kritik führt schließlich zur Eröffnung
des Ketzerprozeßes, der mit der Exkommunikation, der Verhängung des
Kirchenbannes und der Reichsacht 1521 auf dem Reichstag zu Worms vor
Kaiser Karl V. seinen Abschluß findet. Um Luthers Leben zu schützen
läßt ihn sein Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen (Peter Ustinow)
scheinbar entführen. Ein ganzes Jahr lebt Luther als Junker Jörg auf
der Wartburg bei Eisenach und übersetzt hier das Neue Testament aus dem
Griechischen in die deutsche Sprache.
Zwar findet seine neue Lehre immer mehr Anhänger, doch der Preis dafür
ist hoch. Luthers geistiger Kampf schlägt in offenen Aufruhr um, als
aufständische Bauern mit seinem ehemaligen Professor Carlstadt (Jochen
Horst) an der Spitze, Heiligenbilder zerstören, Kirchen in Flammen
setzen und Priester ermorden. Von Luther zur Wiederherstellung der
Ordnung ermutigt, lassen die deutschen Landesherren zehntausende Bauern
niedermetzeln. In dieser wohl dunkelsten Stunde seines Lebens begegnet
er der nach Wittenberg geflüchteten Nonne Katharina von Bora (Claire
Cox), die er 1525 heiratet. Inzwischen hat Kaiser Karl V. die
Landesherren nach Augsburg einberufen, um sie dort zur Abkehr von
Luthers Lehren zu zwingen. Doch diese lassen sich nicht einschüchtern,
und Melanchton übergibt dem Kaiser das Glaubensbekenntnis der
Protestanten, das zum ersten Mal öffentlich verlesen wird. Die
Reformation ist nicht mehr aufzuhalten...
Eric Gills "Luther" schlichtweg als "anti-römisch" oder
"anti-katholisch" abzutun, trifft den Kern der Sache nicht. Was man dem
Film jedoch mit Fug und Recht vorhalten darf, ist, daß er gewissermaßen
im Schweinsgalopp durch die Geschichte eilt und es vor allem mit der
Historie nicht so genau nimmt. So hat es ein Treffen zwischen Luther
und dem alten Kurfürst Friedrich, bei dem ihm der Reformator seine
Übersetzung des Neuen Testaments zum Geschenk macht, nie gegeben. Auch
die Freundschaften zu der armen Holzhändlerin Hanna und ihrer
behinderten Tochter Grete, zu dem Augustiner-Mönch Ulrich und dem
einfachen Maurer Otto sind fiktiv. Und eine der Schlüsselszenen des
Films, als Luther Ottos Sohn, der Selbstmord beging, gegen den Willen
der Kirche in geweihter Erde beisetzt, ist es ebenfalls. In Wahrheit
war es wohl so, daß er sein "Erweckungserlebnis", die Vorstellung eines
gerechten und gnädigen anstatt eines strafenden Gottes, die zum
zentralen Element seines Glaubens wurde, "während Tagen und Nächten der
Reflektion über Paulus' Römerbriefe" (Martin Luther) in seiner Zelle im
Schwarzen Kloster zu Wittenberg hatte.
All dies könnte man dem Film - auch aus dramaturgischen Gründen - noch
verzeihen, denn er beruht nun einmal nicht auf geschichtlichen
Tatsachen, sondern auf dem gleichnamigen Roman des 1969 geborenen Guido
Dieckmann. Was jedoch schwerer wiegt, ist seine einseitige Darstellung
des mittelalterlichen Katholizismus, die notorische Verwechslung von
Religionsfreiheit und religiöser Freiheit, die Bedienung gängiger
Klischees über die römische Inquisition, die im Gegensatz zur
spanischen geradezu eine tolerante Veranstaltung war, und eine gewagte
Verschiebung der Akzente, Luthers Motivation für seine Rebellion gegen
Rom betreffend. In der Tat wurde Papst Leo X. das Wort nachgesagt: "Der
Herr hat mir das Papsttum gegeben. Ich möchte es genießen!" Die
Bischöfe gingen auf die Jagd, nahmen ihre Mätressen, es gab spezielle
Bordelle für die römischen und auswärtigen Kleriker; die Verhältnisse,
die Luther bei seiner Pilgerfahrt in Rom wahrnahm, waren moralisch
unter aller Kritik. Er empörte sich über den Ablaßhandel, doch war dies
nur der äußere Anlaß für seine Auseinandersetzungen mit der Kirche.
Entscheidend war vielmehr seine Ablehnung der Tradition als
Glaubensquelle - er anerkannte nur die Heilige Schrift - und seine
Ablehnung der Sakramente, abgesehen von der Taufe und dem Abendmahl,
die jedoch nach seiner Lehre auch nicht aus sich, sondern nur als
Bekräftigungsmittel wirken. Die bischöfliche Sukzession und das von
einem geweihten Priester vollzogene Meßopfer galten ihm gar als
"götzendienerisch". Das päpstliche Primat griff er immer heftiger an
("Das Papsttum zu Rom, vom Teufel gestiftet"), und verstand dabei
nicht, daß auch die päpstliche Unfehlbarkeit nie etwas anderes als die
Unterwerfung des Oberhauptes der Kirche unter die Offenbarung und die
Autorität Gottes bedeutete.
Für Luther konnte jedoch nur die "unsichtbar" bleibende Kirche, als
Gemeinschaft der Heiligen und in Jesus Christus geglaubt, die Einheit
der Christenheit wahren. Doch um die Einheit der Kirche ging es auch
seinen Widersachern. Und so glaubte er persönlich auch nicht eine neue
Kirche gegründet, sondern nur die alte eigentliche Kirche
wiederhergestellt zu haben. Aber während seine Anhänger, der
öbersetzung Luthers folgend, "das Neue Testament im Blute Christi"
feierten, beteten die Katholiken - der Tradition folgend - weiter "den
Kelch des Neuen und Ewigen Bundes" an. Damit war das Schisma vollzogen.
Es mag von einem Spielfilm zuviel verlangt sein, derartig komplexe
theologische Fragen in den Vordergrund zu stellen. Tatsächlich hat
heute kaum noch jemand eine Ahnung von der Theologie der Väter, oder
vermag die christliche Vorstellung von Gott als einem gerechten
Vergelter, was übrigens mit Rache nichts zu tun hat, überhaupt zu
begreifen. Stattdessen kursieren massenhaft theologische Standpunkte,
die keinen Pfifferling wert sind. Insofern tut Gills "Luther" gut
daran, nichts vertiefen zu wollen, wo nichts ist. Doch selbst das
"Menschelnde" in der Person Luthers, dem Joseph Fiennes ("Shakespiere
in Love", "Forever Mine) immerhin überzeugend Gestalt verleiht, kommt
nicht so recht zum Zuge. Den sichtbarsten Bruch in seinem persönlichen
Leben mit dem Mönchsdasein, seine Hochzeit mit der ehemaligen Nonne
Katharina von Bora, vollzieht der Film wie irgendeine beliebige und
banale Festivität. Dabei wurde hier die Keimzelle des evangelischen
Pfarrhauses geboren, eine bis heute viel zu lange unterschätzte
kultur-protestantische Institution. Doch Till, der bereits mit
"Bonhoeffer - Die letzte Stufe" einige ausgeprägte inszenatorische
Ungeschicklichkeiten bewies, gelingt es auch diesmal nicht, der
Vielfältigkeit seiner Hauptfigur gerecht zu werden. Sein Luther ist
abwechselnd ein frommer Mönch, ein wütender Ketzer und ein mutiger
Reformator. Aber Luther war auch ein großer Verschwender, der das Beste
und Schönste an der Kirche auf dem Müll geworfen hat: Die Liturgie und
die heilige Kunst, ihre wertvollsten Symbole. Als die Bauern die Ikonen
und Reliquien zerstörten, trat er ihnen zwar entgegen, aber er selbst
hatte die "sinnliche Architektur" der Kathedralen mit ihren Reliefs und
den Gemälden von Giotto, in denen sich das Antlitz Jesu erahnen ließ,
zuvor bereits als "gotteslästerlich" gegeißelt. Kein ewiges Licht
durfte fortan die Präsenz Gottes anzeigen, kein Tabernakel den Leib
Christi bergen, Altäre hatten ohne Reliquien, ohne das Licht von Kerzen
vor den Bildern der Muttergottes und der Heiligen zu sein, und
verschwinden mußten die Kniebänke, auf denen sich die Menschen vor der
Erscheinung des Herrn in Brot und Wein beugten.
Luthers Traum einer reinen "Geistkirche" im Geiste der Gläubigen war
indes bereits in den Exzessen der Bilderstürme nach den Hetzpredigten
seines einstigen Lehrers Andreas Bodenstein von Carlstadt zerstoben.
"Sie hauen hinein wie in ein Gebüsch und Wald, gleichviel ob sie einen
Altar oder Gemälde treffen", beklagte sich der Schüler voller
Schrecken, als er sah, welche fatalen Folgen seine Schriften zeitigten.
Im Film steht er dann auch fassungslos vor den Trümmern einer alten
Kirche und kann die Grabschändungen und Bücherverbrennungen, an denen
er nicht unschuldig war, nicht verstehen. Und doch war dieser
Ikonoklasmus der äußerste Traditionsbruch, denn in dieser Materie fand
das Heil statt.
Die letztlich unauflösbare Spannung zwischen protestantischer Freiheit
und katholischer Wahrheit konnte auch Luther nicht aufheben. Der von
der amerikanischen "Thrivent Financial for Lutherans" und der EKD
unterstützte Film "Luther" kann es noch weniger. Immerhin ist er nicht
in Versuchung geraten als evangelischer ""Verkündigungsfilm" zu
reüssieren oder - noch ärger - den großen Reformator als
deutschnationale Symbolfigur zu mißbrauchen.
Werner Olles
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