Zwangsheirat bleibt strafbar
von Eike Erdel
Unbemerkt von der Öffentlichkeit ist das Recht der Eheschließung verändert worden. Ab 1. Januar 2009 darf sich ein Paar auch dann kirchlich trauen lassen, wenn es zuvor nicht standesamtlich geheiratet hat. Man kann also von da an kirchlich heiraten, ohne sich zivilrechtlich binden zu wollen. Aber nicht nur der Öffentlichkeit blieb die Gesetzesänderung bis vor kurzem verborgen, sondern auch einige Bundestagsabgeordnete haben scheinbar am 9. November 2006, als die Änderung des Personenstandsgesetzes im Bundestag beschlossen wurde, geschlafen und wundern sich jetzt, nachdem die Süddeutsche Zeitung Anfang Juli über die Gesetzesänderung berichtete, was sie dort beschlossen haben. (...)
Bemerkenswert daran ist aber nicht nur, daß scheinbar viele Abgeordnete nicht wissen was sie tun, sondern daß sie so schnell diese "übersehene" Gesetzesänderung rückgängig machen wollen. Hintergrund der späten Zweifel ist die Kritik von Islamkritikern, die wie die türkischstämmige Frauenrechtlerin Seyran Ates (JF 29/08) befürchten, daß durch die Gesetzesänderung in Deutschland der Vielehe und der Zwangsheirat Tür und Tor geöffnet werden. (...)
Besonders stichhaltig ist die Kritik allerdings nicht. Rechtliche Wirkungen entfaltet weiterhin nur die standesamtliche Ehe. Wird nur eine kirchliche Ehe geschlossen, gibt es keine steuerlichen Vorteile, keine Unterhaltsansprüche, aber auch keine Unterhaltspflichten. Der Anreiz für eine standesamtliche Ehe bleibt also. Die Zwangsheirat ist und bleibt als Nötigung strafbar. (...) Die Doppelehe ist ebenfalls strafbar, wobei sich dies nur auf die standesamtliche Ehe bezieht. Andererseits ist die Fortführung einer rechtsgültig im Ausland geschlossenen Doppelehe schon jetzt zulässig. (...)
Eingeführt wurde die Zivilehe vor dem Standesamt erst 1875 durch Reichskanzler Otto von Bismarck in dessen Kulturkampf mit der katholischen Kirche. Vorher gab es weitgehend nur die kirchliche Ehe. Ab 1875 drohten dann den Pfarrern drei Monate Haft, wenn sie eine Trauung ohne vorangegangene standesamtliche Eheschließung vornahmen. Mittlerweile ist die kirchliche Voraustrauung aber nur noch eine Ordnungswidrigkeit und wird ohnehin nur mit einer Geldbuße geahndet. (...)
Und wenn die nun aufgeschreckten Bundestagsabgeordneten effektiv Vielehen und Zwangsehen bekämpfen wollen, dann sollten sie nach Meinung von Experten wirksamere und zielgerichtete Gesetze beschließen, statt eine eben erst abgeschaffte Regelung aus der Mottenkiste der Geschichte des Bismarckschen Kulturkampfes wiederzubeleben. Für die Möglichkeit einer kirchlichen Trauung ohne obligatorische standesamtliche Trauung spreche schon die grundgesetzlich garantierte Religionsfreiheit.
(www.jungefreiheit.de 30/08 18. Juli 2008) |