Gott wird Mensch
von Eberhard Heller
Wenn wir an Weihnachten denken, dann entstehen vor unseren Augen die Bilder vom Jesuskind in der Krippe, links und rechts davon Maria und Joseph vor dem Hintergrund einer dunklen Höhle, aus der Ochs und Esel herausschauen, und den herbeieilenden Hirten, die dem Kind ihre Gaben bringen. Und vielleicht fällt dem einen oder anderen noch ein, mit welch ehrfürchtigem Staunen sich die Kinder in der Familie der Krippe näherten. Es ist dennoch erstaunlich, daß das Wunder der Inkarnation Gottes auf diese rührende Krippenszene meist beschränkt bleibt.
Man kann dieses Geschehen auch von einem anderen Standpunkt betrachten, vom Standpunkt der Offenbarung Gottes: Gott wird Mensch... und er wird Mensch, der sich als Kind sogleich in die Abhängigkeit und Niedrigkeit seiner irdischen Existenz begibt: in die Pflege familiärer Fürsorge von Eltern, die dazu noch bettelarm sind und dem Neugeborenen nicht einmal ein Bett anbieten können. Zum anderen macht Gott sein Kommen abhängig von dem zustimmenden Willen eines Menschen, der sein Kommen bejahen muß. Als Maria erfuhr, daß sie einen Sohn gebären solle, der "Sohn des Allerhöchsten" (Lk. 1,31) genannt würde, entgegnete sie dem Engel: "Wie wird das geschehen, da ich keinen Mann erkenne? Der Engel antwortete ihr: "Heiliger Geist wird über dich kommen und die Kraft des Allerhöchsten dich überschatten, darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Sohn Gottes genannt werden." (Lk. 1, 33-35) Erst durch Marias Zustimmung "Siehe ich bin die Magd des Herrn und mir geschehe nach deinem Wort" war Gottes Menschwerdung mitbedingt. Dabei war ihr sicherlich nicht bewußt, daß in diesem Augenblick die alttestamentliche Gottesvorstellung eine Erweiterung erfuhr. Gott soll Mensch werden, ihr Sohn soll Gottes Sohn sein. Der Gott im Himmel, in der Transzendenz, Jahwe, der bisher nur durch die Propheten zu seinem auserwählten Volk gesprochen hatte, will aus der Unendlichkeit heraustreten und eintreten in die Endlichkeit mensch-lichen Erdenlebens, das durch die Geburt und den Tod zeitlich begrenzt ist. Und was sollte sich Maria unter "Heiligem Geist" vorstellen, der über sie kommen sollte? Den Begriff der Trinität kannte man im Alten Bund nicht! Dennoch war ihr "fiat" Mit-Bedingung der Menschwerdung Gottes.
Die Kirche hat in den ersten Jahrhunderten nach ihrer Gründung darum gerungen, wie dieses Gott-Sein im Mensch-Sein zu verstehen sei: wahrer Gott und wahrer Mensch zugleich. Die Kirche wählte dafür den Begriff der "hypostatischen Union", der besagt, daß die göttliche und menschliche Natur in der einen göttlichen Person des menschgewordenen "Logos" (Joh. 1, 1) vereinigt sei. 1)
Was kündet dieses Kommen Gottes aber den Menschen an? Das Absolute erscheint als absolut heiliger Wille. Sein Erscheinen erhält dadurch absolute Realität, da das Erscheinende das Absolute selbst ist. Es muß eine innere Vereinigung von göttlicher Natur in der menschlichen vorhanden sein, wenn von einer Erscheinung des Absoluten gesprochen werden soll. Noch Theodoret, Bischof von Cyrus in den Jahren 423-466, schreibt, "daß die Hypostasis des Gott-Logos vor den Weltzeiten vollkommen da war (...) Wenn nur jede Natur ihre Vollkommenheit besitzt, aber beide in eins zusammengekommen sind, ... dann ist es fromm, eine Person und ebenso einen Sohn und Christus zu bekennen." Gegen diese Zerreißung der Erscheinung Gottes wendet sich Cyrill von Alexandrien im Jahr 431 in der Verteidigung seiner 12 Kapitel gegen Theodoret von Cyrus, zu Kap. 2: "Es erfolgt die Einigung nach der Hypostasis, wobei der Ausdruck „nach der Hypostasis“ nichts anderes bedeutet als nur dies, daß die Natur oder Hypostasis des Logos, d.h. der Logos selbst, mit seiner menschlichen Natur wahrhaft geeint wird ohne jede Veränderung und Vermischung und … als Ein-Christus gedacht wird und es auch ist, derselbe Gott und Mensch.“ 2) Gott will mit uns in konkreten Kontakt treten, interpersonal agieren. Er will nicht mehr im Verborgenen (durch Propheten) mit uns sprechen, sondern sich mit uns verbinden, verbinden in Liebe. Er, der die Liebe ist, der absolut heilige Wille, will nicht nur in seinem prinzipiellen Anspruch, daß nämlich Liebe gelten solle, auf uns einwirken, diesen Willen zu vollziehen, nein, er schenkt sich uns als Liebender, der von uns konkrete Antworten erwartet, der von uns Anerkennung und Erwiderung fordert und erwartet. Er ist im Wortsinne "der liebe Gott", der Liebende schlechthin, der die Vereinigung mit uns will, um uns in Einheit mit sich zu vereinigen. 3) Seine Liebe geht sogar soweit, daß er die Welt durch seine Über-Liebe, die Sühne-Liebe "entgiften" und heilen will. Gott möchte mit uns einen Bund, einen überpersonalen, d.h. einen interpersonalen Bund schließen. Christus erscheint als Gott, der an der menschlichen Natur Anteil nimmt, nicht als Natur wie der Mensch, der Anteil nimmt am Göttlichen, sondern der sich als Gott inkarniert: "Et incarnatus est de Spiritu Sancto es Maria Virgine: et homo factus est." - "Er hat Fleisch angenommen durch den Hl. Geist aus Maria, der Jungfrau, und ist Mensch gewoden." (Credo) 4)
Gott, der meist als der ganz andere, der weit entfernt (im Himmel) wohnt, wahrgenommen wird, sucht das Du, den konkreten Kontakt zu uns, zu jedem von uns. Aber wie ist unsere Reaktion? Der hl. Johannes beschreibt es: "Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf." (Joh. 1,11) Das galt für die damaligen Juden, das gilt weiter für die modernen Christen, die Gott nicht als den verehren, als welcher er erschienen ist: als Herr, als Inkarnation der Wahrheit. An und durch seine uns geschenkte Liebe werden auch die Ablehnung, das Böse, der Haß als solche aufscheinen, d.h. es gibt ein Kriterium des Beurteilens, es kann Gerechtigkeit walten. Die lapidare Feststellung des hl. Johannes klingt ausschließlich. Doch lesen wir weiter: "Die aber, die ihn aufnahmen, gab er die Vollmacht, Kinder Gottes zu werden, als denen, die an seinen Namen glauben." (Joh. 1,12)
Gerade in einer Zeit, die - interpersonal gesprochen - lieblos, gleichgültig ist, sollte uns dieses Angebot, Gottes Kinder zu werden, zum Trost dienen. Wir sollten uns darauf besinnen, daß wir in der Tat im Neuen Bund stehen und uns Gott als reale Person vorstellen, als absolute Person, denn Er will uns ja Vater sein. Da uns weitgehend die vermittelnden Gnaden, die Sakramente, die uns mit Gott verbinden sollten, durch die uns Anteil an seinem Leben ermöglicht wurde, weitgehend genommen sind, weil sich die Priester nicht mehr in den Dienst Christi und Seiner Kirche stellen, sollten wir uns direkt an Christus wenden, in ihm das personale Du, den Vater sehen. Auch wenn er nach seinem irdischen Leben in den Himmel aufgefahren ist und zur Rechten des Vaters sitzt und er sich dadurch gleichsam als reale Person entzogen hat, im Verborgenen weilt - verborgen auch in der (konsekrierten) Hostie - , so ist er doch real da, und wir können betend zu ihm, mit ihm sprechen. Das ist unsere Chance, aus dem Wissen, daß Gott uns als seine Kinder behüten will, neue Kraft und Zuversicht zu schöpfen. Ein russischer Mönch hatte einmal einem seiner Schüler gesagt, er könne auch mit Gott schweigen, wenn er bei Ihm ist. Das Gebet ist unsere Antwort auf das klerikale Versagen. Denn der, an den wir uns wenden, sagt von sich:
"Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben." (Joh. 14,6)
Anmerkungen: 1) Der Begriff „Hypostatische Union“ geht auf Cyrill von Alexandrien zurück. Die hypostatische Union beinhaltet die Lehre der Konzilien von Ephesos (431), Chalcedon (451) und des 2. Konzils von Konstantinopel (553), nach der die beiden vollkommenen Naturen in Christus, die göttliche und die menschliche, in einer Person (Hypostase) vereinigt sind. "Im Konzil von Nicäa (325) ging es um die Frage, ob Jesus nur Mensch, oder ob er wirklich Gott war. In der Treue zu den Aussagen der christlichen Bibel hielt das Konzil gegen die Vorgaben der griechischen Philosophie daran fest, daß Jesus von Nazareth wirklich Gottes Sohn ist. Es stellte fest, daß er nicht geschaffen, sondern der aus dem Vater gezeugte Sohn und damit wirklich Gott ist. Gibt es also in Gott doch mehrere Subjekte? Um zu einer weiteren begrifflichen Klärung zu kommen, hat das I. Konzil von Konstantinopel im Jahr 381 die Gottheit, die allen göttlichen Personen gleichermaßen zugeschrieben wird, mit Ousia (Wesen, Sein) benannt und die Unterschiedenheit der drei Personen mit Hypostase. Eine Ousia in drei Hypostasen war also die Begrifflichkeit, die man ein halbes Jahrhundert nach dem Konzil von Nicäa gewählt hat. Wenn Jesus aber Gott ist, dann ergibt sich sofort das Problem, wie in Jesus Christus Gottheit/Gott-Sein und Menschheit/Mensch-Sein unterschieden werden können. War die Menschheit Jesu nur „Schein“ oder war nur der Körper Jesu menschlich und die göttliche Hypostase, nämlich die zweite göttliche Person, an die Stelle der menschlichen Seele getreten?" (Eckhard Bieger, www.kath.de) An der Beantwortung dieser Frage, die von den jeweiligen Theologen nach allen Seiten durchgespielt wurden, unterschieden sich u.a. Nestorius und Arius von der Lehre der Kirche. Und deren christologische Irrtümer wirken sich in der Konsequenz bis heute weiter aus. Wenn z.B. Christus nicht wahrer Gott ist (Arius), wie soll dann seine Stiftung, die Kirche, die absolut gültige Institution zur Heilsvermittlung sein, was die Modernisten bekanntlich leugnen. 2) Man kann an das Problem auch philosophisch herangehen und es von dem Standpunkt der Interpersonalität aus betrachten. Wie muß ein Wille beschaffen sein, der aus sich und seiner Verwirklichung heraus die Beteiligung zumindest einer zweiten Person bedarf und zu Recht fordert? Wie Hans Kopp es sagt: "Die als Partialbeziehung in die Zeit versetzte Totalbeziehung ist nichts anderes als die Konfrontation zweier geistiger Naturen in der freien synthetischen Vereinigung Eines identischen Wollens und Willens. Diese Synthesis nenne ich deshalb in Anlehnung an den theologischen Begriff 'hypostatische Union'." (Hans Ulrich Kopp: Vernünftige Interpersonalität als Erscheinung des Absoluten, München 1972, S. 89) 3) Vgl. auch Kopp: "Das synthetische Prinzipiat des Wollens ist dabei in das synthetische Prinzip des Willens so eingefügt, daß nur beide zusammen die Erscheinung des Absoluten bilden können. Sie ist damit ihrem Wesen nach eine 'hypostatische Union': sie ist die absolut erscheinende Liebe." (Kopp, a.a.O., S. 90) 4) Papst Leo d.Gr. stellte der Irrlehre des Monophysitismus des Eutyches in der Epistula dogmatica ad Flavianum 449 und das Konzil von Chalcedon 451 die in philosophischen Termini formulierte Lehre entgegen: "Ein und derselbe Christus existiert in zwei Naturen, unvermischt, unveränderlich, ungeteilt und untrennbar, wobei die Verschiedenheit der Naturen wegen der Einigung nicht aufhört, vielmehr die Eigentümlichkeit jeder Natur bewahrt wird und mit der anderen zu einer Person und Subsistenz zusammenkommt; er [Christus] ist nicht in zwei Personen geteilt, sondern ein und der nämliche ist eingeborener Sohn, Gott, Logos, Herr, Jesus Christus." (Denziger 148)
|