Vor knapp 55 Jahren starb P. Engelmar Unzeitig, der Engel von Dachau
von Magdalena S. Gmehling
Man schreibt das Jahr 1941. Am 3. Juni wird ein junger Priester der Schutzhäftling Nr. 26147, Hubert Unzeitig, mit Klosternamen Pater Engelmar, in die Todesfabrik, die Hölle von Dachau eingeliefert. Das Lager besteht zu diesem Zeitpunkt bereits 8 Jahre.
Die knappen Lebensdaten verraten wenig über die heldenhafte Persönlichkeit des Paters. Der Marianhiller Missionar wurde am 1. März 1911 in Greifendorf (heute: Hradec na Svitavy) bei Zwittau, nördlich von Brünn als Österreicher geboren. Nach dem ersten Weltkrieg erhielt er die tschechische Staatsbürgerschaft und galt seit Hitlers Einmarsch in Böhmen und Mähren als Deutscher.
Hubert Unzeitig, war der Sohn einfacher Leute. Nach dem frühen Tode des Vaters bewirtschaftete er mit der Mutter und vier jüngeren Schwestern den heimatlichen Bauernhof. Der fromme und ernste Junge wird durch Missionszeitschriften auf die Marianhiller Missionare aufmerksam. Am 18. April 1928 tritt der begabte junge Mann in das Spätberufenenseminar der Kongregation in Reimlingen/ Ries ein. Die Mutter bringt das schwere Opfer und läßt den künftigen Hoferben ziehen.
Hubert Unzeitig ist intelligent und wissenshungrig. Nach dem Abitur tritt er am 30. April 1934 der Missionsgesellschaft bei und erhält den Namen Frater Engelmar. Am 6. August 1939 wird er kurz vor dem Ausbruch des 2. Weltkrieges zum Priester geweiht. In Glöckelberg im Böhmerwald versieht er ab 1940 seine erste Seelsorgestelle als Pfarrprovisor. Die kargen Verhältnisse, die seine Schwester Maria Huberta mit ihm teilt, hindern ihn nicht daran, überaus eifrig und gewissenhaft zu wirken. Er erteilt selbstverständlich auch Religionsunterricht und ist nicht bereit, Kompromisse einzugehen. Sehr bald kommt es zu ersten Zusammenstößen mit aufgehetzten Hitlerjungen. Man wirft ihm "heimtückische Äußerungen" und "Verteidigung der Juden" vor. Am 21. April 1941 wird der unbequeme Mann verhaftet. Viele Mitbrüder und er selbst glauben an ein Mißverständnis. Doch schon tobt der Kampf des Führers gegen die "Pfaffen", die Hitler als "größten Volksschaden" tituliert. Nach 6 Wochen Gefängnis wird Pater Engelmar in Dachau eingeliefert.
Dort ersinnt die verrohte Nazibürokratie brutalste Schikanen. Die Häftlinge, vor allem die Neuankömmlinge, behandelt man als Auswurf der Menschheit. Geistliche aller Konfessionen und Nationen auf den Blöcken 26, 28 und 30 sind entwürdigenden Torturen ausgesetzt. Pater Engelmar arbeitet seit April 1942 im Gewächshaus 6 der berüchtigten Plantagen. Er wird von Mithäftlingen als hilfsbereiter und stiller Mann geschildert, der sich während des Sterbesommers und der Hungermonate 1942 aufrecht hielt. Aus dieser Zeit bis zum Beginn des Jahres 1945 sind uns Briefe von ihm erhalten. In einem undatierten Schreiben heißt es beispielsweise: "Wenn doch die Menschen durch diese erschütternde Predigt den Weg zu Gott finden möchten und nicht mehr in irdischen Machtmitteln ihr Heil suchen wollten! Das Herz tut einem weh, wenn man ein ganzes Volk dem Abgrund zusteuern sieht".
Hungerruhr und Hungerödeme, Entkräftung und mangelnde Kleidung verursachen hohe Todesraten. Das Massenelend und die satanischen Grausamkeiten der Wächter, Angst und Hilflosigkeit der Opfer, führen zu einem schwer beschreibbaren Zustand der Trostlosigkeit und Öde. Pater Engelmar bleibt seiner Berufung als Missionar zu wirken auch unter den unmenschlichsten Bedingungen treu. Er entfaltet eine rege Seelsorgs-und Liebestätigkeit. Sein Seeleneifer erstreckte sich besonders auf die russischen Mithäftlinge. Immer wieder wird sein seltsam tiefer Einfluß, sein Heroismus der Stille, bezeugt. Sogar manche der SS-Wachen können sich diesem vorbildlich aufopfernden Wirken nicht entziehen.
Als in den letzten Dezemberwochen des Jahres 1944 eine Flecktyphus-Epidemie im Lager ausbricht, sterben Tausende. Keiner will wegen der unmittelbaren Todesgefahr die Pflege in den verseuchten Baracken, in welchen man die Kranken zusammengepfercht hat, übernehmen. Da melden sich auf einen Aufruf der Lagerleitung hin 20 katholische Geistliche, unter ihnen Pater Engelmar. Alle sind sich der schicksalsschweren Entscheidung bewußt, nur zwei überleben den Einsatz. Es herrschen unbeschreibliche Zustände: Legionen von Ungeziefer, Hunger, Typhus, Ruhr, Enterokolitis. Ein Inferno. Die barmherzigen Samariter gehen an die Arbeit. Sie "fegten die Betten und Pritschen sauber, so gut es ging, wuschen die verdreckten, schwitzenden, stinkenden, zu Skeletten ausgemergelten Leiber, sammelten verlauste Kleider ein, zündeten sie an...". Pater Engelmar kriecht mit dem Allerheiligsten in einer Butterdose von Pritsche zu Pritsche. Er betet mit den Sterbenden und spendet die Sakramente. "Er war ein Mann, der kein Opfer scheute. Doch das wertvollste an ihm war seine übernatürliche priesterliche Seelenhaltung...".
Seine Liebe zu den Mitgefangenen kennt keine Grenzen. Am 20.2.1945 stellt sich heraus, daß er selbst angesteckt ist. Es gibt keine Rettung. Einen Tag nach seinem 34. Geburtstag stirbt Unzeitig in den frühen Morgenstunden des 2. März 1945 in Dachau. Bereits vom Tod gezeichnet schreibt er in seinem letzten Brief an seine Schwester: "Liebe verdoppelt die Kräfte, sie macht erfinderisch, macht innerlich frei und froh. Es ist wirklich in keines Menschen Herz gedrungen, was Gott für die bereithält, die ihn lieben." |