Die Wahrheit ist einfach
von Eberhard Heller
Unsere Situation zwingt uns zum Umdenken in der Gestaltung unseres religiösen Lebens. Als Christus Seine Kirche gründete, gab er den Aposteln (und deren Nachfolgern) den Auftrag, Seine Lehre zu verbreiten, Seine Gnadenmittel an die Gläubigen, die würdig zum Empfang waren, auszteilen. Diese Vermittlung via Priester, d.h. den beauftragten Dienern der Kirche ist in der heutigen Zeit den meisten Gläubigen verwehrt, sie können deren pastorale Dienste nicht mehr in Anspruch nehmen: die Kirche als Heilsvermittlerin, als Heilsinstitution samt ihrem Klerus ist dem Herrn untreu geworden. Und inzwischen hat diese Revolution von oben schon ihre eigene Tradition. Die jungen Menschen von heute kennen den christlichen Glauben samt seinen rituellen Bräuchen nur noch in der modernen Verfälschung bzw. Verkürzung hin zu einem neuen Protestantismus.
Diejenigen Priester, die sich vorgeblich der Tradition verpflichtet fühlen, waren bisher nicht in der Lage, ein Minimum an pastoraler Arbeit zu leisten. Sie haben sich einer Kooperation weitgehend verweigert und ihre Aktivitäten nur in den Aufbau sektiererischer Grüppchen gesteckt, wo sie ein geistiges Nischendasein fristen. Deswegen ist die Idee von dem wahren Christentum aus dem öffentlichen Leben fast völlig verschwunden. (Man versuche nur einmal, die Forderung von der vorehelichen Enthaltsamkeit zu erheben, um nicht ein allseits mitleidiges Lächeln zu provozieren.)
Diejenigen unter den Gläubigen, die sich diesen Realitäten stellen und sich auf eine ernsthafte Beziehung mit Gott einlassen wollen, müssen sich zunächst eingestehen, daß sie von diesen bestellten Vermittlern verlassen sind und daß sie ihr religiöses Leben ohne pastorale Hilfe gestalten müssen. Wir müssen gleichsam die Vermittlung durch die eigentlich dazu beauftragten und berufenen Diener überspringen und uns direkt an Gott wenden, zu dem ja eigentlich auch jede Vermittlung (auch der Sakramentenempfang) führen sollte. Den Jüngern versprach der Herr vor seiner Himmelfahrt: "Und wenn ich hingegangen bin und einen Platz bereitet habe für euch, komme ich wieder und werde euch zu mir nehmen, damit auch ihr seid, wo ich bin." (Joh. 14,3)
Über ein Leben in der Diaspora, d.h. in der Vereinzelung haben wir bereits mehrfach geschrieben und gezielte Hinweise zur geistigen Verselbständigung gegeben. Jetzt geht es darum, den Blick auf die Prinzipien zu richten, auf denen unsere Beziehung zu Gott basiert und aus denen heraus wir unser gesamtes Leben gestalten sollten.
Zunächst muß klargestellt sein, daß wir dieses Ziel - ein Leben in und aus Gott heraus zu gestalten - nicht erreichen können, wenn wir Anhänger eines blinden Fideismus wären, der heute - und gerade von den eigentlichen Modernisten! - praktiziert wird und Grund für die angeblich allgemeine Gleichwertigkeit aller Religionen ist: ist das Entscheidende das subjektive Gefühl, dann ist der eigentliche Glaubensinhalt beliebig, austauschbar. Jeder ist verpflichtet, die "Wahrheit" des das religiöse Gefühl affizierenden Inhalts - Christus oder Mohammed oder Rana Krishna oder ein Fetisch - anzuerkennen! (Dieser Fideismus ist auch bei vielen sog. Traditionalisten anzutreffen, die sich weigern, ihren Glauben als in sich und durchaus vernünftig einzusehen!)
Wir folgen dem hl. Anselm, wenn wir mit ihm die Forderung erheben, daß der Glaube vernünftig, d.h. rational nachvollziehbar sein muß.
Wir sind davon überzeugt - nicht, wir nehmen nur an oder glauben (glauben nur: als ob) - , daß Christus Gottes Sohn ist. Man kann eine solche Überzeugung gewinnen durch geistige Anstren-gungen und durch den gnadenhaften Beistand Gottes selbst. Das Wissen um Gott beinhaltet methodisch zwei Momente: - der Nachweis von der Existenz und der Geltendheit des Absoluten als absolutes Prinzip (Gott); - die Überzeunug, daß sich Gott in Jesus Christus manifestiert hat. Man muß geistig schon sehr weit abgeglitten sein, um das Absolute (die Wahrheit) zu leugnen. Es bedarf aber der Hilfe Gottes, um zu der Erkenntnis zu gelangen, daß Christus, der uns gepredigt wurde, Gottes Sohn ist, daß er Mensch geworden ist und sich uns offenbart hat: "Und das Wort (Gott) ist Fleisch geworden." (Joh. 1, 14)
Der Nachweis von der Existenz Gottes - historisch: der sog. Gottesbeweis - bedarf einer Klärung. Wenn beweisen heißt: aus einem höheren Grund eine Folge abzuleiten, dann muß es formal-logisch heißen: 1. ich setze einen allerersten Grund voraus, 2. ich kann diesen allerersten Grund, der alle Folgen begründen soll, selbst nicht beweisen - wenn ich nicht in einen Regreß ad infinitum verfallen will -, sondern nur erweisen, indem ich methodisch reduktiv vorgehend aufsteige zu jenem höchsten Grund, der alles weiter Folgende begründen soll. Darum konnte Fichte etwa sagen: Wenn jemand an dem, was ich als Absolutes ansetze, noch eine Disjunktion aufmachen kann, der hat mein System widerlegt".
Woher weiß ich aber nicht nur negativ (durch Ausschluß weiterer Disjunktionen) von der Wahrheit der Einsicht in das Absolute, sondern positiv, daß das, was ich als Absolutes ansetze, was also als solches gelten soll, auch das Geforderte ist? Formal gesprochen: es ist die Einsicht in die Identität von Bild und Sein: Es erscheint, wie es ist, und es ist, wie es erscheint, d.h. die Differenz von Bild und Sein wird im Absoluten aufgehoben. Religiös gesprochen: Gottes Erscheinung trägt seine Wahrheit in sich: er erscheint, wie er ist, und er ist, wie er erscheint. "Ich bin der, der ich bin."
Die Wahrheit ist einfach, und auch die geoffenbarte Wahrheit in sich! Sie ist eindeutig, sie ist nicht mehrdeutig oder vermischt, sie ist klar! Sie richtet sich an uns als absolute Forderung: sie fordert ihre unbedingte Annahme: "Ich rufe Dich bei Deinem Namen: Mein bist Du." (Is. 43,1) Die Wahrheit ist real-konkret. Jesus spricht zu Thomas: "Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich. Wenn ihr mich erkannt habt, so werdet ihr auch meinen Vater erkennen." (Johannes 14,6 f.) Jesus Christus ist nicht nur die Liebe in sich, sondern er ist auch der Liebende schlechthin, der uns seine Liebe geschenkt hat. Auf die Frage des Pharisäers: "Meister, welches ist das größte Gebot im Gesetz?" antwortet Jesus: "Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt» (5. Mose 6,5). Dies ist das höchste und größte Gebot. Das andere aber ist dem gleich: «Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst» (3. Mose 19,1). (Matt. 22, 34-40)
Dem hl. Paulus war es vorbehalten, das hohe Lied auf die Liebe zu singen (man vgl. (1. Kor. 13,1-13). Ich erlaube mir, daraus einige Verse zu zitieren: "Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig, die Liebe ist nicht eifersüchtig. Sie prahlt nicht, überhebt sich nicht, sie handelt nicht unschicklich, sucht nicht das Ihre, kennt keine Erbitterung, trägt das Böse nicht nach. (...) Alles erträgt sie, alles glaubt sie, alles erhofft sie, alles erduldet sie. Die Liebe hört niemals auf; Prophetengaben verschwinden, Sprachengaben hören auf, Erkenntnis vergeht. (...) Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung und Liebe, diese drei. Am höchsten aber steht die Liebe." (1. Kor. 13,4 ff.)
Christi Liebe bezieht sich aber nicht nur auf das, was sein soll - im gegenseitigen Schenken -, sondern auch auf das, was nicht sein soll: auf unsere Sünden. Er will, daß das, was nicht sein soll, nicht ist. Er will das Nicht-Geltende, d.h. das Böse aufheben durch Sühne. Er, der Sündenlose, ward "für uns zur Sünde", wie es der hl. Paulus formuliert. Mit dieser Sühneliebe hat uns Christus vom ewigen Tod (der Sünde) losgekauft und uns das ewige Leben geschenkt, in dem er uns in den Bund mit Ihm zurückgerufen hat. Und er fordert uns auf, sein Opfer in Demut anzunehmen und seine Liebe zu erwidern.
N.b. die Ablehnung kann aber genauso 'einfach' sein: "Er kam in Sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf." (Joh. 1,11) Gerade für das Verständnis unserer eigenen Situation ist es recht erhellend, wenn man einmal darüber nachdenkt, daß die Hohenpriester Christus wegen des Vorwurfes der Gotteslästerung hinrichten ließen!!
Im Wissen um das Geborgensein in Gott bauen wir unser Leben auf, indem wir zu Ihm in Verbindung treten, indem wir Ihn im Geiste anbeten und zu Ihm beten. So haben wir Gemeinschaft mit Ihm, auch die Gemeinschaft im Opfern, wenn wir uns einbeziehen in die hl. Messen, die von einem Priester gefeiert werden, der sie im Auftrag der Kirche liest.
In den Meßgebeten wird wiederholt davon gesprochen, daß wir uns auch um das Einbeziehen in die Gemeinschaft mit den Heiligen im Himmel bemühen sollen: "Auch uns Sündern, Deinen Dienern, die auf Deine überreiche Barmherzigkeit vertrauen, schenke in Gnaden Anteil und Gemeinschaft mit Deinen Hll. Aposteln und Blutzeugen". (Gebet nach der Wandlung: "Nobis quoque peccatoribus")
Die Liebe, die uns Gott zuwendet und die wir erwidern sollen, die sollen wir von uns aus auch ungeteilt an unsere Nächsten, d.h. die Personen, die uns aufgegeben werden, weitergeben. In diesem Sinne können wir dann auch unser Leben gestalten in einer Welt, in der wir nicht mehr in einer normalen Glaubensgemeinschaft leben, sondern in einem Umfeld, das unsere Überzeugungen nicht teilt. „Bete nicht um leichtere Lasten, sondern um einen starken Rücken“, empfiehlt die hl. Therese von Avila.
Um abzuschätzen, was es heißt aus dieser Quelle schöpfen zu dürfen, meditiere man einmal die Bedingung, die Christus bei der Übergabe Seiner Vollmachten an Petrus, seinen irdischen Stellvertreter, der die Kirche leiten soll, stellt: "Liebst Du mich?" (vgl. Joh. 21,15-17) Christus fragt ihn dreimal. Und Petrus antwortet: "Ja Herr, Du weißt, daß ich Dich liebe." Kein Examen über theologische und rituelle Vorschriften, kein Abfragen von Verhaltensweisen... nur die Frage: "Liebst Du mich?"
In Augenblicken, in denen man sich einsam, verlassen, überflüssig fühlt in einer Welt, von der man weiß, daß sie einen nicht mehr versteht, daß sie zu dem, was uns wert ist, keinen Zugang (mehr) hat, wo man sich als gesellschaftlich amputiert fühlt, habe ich mich oft von den Worten der hl. Therese trösten lassen: "Nichts soll dich ängstigen, nichts dich erschrecken. Alles geht vorüber. Gott allein bleibt derselbe. Alles erreicht der Geduldige, und wer Gott hat, der hat alles.
Gott allein genügt.“ |