"Bedenke das Ende ..." - Betrachtungen über den Tod
von Norbert Dlugai
I. Der Tod als eine objektive Realität und seine Bezogenheit auf die überweltliche Macht Gottes
Der Verfasser dieser Abhandlung wurde während seiner Gymnasialzeit durch einen weitsichtigen Lehrer oft an den lateinischen Spruch erinnert, der da lautet: "Quidquid agis, prudenter agas, et respice finem" ("Was auch immer du tust, vollbringe es klug, und bedenke das Ende")!
Man darf davon ausgehen, daß jedes Kind schon weiß, oder zumindest instinktiv fühlt, wie sehr und wie schnell alles im Leben einmal zu Ende geht, eine für heutige Ohren grausame Wahrheit, die im modernen Lebensrausch geflissentlich tabuisiert wird. In krassem Gegensatz hierzu treten nicht wenige Pädagogen, Soziologen auf den Plan, welche alles daransetzen, den Eltern und sonstigen Erziehungsberechtigten vor Augen zu führen, die Kinder müßten so früh wie möglich mit der Tatsache des Todes konfrontiert werden - vom Prinzip her gesehen nicht zu unrecht.
Denn - und das wird mehr oder weniger bewußt mit zeithörigem Schweigen ebenso übergangen - dem Phänomen Tod wohnt eine (tod)ernste Dramatik inne, weil das Lebensende des Menschen bezogen und hingeordnet ist auf die Macht, welche über dem Tod steht - Gott! als dem wahren Herrn über Leben und Tod. Ihm gilt es, nach unserem Abschied von der Zeitlichkeit des Irdischen Rechenschaft abzulegen.
II. Der Tod und der heutige Mensch - insbesondere seine Ignoranz der biblischen Offenbarung bezüglich der angesprochenen Problematik
Das Problem des Sterbens läßt in der Tat heute viele weitgehend gleichgültig und damit letztlich auch der Tod selbst. Sehr trefflich bringt dies Helmut Zöpfl in einer Schrift "Bildung und Erziehung angesichts der Endlichkeit des Menschen" zum Ausdruck, wenn er mit Blick auf die Mentalität der heutigen Gesellschaft zu bedenken gibt: "Zu keiner anderen Zeit wußte man mit dem Tod so wenig anzufangen wie in unseren Tagen. Dabei hat kein anderes Geschlecht zuvor so massiv seine Bekanntschaft gemacht. Überall stoßen wir auf ihn. Fast jede Seite der Tageszeitung nennt seinen Namen. Und doch haben wir fast kein Verhältnis mehr zu ihm, dieser unerbittlichsten offenkundigsten Realität, dem einzigen Ereignis, das wir in unserem Leben als sicher eintretend voraussagen können". Und Zöpfl fährt fort: "Wir nehmen von ihm (d.i. dem Tod) vielleicht kurz Kenntnis, aber er wird uns nicht zur Erkenntnis; denn er ist alltäglich geworden. In der Fülle seiner Gesichter und Bezeichnungen hat er sein Antlitz und seinen Namen verloren. Der moderne Tod ist anonym. Wir registrieren nur die Umstände des Todes, die Zahl der Opfer, wir bedauern vielleicht die Hinterbliebenen, aber wir sehen nicht mehr den Sterbenden". (a.a.O., S. 11 f.)
Jedoch ist der moderne Mensch - der moderne Christ nicht ausgenommen - in seinem immer verweltlichteren Denken und Empfinden nicht mehr imstande oder willens, den Sterbenden im Glorienlicht des heiligen, gerechten und richtenden Gottes zu sehen. D.h. im Endeffekt, die Eventualität, daß Gott im Gericht (als einem der "letzten Dinge") den Verstorbenen aus seinem Gnadenleben für ewig herausfallen läßt, ist in der Vorstellung der Heutigen so gut wie überhaupt nicht mehr existent bzw. in die Tiefen des Irrealen, ja Absurden verbannt.
Hier zeigt der klassische Modernismus ganz offensichtlich sein wahres entstelltes Gesicht: wir verfallen mehr und mehr einer geistigen Blindheit. Es ist die Flucht vor dem immerwährenden geistigen Tod, eine ins Verderben führende Flucht vor der wahren und eigentlichsten Wirklichkeit, die sich in Gott identifiziert, und die den Menschen früher oder später einholt. Das ist der Mensch, der sich von Selbstgefallen und Selbstsucht niemals freigemacht hat und freimachen wollte und Gottes Gnaden- und Heilsangebot nur sein ständiges "Nein" entgegensetzte. Das gilt auch und besonders für die letzten Dinge. Mit erleuchteter Entschiedenheit bringt das der Schweizer Prälat Robert Mäder (1875-1945) einer Gesellschaft in Erinnerung, die vor dem Totalanspruch Gottes an den Menschen immer mehr die Augen verschließt, wenn er sagt: "Was nicht Gottes ist, das ist des Teufels" (in: "Über den Teufel").
Das von Mäder gemeinte "Entweder-Oder" stellt ein christliches Lebenspostulat dar, welchem der Charakter der Unabdingbarkeit innewohnt, denn, so Mäder: "Ein Mittleres zwischen Gott und Teufel gibt es nicht und kann es nicht geben". Es gilt dies erst recht, wenn der Mensch mit den entscheidenden Problemen wie Sterben, Tod und den letzten Dingen konfrontiert wird.
III. Einige grundlegende Gedanken zum Tod und zu den letzten Dingen
Die wohl allbekannte "Gott-ist-tot-Philosophie" eines Friedrich-Wilhelm Nietzsche ist eindeutig tot. D.h. unser gesamtes Welt- und Gesellschaftsgebäude ist ebenso eindeutig auf Wahrheit hingeordnet auf den, der mit allumfassender Schöpfermacht und Autoritat von sich sagt: "Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine fremden Götter neben mir haben" (erstes Gebot des Dekalogs).
Das hat für den als Ebenbild dieses allmächtigen Schöpfers, den aus Gottes Hand hervorgegangenen Menschen eine seine gesamte Existenz umfassende Konsequenz für Zeit und Ewigkeit, indem der Mensch dadurch in die göttliche Ordnung hineingenommen wird, welche die Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes aufleuchten läßt. Es handelt sich um eine Ordnung, die bei Verstößen gegen sie einem Prozeß der Sühne und Genugtuung unterworfen ist.
Der Religionsphilosoph Romano Guardini (1885-1968) bringt das alles in seiner Schrift "Die letzten Dinge" sehr eindringlich zum Ausdruck: "Gott tritt dem Menschen in seinem heiligen Ur-Sein entgegen. Die in ihm wohnende Hoheit des Guten ist in ihm eins mit der Unwiderstehbarkeit der Macht. Er will mit göttlichem Ernst, daß das Gute geschehe; so wird sein Blick auf den Menschen zum Urteil, das Urteil aber zur Bedingung von dessen Wirklichkeit und zur Form seines ewigen Schicksals. Das alles heißt: GOTT RICHTET. Das Urteil dieses Gerichts ist endgültig, denn es ist Wahrheit. Und zwar hat es im letzten nur zwei Formen: Annahme oder Verwerfung".
Und dann spricht R. Guardini das an, was mit das Zentralste unserer Überlegungen berührt: "Dem neuzeitlichen Menschen klingt die Lehre fremd und hart. Er hat sich angewöhnt, die Welt sehr ernst zu nehmen und für die Ordnung der irdischen Dinge die strengsten Maßstäbe aufzustellen; dafür sind ihm Ewigkeit und ewiges Schicksal unwichtig geworden. Sie sind in ein Halbdunkel zurückgewichen, das er selbst gern als Ehrfurcht bezeichnet; richtiger würde er es Gleichgültigkeit und Feigheit nennen. Es macht ganz ratlos, wenn man bei irgendeiner Gelegenheit plötzlich sieht, was der neuzeitliche Mensch ernst und was er lässig nimmt. Manchmal scheint es, als wögen die Dinge ihm um so leichter, je mehr sie sich dem Kern seines Daseins nähern. Die Offenbarung sagt: Unser so unzulängliches Leben hat absoluten Sinn, aber die Handlungen der Erde entscheiden über ewiges Dasein. Das kommt in der Lehre zum Ausdruck, daß der Spruch des Gerichts auf Erfüllung oder Verlorenheit geht". (a.a.O., S. 6/7) Verlorenheit: ein unheilsvoller Urteilsspruch.
Wer sich dermaßen in einem offenbarungsfeindlichen Umfeld wohlfühlt, gerät in eine vom Widersacher betriebene Verlorenheit. Hierzu R. Guardini mit Blick auf die unzweideutigen Aussagen der tradierten Moraltheologie: "Das Unwahre und Böse wird bestraft, und durch die Allgewalt der Heiligkeit Gottes aus dem Sein gedrängt werden, ohne doch im Nichts verschwinden zu können, und das wird die Verdammnis sein" (s.b. "Letzte Dinge", S.2). Völlig zutreffend bemerkt Helmut Zöpfl: "Der Tod erweist sich als das personale Ereignis, in dem sich die Abhängigkeit des Menschen gegenüber seinem Gott endgültig kundtut" (a.a.O., S.79).
IV. Unsere Thematik und die heutige 'Kirche'
Die heutige (Konzils)Kirche hat sich im Zuge der hausgemachten Selbstzerstörungskrise in vielem einer Art von 'weltoffenem Zugehen auf den modernen Menschen' (Aggiornamento) verschrieben, einer 'Menschenliebe, die wahrlich nicht in Gott beheimatet ist und sein kann, sondern sich im Endeffekt de facto nahezu die Sache des Widersachers zu eigen macht. Doch diese 'Kirche' kenn-zeichnet sich in ihrer Art von neuer Menschenliebe dadurch, daß infolge der Krise eine verschwommene düstere Rationalität seit langem dazu führt, Kernwahrheiten des Glaubens nicht mehr in die kirchliche Katechese einfließen zu lassen, bzw. sie umzudeuten, zu minimieren oder gar zu leugnen. Und das betrifft in hohem Maße heutzutage in gleicher Weise alles, was mit dem Tod und den letzten Dingen als geoffenbarte Wahrheiten in Beziehung steht.
Wir werden hier der Auswüchse der massiven Krisenerscheinungen gewahr, welche die Kirche seit Jahrhunderten, besonders jedoch durch das II. Vatikanische Konzil und nach ihm heimsuchen. Denn die 'Kirche' mißachtet vor allem in den entscheidendsten Menschheitsfragen den strikten Missionsbefehl Christi, durch welchen den Aposteln und ihren Nachfolgern im Amt auferlegt worden ist, "das Volk Gottes alles halten zu lehren, was er - Christus - geboten und verkündet hat" (vgl. Matth. 28,20). Und das soll zu bestimmten Zeiten der Heils- und Menschheitsgeschichte nicht mehr gelten? Da tut sich ein neomodernistisches Gleichförmigmachen mit der Welt auf (vgl. Röm. 12,2) Unsere Überlegungen dürften dargetan haben, daß die schicksalsträchtig-existentiellen Fragen, heutzutage in ein undurchdringendes Nebelfeld des Ignorierens, und damit in eine gestaltlose Verlorenheit geraten sind: eine welt- und menschheitsumspannende Einstellung, die von der 'Kirche' bewußt oder unbewußt, direkt oder indirekt, in unserer Zeit einen geistigen Auftrieb erfährt, dessen Folgen noch garnicht absehbar sind. |