Dogmatische Konstitution "Pastor aeternus" vom 18. Julil 1870
Erstes Vatikanisches Konzil unter unserem Heiligen Vater Pius IX. Über die Kirche Christi – Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes
(Quelle: Das Religionsbuch der Kirche [Catechismus Romanus] Hsgr. Dr. Michael Gatterer SJ, 2 Bände – V Bändchen, Ergänzungen, Verlag Felizian Rauch Innsbruck-Leipzig 1938 [2. Auflage] , S. 23-36; Imprimatur Nr. 2120 Apost. Administratur Innsbruck, den 11.5.1938 Urb. Draxl, Prov.)
Einleitung
Für die Einigkeit der Kirche in Glaube und Liebe
1 Der ewige Hirt und Bischof unsrer Seelen (1) wollte seinem Werk der Erlösung und des Heils durch alle Zeiten Dauer verleihen. Deshalb beschloss Er, die heilige Kirche zu erbauen, in der als im Haus des lebendigen Gottes alle Christen durch das Band Eines Glaubens und Einer Liebe vereint sein sollten. Und so hat Er, bevor Er in seine Herrlichkeit einging, den Vater für die Apostel, aber nicht bloß für sie, sondern auch für alle, die einmal durch deren Predigtwort an Ihn glauben würden: sie möchten alle Eins sein, wie Er, der Sohn und der Vater Eins sind (2). Daher hat Er die Apostel, die Er sich aus der Welt erwählte, ausgesandt, gleichwie Er selbst vom Vater gesandt war (3) und ebenso wollte Er, dass sich in seiner Kirche Hirten und Lehrer fänden bis ans Ende der Zeiten. Um aber den Episkopat selbst in voller Einigkeit zusammenzuhalten und um durch die geschlossene Einheit des Priestertums zugleich die Gesamtheit der Gläubigen in der Einheit des Glaubens und der Liebesge-meinschaft zu bewahren, hat Christus den heiligen Petrus an die Spitze der übrigen Apostel gestellt und so in ihm dieser zweifachen Einheit einen beständigen Quell und ein sichtbares Fundament gege-ben. Auf diesem starken Grunde sollte der ewige Tempel erbaut werden und auf seines [des hl. Pe-trus] Glaubens Festigkeit sollte die Kirche sich erheben und hineinwachsen bis in den Himmel (4).
Daher Kampf aller Kirchenfeinde gegen den Apostolischen Primat
2 Dieses von Gott gelegte Fundament ist es, gegen das die Gewalten der Hölle mit täglich wachsendem Hass von allen Seiten Sturm laufen, um dadurch, wenn das möglich wäre, die Kirche selbst zum Einsturz zu bringen. Darum erachten Wir es zum Schutz, zur Sicherheit und zum Gedeihen der katholischen Herde für notwendig, die Lehre von der Einsetzung vom ununterbrochenen Fortbestand und vom Wesen des heiligen Apostolischen Primates, unter Zustimmung des heiligen Konzils, darzulegen, so wie sie im Glauben der Gesamtkirche von altersher unverändert enthalten war. Sie soll allen Christen zu gläubigem Festhalten vorgelegt werden, denn im Primat ist ja die machtvolle Festigkeit der gesamten Kirche begründet. Die entgegenstehenden Irrtümer aber, die der Herde des Herrn so verderblich sind, sollen gekennzeichnet und verurteilt werden.
Erstes Kapitel: VON DER EINSETZUNG DES APOSTOLISCHEN PRIMATES IM HEILIGEN PETRUS
Petrus hat von Christus den Jurisdiktionsprimat erhalten
3 Wir lehren also und erklären: Nach den Berichten des Evangeliums wurde der Jurisdiktionsprimat (Regierungsvorrang) über die ganze Kirche Gottes von Christus dem Herrn unmittelbar und direkt dem heiligen Apostel Petrus verheißen und übertragen. Denn Simon allein ist es, zu dem der Herr schon lang zuvor das Wort gesprochen hatte: „Du sollst Kephas, Fels, genannt werden (5). Und Simon allein ist es, an den der Herr nach dessen Bekenntnis: „Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!" die feierliche Erklärung richtete: „Selig bist du, Simon, Sohn des Jonas! Denn nicht Fleisch und Blut haben dir das geoffenbart, sondern mein Vater, der im Himmel ist. Und im sage dir: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will im meine Kirche bauen, und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen. Dir will im die Schlüssel des Himmelreimes geben. Alles, was du auf Erden binden wirst, wird auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, wird auch im Himmel gelöst sein." (6) Simon Petrus allein endlich verlieh Jesus nach seiner Auferstehung die oberste Hirten- und Führergewalt über seine ganze Herde mit den Worten: „Weide meine Lämmer. Weide meine Schafe." (7) Irrige Ansichten werden verurteilt
4 Zu dieser ganz eindeutigen Lehre der Heiligen Schrift, die die katholische Kirche allezeit auch in diesem Sinn verstanden hat, stehen in offenem Gegensatze gewisse verwerfliche Ansichten, deren Vertreter die von Christus dem Herrn seiner Kirche gegebene Regierungsform umstürzen wollen, indem sie leugnen, dass Petrus allein vor den übrigen Aposteln - und zwar vor jedem einzelnen wie vor ihrer Gesamtheit - von Christus mit dem wahren und eigentlichen Jurisdiktionsprimat ausgerü-stet wurde; oder indem sie behaupten, der Primat sei nicht unmittelbar und direkt dem heiligen Petrus selbst, sondern der Kirche übertragen und erst durch die Kirche an Petrus als ihren Diener weitergegeben worden.
5 Wenn daher jemand sagt, der heilige Apostel Petrus sei von Christus dem Herrn nicht zum Fürsten aller Apostel und zum sichtbaren Haupte der ganzen kämpfenden Kirche eingesetzt worden, oder er habe von Jesus Christus, unserm Herrn, bloß einen Ehrenprimat, nicht aber den wahren und eigentlichen Regierungsprimat direkt und unmittelbar erhalten, so sei er im Bann.
Zweites Kapitel: VOM UNUNTERBROCHENEN FORTBESTAND DES PRIMATES DES HEILIGEN PETRUS IN DEN RÖMISCHEN PÄPSTEN
Petrus lebt in der Kirche fort im römischen Papst
6 Was aber der Fürst aller Hirten (8) und große Hüter seiner Schafe (9) Christus Jesus der Herr, zum immerwährenden Heil und Wohl der Kirche im heiligen Apostel Petrus eingesetzt hat, das muss kraft dieser Anordnung als dauernde Einrichtung in der Kirche fortbestehen, da sie ja, auf Felsen gegründet, unerschüttert stehen wird bis zum Ende der Zeiten. Niemand kann tatsächlich daran zweifeln, ja allen Jahrhunderten ist es bekannt, dass der Fürst und das Haupt der Apostel, die Säule des Glaubens und das Fundament der katholischen Kirche, der heilige Petrus aus den Händen unsres Herrn Jesus Christus, des Heilands und Erlösers des Menschengeschlechtes, die Schlüssel des Rei-ches empfangen hat: Petrus, der bis zum heutigen Tag und immerfort weiterlebt und sein Herrscher- und Richteramt ausübt in seinen Nachfolgern, den Bischöfen auf dem heiligen Römischen Stuhl, den er selbst gegründet und mit seinem Blute geweiht hat (10).
7 Wer immer daher auf diesem Stuhl Nachfolger Petri wird, der erlangt nach der Bestimmung Christi selbst auch den Primat Petri über die gesamte Kirche. „Es bleibt also in Kraft, was die Wahrheit angeordnet hat. Der heilige Petrus bleibt, was er geworden: der unverrückbare Fels. Das Steuer der Kirche, das ihm in die Hand gegeben wurde, lässt er nicht mehr fahren." (11) Aus diesem Grund mussten jederzeit alle Einzelkirchen, das heißt die Gläubigen allerorten, mit der Römischen Kirche wegen ihrer obrigkeitlichen Stellung übereinstimmen (12). Bei diesem Stuhl, der die Quelle des Rechtes ist, das alle zu heiliger Gemeinschaft verbindet,(13) sollten sie als mit dem Haupt verbundene Glieder zu einem Lebensgefüge, zu einem Leib zusammenwachsen.
Kraft göttlicher Anordnung
8 Wenn also jemand sagt, es sei nicht Einsetzung Christi des Herrn oder göttliche Rechtsanordnung, dass der heilige Petrus in seinem Primat über die ganze Kirche beständig Nachfolger habe, oder der ordn~; römische Bischof sei nicht der Nachfolger des heiligen Petrus in eben diesem Primat, so sei er im Bann.
Drittes Kapitel: ÜBER BEDEUTUNG UND WESEN DES PRIMATES DES RÖMISCHEN PAPSTES
Der römische Papst
9 Gestützt auf die klar verständlichen Aussprüche der Heiligen Schrift und im Anschluss an das, was deutlich und offenkundig in den Dekreten Unserer Vorgänger, der römischen Päpste, wie der all-gemeinen Konzilien gesagt wird, erneuern Wir deshalb die Erklärung des allgemeinen Konzils von Florenz, wonach alle Christen [folgende Wahrheiten] zu glauben haben: Hat die ordentliche und un-mittelbare Regierungsgewalt über die Gesamtheit der Hirten und Gläubigen, wie über die Einzelnen.
10 Der heilige Apostolische Stuhl oder der römische Papst hat den Primat den gesamten Erdkreis inne. Der römische Papst ist der Nachfolger des heiligen Apostelfürsten Petrus; er ist wirklich der Stellvertreter Christi, das Haupt der ganzen Kirche, der Vater und Lehrer aller Christen; ihm ist von unserm Herrn Jesus Christus im heiligen Petrus die Vollgewalt übergeben, die gesamte Kirche zu weiden, zu regieren und zu leiten; ganz wie es auch in den Akten der allgemeinen Konzilien und in den heiligen Canons enthalten ist (14).
Wie in Glaubens- uns Sittenfragen so auch in Sachen der Disziplin
11 Wir lehren demnach und erklären, dass auf Anordnung des Herrn die römische Kirche über alle andern Kirchen den Vorrang der ordentlichen Gewalt besitzt und dass diese wahrhaft bischöfliche Regierungsgewalt des römischen Papstes [die Untertanen] unmittelbar erfasst. Ihr gegenüber sind daher die Gläubigen und die Hirten jeglichen Ritus und Ranges, und zwar sowohl einzeln wie in ihrer Gesamtheit, zu hierarchischer Unterordnung und zu wahrem Gehorsam verpflichtet. Und das nicht nur in Fragen des Glaubens und des sittlichen Lebens, sondern auch in allem, was zur Disziplin und zur Regierung der Kirche auf dem ganzen Erdenrund gehört. Wenn diese Einigkeit mit dem römi-schen Papst in den rechtlichen Gemeinschaftsbeziehungen wie im Bekenntnis des gleichen Glaubens treu bewahrt ist, so wird die Kirche Christi wirklich zu Einer Herde unter Einem obersten Hirten (15) Das ist die katholische wahre Lehre: Von ihr kann niemand abgehen, ohne an seinem Glauben und an seinem Heil Schiffbruch zu leiden.
Die päpstliche Gewalt beeinträchtigt nicht die bischöfliche
12 Diese Gewalt des Papstes beeinträchtigt jedoch keineswegs die ordentliche und unmittelbare Regierungsgewalt der Bischöfe, kraft deren sie, die vom Heiligen Geist bestellten Nachfolger der Apostel, als wahre Hirten ihre Herde, wie sie jedem einzelnen anvertraut ist, weiden und führen. Im Gegenteil, die bischöfliche Gewalt erfährt von Seiten des über alle gesetzten Oberhirten in vermehrtem Maß Anerkennung, Nachdruck und Schutz. Das hat der heilige Gregor der Große ausgesprochen mit den Worten: „Die Ehre der ganzen Kirche betrachte im als meine Ehre; die ungeschwächte Autorität meiner Brüder ist mein Ansehen; dann sehe im mich in Wahrheit geehrt, wenn keinem von ihnen die schuldige Ehre versagt wird."(16)
Die päpstliche Gewalt ganz unabhängig von jeder weltlichen Gewalt
13 Aus dieser obersten Regierungsgewalt des römischen Papstes über die Gesamtkirche ergibt sich sodann sein Recht mit den Hirten und Herden der ganzen Kirche frei in Ausübung dieses seines Amtes zu verkehren, um sie auf dem Weg des Heiles belehren und führen zu können. Deshalb verurteilen und verwerfen Wir entschieden jene Ansichten, die es für erlaubt hinstellen, den Verkehr des Oberhirten mit den Hirten und Herden zu verhindern, oder die ihn der Aufsicht der weltlichen Gewalt unterwerfen wollen. Nach diesen sollen die Verordnungen, die vom Heiligen Stuhl oder mit seiner Autorität zur Regierung der Kirche erlassen werden, keine Gesetzeskraft noch Gültigkeit besitzen, wenn sie nicht durch einen billigenden Entscheid der weltlichen Regierungen Bestätigung finden.
Der Papst höchster Richter, daher Appellation an ein allgemeines Konzil unerlaubt
14 Der römische Papst besitzt also in dem kraft höchster göttlichen Rechtes bestehenden Aposto-lischen Primat die oberste Macht in der ganzen Kirche. Darum lehren und erklären Wir auch, dass er der oberste Richter der Gläubigen ist (17) und dass in allen Angelegenheiten, die in den Schiedsbereich der Kirche fallen, die Berufung an sein Urteil offen steht (18). Ist aber vom Heiligen Stuhl, dessen Autorität die höchste ist, ein richterlicher Spruch ergangen, hat kein Mensch das Recht, diesen noch einmal zur Verhandlung zu stellen oder sich als Richter darüber aufzuwerfen19. Vom rechten Weg irren daher jene ab, die behaupten, es sei erlaubt, von den Entscheidungen der römischen Päpste an ein allgemeines Konzil zu appellieren, als wäre ein solches eine dem römischen Papst übergeordnete Behörde.
15 Wenn also jemand sagt, der römische Papst habe bloß ein Amt der Überwachung oder einer gewissen Leitung, nicht aber die volle und höchste Jurisdiktionsgewalt über die gesamte Kirche, und das nicht nur in den Fragen des Glaubens- und Sittenlebens, sondern auch in allem, was zur Aufrechterhaltung der Ordnung (Disziplin) in der Kirche und zu ihrer Regierung auf der ganzen Welt gehört; oder wer sagt, der Papst habe bloß einen größeren Teil, nicht aber die ganze Fülle höchster Gewalt, oder diese Gewalt sei keine ordentliche und unmittelbare über die Gesamtheit der Kirchen wie über jede einzelne, über alle Hirten und Gläubigen wie über jeden einzelnen: der sei im Bann.
Viertes Kapitel: VOM UNFEHLBAREN LEHRAMT DES RÖMISCHEN PAPSTES
Der Primat enthält die oberste Lehrgewalt, die die Päpste in verschiedener Weise ausgeübt und die Väter und Lehrer der Kirche anerkannt haben
16 Im Apostolischen Primat aber, den der römische Papst als Nachfolger des Apostelfürsten Petrus über die ganze Kirche innehat, ist auch die oberste Lehrgewalt eingeschlossen. Daran hat der Heilige Stuhl immer festgehalten; das beweist deren beständige Ausübung in der Kirche, und das haben die allgemeinen Konzilien selbst deutlich erklärt, besonders jene, auf denen der Orient mit dem Okzident zur Einheit des Glaubens und der Liebe sich verband. So haben die Väter auf dem vierten Konzil zu Konstantinopel, bestrebt auf den Wegen ihrer Vorfahren zu wandeln, folgendes feierliche Bekenntnis abgelegt: „Die Regel des rechten Glaubens bewahren ist der Anfang des Heiles. Da aber kann das Wort unsres Herrn Jesus Christus nicht außer acht gelassen werden: ,Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will im meine Kirche bauen (20). Die Wahrheit dieses Ausspruches beweisen die geschichtlichen Tatsachen. Stets blieb beim Apostolischen Stuhl die katholische Religion unversehrt erhalten; allzeit stand bei ihm die Glaubenslehre hoch und heilig in Ehren. Von seinem Glauben und von seiner Lehre wollen wir uns darum um keinen Preis trennen. Wir hoffen vielmehr, dass wir würdig seien, in der Einen Gemeinschaft zu stehen, die der Apostolische Stuhl verkündet. In ihr ist die Wahrheit und Unversehrtheit der christlichen Religion ganz und voll gewährleistet. (21) Das zweite Konzil von Lyon aber gab folgendem Bekenntnis der Griechen seine Zustimmung: „Die heilige Römische Kirche besitzt den höchsten und vollen Primat und obrigkeitlichen Rang über die gesamte katholische Kirche. Sie anerkennt in voller Wahrheit und zugleich in aller Demut, dass er ihr im heiligen Petrus, dem Fürsten der Apostel und ihrem Oberhaupt, dessen Nachfolger der römische Papst ist, vom Herrn selbst zugleich mit der Fülle der Gewalt verliehen wurde. Wie es nun vor allen andern ihre Pflicht ist, die Wahrheit des Glaubens zu verteidigen, so soll auch ihrem Urteil die Entscheidung in allen auftauchenden Glaubensfragen vorbehalten sein“ (22). Endlich hat das Konzil von Florenz feierlich erklärt: „Der römische Papst ist der wahre Stellvertreter Christi, er ist das Haupt der ganzen Kirche, der Vater und Lehrer aller Christen. Ihm ist im heiligen Petrus die Vollgewalt von unserm Herrn Jesus Christus übergeben worden, die Gesamtkirche zu weiden, zu leiten und zu regieren.(23)"
17 Um diesem Hirtenamt zu entsprechen, haben Unsere Vorgänger bisher keine Mühe gescheut, der heilspendenden Lehre Christi bei allen Völkern der Erde Eingang zu verschaffen. Und mit nicht geringerer Sorge wachten sie darüber, dass diese Lehre überall, wo sie Aufnahme gefunden, auch unverfälscht und rein erhalten bliebe. Deswegen haben die Bischöfe der ganzen Erde, bald einzeln bald auf Synoden, nach alter Gewohnheit aller Kirchen und nach seit alter Zeit befolgtem Grundsatz gerade jene Gefahren stets an den Apostolischen Stuhl berichtet, die sich im Bereich des Glaubens erhoben. Sie taten das in der Absicht, dass die Glaubensschäden vor allem an der Stelle geheilt werden, wo dem Glauben eine Fälschung nicht widerfahren kann (24). Die römischen Päpste aber haben dann das als festzuhaltende Lehre erklärt, was sie unter göttlichem Beistand als mit der Heiligen Schrift und den apostolischen Überlieferungen im Einklang stehend erkannt hatten. Zu dem Zweck beriefen sie, je nachdem Zeitumstände und Weltlage es nahe legten, entweder allgemeine Konzilien, oder befragten die auf dem ganzen Erdkreis verbreitete Kirche über ihre Glaubensansicht; andere Male wieder geschah es auf kleinem Synoden, oder sie bedienten sich andrer Hilfsmittel, wie sie die göttliche Vorsehung ihnen gerade darbot. Denn Petri Nachfolgern ward der Heilige Geist nicht dazu verheißen, dass sie aus seiner Eingebung heraus neue Lehren verkündeten. Ihre Aufgabe ist vielmehr, die von den Aposteln überlieferte Offenbarung oder das anvertraute Glaubensgut unter dem Beistand des Heiligen 'Geistes gewissenhaft zu hüten und getreu auszulegen.
18 Die von den Päpsten verkündet apostolische und Lehre haben denn auch die altehrwürdigen Väter ohne Ausnahme angenommen, und die rechtgläubigen, heiligen Lehrer sind ihr ehrfürchtig gefolgt. Denn sie wussten zu klar, da der Lehrstuhl des heiligen Petrus von jedem Irrtum immerdar frei bleiben werde, weil der Herr, unser Erlöser, dem obersten seiner Jünger das göttliche Versprechen, getan: „Im habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht wanke, und du hinwieder stärke dereinst deine Brüder (25).“
Zweck der päpstlichen Lehrgewalt
19 Diese Gnadengabe der Wahrheit und nie wankenden Glaubens ist also Petrus und seinen Nachfolgern auf diesem Stuhl von Gott verliehen worden, damit sie ihres erhabenen Amtes zum Heil aller walten können; damit durch sie die ganze Herde Christi vom Giftkraut des Irrtums ferngehalten und auf den Fluren der himmlischen Lehre geweidet werde; endlich damit die ganze Kirche nach Beseitigung jedes Anlasses zur Spaltung in der Einheit bewahrt bleibe, und auf ihr Fundament gestützt den Anstürmen der Hölle standhalten könne.
20 Obwohl nun gerade die gegenwärtige Zeit der heilbringenden Wirkkraft des Apostolischen Amtes so dringend bedarf, gibt es dennoch nicht wenige, die sich seiner Autorität nicht fügen wollen. Darum erachten Wir es für durchaus geboten, den einzigartigen Vorzug, mit dem der eingeborne Sohn Gottes das oberste Hirtenamt huldvoll ausgestattet hat, in feierlicher Erklärung auszusprechen:
Feierliche Dogmenerklärung
21 »Im treuen Anschluss also an die Überlieferung, wie Wir sie von der ersten Zeit des Christentums an überkommen haben, lehren Wir zur Ehre Gottes unsres Heilandes. zur Verherrlichung der katholischen Religion und zum Heil der christlichen Völker, unter Zustimmung des heiligen Konzils, und erklären es als von Gott geoffenbartes Dogma: Wenn der römische Papst „ex Cathedra“ spricht, - das heißt, wenn er in Ausübung seines Amtes als Hirte und Lehrer aller Christen mit seiner höch-sten Apostolischen Autorität erklärt, dass eine Lehre, die den Glauben oder das sittliche Leben betrifft, von der ganzen Kirche gläubig festzuhalten ist, - dann besitzt er kraft des göttlichen Beistandes, der ihm im heiligen Petrus verheißen wurde, eben jene Unfehlbarkeit, mit der der göttliche Erlöser seine Kirche bei Entscheidungen in der Glaubens- und Sittenlehre ausgerüstet wissen wollte. Deshalb lassen solche Lehrentscheidungen des römischen Papstes keine Abänderung mehr zu, und zwar schon von sich aus, nicht erst infolge der Zustimmung der Kirche. Wer sich aber vermessen sollte, was Gott verhüte, dieser Unserer Glaubensentscheidung zu widersprechen: der sei im Bann."
Gegeben zu Rom, in feierlicher, öffentlicher Sitzung in der Vatikanischen Basilika, im Jahre der Menschwerdung des Herrn 1870, am 18. Juli, im fünfundzwanzigsten Jahr Unseres Pontifikates.
Joseph, Bischof von St. Pölten, Sekretär des Vatikanischen Konzils.
***
Schlussansprache Pius IX. in der vierten Sitzung an die Konzilsväter
Am Schluss der vierten Sitzung richtete Seine Heiligkeit der Papst Pius IX. folgende Worte an die Konzilsväter:
„Ehrwürdige Brüder, die (eben gezeichnete) höchste Autorität des römischen Papstes ist keine Last sondern eine Hilfe, nicht Niederbruch sondern Aufbau, ja gar oft ist sie für die Würdenträger Stütze und ein Band der Liebe und für die bischöflichen Amtsbrüder Schutz und Halt ihrer Rechte. Diejenigen die jetzt in Aufregung urteilen (gemeint sind die Gegner des Unfehlbarkeitsdogmas) mögen daher wissen, dass „im Sturm der Herr nicht ist" (1 Kön 19, 11). Sie mögen sich erinnern, dass sie noch vor wenigen Jahren mit Uns und dem Großteil dieser erhabenen Versammlung die entgegengesetzte Ansicht eifrig verfochten haben: damals urteilten sie „im sanften Wehen des Geistes" (1 Kön 19,12) ... Möchte Gott, der allein große Wunder tun kann, Verstand und Herz aller erleuchten, damit sich alle der Vaterbrust des unwürdigen Stellvertreters Jesu Christi auf Erden nahen können, der sie innig liebt und eins zu sein wünscht mit ihnen. Dann werden wir, durch das Band der Liebe verbunden, die Kämpfe für den Herrn führen können, so dass uns unsre Feinde nicht nur nicht verspotten, sondern sich vielmehr vor uns fürchten, die Waffen der Bosheit vor der Wahrheit weichen und wir einmal alle mit St. Augustin sprechen dürfen: ,Du hast mich in dein wunderbares Licht gerufen, und sich ich sehe!'"
***
Anmerkungen (1) Vgl. 1 Petr 2,25. (17) Pius VI Breve Super soliditate 28. Nov. 1786. (2) Joh 17,20 ff. (18) Zweites allgemeines Konzil von Lyon. (3) Vgl. Joh 20, 21. (19) Vgl. Ep. Nicolai I ad Michaelem Imper. (4) Leo I serm. 4 (al. 3.) c. 2. in diem natalis sui. (20) Mt 16, 18. (5) Joh 1,41. (21) 4. Konzil von Konstantinopel, Actio I formula (6) Mt 16,16ff. Hormisdae Papae. (7) Joh 21,15ff. (22) 2. Allgem, Konzil von Lyon. (8) 1 Petr 5,4. (23) Konzil von Florenz, Bulle »Laetentur coeli«. (9) Hebr 13,20. (24) Vgl. S. Bern. epist. 190. (10) VgI. Konzil von Ephesus, Actio IlI. (25) Lk 22, 32. (11) S. Leo der Große, Sermo 3 de natali ipsius c. 3. (12) VgI S. Irenaeus, Adv. haereses 1.3, c.3. (13) S. Ambrosius, Ep.11, n.4. (14) Konzil von Florenz, Bulle »Laetentur coeli«. (15) Vgl. Joh 10,16. (16) Ep. 1.8, cp. 30 ad Eulogium Episc. Alexandrinum. |