Papst Pius XII.:
Das schwindende Sündenbewußtsein ist die größte Sünde unserer Zeit
von Norbert Dlugai
1. Die Problemlage
In einer Radiobotschaft des Jahres 1946 befaßte sich der damals regierende Papst Pius XII. mit dem Phänomen Sünde und ihren Folgen. Dabei sprach er offen und schonungslos das mehr und mehr "schwindende Sündenbewußtsein" an, und nannte es "die größte Sünde unserer Zeit".
Heute, Jahrzehnte nach dieser richtungweisenden Ansprache des Pacelli-Papstes ist das Sündenbewußtsein noch stärker, nahezu total zu einem toten Relikt geworden, einer vermodernden Leiche vergleichbar, deren übler Geruch überall wahrnehmbar ist, wo Gott durch die Schmutzflut der Sünde, die heutzutage alles zu überschwemmen droht, millionenfach aufs massivste herausgefordert und beleidigt wird. Das verbietet zudem die von der Macht des Bösen in die moderne Gesellschaft eingebrachte sog. 'Correctness' als eine Schwester des sterbenden Sündenbewußtseins, die gerade unsere 'Kirche' schon lange praktiziert.
Die, wie Papst Pius XII. sie verurteilte, "größte Sünde unserer Zeit" gepaart mit der unheilträchtigen 'Correctness' verhindert jegliche Empörung und Erschrecken, die hervorgehen müßte aus dem vom Heiligen Geist inspirierten Gespür für die permanenten Beleidigungen Gottes. Diese Spirale ständiger Verstöße gegen die Unterhöhlungen der sittlichen Ordnung Gottes dreht sich weiter... bis hin zum Untergang unseres schwerstens angeschlagenen Gesellschaftssystems.
2. Religiöse und theologische Aspekte unserer Überlegungen
Eine Auseinandersetzung mit dem gestörten Sündenbewußtsein allein würde ins Leere gehen, wenn man übersehen würde, daß bei den anstehenden Fragen sich das jeweilige Gottesbild des Menschen in den Vordergrund drängt. Das bedeutet auf einen kurzen Nenner gebracht folgendes: Wer die Existenz Gottes leugnet, also der Atheist, oder wer zwar an Gott glaubt, in ihm jedoch nur den milden, nachsichtigen Vater sieht, der uns einmal ausnahmslos an seiner himmlischen Seligkeit (i.S. der modernistischen Allerlösung) teilhaftig werden läßt, für den ist Sündenbewußtsein ein Fremdwort , dessen man sich in seinem persönlichen Lebensbereich entledigt.
Doch die biblischen Zeugnisse, festgeschrieben durch Inspiration des Heiligen Geistes, vermitteln uns etwas anderes: Und das ist die Wahrheit über die Realität eines höchsten und vollkommensten Wesens - Gott - als den Schöpfer des Himmels und der Erde, und zugleich macht damit das Schriftwort die wahre Sichtweise Gottes, das ureigentliche Gottesbild, transparent und offenkundig. Eine beglückende Erkenntnis und Wegweisung, durch die dem irdischen Dasein das Siegel des Sinnhaften eingeprägt wird.
Besagtes Gottesbild entfaltet seine Strahlkraft im großen christlich-heilsgeschichtlichen Szenarium, welt- und menschheitsumspannend, grundgelegt im messianischen Reich-Gottes-Wirken des Gottessohnes Jesus Christus und gekrönt durch Jesu Tod und Auferstehung. Dies alles erkennend in sich zu verlebendigen, - das Dasein Gottes und die Fülle seiner den Menschen als Ebenbild Gottes für Zeit und Ewigkeit retten wollenden Offenbarung - und darauf das irdische Leben auszurichten und aufzubauen - sollte jedem von uns bei einer entsprechenden Gewissensbildung möglich sein.
Die Rettungsaktion Gottes setzt jedoch wesensbedingt voraus, daß es ein waches Sündenbewußtsein gibt, daß vor Ihm ein Bekenntnis der begangenen Sünden abgelegt wird, das Eingeständnis also, schuldig geworden zu sein, ein Zustand, der wegen der Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes der Genugtuung und der Sühne bedarf. In eine solche Gesinnung sich hineinzuversenken erfordert - heute besonders - Demut.
Um das Ganze dem Erkenntnisvermögen noch zugänglicher zu machen, ist es geboten, darzutun, daß dem Menschen die Fähigkeit gegeben ist, das reale Sein Gottes und das Eingebundensein in den Kreislauf göttlich-christlicher Heilsgeschichte schon vom Licht der natürlichen Vernunft her zu erfassen (I.Vat.Konzil).
Die sich daraus ergebende Tragweite und Spannungsgeladenheit im Verhältnis des sündigenden Menschen zu Gott kommt anschaulich bei Romano Guardini zum Ausdruck: "Der Mensch muß den Schicksalsstolz, den Trotz, der die eigene Tat tun und das eigene Leben leben will - wider alles, auch und gerade wider Gott - aufgeben und die Demut lernen, welche Gnade sucht. Zu solcher Gesinnung zu rufen, ist ja Jesus gekommen. Sein erstes Wort hat gelautet: 'Tuet Buße' (Mk.1,15). Die Menschen sollen erkennen, daß sie Sünder sind." ("Der Herr" (S.16) Zum Verständnis die grundlegende Schriftstelle bei Jo.1,8-10: "Wenn wir sagen, wir haben keine Sünde, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns. Bekennen wir aber unsere Sünden, so ist er (Gott) treu und gerecht. Er vergibt uns die Sünden und macht uns rein von allem Unrecht. Wenn wir sagen, wir haben nicht gesündigt, so stellen wir ihn als Lügner hin, und sein Wort ist nicht in uns." Sich und sein ganzes Tun solchen Wahrheiten unterzuordnen, ist der heutige von einer grenzenlosen Hybris befallene Zeitgenosse weiter denn je entfernt. Aufschlußreich und (theologisch) eindeutig ist, wie P.Gerhard Hermes in seinem Buch "Herrlichkeit der Gnade" über dieses Verhalten urteilt: "Wieviele Christen haben bereits die 'Last Gottes' abgeworfen und denn auch wirklich den Zustand erreicht, wo sie von ihm in Ruhe gelassen werden, was freilich ein unheilbares Stadium der 'Krankheit zum Tode' anzeigt... Hilfestellung leisten dabei moderne Moraltheologen, die ... jedes Verständnis für das schreckliche Drama des sühnenden Gottmenschen auf Golgotha und in der Messe vermissen lassen. Doch die Faszination einer Allversöhnung will nicht mehr Unverträgliches wahrnehmen" (a.a.O., S. 59 u.51)
3. Die Sünde wider den Heiligen Geist
Im alttestamentlichen Buch Ezechiel lesen wir in Kap.18,30-32: "Bekehrt euch und wendet euch von allen euren Untaten ab, damit sie euch nicht Anlaß zur Sünde werden. Werft von euch all eure Untaten, die ihr gegen mich (Gott) begangen habt; schafft euch ein neues Herz und einen neuen Geist .... Kehrt um, damit ihr lebt". In dem Maße, wie dies geschieht, d.h. wie man der Forderung Gottes, sich ein neues Herz und einen neuen Geist zu schaffen, mit schuldhafter Ignoranz und Gleichgültigkeit begegnet, ohne jedes Sündenbewußtsein glaubt, Gott nicht nötig zu haben, ihn, weil er Gott ist, als Gott ablehnt und in dieser Verstockung bis ans Lebensende verharrt, begeht man nach Jesu Christi Worten "die Sünde wider den Heiligen Geist; die keine Vergebung findet".
Über das Gnadenwirken des Heiligen Geistes findet Niederschlag u.a. bei Robert Mäder (1875-1945) in seinem Buch "Der Heilige Geist und der dämonische Geist": "Es gibt heute nichts Aktuelleres, nichts Dringlicheres als das Öffnen der Geister und der Herzen für den Heiligen Geist. Der Mensch ist ein Wesen, das inspiriert werden muß. Entweder geschieht es von oben oder es geschieht von unten, entweder vom Heiligen Geist oder vom bösen Geist" (s.a.a.O., S.16). Diese Worte lassen zugleich das Unheilsvolle erahnen, das darin besteht, auf das Heils- und Gnadenangebot des Heiligen Geistes mit einem schicksalsstolzen und trotzigem "Nein" zu antworten.
Die Wichtigkeit des Wirken des Hl. Geistes betont Christus selbst (in Jo.16,7-8), wo er kurz vor seinem Leidensweg zu den Aposteln sagt: "Es ist gut für euch, daß ich hingehe. Denn wenn ich nicht hingehe, kommt der Beistand nicht zu euch; wenn ich aber hingehe, werde ich ihn zu euch senden. Und wenn er kommt, wird er der Welt zum Bewußtsein bringen, daß es eine Sünde gibt, eine Gerechtigkeit und ein Gericht".'
4. Konsequenzen und abschließende Gedanken
Wie kann dem Schwinden oder schon gänzlichem Erlöschen des Sündenbewußtseins begegnet werden? Da müßte etwas geschehen, worauf zu hoffen, allerdings bei den derzeitigen Konstellationen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens müssige Spekulation bliebe. Konkret heißt das, es dürfte kaum gelingen, einer schon seit langem sich wie eine Pandemie ausbreitenden Mentalität der Sündenverdrängung entgegenzuwirken, da die Menschen Gott, den Schöpfer der Welt und des Menschen, nicht mehr ins Zentrum allen Tuns und Handelns stellen: Statt Theozentrismus herrscht Anthropozentrismus. Wir katholische Christen sollten nun nicht verwundert sein, wenn das wohl herausragendste Zielobjekt der historisch-modernistischen Denkmodelle Gott bzw.das (passend-zeitgemäße) Gottesbild ist, wie auch Pius X. nicht müde wurde, diese Verkehrung dem Gottesvolk nachdrücklich einzuschärfen und die Katholiken davor zu bewahren, (s.d. Enzyklika "Pascendi Dominici Gregis" v. 8.9.1907).
Trotz alledem gilt unabdingbar, Sünde als Sünde zu benennen, um so das Sündenbewußtsein neu zu schärfen. Zuvörderst wird das die Aufgabe jener Minderzahl an Katholiken sein, welche der hinterfragten Tradition verschworen bleiben. Denn von der 'Kirche' ist diesbezüglich bei der bestehenden, durch das Konzil herbeigeführten 'Großwetterlage' für unbestimmte Zeit nichts zu erhoffen. |