Zum 50. Todestag des katholischen Dichters Reinhold Schneider
von Werner Olles
Im Februar 1951 veröffentlichte die Ostberliner Zeitschrift „Aufbau“ Reinhold Schneiders Appell, daß „ein geteiltes Volk, das in der Gefahr des Bruderkrieges ist und dessen Land zum Schlachtfeld der Welt werden kann“, sich „nicht bewaffnen dürfe“. Die politischen Gegner des Dichters reagierten mit persönlichen Verleumdungen, er wurde als „Jude“ oder „Kommunist“ beschimpft, gar für „geistig umnachtet“ erklärt. Schneider, der während der Zeit des Nationalsozialismus zu den mutigsten und integersten Schriftstellern der sogenannten „inneren Emigration“ gehörte, hat diese Anwürfe, die bis zum Boykott seiner Bücher reichten, dank seiner religiösen Überzeugung und der Berufung auf seine „Gewissensnot“ einigermaßen gelassen überstanden, dennoch trug er bis zu seinem Lebensende schwer an den ihm zugefügten Enttäuschungen. Eine gewissen Rehabilitierung erfuhrt jedoch 1952 durch die Verleihung des Ordens „Pour le mérite“ und den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1956.
Reinhold Schneiders Werk umfasst mehr als 150 Buchveröffentlichungen, die jedoch nur schwer bestimmten literarischen Kategorien zuzuordnen sind. Zumindest innerlich zusammen gehört jedoch eine Gruppe von Büchern, die in den frühen dreißiger Jahren erschien: „Das Leiden des Camoes. Untergang und Vollendung der portugiesischen Macht“ (1930), „Philipp II. - Religion und Macht“(1931), „Fichte. Der Weg zur Nation“ (1932), „Die Hohenzollern“ (1933) und „Auf Wegen deutscher Geschichte“ (1934) sind persönliche Deutungen abendländischer Geistes- und Lebensformen. Doch während sich der Dichter im Fichtebuch dem völkischen Reichsmythos annäherte, klangen im von Schneiders konservativ-monarchistischer Grundhaltung durchdrungenen Hohenzollernbuch Auftrag und Tragik des Königtums an. Sein „Aufruf zur Monarchie“ zeigte dann auch deutlich die völlige Unvereinbarkeit eines aus einer tragischen Weltsicht gespeisten Konserva-tismus mit der Ideologie des Nationalsozialismus.
Durch alle Bücher Schneiders ziehen sich indes die Hauptthemen seines Lebenswerkes: Die Spannung von Macht und Gnade, Macht und Geist und die Frage nach dem Wesen der Macht und dem Sinn einer notwendigerweise tragisch verlaufenden Geschichte, der immer „das Prinzip ihres Untergangs …eingeboren ist“. Zwar wurden bereits seine frühen Werke gerne als „christlich“ oder „katholisch“ bezeichnet, doch war dies nur zum Teil richtig. Schneider selbst sagte beispielsweise in Bezug auf sein Hohenzollernbuch: „Es war kein christliches Buch und wollte das nicht sein; ich war kein Christ, sondern ich sah im Tragischen den Sinn der Geschichte“.
Tatsächlich entwickelte der am 15.Mai 1903 in Baden-Baden als Sohn eines Hoteliers geborene Reinhold Schneider als junger Mann, nachdem die Inflation das elterliche Vermögen verschlungen und er eine kaufmännische Lehre absolviert hatte, zunächst eine tragische Weltsicht. Nach seiner eigenen Einschätzung speiste sie sich aus der vom Vater ererbten Schwermut und aus der Begegnung mit der Philosophie Schopenhauers und Nietzsches. In einem Hotel „dicht am Kurhaus in Baden-Baden“ aufgewachsen, gestatteten ihm seine „Kindheits- und Jugendjahre … den letzten Blick auf eine Welt und Gesellschaft .., die 1914 zu versinken begann“. Angesichts der „Verfalls der bürgerlichen Ordnung“, von dem auch sein Elternhaus betroffen war, gelangte er - „Ich fühlte keinen tragenden Grund mehr“ - „zum totalen Pessimismus“.
Als Schneiders Mutter die Familie verließ, beging der Vater kurz darauf Selbstmord. 1922 versuchte auch der 19jährige Sohn sich zu töten, doch überlebte er leicht verletzt. Erst auf einer Reise nach Portugal fand er schließlich zu sich selbst. 1938 siedelte er von Potsdam nach Freiburg i.Br. über, und mit diesem Umzug fiel auch seine Reversion zum katholischen Glauben zusammen, von dem er sich seit seiner Jugend distanziert hatte. Es war vor allem die intensive Beschäftigung mit den großen historischen Gestalten der römischen Kirche, die ihn zu der Überzeugung von der Macht der göttlichen Gnade führte. So sah er die Macht Gottes selbst im Chaos der Geschichte wirken und sich immer wieder gegen widergöttliche Mächte durchsetzen.
Neben kleinen hagiographischen Erzählungen und religiösen Schriften, die wegen ihrer Ablehnung des Nationalsozialismus und seinem Bekenntniss zur christlich-abendländischen Überlieferung illegal verbreitet wurden, erschien 1938 „Las Casas vor Karl V.“. Mit Recht als ein Beitrag zum geistigen Widerstand empfunden, zeigte es, wie der Mißbrauch der Macht in Schuld und Ver-strickung führt. Tötung von Menschen und Jagd nach Gold: Das war nicht anders zu verstehen denn als Parallele zur Verfolgung der Juden. Schneiders scharfe Kritik an der geschichtslosen und menschenverachtenden Ideologie des Nationalsozialismus kam in den folgenden Jahren in einer Fülle von Erzählungen, Gedankendramen und theologischen Traktaten zum Ausdruck. „Religiösen Sanitätsdienst“ nannte der Dichter diese Versuche die Leser mit der „Notwendigkeit unlösbarer Konflikte in der Seele wie in der Geschichte“ zu konfrontieren. Dazu gehörte auch sein umfang-reicher Briefwechsel mit Soldaten, Gefangenen, Flüchtlingen aus dem deutschen Osten und anderen Menschen, die unter dem Grauen des Krieges zu leiden hatten. Nach einer Anklage wegen Hochverrat entging er im Frühjahr 1945 nur durch das Ende des Krieges seiner Verurteilung.
In den Nachkriegsjahren trat das lyrische Schaffen in den Hintergrund. Neben Essays und Vorträgen - Schneider engagierte sich politisch gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands und die atomare Aufrüstung, was ihm viele Konservative übelnahmen -, traten nun historische Dramen und auto-biographische Arbeiten in den Mittelpunkt seines Werkes. Zu den wichtigsten Dramen gehört „Der große Verzicht“ (1950), das die tragische Geschichte des Petrus von Murrhone behandelt, in dem das Abendland seinen Retter sieht, der aber alsbald auf sein Amt als Papst verzichtet. „Der Traum des Eroberers“ und „Zar Alexander“ (beide 1951) thematisierten westlichen Eroberungswillen und das aus östlicher Frömmigkeit geborene Verlangen nach Reinigung und Erlösung, während „Innozenz und Franziskus“ (1953) den Gegensatz zwischen päpstlicher Macht und franziskanischem Opfer beschwört.
Auch in seinen erzählenden Prosaarbeiten und in seinen essayistischen Werken griff Schneider Themen aus der europäischen Geistes-, Dichtungs- und Kunstgeschichte und besonders aus der Welt der Heiligen auf. „Erbe und Freiheit“ (1955) und „Pfeiler im Strom“ (1958) sind als Höhepunkte dieser Reihe zu werten, deren geistige Haltung gekennzeichnet ist durch die Konfrontierung alles Geschaffenen mit der ewig gültigen Botschaft Christi.
Einblicke in sein persönliches Schicksal gewährte indes das Tagebuch „Winter in Wien“ (1958). Durch die tiefe Schwermut, die Schneiders gesamtes Werk durchzieht, bricht das Licht eines überwindenden Humors. Das Tagebuch vermittelt seine Begegnung mit der Stadt und ihrer Vergangenheit, aber auch mit der seelischen Situation des Dichters. Schneider spricht von einem „Einbruch der dunklen Wasser in einen leer gewordenen Raum“. Zwar scheinen wie in der als „tragisch“ apostrophierten Schaffensphase die Widersprüche unlösbar zu sein, doch zeigt sein Tagebuch auch, daß die Verschwisterung mit dem Leid der Untergehenden und Verzichtenden, mit Schuld und Verantwortlichkeit ein Grundzug der Natur Schneiders war, der nur überwunden und versöhnt wurde durch den Glauben.
„Der Weg vom tragischen Nihilismus zum Glauben, von der Bindungslosigkeit zu Bindungen, von der subjektiven Verlorenheit in das Geschichtliche … dies allein soll zur Darstellung kommen“. So sah Reinhold Schneider seine Aufgabe als Christ und Dichter. Oft mißverstanden als „unchristlicher Agnostizismus“ ist Schneiders Ringen mit dem katholischen Glauben, seine Versöhnung mit der römischen Kirche und sein demütiges Bemühen um ein von christlich-katholischer Sinngebung erfülltes Werk jedoch als Konsequenz seiner lebenslangen Beschäftigung mit der Tragik und Krise des Menschen und der christlichen Kreuzestheologie zu verstehen.
Reinhold Schneider starb nach langjährigem schwerem Leiden am 6.April 1958 in Freiburg an den Folgen eines Sturzes auf der Straße. |