Die Bulle "Cum ex apostolatus officio" von Papst Paul IV.
Kommentar oder Variationen zu einem mehrfach dargestellten Thema von Tomás Tello
Vorbemerkung:
Zahlreich sind die Teil- und Gesamtkommentare zu dieser Bulle, die anläßlich des Verhaltens der Konzilpäpste Anfang der 70er 'exhumiert' wurde.
Der Leser wird sich vielleicht fragen: "Wozu denn ein weiterer Kommentar, wenn bereits so viele davon vorliegen?" Ich antworte: es wird immer gut sein, daß dieses Thema, das nämlich lebhafte Auseinandersetzungen hervorgerufen hat, aus neuen Gesichtspunkten aktualisiert wird.
Ich beabsichtige nicht, dem Text von der Einleitung her bis zum 10. Punkt gemäß des Vorgehens vieler Verfasser in einen Linealkommentar nachzugehen, wie der Titel nahelegt: "Variationen..." Es handelt sich eher sozusagen um eine Querdurchdringung, indem Betrachtungen bzw. Überlegungen zu verschiedenen auf die Bulle anwendbaren Seiten gemacht werden: gesetzliche, kanonisch-theologische, geschichtliche, sprachliche, kritische Seiten...
Es erübrigt sich zu sagen, daß ich mich zum Aufbau meiner Arbeit der von den Kommentaren meiner Vorkommen beigetragenen Materialien und Ideen möglichst häufig bediene.
Ich betrachte diese Bulle als ein kirchliches Dokument von größter Bedeutung für die Bewahrung des Glaubens - die Funktion der Nachfolger von Petrus - und unüberbietbar geeignet, um zu zeigen, wie die heutige Krise hätte vermieden werden können, wäre sie berücksichtigt und eifrig betrachtet worden, "ad unguem", so wie es Hl. Pius V. vorgeschrieben hat.
Hier steckt meines Erachtens der Schlüssel des von Hl. Paulus verkündeten Mysteriums der Ungerechtigkeit. Daher wird es immer angebracht sein, dieses ausgezeichnete Dokument in Betracht zu ziehen, das während so vieler Jahrhunderte unterschätzt wurde. Nach dieser kurzen Einleitung biete ich eine Grundbibliographie von Autoren verschiedener Länder und entgegengesetzter Richtungen an.
Bibliographie der Kommentare zu der Bulle "Cum ex apostolatus officio"
Daly, J.S., Bull,, Cum ex apostolatus officio ", Britons Catholic Library, 1988. Ceriani, Juan Carlos, "Papólatras y papoclastas", ROMA ETERNA, Nr. 113, 1989, 65 Seiten. Davidoglou, Myra: 1) LA VOIE, Nr. V., Dez. 1981, S. 34. 2) Ebend. Nr. IX., Dez. 1983, S. 22. 3) Ebend. Nr. XXII, 1992, S. 38. Denyoelle, Alfred, "A propos d'une Bulle", MYSTERIUM FIDEl, Nr. 75, Sept. 1986, S.6-14. Disandro, Carlos A., Bula "Cum ex apostolatus officio". Zweisprachige Ausgabe. Übersetzung, Einleitung und Kommentar. Cordoba/Argentinien 1978. Graviers (des) Abbé, "La Bulle Cum ex apostolatus officio, COURRIER DE ROME, Nr. 156, 15. April 1976, und Nr. 158, 18. Jun. 1976. Gwynne, Martin, Under the Laws of the Catholic, Churche the papal See is vacant. Britons Catholic Library, 1983. Johas, Homero: 1) "La Bula Cum ex apostolatus officio", ROMA, Nr. 128, Okt. 1993. 2) "La definición de la vacancia IPSO FACTO. La Bula Cum ex apostolatus officio y la Herejía del Hereticismo", ROMA Nr. 122, Ostern, 1992, 41 S. Luden, Bernard, La situation actuelle de l'Autorité dans l'Eglise. La These de Cassiciacum. Niza, 1985. Riestra de Wolff, Gloria, "Zum Problem der gegenwärtigen Vakanz des römischen Stuhles", EINSICHT XXIII, 1992, S. 119-123 sowie 153-154. Wildfeuer, Michael, "Häresie vor dem Amtsantritt", Auszug aus der Bulle Papsts Paulus IV. Cum ex apostolatus officio. EINSICHT 11(2), Mai 1972.
Gesetzliche Seite "in genere"
In diesem Teil soll CUM EX APOSTOLATUS OFFICIO in ihrem Stand als Gesetz betrachtet werden. Diese Bulle von Paulus IV. stellt ein Gesetz auf. Sie ist ein Gesetz unter den ganzen dazugehörenden Bedingungen. Sie hat allerdings all die Strukturmomenten ihres Wesens, sowie all die konstituierenden Elemente. Das fällt ins Auge und es wäre nicht notwendig, darauf zu bestehen, außer um die Bemühungen der Feinde der Bulle darum, der Bulle ihr gesetzliches Gewicht zu entnehmen, zu annullieren. Gemäß der Definition vom Hl. Thomas ist ein "Gesetz ("in genere") eine an das gemeinsame Wohl ausgerichtete vom Vorsitzenden der Gemeinde verordnete Bestimmung".
Die causa finalis jedes Gesetzes ist es, das gemeinsame Wohl der jeweiligen Gesellschaft zu besorgen; in diesem Falle, das von der Kirche. Der Zweck ist das Ziel, das die Handlung der causa efficiens oder des vernünftigen agierenden Subjektes bestrebt. Der Zweck veranlaßt das Handeln. Deswegen wird die causa finalis "causa causarum" benannt: Ursache der Ursachen.
Das gemeinsame Wohl der kirchlichen Gesetzen ist kein anderes, als das Heil der Seelen zu vermitteln und zu befördern. "Die Kirche", so Pius XII., "soll den Menschen zu Gott führen. [...] Die Kirche darf nicht diesen streng religiösen und übernatürlichen Zweck aus dem Auge verlieren. Der Sinn ihrer ganzen Aktivitäten, einschließlich des letzten Kanons ihres Kodex, kann kein anderer sein, als direkt zu ihm mitzulaufen." (Ansprache vom 9.3. 1956, AAS. XLVIII, 5. 211)
Das besagt nicht, jedes kirchliche Gesetz sei das allerbeste, um diesen Zweck zu erreichen. Sehen wir, ob und inwiefern die Apostolische Verfassung von Paulus IV. darauf orientiert ist. Die Gesetzentwürfe entstehen oft wegen umständlicher Bedingungen, die ihre Notwendigkeit herausheben, um der Gesellschaft ein Übel zu vermeiden oder um für deren Zweck besser mitzuwirken.
Im expositiven Teil des Gesetzes pflegt man, den Umstand darzustellen, der das Gesetz verlangt. Das ist die "ratio legis", der Gesetzesgrund.
In der Einleitung zu seiner Bulle stellt Paulus IV. dar:
1. Der Grund, der ihn veranlaßt hat, das Gesetz zu verordnen: die ihm anvertraute Aufgabe, sich um die Schar des Herrn zu kümmern, ihr heile Wiesen zu geben und von unheilen Wiesen abzulenken ("Cum ex Apostolatus Officio [...] cura Dominici gregis nobis immineat generalis, et extinde teneamur pro fideli illius custodia et salubri directione.") 2. Die Umstände, die dieses Gesetzt dringend verlangen, nämlich "der zügellose Aufruhr unerhörter Gewalt gegen den Glauben seitens des Protestantismus, sowie die Umkehrung der Bedeutung der Heiligen Schrift; solche Umstände könnten ein schwerstes Risiko für das Ziel der Kirche bedeuten. ("ut qui hac aetate, [...] propriae prudentiae innitentes licentius et perniciosus solito contra orthodoxae fidei disciplinam insurgunt [...] catholiace Ecclesiae unitatem [...] scindere moliuntur [...]") 3. Und deren Zweck, der kein anderer ist, als die Frechheit der Häretiker zu erdrücken, um zu vermeiden, daß sie sich in die Herde Christi einführen. ("ut ab ovili Christi repellantur ne magisterium erroris continuent, qui discipulo veritatis esse contemnunt.") Wir sehen, daß das Motiv, das Paulus VI. bewegt hat, war derselbe Grund, der immer schon die Päpste dazu bewegt hat, Maßnahmen zu treffen, um das Depositum Fidei zu gewahren. Ohne dieses Depositum ist es unmöglich, Gott zu gefallen, und so wäre es unmöglich, das Ziel der Kirche, nämlich das Heil der Seelen, zu erreichen.
Wenn Pius X. seine Enzyklika "Pascendi" schreibt, verficht kein anderes Argument als eine sehr schwere Pflicht. So sagt er: "Mit dem Zweck, die Herde des Herrn zu weiden..." Diese schwere Pflicht hat das Gewissen des einen und des anderen Pontifex belebt, um nicht zu schweigen: "ne canes muti videamur", um keinen stummen Hunden zu ähneln, sagte Paulus IV. Und Pius X.: "Schweigen ist nicht mehr anständig, wenn wir der allerheiligsten unserer Pflichten nicht untreu wollen sein." Diese ureigene Pflicht zeigt sich als Glaubenswahrheit im Magisterium. (Cfr. DS. 2861)
Was die Umstände betrifft, sie sind ähnlich in beiden Fällen. Es geht darum, eine sichere und bevorstehende Gefahr für den Glauben zu beschwören. Aber ich finde auch einen bemerkenswerten Unterschied.
Zu der Zeit von Paulus IV. sind allerdings "die Löwen in der Nähe der Herde herumgegangen", während sie zu der Zeit von Pius X. die Herde überfallen haben, und zwar mit einem Schafpelz verkleidet, der eine Sutane, eine Mitra oder eine Capella sein konnte bzw. war.
Führen wir den Parallelismus fort. Das konkrete, unmittelbare Ziel, das Pius X. vornahm, war, diejenigen zu entlarven, "die dem Irrtum zuneigen, die sich im Geschoß selber und innerhalb des Herzens der Kirche versteckt haben, die für ihren Untergang konspiriert haben, nicht von außen her, sondern von innen her, mit einer desto größeren Gefahr, je gründlicher sie die Kirche kennen."
In jenen Umständen nahm sich hingegen Paulus IV. mit einer erschütternden prophetischen Vision und der höchsten Klugheit der Schlange vor, den Eingang in die Schafgehege den Löwen zu sperren, die damals, wie gesagt, versuchten, sie zu überfallen.
Ich frage mich: War die Invasion zu vermeiden? Allerdings, sollten die klügsten Vorsichtsmaßnahmen der Bulle von Paulus IV. strengstens -"ad unguem", laut der Ordnung von Pius V.- ergriffen worden sein. Es war dagegen in der von Pius X. beschriebenen Situation viel schwieriger den Krebs zu vertilgen, der metastatisch den Kirchenkörper infiziert hatte und Lebensorgange angegriffen hatte.
Das besagt nicht, daß dieser Krebs den Tod der Kirche verursachen kann. Sie kann nicht sterben, denn ihr göttlicher Gründer versprach ihr Fortleben bis zu deren Vollendung. "Die Höllentore werden die Obermacht nicht ergreifen". Aber sie haben sie offensichtlich in eine Agonie versetzt, bis ein göttlicher Eingriff ein Ende dieser Situation macht, indem er ihr ihre ganze Frische zurückerstattet.
Die causa efficiens.
Die Existenz eines Gesetzes hängt vom Willen des gesetzmäßigen Oberen einer Gemeinde ab. Nehmen wir ein Gesetzentwurf an, der ein Rechtskundiger gemacht hat und der optimal ist, das Ziel des gemeinsamen Wohls einer Gemeinde zu erreichen. Dieses Gesetz, das abstrakt als unverbesserlich zu betrachten ist, wird niemals zum Gesetz, solange es der Obere der Gemeinde nicht verkündet. In diesem Falle haben wir das für die Existenz des Gesetzes verlangte Moment: die Verkündigung ("Leges instituuntur cum promulgantur", Kan. 8); die "Iussio publicandi" seitens der gesetzmäßigen Autorität des Papstes Paulus IV. am 15. Februar 1559, wo er die Veröffentlichung (Nummer IX der Bulle) und Verbreitung auf die Art und Weise jener Epoche anordnet, wie es sich in der Bulle von Pius V. "Quo primum tempore" oder in der von Sixtus V. "Postquam versus" zeigt, um nur einige zu erwähnen.
Darüber hinaus, um ihr mehr Nachdruck und Feierlichkeit zu geben, wollte sie Paulus IV. zusammen mit seinen Kardinälen debattieren und in Vereinbarung mit ihnen und mit ihnen im Konsens verfassen, so daß sie ihre Unterschrift darauf prägten. Sie war eine sog. konsistorialische Verfassung, da sie auch von den Kardinälen unterschrieben wurde.
Diese Angabe widerlegt gründlich die Widersacher der Bulle, die darin nur die Laune und Willkür von Paulus IV. sowie eine zügellose Eifersucht sehen wollen. Da das Gesetz eine Verordnung der Vernunft, eine Diktierung der praktischen Vernunft oder eine Anordnung ist, soll es nicht nur rechtsmäßig sein, sondern auch die doppelte Kondition von a) Verbindlichkeit und b) Beständigkeit besitzen.
Mit einem ungewöhnlichen Nachdruck und Kraft vom Anfang bis zum Ende entsteht es nun mit der sträflichen Sanktion des letzten Punktes 10. die Absicht, verbindlich zu sein: "Niemand wird diese Seite übertreten dürfen [...] noch sie mit Tollkühnheit widersprechen. Sollte es aber jemand versuchen, der möge es wissen, er wird unter den Zorn des allmächtigen Gottes geraten..."
Was ihre Beständigkeit betrifft, behauptet sie sich ausdrücklich selbst: "perpetuo observari" (II), sie soll ewig beachtet werden, und "hac nostra in perpetuum valitura constitutione", aufgrund dieser unseren ewig geltenden Verfassung (III).
Ich will bemerken: diese Angabe habe ich bei keinem Autor ausdrücklich gefunden, daß es sich im Grunde genommen um ein unfähig erklärendes und irritierendes Gesetz handelt, wie es sich in den Punkten III., IV. und V. zeigt. Das war das Hauptziel, das sich Paulus IV. vorgenommen hat. Das ist der Leitfaden der Verfassung.
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