Die Nachfolge
von Eberhard Heller
In meinem Artikel "Wo zwei oder drei in Meinem Namen versammelt sind..." (EINSICHT XXXVII/6 vom Dez. 2007, S. 179 ff.) habe ich einen Hinweis darauf gegeben, daß Gott mit dem Ansinnen an Abraham, seinen Sohn zu opfern, eine Seinem Willen, Seinen eigenen Sohn zu opfern als Sühne für die Sünden der Menschen, korrespondierende Bereitschaft, auch selbst zu opfern, gesucht (und gefunden) hat. Dabei war die Situation für Abraham höchst verwirrend. Er sollte seinen Sohn opfern als Garant der Messias-Verheißung, die sich doch in seinem Geschlecht erfüllen sollte? Wie kann nun Gott verlangen, daß die Voraussetzung für die Erfüllung dieser Erlösungs-Verheißung, nämlich die Erhaltung seines Geschlechtes, nun abgebrochen werden sollte? Für Abrahm mußte gleichsam mit dem Sohnes-Opfer auch die Hoffnung auf den Messias sterben. Das Sohnes-Opfer wäre so fast einem Selbst-Opfer gleichgekommen.
Diese Situation der in Sünde gefallenen Menschheit, die der Erlösung harrte, hat auch das Erschei-nen Gottes als Mensch mitbestimmt. Die Erscheinung Gottes als konkrete Person ist das große Wunder! Gott, der absolut in sich, durch sich ist, tritt aus sich heraus, erscheint, erscheint in der konkreten Gestalt des Gott-Menschen. Er wird geboren als Kind aus Maria, der absolut reinen Magd, die wiederum erst ihr "fiat" sprach: "Et incarnatus est de Spiritu Sancto ex Maria Virgine. Et homo factus est." ("Er hat Fleisch angenommen durch den Hl. Geist aus Maria, der Jungfrau, und ist Mensch geworden." - Credo)
Wäre aber auch Gott Mensch geworden, wenn die Menschheit nicht der Erlösung bedurft hätte? Die Theologen kennen die alte Frage: "Cur Deus Homo", "warum ist Gott Mensch geworden", die der hl. Anselm von Canterbury so beantwortet: die Erlösung der gefallenen Menschheit hätte der Inkar-nation bedurft: die Geburt des Gottessohnes in der äußersten Niedrigkeit. Wäre aber auch Gott Mensch geworden, wenn die Menschheit nicht der Erlösung bedurft hätte? Der hl. Dun Scotus und die Mystikerin Maria von Agreda (Die mystische Stadt Gottes) geben die Antwort: Gott wäre auch Mensch geworden, wenn die Menschen nicht in Sünde gefallen wären, denn Gott wollte den ganz konkreten Liebes-Bund mit den Menschen, ohne irgendwelche Bedingungen, die sich an Sein Erscheinen als Mensch geknüpft hätten. Aber dann wäre er wohl auf eine andere Weise zu uns gekommen. Doch Er erscheint einer Welt, die von der Sünde mitgeprägt ist, einer gefallenen Welt, die der Entsühnung bedarf: der Gott-Mensch, Jesus Christus, wird das Selbst-Opfer bringen. Und so erscheint er nicht in Herrlichkeit, sondern als unmündiges Kind in vollkommener Armseligkeit, bloß aller äußeren Herrlichkeit, um die geistig-moralische Armseligkeit, in der sich die Menschen befin-den, mitzutragen. Doch dieses irdische Erscheinen wird überhöht: Epiphanie - die Weisen aus dem Morgenland kommen, um den neu geborenen König der Juden zu besuchen. "Und als sie das Kinde fanden, fielen sie nieder und beteten es an" ("et procidentes adoraverunt eum") Matth. 2,11. Nach den Kirchenvätern haben die Weisen durch innere Belehrung in dem Kind Gott angebetet. Unmün-dig wird seine göttliche Hoheit durch jene der Welt kund gemacht, die dieses Kind in Wahrheit erkannt hatten. Und ihre Geschenke: Gold, Weihrauch und Myrrhe, sind Hinweise auf das messia-nische Königtum.
Die Liturgie rafft das irdische Leben Jesu von der Geburt bis zu seiner Auferstehung wie in einem Zeitraffer zusammen: bei der Beschneidung ist der greise Simeon anwesend, der beim Erscheinen des Kindes ausruft: "... meine Augen schauten Dein Heil..." (Lk. 2,30). Der zwölfjährige Jesus im Tempel - mit 12 waren die Juden religionsmündig - erstaunt die Lehrer wegen seiner Antworten (vgl. Lk. 2, 47) und auch seine Eltern: "Wußtet ihr nicht, daß ich in dem sein muß, was meines Vaters ist", um dann seinen Eltern (bis zu seinem öffentlichen Auftreten) "untertan" (Lk. 2, 51) zu sein, d.h. banal gesagt: um "Hobelspäne aufzukehren". Er verdemütigt sich so zutiefst, um dann bei seiner Taufe als Sohn Gottes verherrlicht zu werden (durch die Herabkunft des Hl. Geistes in der Gestalt einer Taube und durch die Stimme vom Himmel). Dem Opfertod am Karfreitag in äußerster Verlas-senheit folgt der österliche Triumph: "Tod, wo ist dein Stachel?"
Das Erdenleben Christi ist von diesen beiden Linien geprägt: seine göttliche Herrlichkeit, zunächst kund getan durch die Weisen aus dem Morgenland, verbirgt sich in absoluter Verdemütigung, um so die sündige Menschheit anzunehmen: er nahm sie an: unser Sünden als die seinigen, Er der absolut heilige, um sie zu sühnen. Darum sagt der hl. Paulus (2 Kor. 5,21): "Er (...) hat sich zur Sünde gemacht, damit wir zur Gerechtigkeit Gottes werden in ihm." ("Eum (...) pro nobis peccatum fecit, ut nos efficeremur iustitia Dei in ipso.") Um diese Sühne zu leisten, mußte sich Christus in Hoffnung mit allen verbinden, die gesündigt hatten, aber Sein Opfer annehmen würden, und damit ihren, nun verworfenen bösen Willen als seinen tragen. Nicht, als ob Christus sagen könnte: Ich übernehme die Verantwortung für diese Sünden, die ich jedoch nicht gewollt habe. Christus - absolut heilig, abslout sündenlos - mußte sich mit den Sünden der Menschen identifizieren, um sie durch seine Übergüte zu tilgen. (Für H.H. Dr. Katzer war jener Augenblick in Christi Erdenleben der traurigte für ihn, als er im Abendmahlssaale sagte: "Das ist das Blut, das für euch und für viele vergossen wird", wissend, daß nicht alle Sein Opfer annehmen würden.)
Diese beiden Linien - die Hohheit in der Verdemütigung, die Stärke in der Erniedrigung - sollten auch unser Leben bestimmen und gestalten. Am 1. Fastensonntag beschreibt uns die Kirche in der Lesung mit den Worten des hl. Paulus dieses Leben der Nachfolge: "Als Mitarbeiter aber ermahnen wir euch, ihr möchtet nicht vergeblich die Gnade Gottes empfangen (...), sondern in allem erweisen uns als Gottes Diener: in vieler Geduld, in Drangsalen, in Nöten, in Ängsten (...) bei Ehre und Schmach, bei schlechter und guter Nachrede, als Verführer angesehen und doch wahrhaft; als unbekannt und doch bekannt (...), als trauernd und doch stets freudig; als arm und doch viele bereichernd, als Habenichts und doch alles besitzend." (2 Kor. 6,1-10)
Wir sollten in unserer Situation nicht verzweifeln, sondern sie als Prüfung annehmen und in Gott unser Vertrauen setzen, auf seine Barmherzigkeit vertrauen. Allerdings brauchen wir heute den "Atem eines Langstrecken-läufers", um die "Vereinzelung" zu ertragen. In seinem Prolog schreibt der hl. Johannes lapidar: "Er kam in Sein Eigentum, doch die Seinen nahmen ihn nicht auf." (Joh. 1,11) Gehören wir zu denjenigen, die ihn aufnehmen, d.h. Ihm nachfolgen und Seinen Weg gehen, damit wir Anteil an Ihm haben, um "Kinder Gottes zu werden". (Joh. 1,12) |