Ein Mönch, der ein Buch geworden ist
Erinnerung an Anselm Schott O.S.B. (1843-1896)
von
Gerd-Klaus Kaltenbrunner
Eine Legende
Eine altchinesische Legende erzählt von einem Mönch, der ein ungemein
anschauliches Bild gemalt habe. Es zeigte eine weite Landschaft: einen
Weg, von Pflaumenbäumen umsäumt, in der Ferne einen Berg, im Berg eine
von Gebüschen umstandene Höhle. Nachdem der Maler-Mönch das Werk seinen
Brüdern gezeigt hatte, ging er ganz nahe auf das Bild zu, betrat
wunderbarerweise den gemalten Weg, schritt auf ihm immer weiter,
gelangte zunehmend kleiner werdend - zu dem Felsenhang im Hintergrund,
stieg zur Höhle, bückte sich, schlürfte hinein und verschwand darin.
Einige Generationen deutscher Katholiken kennen und lieben den
«Schott», und wer an der unver-ändert gültigen Tridentinischen Messe
festhält, benützt ihn auch heute dankbar wie ehedem. Glücklich preist
sich, wer eine ältere Ausgabe des erstmals 1884 im Herder-Verlag zu
Freiburg erschiene-nen lateinisch-deutschen Meßbuches besitzt. «Schott»
ist zur gesetzlich geschützten Bezeichnung eines Werkes geworden,
ähnlich wie die Namen Brockhaus, Duden, Langenscheidt, Larousse oder
Stowasser. Den wenigsten, welche diese Ausdrücke gebrauchen, wird
bewußt, daß sie - ursprunglich nicht Druckerzeugnisse benannt haben,
sondern Familiennamen gewesen sind. Die Menschen, die so geheißen
haben, sind früher oder später völlig hinter ihre Schöpfungen
zurückgetreten, mit ihren erfolgreichen und folgenreichen Werken
gleichsam eins geworden und verschmolzen - so wie der Maler-Mönch der
alten Legende.
Auch «der Schott», das bekannteste und meistverbreitete Meßbuch in
Mitteleuropa, ist die Leistung eines Mönchs: Anselm Schott, der ist vor
hundertundsieben Jahren am 23. April 1896, am St.-Georgs-Tag, in der
damals von Beuron aus neubesiedelten Abtei Maria Laach im Alter von
nicht einmal dreiundfünfzig Jahren gestorben ist. Daß Schott, ehe er
gleichbedeutend mit dem beliebtesten Meßbuch des deutschen Sprachraums
wurde, der Name eines lebendigen Menschen gewesen ist, daran will
dieses kleine Gedenkblatt erinnern.
Anselm Schott wurde am 5. September 1843 zu Staufeneck in der Pfarrei
Salach im Filstal als drittes von insgesamt sieben Kindern geboren. Der
Kuriosität wegen sei erwähnt, daß er an genau dem gleichen Tag
entbunden wurde, an dem hundertundzehn Jahre zuvor Christoph Martin
Wieland das Licht der Welt erblickt hatte.
Ein Mönchsleben
Schotts Eltern hingen unterschiedlichen Bekenntnissen an. Der Vater,
Eduard Saladin Schott, war evangelischen Glaubens und Pächter eines
Landgutes, das dem Grafen Degenfeld gehörte. Die Mutter Antonie,
geborene Weyland, war die gutkatholische Tochter eines hessischen
Landrichters. Die Erziehung des Sohnes, der bei der Taufe den Namen
Friedrich August erhalten hatte, erfolgte gemäß der Religion der
Mutter, während der Vater ihm bereits vor dem Schulbesuch eine
Ausbildung in den Elementarfächern vermittelte. Von 1852 bis 1861
durchlief Schott die Realschule, dann das Gymnasium in Darmstadt.
Zuletzt unterzog er sich 1862 in Ehingen an der Donau, wo er
abschließend noch ein Semester ins Gymnasium gegangen war, erfolgreich
der «Maturitätsprüfung», also dem Abitur. Im Herbst desselben Jahres
nahm er das Studium der katholischen Theologie an der Universität
Tübingen auf.
1864/65 setzte er es in München fort, wo er unter anderem die
Vorlesungen des bedeutenden Litur-gikers Valentin Thalhofer (1825-1891)
besuchte. Nachdem er 1866 in Tübingen das Hochschulstudium
abgeschlossen hatte, zog Schott im Oktober ins Priesterseminar zu
Rottenburg. Hier empfing er am 10. August 1867 durch Bischof Joseph von
Lipp die Priesterweihe. Der Neupriester feierte am
Mariä-Himmelfahrtstag 1861 seine Primiz in Salach und wurde dann Vikar
in Biberach an der Riß.
Doch schon im Herbst des nächsten Jahres trat er als Postulant in die
Benediktinerabtei St. Martin zu Beuron ein. Am Fest der Himmelfahrt
Christi 1869 wurde Schott in das Noviziat aufgenommen. Bei dieser
Gelegenheit erhielt er den klösterlichen Vornamen Anselm, den er fortan
bis zu seinem Tode trug. Am 6. Juni 1870 - es war Pfingstmontag - legte
Schott die einfachen, am Dreifaltigkeitssonntag des Jahres 1873 die
ewigen Gelübde ab, also die feierliche Verpflichtung auf die
Ordensregel des Heiligen Benedikt. Wie so viele deutsche Klöster war
auch das ehrwürdige Chorherrenstift Beuron im Gefolge des ruchlosen
«Reichsdeputationshauptschlusses» von 1803 jahrzehntelang säkularisiert
gewesen. Nachdem es zeitweise als Militärhospital und Unterkunft für
Staatsbeamte gedient hatte, vollzog sich um 1870 die Wiederauferstehung
mönchischen Lebens unter der Leitung der beiden 1862 hier angekommenen
Brüder Maurus Wolter (1825-1890) und Placidus Wolter (1828-1908),
zweier rheinländischer Bendiktiner, die zuvor in Rom gewesen waren.
Doch als im sogenannten Kulturkampf die katholischen Orden und
Kongregationen (mit Ausnahme der kran-kenpflegerischen) von dem
obrigkeitsstaatlich-autoritären Reichskanzler Bismarck und den ihm
botsmäßigen deutschen Liberalisten für aufgehoben erklärt wurden
(1875), mußten die Beuroner Benediktiner das eben erst instandgesetzte
Kloster im Donautal wieder verlassen.
Anselm Schott zog nach Maredsous in Belgien, wo 1872 mit Hilfe der
katholischen Verlegerfamilie Desclée ein Tochterkloster von Beuron
gegründet worden war. Hier wirkte der deutsche Ordensgeistliche bis
1881 als Subprior und Brüderinstruktor. In enger Zusammenarbeit mit dem
Liturgiker Suitbert Bäumer (1845-1894), einem der theologischen Berater
des in Tournai niedergelassenen Verlags Desclée, machte er sich um die
Neuherausgabe des «Missale monasticum» und «Breviarium monasticum» der
Benediktiner verdient. Darüber hinaus besorgte er eine Neuauflage des
die Quellen und Traditionen christlichen Mönchtums zusammenfassenden
Grundlagenwerks «Praecipua Ordinis monastica Elementa» von Maurus
Wolter. Bedeutsam wurde für Schott auch die Begegnung mit Gérard van
Caloen, der 1882 das «Missel des Fidèles» herausgab, ein Volksmeßbuch
in französischer Sprache. Es wurde ihm Anregung, Vorbild und
Inspiration.
Von Maredsous ging Anselm Schott nach Prag. Die dortige
Benediktinerabtei Emaus, eine Grün-dung des böhmischen Königs und
römisch-deutschen Kaisers Karl IV., war nun von dem österreichischen
Kaiser Franz Joseph (1848-1916) großzügigerweise den aus Beuron
vertriebenen Ordensmännern übergeben worden. Auch hier unterstützte
Schott seine Mitbrüder beim Aufbau dieses Tochterklosters. Von Emaus
aus nahm er erste Tuchfühlung mit dem Verlag Herder in Freiburg im
Breisgau auf. In seinem entscheidenden Brief vom 28. Juni 1883,
gerichtet an den Verleger Benja-min Herder, skizzierte er den Plan
einer deutschsprachigen Entsprechung zu dem «Missel des Fidèles», das
der spätere Abt Gérard van Caloen geschaffen hatte. Es sollte ein
Gegenstück dazu sein, nicht aber eine Imitation. Schott betonte
insbesondere, daß er «mehr Rücksicht auf die liturgischen Erklärungen»
nehmen und dabei auch aus dem Werk «L'année liturgique» des
Wiederbegründers und Abtes von Solesmes Prosper Guéranger (1805-1876)
schöpfen wolle. Schott trachtete zwar nicht etwas völlig Neues, doch
immerhin etwas Eigenes zu schaffen. Im Hinblick auf die deutschen
Verhältnisse sei ein rechter Ausgleich zwischen Übersetzung der
lateinischen Texte und ihrer Erklärung anzustreben. Das Werk sei in
erster Linie für die Laien bestimmt, denen die Mitfeier der heiligen
Messe ermöglicht werden solle. Das Meßbuch sollte deshalb dem
«praktischen» Gebrauch entgegenkommen; damit das «Einstecken und
Mitnehmen» beim Kirchgang leicht falle, sollte es kleinformatig sein.
Als die erste Auflage 1884 bei Herder erschien und, wie es in den
Beuroner Annalen heißt, «in der Öffentlichkeit und in Freundeskreisen
vielfache Anerkennung und auch guten Absatz» fand, befand sich Anselm
Schott nicht mehr in Emaus, sondern in Seckau in der Steiermark. Hier
hatte sich bis zur Aufhebung durch Joseph II. ein
Augustinerchorherrenstift befunden. Die Beuroner Benediktiner erwarben
1883 das eine romanische Kirche mit spätgotischem Sternrippengewölbe
und ein barockes Stiftsgebäude mit herrlicher Bibliothek umfassende
Klostergut. Abermals wirkte Schott hier als Subprior der
benediktinischen Neugründung (von 1883 bis 1891). Außerdem lehrte er an
der dem Kloster angeschlossenen Ordensschule Kirchengeschichte und
Moraltheologie. Nachdem die Beuroner Mönche 1887 wieder in ihre
angestammte Abtei zurückkehren durften, kehrte auch Schott 1891 in das
Mutterkloster zurück.
Doch schon im darauffolgenden Jahr wurde er nach Maria Laach entsandt.
Auch dieses ehrwürdige Stift wurde nunmehr von Beuron aus neu
besiedelt. Wie schon in Beuron und Seckau wirkte Schott abermals als
Lektor der Moraltheologie für die Ausbildung des geistlichen
Nachwuchses. In Maria Laach kam bei ihm eine schwere, unheilbare
Krankheit zum Ausbruch; die Indizien berechtigen zu der Vermutung, daß
es sich um Krebs gehandelt habe. Knapp ein halbes Jahr vor seinem
dreiundfünfzigsten Geburtstag ist Anselm Schott, als erster der
Gründermönche, in Maria Laach gestorben, wo er in der Gruft der
St.-Nikolaus-Kapelle bestattet wurde. Im Nachruf heißt es: «Was ihn,
wie sein ganzes Leben hindurch, so auch während seiner Leidenszeit ganz
besonders charakterisierte, war seine Liebe und Dankbarkeit. Für alles,
auch die geringsten und kleinsten Dienstleistungen, hatte er ein gutes
Wort.» Stille und gütige Wesensart, Gemütstiefe, Wohlwollen und
hervorragende Geistesgaben rühmten ihm alle nach, die ihn gekannt
hatten.
Der Lebenslauf des Benediktiners Anselm Schott mutet auf den ersten
Blick nicht gerade ordensregelmäßig an, wenn wir ihn dem überlieferten
monastischen Grundsatz stabilitas loci - der Festigkeit des Ortes -
gegenüberstellen. Doch nicht persönliche Ruhelosigkeit, Wandersucht
oder Abenteuerlust ließen ihn von Beuron nach Belgien, dann nach dem
damals noch zu Großösterreich gehörenden Böhmen, hierauf nach der
Steiermark, dann wieder nach Beuron und schließlich nach Maria Laach
aufbrechen, sondern einerseits die Drangsal des von Bismarck und den
deutschen Liberalisten entfesselten Kampfes der Staatsmacht gegen die
Katholische Kirche, andererseits der Gehorsam gegenüber den
Ordensoberen, die den hochbegabten, überall Vertrauen und Wertschätzung
genießenden Mönch hintereinander in drei neue oder erneuerte Abteien
entsandten. Trotz des mehrfachen Wechsels von Kloster zu Kloster, trotz
seiner vielfachen Tätigkeit als Ausbilder jüngerer Nachfoger St.
Benedikts, als Katechet, Exerzitienmeister, Prediger und Volksselsorger
war Anselm Schott eine in sich ruhende und harmonische Natur, erfüllt
von gesunder Frömmigkeit und einer das gesamte Leben durchdringenden
Grundhaltung liturgischer Objektivität. Der innere Friede, den er
ursprünglich für immer in Beuron zu finden erhofft hatte, wohnte in ihm
selbst, alle Versetzungen und Entsendungen bruchlos überdauernd. Die
sprichwörtliche pax benedictina begleitete ihn wie ein getreuer
Schutzengel überallhin, wo er auftragsgemäß zu wirken hatte, so daß er
einmal mit demütigem Stolz sagen konnte: «Überall bin ich zu
Hause, überall bin ich bekannt.» Wie sehr sollte sich dieses Wort nach
seinem Tode vollends prophetisch bewahrheiten!
Ein Meßbuch
Neben dem lateinisch-deutschen «Meßbuch der heiligen Kirche», das
überdies eine grundlegende Einführung in das Zentrum des christlichen
Kultes, liturgische Erklärungen und mehr oder weniger umfangreiche
Kommentare zu allen kirchlichen Festen, sogar Kürzestangaben über Leben
und Tod der jeweiligen Tagesheiligen enthält, hat Schott im Jahre 1893
ein ebenfalls lateinisch-deutsches Vesperbuch auf der Grundlage des
mönchischen Breviers mit dem Bemerken herausgegeben: «Bei der
unverkennbar im Wachsen begriffenen liturgischen Bewegung des
katholischen Deutschlands dürfte ein derartiges Buch manchen in etwa
dienlich sein, welche sich an die liturgische Andacht der Kirche
anschließen wollen.» Allen Gläubigen sollte es dadurch möglich sein,
dem Chorgebet der Ordensleute verstehend beizuwohnen und das private
Beten durch Ausrichtung auf Psalter und Hymnodie der Ecclesia orans zu
veredeln.
Während das Vesperbuch letztmals 1923 erschienen ist, hat das Meßbuch
eine ungeheure Verbreitung erlangt, die auch heute noch nicht
abgeschlossen ist - jedenfalls in Kreisen glaubenstreuer Katholiken,
die sich nicht mit modernistischem Talmiglanz abspeisen lassen. «Der
Schott», wie das Missale alsbald volkstümlich genannt wurde,
überflügelte alle anderen liturgischen Hilfsmittel für Laien in weitem
Abstand. Die ersten vier Auflagen konnte noch der Namensgeber selbst
besorgen; die weiteren wurden von Romuald Munz, Pius Bihlmeyer,
Sebastian Gögler und anderen Beuroner Benediktinern betreut. Wohl
widerfuhren dem Buch im Laufe der Jahrzehnte verschiedene
Überarbeitungen und Erneuerungen. Gekürzte und erweiterte Ausgaben
kamen heraus. Auf Kinder, Schü-ler und ältere Menschen wurde Rücksicht
genommen. Der Schott erschien in Blindenschrift, als Taschenbuch, mit
und ohne Kyriale. Jahr um Jahr folgten einander neue Auflagen. Als der
Erste Weltkrieg begann, 1914, lag der Schott in neunter, als der Zweite
Weltkrieg zu Ende war, in fünfzigster Auflage vor. Zu Beginn des
Zweiten Vatikanischen Konzils war, wenn ich richtig gezählt habe, die
sechzigste Auflage im Buchhandel erhältlich. Weit über eine halbe
Million Exemplare waren weithin gestreut. Darin sind nicht enthalten
die verschiedenen, teilweise ebenfalls in zahlreichen Auflagen
erschienenen Sonderausgaben («Römisches Sonntagsmeßbuch», «Kleines
Laienmeßbuch», «Oremus!», «Volks-Schott», «Mein erstes Meßbuch», «Zum
Altare Gottes will ich treten»).
Ein Klassiker
So sehr sich der Kreis der Benutzer erweiterte und die Gestaltung
entsprechend variierte, so wenig änderte sich an der von Anselm Schott
ein für alle Male vorgegebenen Grundgestalt des liturgischen
Hauptbuches. Es wurde ein «Klassiker» in des Wortes mehrfacher
Bedeutung. Denn was ist ein Klassiker anderes als ein Buch, von dem man
nie sagt «Ich lese gerade darin...», sondern normalerweise: «Ich lese
immer wieder darin»? Was ist ein Klassiker anderes als ein Buch, das
für diejenigen, die es liebend lesen und lesend lieben, einen
unausschöpfbaren Reichtum verkörpert? Und zählt nicht zu den Klassikern
ein Buch, das unser Leben und Denken, unsere Gesinnung und sogar unsere
Träume unauslöschlich geprägt hat? Wir können uns sogar erkühnen, mit
Italo Calvino zu behaupten: Ein Klassiker ist ein Buch, das nicht bloß
Unterhaltung und irgendwelche Kenntnisse vermittelt, sondern uns die
Wirklichkeit in neuem Lichte zu zeigen vermag. Jeder Klassiker ist ein
Universum. Wer darin lebt und webt, hat seinen ihm gemäßen Ort
gefunden. Klassiker sagen uns, wo wir stehen, wo wir Halt finden, wo
wir zu Hause sind. Klassiker stiften Identität. Ein Klassiker läßt uns
nie kalt. Ein Klassiker kann nie ausgelesen werden. Und klassischen
Ranges ist ein Buch, welches imstande ist, den Lärm des zufällig gerade
Aktuellen zum Verstummen zu bringen, zumindest zu einem piepsenden oder
glucksenden Hintergrundgeräusch herabzustufen.
Allen diesen Maßstäben genügt «der Schott», der für Abertausende
Katholiken - Männer und Frauen, Jugendliche und Erwachsene, Laien und
Kleriker - zum eisernen Bestand geworden ist, unabdingbar für jeden
Kirchenbesuch, für die Feier der Sonntage und Heiligenfeste, für das
lebendige Mitschwingen mit dem sowohl erhabenen als auch erhebenden
Rhythmus des Kirchenjahres. Wenn Romano Guardini später von einem
«Erwachen der Kirche in den Seelen» sprechen konnte, so hat Anselm
Schotts Volksmeßbuch dazu in höchstem Maße beigetragen und insbesondere
auch der Forderung des heiligen Papstes Pius X. schon im voraus
entsprochen: tätige Anteilnahme der Gläubigen an den Mysterien des
Christentums, deren höchstes das Meßopfer ist, entsprechend der Losung
«Nicht bloß während oder in der Messe beten, sondern die Messe selbst
als Höchstgebet beten.» Bis auf den heutigen Tag gibt es, jedenfalls im
gesamten deutschen Sprachraum, außer dem heiligen Benedikt keinen
einzigen Benediktiner, dessen Name in so hohem Grade bekannt geworden
ist wie der von Schott. Anders als bei Benedikt, der dank der
köstlichen Lebensbeschreibung durch Gregor den Großen als eine von
liebenswürdigen Legenden umspielte Gestalt vor unserem geistigen Auge
aufragt, ist «der Schott» für die allermeisten zuvörderst ein Buch, ja
das Meßbuch schlechthin, der wichtigste religiöse Gebrauchsgegenstand.
Nur die wenigsten sehen, wenn der Name Schott fällt, das
unverwechselbare Antlitz eines Priesters, Mönchs und Theologen, der in
Belgien, Österreich, Böhmen und im Rheinland segensreich gewirkt hat.
Es scheint statthaft, ähnlich wie wir von der Menschwerdung Gottes
sprechen, im Hinblick auf Anselm Schotts postumes Schicksal von der
Buchwerdung eines gläubigen Menschen zu reden. Der Beuroner ging ein in
ein Buch. Und in welch ein Buch ging er demütig ein! Er verschwand in
einem Buch, welches das vollständige Kirchenjahr Tag für Tag
vergegenwärtigt, das, anders als das bürgerlich-profane Jahr, nicht
pfeilgleich entschwindet, sondern als ein Kreis aus Kreisen die
Ewigkeit abbildlich vorwegnimmt. Er ging selig unter in den Blättern
eines heiligen Buches, das sozusagen den kultischen Extrakt aus Bibel
und Tradition darstellt, dessen älteste Texte auf Moses, David und
Isaias zurückgehen.
Eine Grundausstattung
Glücklich preise sich, wer eine Ausgabe dieses Buches sein eigen nennt
und mit ihm umzugehen versteht! In ihrem schönen Bekenntnis-, Heimat-,
Bildungs- und Eheroman «Ein Wunder geworden für viele» gedenkt die
österreichische Dichterin Anna von Huldenburg-Nádasdy eben dieses
klassischen Kleinods kirchlicher, ganz und gar gottesdienstlicher
Literatur. Auf die blasierte Frage eines dünkelhaften
Zeitungsschreibers, welche Menschen denn am glücklichsten seien, gibt
die (mit der glaubenstreuen Autorin wohl weitestgehend wesensgleiche)
Hauptgestalt des leider viel zu wenig gelesenen Romans die erstaunliche
Antwort:
«Das ist ein junges Mädchen von vierzehn oder auch siebzehn Jahren,
wenn es, rein und unschuldig, nichts besitzt, weder einen Schrank, noch
eine Truhe, sondern genügsam nur die unterste Schublade der Truhe ihrer
Mutter benutzt, um darin die ganze Herrlichkeit seiner kleinen
Heiligtümer zu bergen: das Taufkleid, ein Wallfahrtsandenken aus
Mariahilf und den Schott. In einem gewissen Alter ist am glücklichsten,
wer nicht mehr besitzt und braucht, als was in einer gewöhnlichen
Schublade leicht Platz findet.»
Diese heutzutage unvermeidlich etwas weltfremd tönenden Worte Anna von
Huldenburgs sind ein nachzitternder weiblicher Widerhall der männlich
kräftigen Sätze, mit denen Anselm Schott vor hundertneunzehn Jahren die
Erstausgabe seines Laienmissales den Lesern anvertraut hat: «Durch die
heutige Liturgie», sagt Abt Guéranger, «strömt der Geist und das Leben
Christi Jahr für Jahr in seinen mystischen Leib, die Kirche, und in
alle seine Glieder, die mit Andacht und Verständnis sie mitfeiern.»
Legt ja der Heilige Geist selbst der Kirche ihr Verlangen, ihre Bitten,
ihre Lobgesänge in den Mund; er selbst betet in ihr und mit ihr, und
darum ist das Gebet der Kirche so ehrwürdig, so vortrefflich, Gott so
angenehm, so wirksam. Glücklich jene, die mit der Kirche beten, in
ihrer Andacht an sie sich anschließen! Ihr Gebet wird für sie eine
Leuchte des Geistes, ein Herd geistiger Wärme und Liebe, ein liebliches
und kräftiges Manna für die Seele. Möge an allen, die dieses Buches
sich bedienen, das Wort der Heiligen Schrift sich erfüllen: «Ihr werdet
mit Freuden schöpfen aus den Quellen des Heilands», das ist :aus dem
liturgischen Borne seiner heiligen Kirche, «ut in omnibus glorificetur
Deus - auf das in allem Gott verherrlicht werde!»
Anschrift des Autors:
Gerd-Klaus Kaltenbrunner
Im Ölmättle 12
D - 79400 Kandern
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