Für die Einheit der Kirche
- Brief der hl. Katharina von Siena an die drei italienischen Kardinäle
Peter Corsini/Florenz, Simon von Borsano/Mailand
und Jakob Orsini aus Rom -
eingeleitet von
Eberhard Heller
Vorwort der Redaktion:
Wenn man nach Persönlichkeiten sucht, die durch ihren heroischen
Einsatz das Schicksal der Kirche als Heilsinstitution, und besonders
das ihrer Einheit, mitbestimmt haben, die darüber hinaus in ihrem
Engagement für schier unlösbare Probleme vorbildhaft auch für unsere
ins Sektiererhafte ausufernde Situation sind, stößt man sehr rasch auf
die hl. Katharina von Siena. Nicht umsonst wurde sie deswegen von Pius
IX. 1866 zur 2. Patronin Roms erklärt. 1)
Als 25. Kind der Familie Benincasa am 25.3.1347 in Siena geboren, legte
sie bereits mit 7 Jahren das Gelübde der Keuschheit ab, trat nach
10-jähriger harter Prüfung und gegen den Widerstand ihrer Familie 1364
in den Dritten Orden des hl. Dominikus ein. Im Herbst 1370 erlebt sie
ihren "mystischen Tod", der zum Wendepunkt ihres bis dahin streng
kontemplativen Lebens wird.
Vier Stunden lang hält man sie für tot. In diesem Zustand zeigt ihr
Gott die Herrlichkeit der Heiligen, die Hölle und das Fegfeuer. Sie hat
das Erlebnis der mystischen Hochzeit mit Christus, wobei der
angesteckte Ring bleibt, aber nur für sie sichtbar. Sie kehrt ins Leben
zurück mit dem klaren göttlichen Auftrag zum Apostolat, das nicht nur
der Sorge um die Seelen gewidmet sein soll, sondern auch die Beratung
und Unterstützung, aber auch die teilweise beißende Kritik weltlicher
und geistlicher Führer beinhaltete. "Ich werde dich den Päpsten
vorstellen, denen, die die Kirche leiten. Denn ich will meiner
Gewohnheit gemäß mit dem, was schwach ist, den Stolz der Starken
zuschanden machen." 2)
Im Schutz des Schwarzen Mantels, der "Mantellate", und unter
körperlichen Kasteiungen beginnt sie ihr Apostolat in ihrer
Geburtsstadt mit karitativen Tätigkeiten. Aufopfernd pflegt sie 1374
die Pestkranken Sienas. Durch Visionen, durch immerwährende Ekstasen,
Levitationen und durch zahlreiche Wunder wächst ihr Ansehen in der
Stadt rasch. Die Gabe der Herzensschau läßt sie Einblick nehmen in die
geistigen Nöte ihrer Mitmenschen. Durch ihr Eingehen bekehren sich auch
die größten Sünder. Der Kreis ihrer Anhänger wächst stetig. Aber ihr
außergewöhnliches Leben, ihr wachsender Einfluß auf das öffentliche
Leben erregen Mißgunst unter ihren Mitschwestern. Der Streit wird 1374
vor dem Generalkapitel des Ordens in Florenz mit ihrer Rechtfertigung
beendet. Inzwischen suchen Geistliche und weltliche Führer ihren Rat.
Sie selbst beginnt von sich aus, durch briefliche Kontakte Einfluß auf
das kirchliche und politische Leben zu nehmen, das gerade in den
damaligen Wirren eng miteinander verflochten war. 3) Im päpstlichen
Auftrag nimmt sie 1376 - im Alter von gerade einmal 29 Jahren! -
Friedensverhandlungen in Florenz auf, die sie zwei Jahre später
erfolgreich abschließen kann.
Ihr ganz besonderes Augenmerk gilt dem Wohl der Kirche. Unter der
klugen Anleitung ihres Beichtvaters, Raymondo da Capua, eines der
gelehrtesten Männer der italienischen Ordensprovinz, ist sie mit 29
Jahren mit den kirchen-politischen Fragen und Problemen ihrer Zeit
vertraut, die voll politischer und kirchlicher Wirren war. Sie war von
Gott zu einer dreifachen kirchlichen Sendung beauftragt worden:
Heimholung des Papsttums aus dem avignonesischen Exil,
sittlich-religiöse Reform der Kirche und der Kampf gegen das 1378
ausbrechende "Große abendländische Schisma", das erst durch das
Konstanzer Konzil (1414-1417) beendet wurde. Papst Gregor XI.
residierte noch in Avignon. Seine Rückkehr nach Rom ist ihrem
Engagement zu verdanken. 4) Und warum setzt sich Katharina für die
Rückkehr des Papsttums nach Rom ein? Weil Avignon nicht der wahre Sitz
des Papstes sein konnte, weil es den sittlichen Zerfall von Kirche und
Hierarchie bedeutete, und d.h. für Katharina die Bedrohung des Heils,
das in Christi Blut fließt.
Und warum kämpft sie so verbissen gegen das "Große abendländische
Schisma" (verursacht durch die Wahl des Gegenpapstes Klemens VII.) und
für die Rechte des Papstes Urban VI. und damit gegen die Zerreißung des
mystischen Leibes, den die Kirche darstellt? Weil sie im Papst - und
das ist für sie zweifellos Urban VI. 5) - den "Christus auf Erden" 6)
sieht, den "Zugang zum Blute Christi", ohne das uns kein Heil zukommt.
Der Abfall Westeuropas und Süditaliens zum Gegenpapst Klemens VII.
bedeutet für sie die Gefährdung unzähliger Seelen. An Nikolaus
Soderini, einem der Prioren von Florenz, der zu den wenigen dortigen
Politikern zählte, die auf eine aufrichtige Aussöhnung mit dem Papst
hinarbeitete, schrieb sie im Februar 1376:
"Es bleibt also nichts, als mit Eifer die Hilfe Gottes zu erbitten: von
seinem Stellvertreter! Denn Gott hat seine Schlüssel in dessen Hände
gelegt. Vor diesem Pförtner heißt es deswegen das Haupt beugen. Denn
was er löst, ist gelöst, und was er bindet, ist gebunden [Mt 16, 19].
So stark ist dieser Stellvertreter Gottes, so groß seine Kraft und
seine Macht, daß er das Tor zum ewigen Leben öffnen und schließen kann.
Und da wollen wir faulende Glieder, wir aufständische Kinder so töricht
sein, gegen ihn uns zu erheben? Wir sehen doch, daß wir ohne ihn
ohnmächtig sind! Wenn du gegen die Kirche bist, wie willst du dann am
Blute des Gottessohnes teilhaben? Denn die Kirche ist ja Christus
selbst. Er schenkt uns seine Sakramente, die uns das Leben geben, weil
sie es aus dem Blute Christi haben. Denn bevor uns dieses Blut
geschenkt ward, gab es nichts, uns das ewige Leben zu ermöglichen. Und
wir sollten so verwegen sein, dieses Blut zu verachten? Du sagst, du
verachtest das Blut nicht. Das ist nicht wahr! Wer den Stellvertreter
Christi mißachtet, mißachtet das Blut. Wer gegen den einen ist, ist
gegen das andere. Denn die beiden gehören zusammen. Wenn man einen Leib
verletzt, wie kann man behaupten, dessen Blut nicht treffen zu wollen?
Weißt du denn nicht, daß die Kirche ein mystischer Leib ist mit dem
Blut Christi in sich?" 7)
Wie war es zum "Großen abendländische Schisma" gekommen? Überraschend
war am 27.3.1378 Papst Gregor XI. gestorben, der gerade einmal ein Jahr
in Rom residiert hatte. Das mehrheitlich französische
Kardinalskollegium war in Italien wegen seines habgierigen Verhaltens
gründlich verhaßt - die avignonesischen Legaten in Italien hatte
Katharina als "stinkende Blumen im Garten der Kirche" bezeichnet. Darum
verlangt das Volk einen Römer, zumindest aber einen Italiener als
nächsten Papst.
Am 7. April 1378 begann das Konklave unter Tumult. Banden brachen in
den Sitzungssaal ein. Nur mühsam wurden die Eingänge zugemauert. Man
einigte sich noch am Morgen auf einen Italiener als neuen Papst:
Bartholomäus Prignano, den Erzbischof von Bari und seit Gregors XI.
Rückkehr nach Rom Leiter der päpstlichen Kanzlei, der nach der Wahl den
Namen Urban VI. annimmt. Die besonderen Umstände bei der Erhebung
warfen bald die Frage auf, ob die Wahl frei - und damit gültig - war
oder ob sie unter Zwang zustande kam. Das Problem war höchst brisant,
liegt doch hier die Wurzel für das später entstandene Schisma, das noch
durch das ungeschickte Verhalten Urbans begünstigt wurde. 8)
Tatsache ist, daß zumindest vier Kardinäle ohne äußeren Druck frei
gewählt haben. Etwaige Beden-ken gegen die Gültigkeit der Wahl wurden
durch die Kardinäle selbst entkräftet, indem sie ihr Einspruchsrecht
gegen die Rechtmäßigkeit verwirkten, indem alle, auch die 6 in Avignon
zurückgebliebenen Kardinäle Urban 3 Monate lang als rechtmäßigen Papst
anerkannten. Erst als Urban in unklugem Reformeifer die Kardinäle
verletzend behandelte bzw. Züge eines eher abnormalen Verhaltens
durchblicken ließ und durch neue Kardinals-Ernennungen das Übergewicht
der franz. Kardinäle zu brechen drohte, zogen sich die französischen
Kardinäle im Laufe des Juni 1378 "aus Gesundheitsrücksichten" aus Rom
nach Anagni zurück, wo 13 ultramontane Kardinäle am 2. und 9.8.1378 die
Wahl Urbans für unfrei und ungültig erklärten und am 20.9.1378 zu
Fondi den Kard. Robert von Genf als Klemens VII. zum Gegenpapst wählten
9) - unter stillschweigendem Zusehen der drei italienischen Kardinäle -
Peter Corsini/Florenz, Simon von Borsano/Mailand und Jakob Orsini aus
Rom -, die den übrigen am 26.7.1378 aus Rom nachgefolgt waren. (Der
vierte, Kard. Tebaldeschi lag derweil im Sterben.)
Auch wenn Katharina Urbans Verhalten später selbst kritisiert - so
schreibt sie etwa im März/April 1379 an ihn: "Ach heiligster Vater
(...) arbeiten Sie mit männlicher Kraft, in der Stille und mit Maß,
nicht maßlos, sondern wohlwollend und ruhigen Herzens. Denn das Tun
ohne Maß verwüstet mehr, als es ordnet" 10) - so hat sie doch nie an der
Rechtmäßigkeit seiner Wahl gezweifelt. Ihr tiefster Schmerz gilt der
Zerfleischung der Kirche durch das Schisma. Den dadurch der Kirche und
ihrer Einheit zugefügten Schaden wird sie den Kardinälen nicht
verzeihen, was sich in allen Briefen bis zu ihrem Tod am 29.4.1380
manifestiert. Von diesem Schmerz über den Verlust der Einheit der
Kirche zeugt auch der folgende Brief an die drei italienischen
Kardinäle, den sie nach der Wahl des Gegenpapstes ca. im Oktober 1378
geschrieben hat. 11)
* * *
Katharina von Siena an drei italienische Kardinäle
Im Namen des gekreuzigten Jesus Christus und U. L. Frau!
Teuerste Brüder und Väter in Christus Jesus! Ich, Katharina, Dienerin
und Magd der Diener Jesu Christi, schreibe Euch in Seinem kostbaren
Blut.
Ich möchte Euch zum wahren, vollkommenen Licht zurückkehren sehen.
Möchtet Ihr doch Eure Finsternis und Blindheit abtun. Dann würdet Ihr
wieder meine Väter sein, sonst aber nicht. Denn Väter kann ich Euch nur
nennen, wenn Ihr Euch vom Tode trennt und zum Leben zurückkehrt.
Augenblicklich habt Ihr ja das Leben der Gnade von Euch getan. Denn Ihr
seid Glieder, die vom Haupte abgeschnitten sind, von dem Ihr doch das
Leben empfangen habt. Kehrt zurück zum Leben, zur Einheit im Glauben
und zum vollkommenen Gehorsam gegen Papst Urban VI. Zu dessen Obödienz
gehören alle, die erleuchtet sind und deshalb die Wahrheit kennen und
sie lieben. Was man nicht sieht, kann man nicht erkennen und folglich
auch nicht lieben. Und wer seinen Schöpfer nicht liebt und fürchtet,
ist in Eigenliebe befangen und hängt in sinnlicher Lust an den
Vergnügen, Ehren und Reichtümern der Welt. In Liebe geschaffen kann der
Mensch nicht leben ohne Liebe. Entweder liebt er Gott oder aber sich
selbst und die Welt in todbringender Liebe. Sein ganzes Denken ist dann
auf diese vergänglichen Dinge gerichtet! Verblendet durch seine
Eigenliebe ist er unfähig, das Wahre und Gute zu erkennen. Nur für die
Lüge ist er zugänglich, denn er ist ja ohne Licht. Besäße er es, so
würde er klar erkennen, wie ihm aus seiner sinnlichen Liebe nur Pein
und ewiger Tod ersteht. Ein Vorgeschmack und eine Bürgschaft auf die
Hölle schon in diesem Leben! Denn wer sich und die Dinge der Welt
ungeordnet liebt, wird sich selbst unerträglich.
Welche Verblendung des Menschen! Siehst du denn nicht, Unglückseliger,
wie alles veränderlich, voll von Elend, häßlich und ohne allen Wert
ist, was du für bleibend und wurzelfest, für liebens-ert, schön und
trefflich hältst? Zwar nicht wegen der Geschöpflichkeit an sich, da
alles von Gott, dem höchsten Gut, geschaffen ist, sondern durch
die maßlose Anhänglichkeit, mit der du an ihnen hängst. Wie schwankend
sind doch Reichtum und Ehre der Welt, wenn sie einer ohne Gott, das
heißt ohne Gottesfurcht, besitzt. Heute reich und mächtig, morgen arm!
Wie häßlich ist doch unser Leib und sein Leben! Ein einziger Ekel,
geradezu ein Sack voll Schmutz, den Würmern und dem Tode zum Fraß
gegeben! Das Leben und die Schönheit der Jugend gehen vorbei wie die
Anmut einer gepflück-ten Blume. Niemand vermag all die Schönheit
zurückzuholen und zu erhalten. Sie fällt dahin, wann es dem ewigen
Richter gefällt, die Blüte des Lebens zu pflücken. Und niemand weiß um
das Wann.
Unglücklicher, die Finsternis deiner Eigenliebe macht dich blind gegen
diese Wahrheit. Du nähmest sonst lieber alle Pein auf dich, als ein
solches Leben zu führen, wie du es tust. Und gäbest es lieber hin, um
liebend nach dem zu verlangen, der ist. Mit Entschlossenheit würdest du
die Wahrheit verkosten und dich nicht wie das Blatt im Winde drehen. Du
würdest deinem Schöpfer dienen und nur in ihm die Dinge lieben und
außer ihm nichts. Wie wird der Mensch an der Grenze des Todes wegen
seiner Blindheit hergenommen werden, und gar jener, den Gott aus dem
Kot der Welt gezogen und zur höchsten Würde berief, die man sich denken
kann, zum Verwalter am Blut des demütigen, unbefleckten Lammes!
Ach, wohin seid Ihr gekommen, da Ihr die Verpflichtung Eurer Würde
nicht erfüllt habt? Ihr wart berufen, Euch an der Brust der heiligen
Kirche zu nähren, um duftende Blumen in diesem Garten zu sein. Ihr wart
bestellt zu Säulen, um das schwankende Schifflein und den
Stellvertreter Christi auf Erden zu stützen. Als ein Licht wurdet Ihr
auf den Leuchter gestellt, um den gläubigen Christen zu leuchten und
den Glauben zu verbreiten. Ihr werdet schon wissen, ob Ihr all das
erfüllt habt. Leider nicht, denn Eure Selbstsucht hat Euch die Einsicht
geraubt. Aufrichtig gesagt, in den Garten der Kirche wurdet Ihr
gepflanzt, um Licht und Kraft zu verbreiten und das Vorbild eines
heiligen Lebens. Hättet Ihr diese Pflicht erkannt, Ihr hättet sie
geliebt und sie angezogen wie ein Gewand. Und wo ist Euer Dank für
diese Braut, die Euch an ihrem Herzen genährt hat? Ich erblicke nichts
als Undank. Undank, der alle Frömmigkeit versiegen ließ. Was beweist
mir Euren Undank, Ihr feigen Mietlinge? Ihr verfolgt ja die Kirche, wo
Ihr doch wie ein Schild den Schlägen der Spaltung widerstehen müßtet!
Und dabei kennt Ihr genau die Wahrheit, daß Papst Urban VI. der wahre
Papst ist, legitim gewählt zum Summus Pontifex, nicht in Furcht.
Wahrhaftig eher durch göttliche Fügung als durch Euer eigenes Dazutun!
Ihr selbst habt es uns verkündet. Und heute habt Ihr den Rücken
ge-kehrt, Ihr feigen, erbärmlichen Ritter. Euer eigener Schatten hat
Euch Furcht eingejagt. Die Wahrheit, die stark macht, habt Ihr
verlassen, um zur Lüge zu stoßen, die Leib und Seele schwächt und ihnen
zeitliche und geistliche Gnaden raubt. Was ist der tiefste Grund für
Euer Verhalten? Das Gift der Selbstsucht, das die ganze Welt verseucht
hat. Sie hat aus Euch Strohhalme gemacht, Ihr Säulen! Nicht duftende
Blumen seid Ihr, sondern Gestank, der die ganze Welt verpestet. Nicht
Leuchten, um den Glauben zu verbreiten. Ihr habt Euer Licht unter den
Scheffel des Stolzes gestellt. Nicht Mehrer des Glaubens seid Ihr,
sondem als seine schändlichen Feinde verbreitet Ihr Finsternis in Euch
und andern. Engel auf Erden solltet Ihr sein, um uns vor dem höllischen
Teufel zu retten und die verirrten Schafe zur heiligen Kirche
zurückzuführen. Nun seid Ihr selber Teufel geworden! Ja Teufel, da Ihr
Eure Bosheit auch uns eingeben und uns dem Christus auf Erden
abspenstig machen und dem Antichrist zuführen wollt, dem Werkzeug
Satans! Und Ihr seid es, nicht weniger, solange Ihr dieser Spaltung
anhängt.
Eure Verblendung stammt nicht aus Unkenntnis. Auch seid Ihr nicht von
Menschen falsch unterrichtet worden. Ihr kennt die Wahrheit. Ihr habt
sie uns verkündet, nicht umgekehrt wir Euch. Was seid Ihr doch für
Toren! Uns brachtet Ihr die Wahrheit, und Ihr hängt der Lüge an! Heute
wollt Ihr diese Wahrheit verbiegen und uns das Gegenteil weismachen.
Ihr sagt, Ihr hättet Urban aus Angst zum Papst gewählt. Das ist nicht
wahr! Wer das sagt, lügt wider sein besseres Wissen. Ich kann nicht
ehrerbietig zu Euch sprechen, da Ihr selbst Euch der Ehrfurcht begeben
habt! Denn der, den Ihr aus Furcht gewählt habt, war der Kardinal von
St. Peter, für jeden klar, der sehen wollte. 12)
Ihr entgegnet mir vielleicht: «Warum glaubst du es nicht? Wir haben die
Wahl vorgenommen! Wir wissen es also besser als du.» Hier meine
Antwort: Ihr selbst habt den Gegenbeweis geliefert, daß Ihr es gar oft
mit der Wahrheit nicht genau nehmt und daß ich Euch nicht glauben darf,
Urban VI. sei nicht der rechtmäßige Papst. Wenn ich Euer Leben
betrachte, erblicke ich leider nicht viel Gutes und Heiliges, um
annehmen zu können, Ihr hättet jetzt erst der Lüge aus Gewissensbissen
den Rücken gekehrt. Der klarste Beweis für Euren ungeordneten
Lebenswandel ist mir Eure Spaltung! In Ordnung war nur Eure Wahl. Wir
wissen, daß sie rechtmäßig, nicht aus Angst, geschah. Das Ergebnis
Eurer Angst, das war der Kardinal von St. Peter. Der Beweis dafür, daß
Ihr den Erzbischof Bartholomäus von Bari, den heutigen Papst Urban VI.,
in rechtmäßiger Wahl erhobet? Die Feierlichkeit, mit der Ihr ihn
kröntet! Die Ehrfurcht, mit der Ihr ihn kröntet! Die Gunstbeweise, um
die Ihr ihn batet, und die Ihr in vollem Maß genossen habt. Das könnt
Ihr einfach nicht leugnen, außer durch Lügen. 13)
Ihr Toren! Tausendmal habt Ihr den Tod verdient. in Eurer Blindheit
seht Ihr Eure eigene Bosheit nicht. Ihr seid so verwirrt, daß Ihr Euch
selber als Lügner und Götzendiener hinstellt. Wenn es wahr wäre, was
Ihr jetzt sagt, es ist nicht wahr! Ich bekenne es noch einmal laut, daß
Urban VI. der rechtmäßige Papst ist - hättet Ihr nicht damals
gelogen, da man ihn als angeblichen Papst verkündete? Und hättet Ihr
nicht damals Ehrfurcht geheuchelt, ihn als den Christus auf Erden
verehrend? Habt Ihr denn damals nicht Simonie getrieben, um unerlaubt
Pfründen von ihm zu erbitten und zu genießen? Ohne Zweifel! Jetzt hat
man einen Gegenpapst aufgestellt. Ihr habt mitgeholfen. Euer Handeln
hat das nach außen jedenfalls erwiesen. Denn Ihr habt jenen Ort nicht
verlassen, als die fleischgewordenen Teufel den Teufel 14) wählten.
Ihr könntet vielleicht sagen: «Wir haben an der Wahl nicht
teilgenornmen.» Ich weiß nicht, ob ich es glauben soll. Denn ich glaube
kaum, daß Ihr Euch dort eingefunden hättet, wenn Euer Leben auf dem
Spiel gestanden hätte 15). Jedenfalls habt Ihr geschwiegen und habt nicht
protestiert, weil Ihr Euch dazu angeblich für unzuständig hieltet. All
das läßt es mich allerdings annehmen. Wenn Ihr vielleicht der Absicht
nach auch weniger gefehlt haben mögt als die andern, habt Ihr doch
schlecht gehandelt wie die andern. Was kann ich da sagen? Nur eines:
Wer nicht für die Wahrheit ist, ist gegen sie. Wer damals nicht für den
Christus auf Erden, den Papst Urban VI. war, der war gegen ihn. Darum
sage ich Euch, Ihr seid mit dem Gegenpapst mitschuldig. Und ich kann
nur sagen, daß man ein Glied des Teufels gewählt hat. Wäre er ein Glied
Christi gewesen, hätte er lieber den Tod auf sich genommen, als dieser
Untat beizustimmen. Denn er kennt die Wahrheit und kann sich nicht mit
Unkenntnis entschuldigen. Mt diesem Teufel begeht auch Ihr all diese
Verbrechen: Ihr anerkennt ihn als Papst, obwohl er es in Wirklichkeit
nicht ist, erweist ihm unerlaubte Ehrfurcht. Ihr habt Euch vom Lichte
getrennt, um in die Finsternis zu geben; von der Wahrheit, um der Lüge
anzuhangen. Ich mag die Sache betrachten, wie ich will: ich finde
nichts als Lügen. Ihr habt ein göttliches Strafgericht verdient. Es
wird wahrhaftig über Euch kommen - ich sage Euch das, um mein Gewissen
zu entlasten -, wenn Ihr nicht in echter Demut zum Gehorsam zurückkehrt.
Welch furchtbares Elend! Welch furchtbare Verblendung, die das eigene
Unglück und den Schaden an Leib und Seele nicht erkennen läßt. Hättet
Ihr es erkannt, wäret Ihr wohl nicht so leichtsinnig in knechtischer
Furcht von der Wahrheit abgewichen und hättet Euch nicht so
leidenschaftlich und stolz gezeigt, als Menschen, die gewohnt sind,
ihre Laune nach den Freuden und Genüssen der Welt zu richten. Ihr
mochtet die Rüge Eures augenblicklichen Verhaltens nicht ertragen, ja
rebelliertet sogar wegen eines bitteren Tadels. Das ist der Grund Eures
Abfalls! Die Sachlage ist so klar! Denn bevor der Christus auf Erden
anfing, Euch zuzusetzen, habt Ihr ihn als Stellvertreter Christi
anerkannt und verehrt. Aber Eure letzte todbringende Frucht zeugt, was
für Bäume Ihr seid: Bäume im Garten der Hoffart, die Eurer Eigenliebe
entspringt, die ihrerseits Euch das Licht der Vernunft geraubt hat.
Ach, bei der Liebe Gottes, macht nicht so weiter! Rettet Euch durch
demütige Unterwerfung unter die mächtige Hand Gottes und seines
Stellvertreters, solange Euch die Zeit dazu noch gewährt bleibt. Denn
nachher gibt es kein Heilmittel mehr. Erkennt Eure Schuld, damit Ihr
demütig werdet und die unendliche Güte Gottes erkennt, weil er der Erde
nicht befohlen hat, Euch zu verschlingen, noch den Raubtieren, Euch zu
zerreißen, vielmehr Euch Zeit gelassen hat, Euch zu bessern. Wenn Ihr
aber nicht zu dieser Einsicht kommt, wird Euch die angebotene Gnade zum
Gerichte werden. Möchtet Ihr doch in den Schafstall zurückkehren und
Euch wieder nähren am Herzen der Braut Christi! Ihr werdet vom Christus
im Himmel und vom Christus auf Erden in Barmherzigkeit aufgenommen
trotz der begangenen Gottlosigkeit. Ich bitte Euch, zögert nicht
länger! Löckt nicht gegen den Stachel des Gewissens, das Euch ja, ich
weiß es, beständig quält. Laßt Euch nicht zu sehr den Geist verwirren
wegen Eures Vergehens, so daß Ihr voll Scham und Verzweiflung Euer Heil
aufgebt, weil Ihr meint, keine Rettung mehr finden zu können. Nein,
handelt nicht so, sondern faßt Hoffnung in lebendigem Glauben an Euren
Schöpfer! Kehrt demütig zurück unter Euer Joch! Denn es wäre schlimm,
zuletzt noch die Sünde der Verhärtung und Verzweiflung zu begehen, Gott
und Welt noch mehr zum Abscheu. Steht also auf! Greift nach dem Licht!
Denn ohne das Licht würdet Ihr wie bisher in Finsternis wandeln.
So erwog meine Seele, daß wir ohne Licht die Wahrheit nicht erkennen
und lieben können. Deshalb schrieb ich Euch von meinem sehnsüchtigen
Verlangen, Euch der Finsternis entrissen und zum Licht zurückgekehrt zu
sehen. Dieses mein Verlangen gilt zwar für alle Menschen, aber in
besonderem Maß für Euch drei. Denn über Euren Abfall bin ich viel mehr
erstaunt als über den der andern und empfinde darüber den größten
Schmerz. Wenn auch alle vom Vater sich trennten, Ihr wart verpflichtet,
ihm als Söhne beizustehen und Euch zur Wahrheit zu bekennen. Auch wenn
der Vater Euch immer nur getadelt hätte, durftet Ihr nie Seine
Heiligkeit verleugnen und Euch zu Führern des Abfalls machen. Auch vom
natürlichen Standpunkt aus - denn vom übernatürlichen aus sind wir ja
alle gleich -, aber rein menschlich gesprochen ist der Christus auf
Erden Italiener und Ihr seid doch auch Italie-ner. Die Leidenschaft zum
Vaterland konnte also für Euch nicht in Frage kommen wie bei den
Ultramontanen. Ich sehe also keinen andern Grund als Eure Eigenliebe.
Zügelt sie endlich und wartet nicht auf die Zeit! Sie wartet auch nicht
auf Euch. Zertretet diese Sucht voll Haß gegen das Laster und Liebe zur
Tugend!
Kehrt also um und zögert nicht, bis die Zuchtrute der göttlichen
Gerechtigkeit Euch erreicht! Denn den Händen Gottes können wir nicht
entrinnen. Wir sind seiner Hand verfallen, sei es seiner Gerechtigkeit
oder aber seiner Barmherzigkeit. Da ist es dann besser für uns, unsere
Sünden zu bekennen und so den Händen seiner Barmherzigkeit zu
verfallen, als in der Sünde zu verharren und unter die Faust seiner
Gerechtigkeit zu kommen. Denn unsere Sünden bleiben nicht unbestraft,
vor allem nicht die Sünden gegen die heilige Kirche.
So will ich die Last auf mich nehmen, Euch unter Tränen und ständigem
Gebet vor Gott hinzutragen und zusammen mit Euch Eure Buße zu tragen,
wenn Ihr nur zum Vater zurückkehren wolltet, der Euch als wahrer Vater
erwartet mit weiten Armen der Barmherzigkeit. Um Gottes willen fliehet
nicht vor ihr und weichet ihr nicht aus! Nehmt sie demütig an! Glaubt
nicht den tückischen Ratgebern, die Euch dem Tode überliefert haben.
Ach meine süßen Brüder! Ihr werdet das nur für mich sein, so Ihr zur
Wahrheit zurückkehrt, widersteht nicht länger den Tränen und dem
Angstschweiß, den die Diener Gottes um Euch vergießen, so daß Ihr vom
Kopfe bis zu den Füßen darin baden könntet. Weist Ihr sie von Euch und
verachtet Ihr ihr angstvolles und schmerzliches Verlangen, so wird das
Gericht noch viel härter werden für Euch. Fürchtet Gott und sein
Gericht! Ich hoffe von seiner unendlichen Güte, daß er an Euch das
Verlangen seiner Diener erfüllen wird.
Laßt es Euch nicht lästig fallen, wenn ich Euch mit Worten zusetze.
Denn die Sehnsucht nach Eurer Rettung hat sie mich schreiben lassen.
Ich möchte es viel lieber mündlich und persönlich tun, wenn Gott es mir
gestattete. Sein Wille geschehe! Überdies verdient Ihr eher, daß man
Euch mit Taten zusetze, denn mit Worten. Ich mache nun Schluß und sage
nichts mehr. Ginge es nach meinem Willen, ich würde noch nicht
aufhören: so sehr ist mein Herz von Schmerz und Trauer erfüllt, wenn es
die Verblendung jener sieht, die doch zu Leuchten gesetzt sind. Denn
sie sind nicht wie Schafe, die sich an der Ehre Gottes, dem Heil der
Seelen und der Reform der heiligen Kirche nähren, sondern wie Diebe,
die Gott die geschuldete Ehre stehlen, um« sie sich selber zu geben.
Und sind Wölfe, die die Schafe zerreißen. Das ist meine große
Bitternis. Ich flehe Euch an um jenes kostbaren Blutes willen, das mit
brennender Liebe für Euch vergossen ward, schenkt meiner Seele, die um
Euer Heil bangt, Erquickung!
Mehr sage ich nicht. Verharrt in der süßen, heiligen Liebe Gottes!
Wascht Euch rein im Blut des unbefleckten Lammes. Dann werdet Ihr alle
Menschenfurcht verlieren und erleuchtet in der heiligen Furcht
verbleiben. Jesus die Süßigkeit, Jesus die Liebe!
Anmerkungen:
1) gest. 29.4.1380, kanonisiert durch Pius II. 1461.
2) Vgl. Katharina von Siena: "Politische Briefe" übertragen von Ferdinand Strobel, Einsiedeln - Köln 1944, S. 16.
3) Von Katharina sind 375 Briefe, teils im ekstatischen Zustand
diktiert, teils selbst geschrieben, überliefert. - Neben den Briefen
gehört das "Zwiegespräche mit Gott" (Libro della divina Dottrina, oder
"Dialogo della divina Providenza" genannt) zu Katharinas literarischen
Hinterlassenschaften; entstanden 1378; der "Dialog" ist eine Summe
dessen, was Katharina von Gott mitgeteilt bekam. (dt. Ausgabe:
Catharina von Siena: "Gespräch von Gottes Vorsehung" Einsiedeln 1964)
4) Die drohende Ankündigung der hl. Brigitta von Schweden, Gregor
werde, wenn er nicht nach Rom zurückkehren würde, nach seiner
weltlichen auch seine geistliche Macht verlieren - eine Warnung, die
auch von Katharina wiederholt wurde, ließ beim Papst den Entschluß
reifen, seine Rückkehr nach Rom zu betreiben. Schon im Mai 1372 hatte
Gregor seine Übersiedlung von Avignon nach Rom angekündigt, auch wegen
der kirchlichen Mißstände in Italien. Katharina hatte ihm geschrieben:
"Da seht, wie sie hausen, diese avignonesischen Legaten, diese
stinkenden Blumen im Garten der Kirche! Durch ihre Unsittlichkeit und
Habgier verpesten sie den Leib der Kirche und bringen sie in Gefahr.
Großes Unheil für die Kirche in Italien steht bevor. Um Gottes willen,
kommen Sie zurück, Heiliger Vater!" (Vgl. Katharina von Siena:
"Politische Briefe", S. 22) Wegen verschiedener Schwierigkeiten
verzögert sich doch die Abreise. Erst am 13.9.1376 verläßt Gregor XI. -
und mit ihm das Papsttum - Avignon, um über Genua, Livorno und Correto
(5.12.1376) nach Rom zu reisen, wo er am 17.1.1377 seinen feierlichen
Einzug hält.
5) Urban VI. (Bartholomäus Prignano, * um 1318 zu Neapel, + 15.10.1389
in Rom) Kanoniker in Neapel, 1363 Erzbischof von Acerenza, 1377 von
Bari. Seit Gregors XI. Rückkehr nach Rom Leiter der päpst-lichen
Kanzlei, der letzte Papst, der nicht aus dem Kardinalskollegium gewählt
wurde. Am 8.4.1378 zum Papst gewählt, am 18.4.1378 gekrönt. Erst als
Urban in unklugem Reformeifer die Kardinäle ver-letzend behandelte,
wählten diese am 20.9.1378 zu Fondi den Kard. Robert von Genf als
Klemens VII. zum Gegenpapst. Beginn des großen abendländischen
Schismas. Seinen Kardinälen, die ihn im Zusam-menhang mit politischen
Streitigkeiten unter Kuratel stellen wollten, kam er zuvor, indem er 6
verhaften, foltern und 5 davon 1385 hinrichten ließ.
6) wie sie im April 1376 an die Signorie von Florenz schreibt; vgl. "Politische Briefe", S.144.
7) Vgl. Katharina von Siena: "Politische Briefe", S.138.
8) Die Klärung dieser Frage ist auch in der Kirchengeschichtsforschung
umstritten. Während Freiherr Lud-wig von Pastor, der Verfasser der
"Geschichte der Päpste" (1. Bd., Freiburg 1926) die Wahl für gültig
an-sieht, bleibt die Frage nach der Gültigkeit bei Michael Seidlmayer
("Die Anfänge des großen abendlän-dischen Schismas" Münster 1940)
offen. Auch für Franz Xv. Seppelt ("Geschichte des Papsttums" Bd. 4:
"Das Papsttum im Mittelalter und in der Zeit der Renaissance
(1294-1534), Leipzig 1941" bestehen schwere Bedenken bezüglich der
Gültigkeit der Wahl (S. 193).
9) Klemens VII. (Robert von Genf) *1342 zu Genf, + 16.9.1394,
1359 Apost. Protonotar, 1361 Bischof von Thérouanne, 1368 Erzbischof
von Cambrai, 1371 Kardinal, 1376-78 Legat in Oberitalien, wo er eine
Erhebung in Florenz grausam niederwarf. Am 20.9.1378 zu Fondi von
franz. Kardinälen als Gegenpapst gegen Urban VI. gewählt, nachdem sie
dessen Wahl für ungültig erklärt hatten. Da er sich in Italien nicht
halten konnte, zog er sich 1379 nach Avignon zurück.
10) Vgl. Katharina von Siena: "Politische Briefe", S.198.
11) Ferdinand Strobel, der Katharina von Siena: "Politische Briefe"
übertragen hat, deutet ihre Mission wäh-rend des Pontifkats von Urban
VI. so: "Offenbar war sie von Gott nicht dazu ausersehen, die
furchtbare Gefahr des Schismas zu beschwören oder die ausgebrochene
Spaltung wieder rückgängig zu machen. (...) Der Historiker wird die
Bedeutung des Briefwechsels ihrer zwei letzten Lebensjahre anderswo
sehen: in der Erwerbung einer genügenden Anhängerschaft für die
rechtmäßige, römische Papstlinie und in der Sicherung ihres
Fortbestandes, bis endlich wieder ein gemeinsamer Hirte die Kirche
lenken konnte. Mit anderen Worten: diese letzten Briefe der Heiligen
stehen im Dienste der Erhaltung der ununterbrochenen apostolischen
Sukzession durch die wirren Jahrzehnte des Großen Schismas." (Vgl.
Katharina von Siena: "Politische Briefe", S.175.)
12) Vor der Bekanntgabe des Wahlergebnisses kam es noch zu einem
denkwürdigen Zwischenfall. Auf das Geschrei der bewaffneten Volksmenge
"Wir wollen einen Römer!", verfielen einige Kardinäle in ihrer Angst
auf die Idee, den alten Kardinal von St. Peter, den Römer Tebaldesci
als gewählten Papst vor-zustellen und ihn unter allgemeinem Tumult zu
inthronisieren. Die Kardinäle benutzten die Verwirrung zur raschen
Flucht. Bald danach wurde aber klar, daß es sich um eine Farce
gehandelt hatte. Die Wahl Prignanos wurde vom Volk akzeptiert.
13) In der Tat protestierte nach der Wahl niemand, niemand erklärte sie
für nichtig. Jeder tat, als ob die Wahl gültig erfolgt sei, weswegen
die Behauptung, die Wahl sei aus Furcht erfolgt, als Ausrede angesehen
wurde, um die Wahl eines Gegenpapstes zu rechtfertigen. Nach der am 8.
April 1378 erfolgten Wahl wurden unter Urban seine Krönung
durchgeführt, Konsistorien abgehalten, Benefizien verliehen.
Seidel-mayer schreibt dazu: "Diese Handlungen können in keiner Weise
mehr durch Furcht und Zwang erklärt werden. Alles, was die Kardinäle
später diesbezüglich vorbrachten, kann man nur als peinliche Ausreden
werten, die oft ein beschämendes von Verantwortungslosigkeit und
Leichtfertigkeit aufdecken." (Vgl. "Peter de Luna (Benedikt XIII.) und
die Entstehung des großen abendländischen Schismas" in: "Gesam-melte
Aufsätze zur Kulturgeschichte Spaniens" Bd. 4, Münster 1933, S. 223)
14) gemeint ist Klemens VII.
15) D.h. Ihr hättet wohl für Eure angebliche Überzeugung kaum das Leben gewagt.
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