HEILLOSE VERWIRRUNG
von H.H. Pfarrer Alois Aßmayr
Die Artikel bezüglich des Verhaltens von Erzbischof Lefèbvre in der April-Nummer der EINSICHT haben ganz unterschiedliche Reaktionen ausgelöst, von dankbarer Zustimmung bis hin zu offener Empörung und Zorn. An mich gelangen Briefe, die um ein klärendes Wort in dieser Verwirrung unter den Freunden und Anhängern von Erzb. Lefèbvre bitten. Eine angenehme Aufgabe ist das für mich ja nicht, wenn ich diese Stellungnahme für die Öffentlichkeit abgebe, da ich mir bewußt bin, daß ich damit manchen Freunden von ihm, die vielfach auch meine Freunde sind, weh tun werde. In dieser Lage befinde ich mich als Seelsorger aber oft, da ich häufiger etwas sagen muß, was manchem weh tut. Nun, ich bin halt gewohnt zu reden wie ich denke - oder zu schweigen. Anders reden als man denkt, heißt man lügen.
Zunächst eine Feststellung: Auf die Redaktion der EINSICHT habe ich nie einen Einfluß ausgeübt, und ich übe auch heute keinen auf sie aus. Dann: Ich bin kein Anhänger von Erzb. Lefèbvre, d.h.: meine Haltung hängt nicht von der Haltung Mgr. Lefèbvres ab, da ich schon 1973 in Anwesenheit des Bischofs (von Innsbruck) und ca. 3o Priestern aus der Diözese offen erklärt habe, daß ich den Weg, den heute die Kirche geht, nicht gehen kann, da es der reinste Modernismus ist , von dem Pius X. sagt, daß er das Sammelbecken aller Häresien sei und nicht nur die kath., sondern jede Religion zerstöre, was wir ja heute sehen. Damals wußte ich von Erzb. Lefèbvre überhaupt noch nichts. Erst 1974 wurde mir seine Rede, die er in Brest gehalten hatte, durch die EINSICHT bekannt, und ich habe mich herzlich gefreut, daß wenigstens ein Bischof offen die kath. Religion und die kath. Kirche verteidigt. Ich habe seitdem mehrere seiner Predigten und auch einige seiner Schriften gelesen. Ich teilte seinen Standpunkt und hatte volles Vertrauen zu ihm.
Den ersten Riß darein hat mir seine Audienz bei Paul VI. gegeben, und zwar in erster Linie die Bitte, daß ihm die Erziehung rechtgläubiger Priester in Ecône und die alte Messe gestattet sei. Noch mehr schockiert hat mich der Brief von Mgr. Lefèbvre an Joh. Paul II. um Weihnachten 1978. Das stimmt doch mit seiner übrigen Haltung nicht überein. Da die heutige (Reformer)Kirche nicht mehr katho-lisch, sondern durch und durch modernistisch ist, kann ich von ihr doch nicht um so etwas bitten, sonst erkenne ich sie ja als rechtmäßig an. Ich erinnere da an das Verhalten der hl. Katharina von Siena zur Zeit Urban VI., von dem die Kardinale nach seiner Wahl Gnaden erbeten haben - und ihn damit als rechtmäßig gewählten Papst anerkannt hatten -, dann aber, als er ihnen zu streng war, behauptet haben, Urban VI. sei nicht Papst, und einen neuen Papst gewählt haben. Katharina nannte diese Kardinale eingefleischte Teufel.
Einerseits erkennt nun Erzbischof Lefèbvre die heutige Kirche auch nicht mehr als katholisch an - und sie ist es wirklich schon lange nicht mehr. Sie ist modernistisch durch und durch. Darum kümmert sich der Erzb. auch nicht um ihre Bestimmungen und handelt danach, was folgerichtig ist.
Andererseits aber anerkennt er sie dann doch wieder, indem er von ihr Gnaden erbittet, um die er nicht zu bitten brauchte und auch gar nicht bitten dürfte! Denn so erkennt er die Autorität dieser (Reform)Kirche doch wieder an. Wenn er sie aber anerkennt, dürfte er nicht das tun, was er tut, sondern müßte den Weisungen aus Rom gehorchen. Wenn er sie nicht anerkennt, dann dürfte er aber auch nicht um Erlaubnisse und Vergünstigungen bitten. Das stimmt einfach nicht zusammen.
Erzbischof Lefèbvre hat die neue "Messe" nie für ungültig erklärt. Wenn sie aber nicht ungültig ist, ist sie notwendigerweise gültig. Der Wert jeder gültigen Messe ist unendlich. Aber mehr als unend-lich kann die (alte) Messe ja auch nicht sein. Warum wehren wir uns dann so energisch gegen die neue Messe und gründen unter so vielen Opfern Meßzentren, und warum fahren dann so viele von uns so weite Strecken, um zu einer alten Messe zu kommen? Das wäre doch alles überflüssig, wenn auch die neue Messe gültig wäre. Ähnlich ist es bei den anderen Sakramenten, besonders bei der Priester- und Bischofsweihe. Wenn sie nur zweifelhaft gültig sind, dürfen wir sie nicht nehmen, weil man bei den Sakramenten immer den sicheren Weg gehen muß - und nicht nur kann.
Wie aber können uns Modernisten (Freimaurer) und Protestanten eine gültige Messe bescheren? Die neue Messe soll ja katholisch und zugleich protestantisch sein. Das aber ist ein Unding.
Wenn aber die neuen Sakramente, besonders wieder die Priester- und Bischofsweihe zweifelsfrei gültig wären, dann wären wir auch auf Mgr. Lefèbvre nicht angewiesen. Wenn sie aber nicht gültig sind (oder nur zweifelhaft gültig sind), dann darf ich sie nicht benützen, da man bei der Spendung der Sakramente, wie gesagt, den sicheren Weg gehen muß.
Erzb. Lefèbvre firmt ohne weiteres Firmlinge, die schon von einem anderen Bischof gefirmt sind; er muß also die neue Firmung mindestens für zweifelhaft gültig halten. (Ähnlich ist man einst mit der Taufe der Protestanten verfahren.)
Dann ist da noch das II. Vat. "Konzil" ins Auge zu fassen, auf dem die Liberalen die Macht an sich gerissen haben; es ist also in meinen Augen ein Freimaurer-Konzil, was die Freimaurer ja auch zugeben. Ihre Ideen wurden da weitgehend berücksichtigt. Es ist daher für einen Katholiken unan-nehmbar. Dazu kommen noch die nachfolgenden "Reformen", die vielfach wiederum mit diesem Konzil noch in Widerspruch stehen. Darüber hat Erzb. Lefèbvre ja mehreres gesprochen und geschrieben.
Nun, er ist nur bereit, dieses Konzil anzuerkennen, soweit es nicht mit der Tradition in Widerspruch steht. Ich kann Mgr. daher in dieser Hinsicht nicht tadeln. Nach meiner Meinung aber gehört das ganze Vat. II. genauso auf den Index wie einst Bücher, die falsche Lehren enthielten. Auch die Bücher, die auf den Index kamen, haben häufig viel Gutes und Wahres enthalten, ebenso auch das Vat. II. Das meiste aber vom Wahren, was es enthält, ist durchwegs nicht neu. Die Verheerungen aber, die es angerichtet hat und immer noch anrichtet, sprechen eine deutliche Sprache. Und daß Joh. Paul II. wieder einen Erzfreimaurer zum Kard.-Staatssekretär ernannt hat, ist wohl auch ein Zeichen dafür, wer heute die Kirche regiert, aber auch, wer für die heutigen Zustände in erster Linie verantwortlich ist.
Dies ist, kurz gefaßt, meine Einstellung. Daß ich überzeugt bin, daß sie richtig ist, ist wohl selbst-verständlich. Man wird daher wohl auch verstehen, daß ich Erzb. Lefèbvre nicht mehr folgen kann, so sehr ich ihn sonst schätze, seine Mühen und Verdienste anerkenne. Übrigens hat er sich immer geweigert, die Führung der noch Rechtgläubigen zu übernehmen. Er ist daher weder mein Vor-gesetzter, noch ich sein Untergebener, und wir haben uns beide nichts dreinzureden. Erzb. Lefèbvre betrachtet sich nur als Oberer seiner Bruderschaft. Durch seine vielen Reisen, Predigten und Schriften hat er sich eine Menge Freunde und Anhänger erworben, die er ja braucht. Man hat auf ihn große Hoffnungen gesetzt und ihm das volle Vertrauen geschenkt.
Nun aber sind viele wegen seiner Haltung weitgehend enttäuscht, fühlen sich betrogen, wenn nicht gar irre geführt. Man hat ja schon so viele Enttäuschungen erlebt und erlebt sie immer wieder, so daß die Gefahr groß ist, daß man überhaupt niemandem mehr traut und trauen kann. Und das würde sich sehr schlimm auf die noch verbliebenen gläubigen Katholiken auswirken, und in der Tat wirkt es sich wirklich aus. Mgr. Lefèbvre trägt daher eine Verantwortung, die nicht nur ihn angeht. Darum rede ich.
Wie sollen wir uns nun ihm gegenüber verhalten? Dem Erzbischof in den Rücken fallen? Ich bin nicht dieser Meinung. Freundestreue muß schon etwas vertragen und darf nicht bei der kleinsten Prüfung schon in Trümmer gehen. Zum mindesten können wir abwarten, wie die Angelegenheit weiter geht. Wer macht nicht selber auch Fehler? Wohl kann ich, wie gesagt, dem Erzbischof in den genannten Fällen nicht mehr folgen, ich bin aber deshalb durchaus kein Gegner, noch weniger ein Feind von ihm. Übrigens muß ein Freund sich vom Freunde wahre Fehler sagen lassen, ohne ihm dafür böse zu sein, sonst ist die Freundschaft ohnehin nichts wert und kann ruhig in die Brücke gehen.
Auch in der Reform-Kirche ist heute Heuchelei und Doppelzüngigkeit gang und gäbe. Ich hasse beides. Schön und fromm reden können und tun alle. Ich liebe Aufrichtigkeit und Gradheit. Damit stößt man freilich oft an, man macht sich mehr Feinde als Freunde. Aber die wirklichen Freunde sind ja immer selten gewesen, und heute erst recht. Aber verlassen kann man sich im Notfalle doch nur auf diese. Ich stehe auf dem Standpunkt: man soll immer wissen, wie man mit mir dran ist , ich möchte aber auch wissen, wie ich mit einem anderen dran bin. Ich glaube, daß Erzbischof Lefèbvre nicht mehr verrissen und angefeindet würde, wenn er den geraden Weg ginge. Ich wenigstens kann mir nicht vorstellen, was bei einer Verhandlung mit dem freimaurerischen Rom Vernünftiges und Gutes herauskommen kann. Die Zukunft wird es ja zeigen.
Daß neben der Wahrheit auch die Lüge und der Irrtum existiert, ist eine Tatsache, ich fürchte sogar, daß mehr Lüge als Wahrheit existiert in dieser gottlosen Welt. Trotzdem kann die Wahrheit die Lüge, die Unwahrheit, nie anerkennen und umgekehrt. Darum werden sich diese beiden immer im Kriegs-zustand befinden, und daher ist eine friedliche Ko-Existenz eine Utopie, gelinde gesagt. So ist die Bitte des Erzbischofs, vorsichtig ausgedrückt, auch eine Utopie. Das ist so ähnlich, wie wenn die Wahrheit die Irrlehre bittet, auch existieren zu dürfen. Wie "friedlich" die Wahrheit neben der Lüge existieren kann (und wie lange!), zeigen uns die kommunistischen Länder, in denen die Atheisten die Macht in Händen haben. Versprochen haben sie die Duldung der Religion zuerst ja alle, sie haben sogar das Recht auf freie Religionsausübung in die Verfassung aufgenommen. Doch wie schaut die Wirklichkeit aus, wenn die Lüge einmal die Macht in Händen hält?! Mehr muß ich über die friedliche Koexistenz wohl nicht sagen.
Wer die betreffenden Artikel in der EINSICHT unvoreingenommen liest und auch die angegebenen Belege beachtet, kann den Schreibern mit Recht nicht Mangel an Tatsachen- und Sachkenntnis vorwerfen. Daß manchem "Anhänger" von Erzbisschof Lefèbvre die Feststellungen der EINSICHT sehr unangenehm sind, kann man schon verstehen, ändert aber nichts an ihrer Wahrheit. Auch für mich, und sicher auch für die EINSICHT, ist diese Feststellung alles eher als eine Freude. Aber wohl mit mehr Recht kann man den Kritikern Mangel an Wahrheitsliebe, wenn nicht Fanatismus vorwerfen. Denn in der Haltung des Erzbischofs stimmt manches nicht zusammen. Darum haben auch nicht die Artikel in der EINSICHT Schuld an der Verwirrung, sondern das widersprüchliche Verhalten von Mgr. in gewissen Fragen; vielfach aber sind die Leser selbst schuld an ihrer Verwirrung, da sie diese Tatsache nicht wahrhaben wollen.
Was ist nun in dieser trostlosen Lage der noch gläubigen Katholiken zu tun? Einmal: seinen Glauben nicht von der Haltung einer Person abhängig machen, sonst werden wir immer wieder Enttäuschun-gen erleben. Unser Glaube gilt Gott und Seiner Kirche. Daher müssen wir bei dem bleiben, was die Kirche immer gelehrt und getan hat.
Besonders wichtig aber ist, daß wir uns stets anstrengen, auch nach dem Glauben zu leben (!), was durchaus keine leichte Sache ist. Daß es damit durchaus nicht gut bestellt ist, ist allseits bekannt. Jeder muß bei sich selber anfangen.
Dann aber sollen wir unser Vertrauen auf den Herrn setzen. Wir glauben doch an die Liebe Gottes zu uns Menschen, die Er uns doch so reichlich bewiesen hat. Wir glauben ebenso an Seine Macht und Weisheit, und daß Er alles lenkt und leitet. Nichts geschieht, ohne daß Er es will oder nur zuläßt. Dann muß uns aber auch alles zum Heile gereichen, wenn wir uns entsprechend benehmen und ver-halten. Um aber das zu können, gibt uns der Herr immer die entsprechenden Gnaden. Wir brauchen nur darum zu bitten. Oft gibt Er sie uns schon, ohne daß wir darum gebeten haben. Also, eifrig sein im Beten! Aber dann die Hände nicht in den Schoß legen!
Wenn man uns die Hl. Messe, ja sogar die anderen Sakramente, selbst die Priester und Bischöfe nimmt, so brauchen wir trotzdem nicht zu verzagen. Die Taufe und das Gebet kann man uns wohl nicht nehmen. Der Herr gibt uns dann die nötigen Gnaden auf einem anderen Wege. Wir müssen es halt machen wie die Christen in den kommunistischen Ländern. Ihr Durchhalten und ihr Zeugnis sollte uns, denen noch alle Gnadenmittel zur Verfügung stehen, beschämen. Wir brauchen also nie verzagt sein; wohl aber werden wir noch mehr gezwungen werden, das christliche Leben immer ernster zu nehmen, besonders das Gebot der Liebe, auch gegen unsere Feinde. Denn auch sie sind nur Werkzeuge in der Hand Gottes. Wohl können wir auch ihnen manchmal energisch, manchmal sogar zornig die Wahrheit sagen - wie der Herr den Juden oder Stephanus dem Hohen Rate, wo ja auch die Liebe, und nicht Haß noch Rache, dahinter stand.
Wenn gute Eltern sehen müssen, wie ihre Kinder schon in der Schule in alle Laster eingeführt und verdorben werden, und auch noch die heranwachsende Jugend, dann ist der Zorn gegen die Schul-digen berechtigt, steht doch die echte Liebe der guten Eltern dahinter, die neben den Kindern in erster Linie die Folgen zu spüren bekommen und sie tragen müssen. Aber auch der Zorn der gewis-senhaften Seelsorger und der gläubigen Katholiken gegen die Zerstörer des Glaubens, der Sitten und der Liturgie, besonders gegen die falschen Hirten, die in Wirklichkeit reißende Wölfe sind, hat durch die dahinter stehende Liebe seine Berechtigung.
Wenn wir uns wirklich viel Mühe geben, dem Vater im Himmel gute Kinder zu sein, wenn wir bestrebt sind, Ihm nur Freude zu machen und Ihn nie überlegt oder bewußt zu betrüben, noch weniger Ihm weh zu tun, dann können wir trotz allem froh und glücklich in die Welt schauen, trotz des unendlichen Elends um uns her. Das möchte ich allen Lesern und Freunden von Herzen wün-schen. Regieren tut auch heute noch der Herr, der einst zur hl. Katharina von Siena sprach: "Alles, was Ich zulasse, alles, was Ich euch gebe, Heimsuchungen oder Tröstungen, geistlicher oder welt-licher Art, alles geschieht nur zu eurem Besten, auf daß ihr in Mir geheiligt werdet und Ich meine Wahrheit in euch vollende.
Biberwier, am 31.5.1979, dem Fest Maria Königin, und am 1.6.1979
Alois Aßmayr, Pfarrer.
(EINSICHT 9. Jahrg. Nr. 2, Juli 1979) |