Zum 50. Todestag von Hilaire Belloc
von
Werner Olles
Die Katholizismus-Forschung hat sich mit dem Schriftsteller, Historiker
und Politiker Hilaire Belloc bislang nur in Ansätzen
auseinandergesetzt. Die Angaben in den gängigen Literatur-Lexika sind
zumeist mehr als dürftig, und verschweigen zudem aus offensichtlich
durchsichtigen Gründen seinen wahren geistigen Hintergrund: eine
orthodoxe Katholizität. Jenseits eines verschwommenen liberalen
Humanismus fand der fromme Gläubige hier die Wärme und Menschlichkeit,
die den entschiedenen Moralisten dichtungsgeschichtlich in eine Reihe
mit seinem guten Freund und wackeren Mitstreiter Gilbert Keith
Chesterton stellte.
Geboren wurde Hilaire Joeph Peter Belloc als Sohn eines französischen
Vaters und einer englischen Mutter am 27.Juli 1870 zu La Celle-St.Cloud
bei Paris. Während der Belagerung von Paris im Verlauf des
deutsch-französischen Krieges 187O/71 emigrierte die Familie nach
England, um sich dort nach dem Tod des Vaters ein Jahr später dauernd
niederzulassen. An der Oratory School in Birming-ham erhielt Belloc
seine Ausbildung und ging anschließend ans Collége Stanislas in Paris.
Als Artillerist diente er fast zwei Jahre in der französischen Armee,
beschloß dann jedoch nach England zurückzukehren, und wieder ein
Universitätsstudium aufzunehmen. Sein erster Gedichtband, die
lyrisch-zarten "Verses and Sonnets" erschienen 1895, im gleichen Jahr,
in dem er auch seine akademischen Studien am Balliol College der
Universität Oxford erfolgreich abschloß. Bald darauf hei-ratete er die
Amerikanerin Elodie Hogan, die ihm im Verlauf ihrer Ehe fünf Kinder
schenkte.
1899 und 1902 veröffentlichte er seine Biographien über Danton und
Robespierre. Sein wohl bekanntestes Werk "The Path to Rome", in dem er
eine Wanderung von der alten Festungs- und Garnisonsstadt Toul nach Rom
schildert, erschien ein Jahr später. Neben einem tiefsinnigen,
bisweilen auch launigen Humor und einer ausgeprägten Neigung zum
Reisen, die übrigens für sein gesamtes Werk kennzeichnend sind, kommt
hier erstmals auch sein tiefgläubiger Katholizismus zum Ausdruck.
Belloc vertrat den katholischen Standpunkt kompromißlos, was für ihn
jedoch nichts anderes als Rechtgläubigkeit und Glaubenstreue im Sinne
unverfälschter Katholizität, keineswegs jedoch intellektuelle
Engstirnigkeit bedeutete. Hinter allen Einzelthemen steht freilich ein
einziges großes Motiv: die Heilsfrage, mit der sich der Mensch in der
modernen Welt konfrontiert sieht. So ging Belloc besonders scharf mit
der Reformation ins Gericht, blieb jedoch trotz mancher düsterer
Prognosen indessen stets ein Verkünder der christlichen Hoffnung. Auch
ohne eine durchreflektierte theologische Reflexion hat er doch gewisse
Grundmotive seines absoluten, unbürgerlichen Christentums in seinem
religiösen Denken durch alle seine Erfahrungen durchgehalten.
Bellocs Erfahrungen als Unterhausabgeordneter der Liberalen Partei
führten schließlich dazu, daß er begann das parlamentarische System zu
verachten. Nach der Dreyfus-Affaire näherte er sich den Ideen des
französischen Integralisten und Nationalisten Charles Maurras an, die
dann durch den Filter seiner eigenen Schriften großen Einfluß auf die
gebildeten Schichten des englischen Katholizismus ausübten. Wie L‚on
Bloy gehörte auch Maurras zu den großen fränzösischen Katholiken, die
in ihrem Volk das Bewußtsein seiner besonderen Berufung als Vorkämpfer
der abendländischen Christenheit erwecken wollten.
Bellocs Freundschaft mit seinem Schriftsteller-Kollegen Gilbert Keith
Chesterton, der 1922 zur katholischen Kirche übertrat, führte besonders
auf dem Gebiet der katholischen Apologetik zu einer engen
Zusammenarbeit. Gemeinsam entwickelten sie eine Philosophie, in der
mittelalterliche Nostalgie und Ablehnung von Sozialismus und
Materialismus miteinander verwoben waren. Belloc, der die
Weltanschauung des Katholizismus in der Welt des Mittelalters
verwirklicht sah, kämpfte für eine möglichst breite Streuung des
Eigentums, wofür er die Bezeichnung "Distribitionismus" wählte.
Allerdings gelang es ihm nicht seine sozialpolitischen Vorstellungen in
einer Ära höchster imperialer Machtentfaltung und wirtschaftlichen
Wachstums, aber auch kultureller Verflachung und religiöser
Säkularisierung durchzusetzen. Die protestantisch-liberale und
antikatholische Sicht der englischen Reformation und Neuzeit blickte
auf Bellocs Philosophie vom fröhlichen, lebens- und farbenfrohen
Mittelalter verächtlich herab und sah im Katholizismus nur ein fossiles
Relikt der Vernunft-Feindschaft und Düsternis jener Zeit.
Namentlich die Romane, die in der Zeit seiner Freundschaft mit
Chesterton erschienen wie "The Cruise of the Nona" oder "An
Conversation with an Angel" sind in ihrer Kühnheit und radikalen
Katholizität den großen Romanen des französischen renouveau catholique,
der katholischen Erneuerungs-Bewegung, durchaus vergleichbar. Bellocs
Spätwerk galt hingegen der Beschäftigung mit der Geschichte Englands.
In den zwischen 1925 und 1931 erschienenen vier Bänden "History of
England" attackierte er noch einmal die Falschaussagen und Irrtümer in
der britischen Geschichtsschreibung und wandte sich gegen die Sicht von
Reformation, Bürgerkrieg und Revolution aus protestantischer
Perspektive. Unter seinem über 150 Titel umfassenden Werk gehören
jedoch vor allem die von feinfühliger Zartheit, Lebensfreude und Ironie
beseelten lyrischen Gedichte und seine brillant formulierten Essays zum
bleibenden Schatz der englischen Literatur, und trugen ihm selbst den
Respekt derjenigen ein, die seinen kämpferischen und gleichzeitig
lebensnahen Katholizismus ablehnten. Die Verbindung von
Gemeinverständlichkeit, witziger Brillanz und katholischer Orthodoxie,
seine tapfere Verteidigung einer traditionellen Denk- und Lebensform
und sein mutiger Kampf gegen den weltlichen Modernismus bildeten eine
untrennbare Einheit mit seinen philosophisch-theologischen
Überzeugungen. Als katholischer Apologet formulierte er seine
kritischen Grundsätze zwar in strikter Ablehnung der anglikanischen
Glaubensinterpretation, die ihm eigene Verbindung von handelnder
Direktheit des Ausdrucks und einer durch das Studium der alten
Philosophen genährten Rationalität mit einer phantasievollen
Bildlichkeit, die das Transzendente anschaulich machte, fesselte jedoch
Leser, Freunde und Feinde. Wenige Tage vor seinem 83. Geburtstag nahm
Hilaire Belloc am 16.Juli 1953 in Guildford/Surrey vom Diesseits
Abschied. |