"Allein der Wahrheit Stimme will ich sein"
- Zum 100. Geburtstag des Dichters Reinhold Schneider (1903-1958) -
von
Magdalena S. Gmehling
Leidenschaftlich versuchte er, das Abgleiten der Deutschen in den
Abgrund zu verhindern. Gleichgesinnten spendete er in düsterer Zeit
Trost. Nach eigenen Worten "endgültig abberufen vom literarischen Leben
in die religiös-geschichtliche Existenz", verstand er sich als Diener
und Prophet. Reinhold Schneider, der Meister des verborgenen Wortes,
begleitete und stärkte Soldaten, Bekenner und Verfolgte.
Er, dessen Vater Besitzer des berühmten Hotels "Maison Messmer" in
Baden-Baden war, erblickte dort am 13.5.1903 das Licht der Welt.
Skizzenhaft hat er die "tröstliche Kindheit" und sein Vaterbild, "das
ganz reine Bild des Göttlichen im Menschen", festgehalten.
Verantwortungsbewusster Emst prägte diesen Tapferen, der die Last der
Geschichte und ihre Widersprüche auf sich nahm, lebenslang.
Reinhold Schneider absolvierte nach dem Abitur eine kaufmännische
Ausbildung in Dresden und lebte als Schriftsteller in Potsdamm, Berlin
und seit 1938 in Freiburg. Lange bewegte sich sein Schaffen zwischen
geschichtlichem Essay und Roman. 1938 konvertierte er zum
Katholizismus. Eine gewisse Schwermut und Über-Angespanntheit
kennzeichnen dieses Leben. Immer wieder beschäftigt ihn das Thema
Suizid. Bekannt ist der Selbstmordversuch in bedrängter Jugendzeit.
"Jene seinshafte 'Exzentrizität der Schwermut' bei Schneider hat ihre
Entsprechungen in einer exzentrischen Lebensweise, zu der man wohl die
schwer deutbare Verbindung mit der zweiundzwanzig Jahre älteren Anna
Maria Baumgarten, vom neunzehnten Lebensjahre bis zum Tode dauernd,
sowie die Unstetheit, den Reise- und Wohnungswechseldrang und -zwang
wird rechnen müssen." (Peter Berglar). Es ist wichtig, um diese
persönlichen Bedingtheiten zu wissen, nicht aus Gründen der
Detailneugier, sondern weil der Dichter glaubt, sein eigenes Wesen im
portugiesischen Volkscharakter wiederzufinden. Sein Leben ist
gewissermaßen"iberisch eingerahmt". Portugal, so schrieb er, "ist für
mich ein exzentrisch-europäisches Phänomen".
Das Portugal-Erlebnis (1928) wird entscheidend für Reinhold Schneiders
geistigen Durchbruch und die Tiefe seiner geschichtlichen Schau. Im
Reisetagebuch kündet er vom "Erlauschen einer unstillbaren Sehnsucht",
von der "Unmöglichkeit der Erlösung durch den Geist und der Bewältigung
des Lebens durch das Gehirn." Auch die Autobiographie "Verhüllter
Tag" (1954) beschreibt immer wieder dieses Land, welches "geadelt" ist
durch seine Trauer. Reinhold Schneider fühlt sich durchaus als
Glaubensritter, dessen persönliches Drama darin besteht, in einer
unritterlichen Zeit leben zu müssen.
Der Dichter, dessen Weg von der subjektiven Verlorenheit zur Tradition
führte, entfaltete während und nach dem Zweiten Weltkrieg sein
wortgewaltiges und fruchtbares Wirken.
Walter Nigg schreibt: "Als Weggefährten wissen wir um seine einmalige
Bedeutung für unsere Zeit, halten ihn für einen der scharfsichtigsten
Menschen der letzten Jahre ... Er lebte seine christliche Existenz mit
verantwortungsbewusstem Ernst und hat damit eine seltene
Übereinstimmung von Leben und Werk dokumentiert."
Schneider wandte sich offen gegen den Nationalsozialismus und wurde
gegen Ende des Krieges wegen Hochverrat angeklagt. Er entging knapp der
Todesstrafe. Seine Sonette und Aufsätze zirkulierten in kleinen
billigen Kriegsausgaben mit Titeln wie "Das Gottesreich in der Zeit"
(1942) und wurden mit tröstlich ergreifenden Strophen eingeleitet:
"Allein den Betern kann es noch gelingen,
das Schwert ob unsern Häuptern aufzuhalten!
Und diese Welt den richtenden Gewalten
durch ein geheiligt Leben abzuringen."
In den Rang eines glanzvollen katholischen Klassikers stieg er auf mit
Werken wie "Las Casas vor Karl V." (1938), "Philipp II." (1931) "Die
Hohenzollern" (1933), "Innozenz und Franziskus" (1933), "Nacht des
Heils" (1947) und den Essaysammlungen "Pfeiler im Strom" (1958) "Die
silberne Ampel" (1956) und "Macht und Gnade" (1939).
Bedeutungsschwer und zeitgemäß erscheinen Sätze wie "Die Behauptung,
dass die Macht einer Rechtfertigung bedürfe, kann zunächst nicht
bewiesen werden, denn sie gilt nur dann, wenn für den Menschen jenseits
des Irdischen Maßstäbe bestehen, und fällt, wenn ihm das Irdische und
seine Erfüllung als höchstes Ziel erscheinen... Ethik ist für den nur
Bedürfnis, in dem ein Ethos lebt...". Schneiders letztes Werk "Winter
in Wien" gilt als bestürzende Warnung vor der Gottesverfinsterung in
unserer Zeit.
Friedliebende Motive verleiteten den Dichter gegen Ende seines Lebens,
einen dreijährigen Irrweg zu beschreiten. Auslösendes Moment war die
Gegnerschaft zu der durch Adenauer betriebenen Re-Militarisierung
Deutschlands. Der Dichter verfügte keineswegs über entsprechende
Sachkompetenz in dieser hochbrisanten Frage. Er meinte, die Bevölkerung
Westdeutschlands müsse bereit sein, sich unter das Joch Stalins zu
beugen. Der Gang in die Sklaverei, sei der Preis, den Deutschland für
den Zweiten Weltkrieg und für das Heil der Welt zu bezahlen habe. Der
Heidelberger Professor Ekkehard Blattmann hat die Verstrickung Reinhold
Schneiders in das Rote Netz der DDR recherchiert und dokumentiert.
Vermutlich war es die "Heimholung" durch den von Schneider sehr
verehrten Theodor Heuss, welche diese Eskapade beendete.
Es erscheint von seltsamer und bedeutungsschwerer Tragik, dass es
ausgerechnet ein Sturz war, der schließlich Reinhold Schneiders Tod
herbeiführte. Am 6. April 1958 ist er in Freiburg/Br. verstorben und
wurde am Donnerstag der Osterwoche zu Grabe getragen. Sein Freund
Werner Bergengruen spricht in Verbindung mit dem Geheimnis der Welt,
von der Paradoxie dieses Lebens: "Das Licht ist auffindbar nur noch in
der Finsternis, die Geborgenheit in der Verstoßung, Bethlehem in
Gethsemane."
Reinhold Schneider selbst aber, hat seinen Auftrag in dieser Welt klar umrissen:
"Die Wahrheit nur wird an die Herzen dringen,
Und wirken wird das Wort nur, das gelebt;
Wenn keine Stimme weisend sich erhebt,
Dann ist die Zeit, dann will ich es vollbringen."
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