Notstand: einbetoniert ... oder doch: Extra Ecclesiam salus est?
Vorbemerkung
Im letzten Heft hatte ich angekündigt, noch einmal auf die spezifisch kirchliche Situation einzugehen, die sich durch die Sedisvakanz ergeben hat, und auf Lösungen zur Bewältigung dieser Krise hinzuweisen. Es gilt auch, mögliche theologische Defizite aufzuarbeiten.
Durch die äußeren Bedingungen begünstigt, stellt sich die Situation heute für viele Gläubige und Kleriker, die sich zumindest als überzeugte Sedisvakantisten ausgeben, so dar, daß nur noch sog. Notmaßnahmen ergriffen werden könnten, um den pastoralen Verpflichtungen zu genügen, die nun jeder Priester einmal hat. Auf Grund des allgemeinen Desasters sei ein normales kirchliches Leben nicht mehr zu gewährleisten ... und ich füge, um diesen Gedankengang zu Ende zu führen, noch hinzu: auch nicht mehr wieder aufzubauen. Vergessen scheint, daß ein Kleriker generell nur im Auftrag der Kirche und von ihr konkret auch beauftragt als Priester handeln, d.h. Sakramente spenden und die Glaubensinhalte verkünden darf. Wird dieser Zusammenhang von Mandat und Erlaubtheit priesterlicher Aktivitäten vergessen und nur auf den (nicht zu leugnenden) Notstand insistiert, maßt sich eo ipso jeder Kleriker selbst an, was in der jeweiligen Situation zu tun bzw. auch was zu lehren ist. (Ein eklatantes Beispiel solipsistischer Lehrverkündigung hatte ich in meine letzten "Mitteilungen der Redaktion" einfließen lassen.)
Daß ein Beharren auf solch einsamen Entschlüssen zum einen enorme Gefahren theologischer Fehlentscheidungen und von Anmaßung fehlender Autorität in sich birgt, brauche ich nicht eigens zu betonen. Der Fall Pivarunas, der sich ohne Skrupel selbst päpstliche Rechte zugerechnet hat, zeigt dies überdeutlich (vgl. EINSICHT XXXIV/4 vom April 2004, S. 122 ff.) Zum anderen bedeutet das Ausblenden des Bezuges zum Auftraggeber Kirche und deren Autorität - und das ist der viel schwerer wiegende Punkt! - das Ausklinken aus dem kirchlichen Verband, um so im Sektierertum unterzugehen. Will man dem entgehen, muß man endlich anfangen, sich mit dem Problem der Restitution der Kirche als Heilsinstitution zu befassen und sich bei deren konkreter Umsetzung durch den Wiederaufbau kirchlicher Strukturen und Institutionen zu betätigen... vorrangig!
Auf diesen Zusammenhang und die Dringlichkeit der Durchführung dieser Maßnahmen habe ich schon mehrfach hingewiesen und in aller Eindringlichkeit deren Aufarbeitung angemahnt. Ich versuche es noch einmal, da gewisse Sachverhalte anscheinend nicht verstanden oder mißverstanden wurden. Zum leichteren Verständnis versuche ich diese Probleme im Zusammenhang mit ihrem konkreten Entstehen aufzuzeigen.
Notwendigkeit der Restitution
Die Notwendigkeit, sich mit der Restitution der Kirche als Heilsinstitution zu beschäftigen, setzte in dem Augenblick ein, als klar wurde, daß es sich bei den sog. Reformen nach Vatikanum II um dogmatische Verfälschungen der Lehre Christi und der Kirche handelte und daß der Promulgator, Paul VI., sich dadurch, ipso facto, als Häretiker zu erkennen gab. Weil zudem der überwiegende Teil des Episkopats, aber auch des Klerus mit einem Großteil der Gläubigen in der Folgezeit diesen Entscheidungen zustimmten, war die Kirche in Gefahr, nicht nur ihre Autorität und ihre institutionellen Strukturen, sondern auch ihre Sichtbarkeit zu verlieren.
Ich versuche, diesen damaligen Prozeß aus der Sicht eines Gläubigen aufzuzeigen, der versuchte, seinen gewohnten religiösen Pflichten nachzukommen, wobei es anfangs u.a. darum ging, ob und in welcher Weise die Zugehörigkeit zur wahren Kirche und deren Unterstützung demonstriert und dokumentiert werden konnte. (N.b. wir empfahlen über unsere Zeitschrift den Gläubigen in Deutschland, die ja als berufstätige röm.-kath. Christen obligate Kirchensteuern zu zahlen haben, aus dem Steuerverband "römisch-katholische Kirche" auszutreten - nicht aus dem Kirchenverband! - und die fällige Kirchensteuer traditionsverpflichteten Priestern, d.h. Priestern, die noch die "alte" Messe lasen, zukommen zu lassen.)
Kriterien für die wahre Kirchenzugehörigkeit
Da sich die Situation aber rasch weiterentwickelte und es immer klarer wurde, daß es sich nicht um einen Ritenstreit, sondern um eine generelle Revolution gegen die Kirche handelte, ausgehend von "oben", wurde auch immer klarer, daß das Kriterium "alte Messe" nicht ausreichen konnte, um die Bedingungen aufzuzeigen, die die Zugehörigkeit zur wahren Kirche in ausreichender Klarheit definierten. In der Beantwortung eines Leserbriefes hatte ich dazu folgendes ausgeführt - hier kurz zusammengefaßt (vgl. EINSICHT XXVIII, Nr. 3, Aug. 1998, S. 69 ff):
"Die Frage, wem man Kirchensteuer zahlen muß bzw. soll - die Pflicht zur Kirchensteuerentrichtung gilt in der Form, wie es in Deutschland geregelt wird, nicht überall -, läßt sich theoretisch klar und eindeutig beantworten: der von Christus gegründeten Kirche. Auf der Ebene der Applikation, d.h. der Beurteilung, wo denn diese Kirche heute zu finden ist, die berechtigt ist, diese Steuer rechtmäßig einzufordern, ergeben sich allerdings Schwierigkeiten.
Sicherlich kann die sog. Konzils-Kirche auf die Bestimmung, die von Christus gegründete Kirche zu sein, keinen Anspruch erheben. Warum, haben wir immer wieder dargetan: Sie ist zwar nach der Approbation des neuen CIC in sich eine durchaus konsolidierte Glaubensgemeinschaft mit klarer, auch sozialer Struktur, welche viele Merkmale der wahren Kirche besitzt, sie hat aber Entscheidendes nicht: den wahren Glauben, die gültigen Sakramente, die christliche Moral, bald auch die apostolische Sukzession und sie hat schon längst die Beauftragung durch Christus verloren. Im Zusammenhang mit dem Problem des unbesetzten apostolischen Stuhls hatte + H.H. Dr. Katzer die Kriterien angeführt, wann der Stuhl Petri vakant sein würde: im Falle der Häresie oder Apostasie und im Fall des physischen Todes eines Papstes. Im Zusammenhang mit der Häresie sprach Katzer auch von "geistigem Tod" (im Gegensatz zu dem physischen). Die Konzils-Kirche ist gleichsam geistig tot (...) ... und diesen Leichnam können wir trotz aller Anstrengungen nicht wiedererwecken. (...) Einen Leichnam kann man nur noch beerdigen. (Wohl ist es möglich, daß ein dezimierter, aber gesunder Körper wieder einzelne "Zellen" integrieren kann, die nur infiziert, aber nicht abgestorben waren, die gleichsam eine Konversation ins Leben zurück durchgemacht haben - und darum sollten wir beten!)
(...) In der Kirchengeschichte kam es zwar des öfteren zum Abfall ganzer Teilkirchen: durch Arius im 6. Jahrhundert, in England unter Heinrich VIII., in Deutschland durch die Reformen Luthers. Doch zur gleichen Zeit war die Kirche in anderen Teilen sehr aktiv, leistete energisch Widerstand gegen diesen Abfall. Entscheidend aber war, daß in all diesen Krisen die Hierarchie weitgehend intakt blieb. (Und selbst Rom erlebte in der Mitte des 3. Jahrhundert das "novatianische Schisma".) Doch einen Abfall in diesen Dimensionen, dessen Zeugen wir heute werden, gab es in der Kirchengeschichte noch nie. Er übersteigt die Einbildungskraft vieler Gläubiger... es kann nicht sein, was man sich nicht vorstellen kann bzw. sich vorstellen möchte. (...)
Auch wenn nun klar geworden ist, daß wir der Konzils-Kirche keine Kirchensteuer zufließen lassen dürfen, weswegen wir aus dem Steuerverband "Römisch-katholische Kirche" - nicht aus der Kirchengemeinschaft! - austreten müssen, sind wir dennoch verpflichtet, die Kirche und ihre Diener finanziell zu unterstützen. Aber wo ist sie, die Kirche, wer dient ihr? (N.b. leider darf in Deutschland die Konzils-Kirche den Titel "Römisch-katholische Kirche", der durch das Namensrecht geschützt ist, weiterführen, obwohl der Name eigentlich uns zustehen würde, die wir die wahre Kirche repräsentieren und fortführen wollen.) (...)
Früher gingen wir naiv davon aus, daß Priester, die die alte Messe lesen, auch Mitglieder der wahren Kirche seien bzw. sein wollten und auch die rechte Einstellung hinsichtlich ihrer Entscheidung besäßen - einfach schon deshalb, weil sie sich gegen die Reformen stemmten und sie ablehnten. Diejenigen, die aus dem Steuerverband "Römisch-katholische Kirche" ausgetreten waren, ließen ihre Kirchensteuer diesen Geistlichen zukommen. Aus heutiger Sicht, d.h. aus der Erkenntnis, daß es sich bei den Reformen nicht um einen theologischen „Unfall“, sondern um einen bewußten Umbau in eine andere Kirche handelte und die Reformgegner sich daran gewöhnen mußten, an einen Wiederaufbau der Kirche, an ihre Restitution als Heilsinstitution zu denken, reicht das Kriterium "alte Messe" nicht mehr aus. Ich erwähne nur jene Kleriker, die sog. Kundendienst leisten: nach Wunsch mal die neue Messe, mal die alte Messe. Sie gehören sicherlich nicht zu uns ins Lager der Sedisvakantisten. Ebenso jene nicht, die die Indultmesse im Auftrag der Kirche lesen oder die zwar permanent ungehorsam sind, aber Mgr. Wojtyla als Hl. Vater anerkennen, z.B. die Ecôner, Des-Laurieristen in Savoia di Verrua, d.i. die Gruppe um die Zeitschrift "Sodalitium". Wieder eine andere Richtung traditionalistischer Priester liest die alte Messe, ohne sich um die Rechtfertigung und ohne sich um das Problem fehlender kirchlicher Beauftragung zu kümmern. Die Frage nach der Erlaubtheit wird einfach mit einem diffusen Begriff eines allgemeinem Notstandes gerechtfertigt, womit sie eher sektiererische Ziele verfolgen.
Wer bleibt dann noch übrig? Welche Priester können als Glieder und Repräsentanten der wahren Kirche angesehen werden, die auf unsere finanzielle Unterstützung (Kirchensteuer) Anrecht haben? Das sind jene, - die am Wiederaufbau (Restitution) der Kirche arbeiten, d.h. deren Anstrengungen über die einfache Sakramentenspendung hinausgehen, - die sich bewußt sind, daß sie die Sakramente nur im Auftrag der Kirche spenden dürfen und die ihr Engagement entsprechend rechtfertigen (können) - die das derzeitige Hierarchie-Dilemma zu lösen versuchen - die Kontakt halten zu den anderen kirchlichen Gemeinden - die bereit sind, sich einer restituierten Hierarchie zu unterwerfen. (...)
P.S. Selbstverständlich ist dieser Schritt, sich förmlich von der Konzils-Kirche zu trennen, auch von denen zu vollziehen, die keine Kirchensteuer zahlen müssen, um anzuzeigen, daß sie rechtgläubig geblieben sind und diesem reformerischen Kirchenverband nicht angehören wollen."
Applikation dieser Kriterien
Diese vor über sechs Jahren aufgestellten Kriterien für ein legitimes priesterliches Handeln unter den gegebenen Umständen haben nichts an Aktualität verloren und können auch so heute noch angewandt werden.
Die Schwierigkeiten liegen in der Umsetzung dieser Postulate. Wie läßt sich eine Kirche wieder aufbauen, deren sichtbare Strukturen und mit diesen ihre Autorität zur Bevollmächtigung nicht nur pastoraler Aufträge an Bischöfe und Priester bzw. auch an die Gläubigen, sich diesem Klerikat zu unterstellen, sondern auch die Basis zum Wiederaufbau weggebrochen sind? Soll denn deshalb - bei mangelnder Autorität und fehlender Beauftragung - das pastorale Engagement der Priester ausgebremst werden? Sollen sie mit dem Einsatz warten, bis - nach den Vorstellungen des verstorbenen Bischofs Des Lauriers - der "Papa materialiter" durch seine Bekehrung wieder zu einem "Papa formaliter" mutiert ist, der dann - so die des-lauriersche Vorstellung - als legitimer Papst auch wieder Mandate vergeben könnte? Sollen sie also - weil ohne Beauftragung - ihre Aktivitäten als Seelsorger ganz einstellen, wie das eine ganze Reihe von Legalisten fordert, die nur noch mit Unbehagen und Abscheu auf das sektiererische Treiben rund um sie herabschauen? Wie also kann man das Dilemma von pastoraler Verpflichtung des Priesters und dem fehlenden Mandat vermeiden?
Eine neue Erklärung
Fr. Krier, Herr Jerrentrup und ich haben in unserer Erklärung vom Febr. 2000, die an die DECLARATIO S.E. Mgr. Pierre Martin Ngô-dinh-Thuc vom 25. Febr. 1982 anknüpft, versucht, eine Lösung aufzuzeigen, wohl wissend, daß es in der gesamten Kirchengeschichte keine vergleichbare Situation gab, die einen solchen Grad an Zerstörung und Verfahrenheit hatte:
"Aufgrund persönlicher Unzulänglichkeiten, gerade auch unter den mit diesem Auftrag betrauten Bischöfen, und einer weltweit feststellbaren Tendenz, die Kirche als Heilsinstitution auf einen bloß sakramentalen Versorgungsbetrieb zu reduzieren, besteht die Gefahr, daß die Glieder der wahren katholischen Kirche ins Sektierertum abgleiten. Diese sektiererische Tendenz führte unter anderem zur Unterwanderung durch vagabundierende Kleriker, aber auch zu deren leichtfertiger Integration in ursprünglich nicht-sektiererische Gemeinden, wodurch teilweise die makabre Situation entstand, daß die gültige „alte Messe“ von ungültig geweihten „Priestern“ gelesen wird. Mit dieser Gesamtentwicklung wäre der ursprüngliche Auftrag von Mgr. Thuc in sein Gegenteil verkehrt worden und - menschlich gesprochen - der Untergang der von Jesus Christus gegründeten Kirche als Heilsinstitution besiegelt. Um dieser Fehlentwicklung wieder Einhalt zu gebieten, und um beim Wiederaufbau der Kirche als Heilsinstitution mitzuwirken, erklären wir folgendes:
Die Kirche ist (nach der Definition des Kirchenlehrers Bellarmin) die Gemeinschaft aller Gläubigen, die durch das Bekenntnis desselben Glaubens, durch die Teilnahme an denselben Sakramenten vereinigt sind unter der Leitung der angeordneten Hirten und besonders des einen Stellvertreters Christi auf Erden, des römischen Papstes (De eccles. milit. c. 2). Diese Gemeinschaft betrifft in besonderer Weise die Bischöfe und Priester: Damit aber der Episkopat selbst eins und ungeteilt sei und durch die untereinander eng verbundenen Priester die gesamte Menge der Gläubigen in der Einheit des Glaubens und der Gemeinschaft bewahrt werde, errichtete er, indem er den seligen Petrus an die Spitze der übrigen Apostel stellte, in ihm ein dauerhaftes Prinzip dieser ... Einheit. (Vatikanisches Konzil, Konstitution Pastor aeternus, DS 3051). Aber auch die Gläubigen müssen untereinander verbunden sein: ... die Kirche (muß) vor allem aus dem Grund ein Leib genannt werden, weil sie aus einer rechten und zusammenstimmenden Mischung und Verbindung von Teilen zusammenwächst und mit verschiedenen, untereinander im Einklang stehenden Gliedern ausgestattet ist. (Pius XII., Enzyklika Mystici corporis, 29. Juni 1943, DS 3800). Damit ist gemeint, daß zu den Kriterien der Kirchenzugehörigkeit auch die Intention gehört, die Gemeinschaft der Gläubigen untereinander zu befördern. Diese allseitige Einheit muß sich sichtbar nach außen darstellen: Daraus folgt, daß sich in einem großen und ebenso verderblichen Irrtum befinden, die sich die Kirche nach ihrem eigenen Gutdünken gleichsam als verborgen und keineswegs sichtbar vorstellen und entwerfen ... (Leo XIII., Enzyklika Satis cognitum, 29. Juni 1896, DS 3301).
Durch den Abfall der Hierarchie nach Vatikanum II., der von Mgr. Thuc in seiner DECLARATIO dokumentiert ist, wurde die Kirche als sichtbare Heilsinstitution weitgehend zerschlagen; eine sichtbare Gemeinschaft aller Gläubigen existiert nicht mehr, auch wenn überall auf der Welt noch Gemeinden und Gruppen den wahren Glauben bekennen.
Christus hat die Kirche aber als Heilsinstitution - und nicht nur als bloße Glaubensgemeinschaft - gegründet, um die unverfälschte Weitergabe seiner Lehre und Gnadenmittel zuverlässig zu gewährleisten. Der Wiederaufbau der Kirche als Heilsinstitution ist darum vom Willen ihres göttlichen Gründers gefordert.
Zur Restitution der Kirche als sichtbarer Heilsinstitution gehören: - Sicherung der Gnadenmittel - Bewahrung und Weitergabe der Lehre der Kirche - Sicherung der apostolischen Sukzession - Wiedererrichtung der Gemeinschaft der Gläubigen auf regionaler, überregionaler und gesamt-kirchlicher Ebene - Restitution der Hierarchie - Wiedererrichtung des päpstlichen Stuhles (als Prinzip der Einheit)
Hier ergibt sich jedoch ein Dilemma. Einerseits fehlt derzeit die zur Erfüllung dieser Aufgaben nötige kirchliche Jurisdiktion, da die Hierarchie abgefallen ist, andererseits ist die Erfüllung dieser Aufgaben die notwendige Voraussetzung der Wiederherstellung eben dieser kirchlichen Autorität. Die Wiederherstellung der kirchlichen Autorität ist aber vom Heilswillen Christi her gefordert. Das Dilemma kann m.E. nur gelöst werden, indem sämtliche bisherigen Aktivitäten nur unter Vorbehalt einer späteren, endgültigen Legitimierung durch die wiederhergestellte Hierarchie stehen. Somit läßt sich z.B. die Meßzelebration und die Spendung der Sakramente einstweilen nur dadurch rechtfertigen, daß sie unter dem Aspekt der Gesamtrestitution der Kirche als Heilsinstitution stehen und sich der späteren Beurteilung durch die wiederhergestellte, legitime Autorität unterwerfen.
Spendung und Empfang der Sakramente (einschl. Zelebration und Besuch der hl. Messe) wären somit unerlaubt, wenn sie ohne Bezug auf diese einzig mögliche Rechtfertigung vollzogen würden, unbeschadet ihrer sakramentalen Gültigkeit.
Aus diesen Überlegungen läßt sich unter den gegebenen Verhältnissen zugleich die Zugehörigkeit zur wahren Kirche als dem mystischen Leib Christi bestimmen: die von Pius XII. in der Enzyklika Mystici corporis vorgelegten vier Kriterien: (1) Empfang der Taufe, (2) Bekenntnis des wahren Glaubens, (3) Unterordnung unter die rechtmäßige kirchliche Autorität und (4) Freiheit von schwersten Kirchenstrafen (DS 3802) müssen im Punkt (3) dahingehend modifiziert werden, daß wegen des Fehlens der rechtmäßigen kirchlichen Autorität vorläufig (d.h. bis zu ihrer vollständigen Wiederherstellung) die Anstrengung zur Restitution der kirchlichen Autorität als Ersatz-Kriterium zu gelten hat."
Auflösung des Dilemmas
Das angesprochene Dilemma von fehlender Beauftragung - ich lasse hier unberücksichtigt, daß es noch verschiedene ältere Kleriker gibt bzw. geben kann, die sich noch auf ein legitimes Mandat unter Pius XII. berufen könnten - und der Erfüllung des Heilswillens Christi ist also u.E. dadurch aufzuheben, daß im Prozeß und während des Prozesses der Restitution die (noch) fehlende Autorität antizipiert wird, bis diese wieder installiert ist, um dann von ihr diese Vorgehensweise legitimieren zu lassen. D.h. alle einzelnen Wiederaufbaumaßnahmen ständen solange unter einem Legitimierungsvorbehalt, da sie erst durch die Erreichung der Wiederherstellung der Autorität - sprich: durch die Wahl eines neuen Papstes - als Gesamtprozeß von ihr gutgeheißen und als gerechtfertigt anerkannt werden müßten.
Diese Gedanken wurden nicht nur veröffentlicht, sondern u.a. auch mit der Priesterunion TRENTO bzw. ihren führenden Mitgliedern bei unserem Mexikobesuch vor über 4 1/2 Jahren Ende Februar 2000 in Hermosillo diskutiert und fanden dort allgemeine Zustimmung. Abgesehen von dem des-laurierschen Modell des sich bekehrenden Papstes - ich habe diese Idee mit dem (sinnlosen) "Warten auf Godot" von Samuel Beckett verglichen - wurde weltweit bisher - leider (!) - kein anderer Entwurf zur Bewältigung der derzeitigen Situation vorgelegt. Trotzdem war die bisherige Resonanz darauf ausgesprochen zurückhaltend bis ablehnend (sieht man von den mexikanischen Priestern ab, die aber vor einem eigenständigen Handeln Übereinstimmung mit den anderen Klerikern erreichen wollen), obwohl doch jedem Kleriker das angesprochene Problem auf den bekannten "Nägeln brennen" sollte.
Spezielle Umsetzungsprobleme beim Wiederaufbau
Als besondere Hürde wurde das Insistieren auf einer Papstwahl angesehen. Aber die Erklärung der Sedisvakanz macht nur Sinn, wenn man damit die Absicht verbindet, den unbesetzten Stuhl wieder zu besetzen. Auch wenn die theologischen Fragen und die Applikationsprobleme hierfür noch nicht genügend durchdiskutiert wurden, so dürfte es doch klar sein, daß die Papstwahl zumindest als Forderung erhoben werden muß. Es liegt nur im Sinne der Fortführung des Auftrages Christi, daß die Cathedra Petri wieder besetzt werden muß (soll), auch wenn das "Wie" noch nicht durchgeklärt worden ist. Zumindest liegt ein Konzept vor, nach dem ein Wiederaufbau erfolgen könnte. Auch wenn bisher noch nicht alle Fragen durchgehend beantwortet sind, hätte also längst eine Umsetzung stattfinden können, da das Ziel - die volle Wiederherstellung der Autorität, der Aufbau kirchlicher Strukturen auf den Ebenen der Gemeinde, der Diözese, der Weltkirche - klar umrissen ist.
Die Beschreibung der konkreten Situation
Wie schaut nun die Wirklichkeit aus? Zeichnen sich erkennbare Anstrengungen ab, dieses Ziel, d.h. den Wiederaufbau der Kirche zu erreichen? Wie stellt sich angesichts der heutigen Sachlage vornehmlich das Verhalten der Priester dar, die vorgeben, für die wahre röm.-kath. Kirche zu arbeiten bzw. sich darauf berufen, in ihrem Namen praktische Seelsorge durchzuführen?
Beginnen wir mit unserer Untersuchung im deutschsprachigen Raum, da die Situation dort für die meisten Leser einsehbar und einschätzbar ist. Abgesehen von verschiedenen Klerikern, die wie Vaganten von Ort zu Ort ziehen, um in einzelnen privaten Einrichtungen die Messe zu lesen, die gleichsam als "Ich-AG" einen sakramentalen Kundendienst anbieten - zu diesem Kreis zählen häufig die Ex-Ecôner (!) -, gibt es verschiedene Meßzentren, die man schon als gemeindliche Einrichtungen betrachten kann und die von Klerikern betreut werden, wobei sich deren Engagement im Wesentlichen auf das Lesen der hl. Messe beschränkt. Seelsorge und Katechetik sind eher "klein geschrieben". Untereinander sind diese Priester meist „sprachlos“. Austausch und gegenseitige Beratung? Fehlanzeige! Fragen Sie, verehrte Leser, Ihren Priester einmal danach. Deren Kontakte beschränken sich auf den Austausch priesterlicher Funktionen bzw. auf die Inanspruchnahme priesterlicher, meist bischöflicher Vollmachten, um die Firmung spenden zu lassen oder um Beichte hören zu lassen.
Der Zusammenschluß der Meßzentren und der in ihnen versammelten Gläubigen unter Führung der sie leitenden Kleriker im Sinne einer kirchlich strukturierten Heils-Gemeinschaft wird nicht nur nicht durchgeführt, sondern nicht einmal intendiert. Beweis: Nach über 35 Jahren Notstand gibt es in Deutschland und den angrenzenden deutschsprachigen Ländern und Regionen weder eine Kleriker-Kongregation noch einen von dieser geleiteten Zusammenschluß der Gläubigen. (N.b. auch wenn wir die Position Ecônes, die den Kirchenkampf auf einen Ritenstreit reduzieren, nicht teilen, so muß man den Ecôneisten eines lassen, daß sie via Disziplin weltweit ein System von Zentren aufgebaut haben mit funktionierender Gemeindearbeit.)
Der einst tatsächlich gegebene Notzustand wird zum Normalfall deklariert und stilisiert, um ihn als Alibi für pastorale Eigenbrötelei zu mißbrauchen. Mit allen sich daraus ergebenden Gefahren: Fehler in der Liturgie, in der Interpretation bestimmter Lehrinhalte - man vergleiche die entsprechenden Passagen in den "Mitteilungen der Redaktion" vom November-Heft -, Anmaßung von Rechten, Kompetenzüberschreitung, aber auch Fehleinstellungen in der Disziplin - ich denke da an die berüchtigte Kleiderordnung in einigen Gemeinden, die noch Vorrang vor der Klärung dogmatischer Grundüberzeugungen hat. Da gibt es dann Ausweisungen aus der Kirche, die man als röm.-kath. Gotteshaus deklariert hat, ohne daß der zuständige Priester irgendeine jurisdiktionelle Vollmacht dazu hätte.
In anderen Ländern und Kontinenten schaut es m.W. ähnlich aus. In Italien macht die Gruppe um Abbé Ricossa die Zugehörigkeit zu seiner Gemeinschaft abhängig von der Zustimmung zu der nachweisbar unsinnigen und theologisch unhaltbaren Theorie vom "Papa materialiter non formaliter". In den Vereinigten Staaten von Amerika hat zwar Bischof Pivarunas so und soviele Priester "unter sich", wie er schreibt. Doch bei dieser Unterordnung handelt es sich nicht um den Aufbau kirchlicher Strukturen, sondern um reine Machtverhältnisse, denn Pivarunas sieht sich nur in Konkurrenz zur Ecôner "Priesterbruderschaft". Einzig in Mexiko hat die Priesterunion Trento intakte und funktionierende kirchliche Gemeinden aufgebaut, Bischof Dávila ist auch bemüht, Kontakte zu weiteren Gruppen herzustellen, auch in Europa, aber die Union läßt sich (bisher) beim weiteren Wiederaufbau der Kirche durch Bischof Pivarunas - um nicht die Einheit mit ihm aufs Spiel zu setzen - ausbremsen, Pivarunas, der z.B. eine Papstwahl strikt ablehnt ... um sich selbst päpstliche Rechte anzumaßen.
Die aufgezeigten Mißstände und Fehleinstellungen/-haltungen lassen sich auf zwei entscheidende Punkte reduzieren: - die Abkapselung und Abisolierung von den übrigen Gliedern der (Rest)Kirche - aus der Sicht der Meßzentrumsbetreuer: Beschränkung auf die vorhandene Klientel (Mission: ein Fremdwort) - nach dem Motto "jeder für sich und Gott für uns alle"; - die willentliche Ablehnung des Wiederaufbaus der Kirche als Heilsinstitution und Heils-Gemeinschaft (Kirchengemeinschaft).
Fehlender Wille zum Bilden von Gemeinden. Wie sind diese Haltungen vom kath. Glauben her zu beurteilen? Sind sie legitim?
Was die Abkapselung und das Abschotten betrifft, so hat die Kirche sich dazu eindeutig geäußert. Außer in Zeiten der Verfolgung, wo dies durch äußere Umstände verhindert wird, sollen die Gläubigen nicht Nischen zum Verstecken bilden, sondern sie müssen untereinander verbunden sein: "... die Kirche (muß) vor allem aus dem Grund ein Leib genannt werden, weil sie aus einer rechten und zusammenstimmenden Mischung und Verbindung von Teilen zusammenwächst und mit verschiedenen, untereinander im Einklang stehenden Gliedern ausgestattet ist." (Pius XII., Enzyklika Mystici corporis, 29. Juni 1943, DS 3800). Damit ist gemeint, daß zu den Kriterien der Kirchenzugehörigkeit auch die Intention gehört, die Gemeinschaft der Gläubigen untereinander zu befördern. Diese allseitige Einheit muß sich sichtbar nach außen darstellen: "Daraus folgt, daß sich die in einem großen und ebenso verderblichen Irrtum befinden, die sich die Kirche nach ihrem eigenen Gutdünken gleichsam als verborgen und keineswegs sichtbar vorstellen und entwerfen ..." (Leo XIII., Enzyklika "Satis cognitum" vom 29. Juni 1896, DS 3301).
Protestantischer Kirchenbegriff
Die Ablehnung des kirchlichen Wiederaufbaus - und damit verbunden das Ablehnen und das Desinteresse an der Kirche als Heilsinstitution - entspricht dem Kirchenbegriff des Protestantismus!! Denn nach katholischer Lehre ist die Kirche die Heilsinstitution, die eine "geheimnisvolle Gnadengemeinschaft mit Christus als Haupt" (vgl. Heribert Holzapfel: "Katholisch und Protestantisch - Eine leidenschaftslose Klarstellung" Freiburg i. Brsg. 1931, S. 30) ausbildet, weswegen Pius XII. von der Kirche als vom "Mystischen Leib Christi" spricht (vgl. dazu dessen Enzyklika "Mystici Corporis" vom 29. Juni 1943). Darum kann der hl. Paulus auch die Forderung aussprechen: "ein Herr, ein Glaube, eine Taufe" (Eph. 4,4). Und beim hl. Johannes heißt es, daß Christi Jünger "eins sein sollen wie er - Christus - mit dem Vater eins ist" (Joh. 17,11). Darum bedeutet die Zerreißung der Einheit bzw. das Desinteresse, sie wieder zu suchen, wenn sie verloren gegangen ist, eine Mißachtung des ausdrücklichen Willens Christi. Diese innere Einheit wird u.a. bewirkt durch die Ausstattung der Kirche mit Gnadenmitteln (Sakramenten), die Christus eingesetzt und deren Weitergabe er objektiv institutionalisiert hat, weswegen die Kirche nicht nur als Geistkirche existiert, sondern als sichtbare Gemeinschaft. Zur inneren Gnadengemeinschaft kommt hinzu die sichtbare Organisation, um diesen "mystischen Leib" zusammenzuhalten. Beide Momente bedingen sich gegenseitig. Die Sichtbarkeit der Kirche ist letztendlich begründet in der Menschwerdung Christi selbst, der als Mensch gekommen ist, um mit uns Menschen in konkreten Kontakt zu kommen und den Neuen Bund mit uns wieder zu schließen.
Im Gegensatz dazu basiert der protestantische Kirchenbegriff auf der Vorstellung, daß es sich bei der Kirche nicht um eine Heilsinstitution handelt, sondern um eine Gemeinschaft gemeinsamer Glaubensvorstellungen. Deshalb ist die Kirche nach protestantischem Verständnis "Gegenstand des Glaubens" ("Apostolicum"), wozu gewisse äußere, sinnlich wahrnehmbare Kennzeichen hinzukommen, die von den verschiedenen Bekenntnissen unterschiedlich ausgeprägt sind. Für den lutheranischen Protestantismus gehört zu der sichtbaren Ausprägung z.B. - die Lehre der Evangelien, - die ihnen entsprechende Verwaltung der Sakramente. Der reformatorische Protestantismus (Calvin) kennt noch ein drittes Moment: die "disciplina". Damit stattete Calvin seine Kirche mit einer Organisation samt Zuchtordnung aus. Die Anglikaner gehen noch einen Schritt weiter: Sie übertragen die Verwaltung und Leitung der Lehre, der Sakramente den Bischöfen (vgl. H. Holzapfel: "Katholisch und Protestantisch" Freiburg i. Brsg. 1931, S. 49 ff.) Diese äußere kirchliche Ordnung basiert aber nicht auf deren Institutionalisierung durch Christus selbst, sondern auf menschlicher Anordnung, für welche grundsätzlich Freiheit für deren Ausgestalten in Anspruch genommen wird. (Zur Bestimmung des protest. Kirchenbegriffes vgl. J. Kunze: "Symbolik" Leipzig 1922, ebenso Ph. Bachmann: "Unterricht in der christlichen Religion" Leipzig 1927)
In der Ablehnung der Kirche als Heilsinstitution mit ihren klar definierten Strukturen - weswegen man auch von der Kirche als "societas perfecta" spricht - nähern sich unsere Kleriker, die die Institution ebenfalls ablehnen, indem sie sich weigern, sie wieder aufzubauen, nolens volens dem protestantischen Kirchenbegriff an. Damit bekommt ihr Handeln eine dogmatisch bewertbare Dimension, die sich nun nicht mehr hinter irgendwelchen Situationszwängen verstecken kann.
"Sine Ecclesia salus est"?
Diese Verweigerung, die Kirche wieder aufzubauen, beinhaltet aber noch eine weitere schwerwiegende Fehleinstellung: sie verkehrt das Axiom des hl. Cyprian "extra Ecclesiam nulla salus est" - "außerhalb der Kirche kein Heil" in ihr Gegenteil: "extra Ecclesiam salus est" oder präziser: "sine Ecclesia salus est" - "Heil auch ohne Kirche"... worauf die jungen Kleriker ihr pastorales Handeln abstellen wollen. Solche Bemühungen sind zum Scheitern verurteilt.
Schluß-Appell
Es ist höchste Zeit, die vom verstorbenen Bischof Carmona eingeleiteten Maßnahmen zur Aufrichtung der kirchlichen Einheit wieder aufzugreifen.
Hinweis der Redaktion für Priester, die aus der Priesterbruderschaft St. Pius X. ausgetreten sind oder wegen theologischer Differenzen aus ihr ausgeschlossen wurden bzw. die die widersprüchliche Position durchschaut haben, die die Bruderschaft offiziell vertritt.
Wie im "Mitteilungsblatt der Priesterbruderschaft St. Pius X." vom Oktober dieses Jahres zu lesen ist, werden unter "Personelle Veränderungen im Distrikt" (S. 9) die Namen von acht Priestern aufgeführt, die entweder entlassen wurden oder von sich den Austritt aus der Bruderschaft erklärt haben. Nach Rücksprache mit Rev. Padre Daniel Pérez, dem ehemaligem Obern der Priesterunion TRENTO in Mexiko, bietet er diesen Priestern Gespräche über eine mögliche Kooperation mit TRENTO an, mit dem erklärten Ziel, die Möglichkeit einer Eingliederung zu sondieren. Dieses Angebot gilt auch für die Priester der Pius-Bruderschaft, die die widersprüchliche Haltung ihrer Organisation durchschaut haben und heimlich die sedisvakantistische Position vertreten. Wie die ersten sedisvakantistischen Bischöfe Carmona, Zamora und Vezelis beschlossen hatten, könnte jedoch eine Aufnahme nur dann erfolgen, wenn die legitimen Zweifel an der Gültigkeit von Mgr. Lefèbres Priester- und Bischofsweihe durch eine Nachweihe sub conditione behoben würden. Dieser Forderung hat auch Mgr. Ngô-dinh-Thuc ausdrücklich zugestimmt, als er selbst Mgr. Lefèbvre brieflich zusicherte, ihn wegen der intentionalen Defizite nachzuweihen.
34. Jahrgang Nr. 11, Dezember 2004. S. 357-363
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