II. Die Verkennung der göttlichen Institution der Ehe
1. Die zahlreichen Methoden der Herabwürdigung der Ehe
Wenn Wir so, Ehrwürdige Brüder, die ganze Erhabenheit der reinen Ehe erwägen, dann muß sich Unser Schmerz um so mehr steigern, als Wir sehen, wie diese göttliche Einrichtung gegenwärtig der Verachtung und Erniedrigung preisgegeben ist.
Nicht mehr bloß im Geheimen und Dunkeln, sondern vor aller Öffentlichkeit, ohne jedes Schamgefühl, in Wort und Schrift, in Schauspielen jeder Art, in Romanen, Liebesgeschichten und Satiren, in Kinodarstellungen, in Rundfunkvorträgen, kurz, mit allen Erfindungen der Neuzeit wird die Heiligkeit der Ehe in den Staub gezogen oder der Lächerlichkeit preisgegeben. Ehescheidungen, Ehebruch und die schimpflichsten Laster werden verherrlicht oder wenigstens in schillernden Farben dargestellt, als ob sie von jeglicher Schuld und Schande frei wären. Es fehlt auch nicht an Büchern, die in Wirklichkeit nicht selten nur den äußeren Schein der Wissenschaft haben, die man aber ungescheut als wissenschaftlich anpreist, damit sie um so leichter Eingang finden. Die darin vertretenen Lehren werden als die höchsten Errungenschaften des modernen Geistes angepriesen, jenes Geistes, der, einzig auf die Wahrheit bedacht, sich von allen angeblichen Vorurteilen der Alten frei gemacht habe und der dann unter diese veralteten Anschauungen auch die ererbte christliche Lehre von der Ehe rechnet und sie dahin verweist.
Diese Lehren träufeln sie allen Menschenklassen ein, Reichen und Armen, Arbeitnehmern und Arbeitgebern, Gebildeten und Ungebildeten, Ledigen und Verheirateten, Gottesfürchtigen und Gotteshassern, Erwachsenen und Jugendlichen, ja den Jugendlichen an erster Stelle; denn da sie sich in ihrer Unerfahrenheit am leichtesten umgarnen lassen, werden gerade ihnen die verfänglichsten Schlingen gelegt.
Zwar lassen sich nicht alle Vertreter der neuen Lehren zu den letzten Folgerungen einer ungezügelten Leidenschaft fortreißen. Einige suchen gleichsam auf halbem Weg stehen zu bleiben und meinen, nur in gewissen Punkten des Gesetzes Gottes und der Natur müsse man der heutigen Zeit einige Zugeständnisse machen. Aber auch sie sind, mehr oder weniger bewußt, Sendlinge jenes unerbittlichen Feindes, der Unkraut unter den Weizen zu säen sucht.45 Wir, die der Hausvater zu Wächtern seines Ackers bestellt hat mit dem heiligen und dringenden Auftrag, zu verhüten, daß der gute Same von giftigem Unkraut erstickt werde, Wir glauben jene ernsten Worte vom Heiligen Geist an Uns gerichtet, mit denen der Apostel Paulus seinen geliebten Jünger Timotheus ermahnte: »Du aber sei wachsam ... Tue, was deines Amtes ist! ... Predige das Wort, dringe darauf, es komme gelegen oder ungelegen, halte die Wahrheit vor, beschwöre, strafe in aller Geduld und Unterweisung.«46
Um aber die Fallstricke des bösen Feindes meiden zu können, ist es zunächst nötig und nützlich, sie den Harmlosen aufzudecken und aufzuweisen. Obwohl Wir diese Dinge nicht einmal nennen möchten, wie es sich für die Heiligen geziemt47, so können Wir sie doch um des Heiles und Nutzens der Seele willen nicht völlig mit Schweigen übergehen.
2. Die Quelle des Irrtums: die Auffassung der Ehe als rein menschlicher Institution
Beginnen Wir mit dem Ursprung dieser Übel. Ihre Hauptwurzel liegt darin, daß man behauptet, die Ehe sei weder von dem Schöpfer der Natur eingesetzt noch von Christus dem Herrn zur Würde eines wahren Sakramentes erhoben worden, sie sei vielmehr eine Erfindung der Menschen. Nach der Aussage einiger findet sich in der Natur und in ihren Gesetzen nichts von einer Ehe, sondern nur die Fähigkeit, Leben zu geben, und der heftige Trieb, sie mit Befriedigung zu betätigen. Andere geben zu, daß sich in der menschlichen Natur Ansätze und Keime zu einer wahren Ehegemeinschaft finden, insofern als für die Würde der Gatten und den natürlichen Zweck der Erzeugung und Erziehung der Nachkommenschaft nicht genügend gesorgt wäre, wenn die Menschen nicht durch ein dauerndes Band zusammengehalten würden. Aber auch sie lehren, daß die Ehe selbst, weil über diese keimhafte Anlage hinausgehend, nur vom Menschengeist erdacht, nur durch den Willen der Menschen eingeführt worden sei, wenn dabei auch mancherlei Ursachen mitgewirkt haben mögen.
Wie sehr sie alle jedoch irren und wie schmachvoll sie von dem, was ehrbar ist, abweichen, erhellt schon zur Genüge aus allem, was Wir über den Ursprung und die Natur der Ehe, über deren Zweck und die ihr innewohnenden Güter in diesem Schreiben auseinandergesetzt haben. Aber die ganze Verderblichkeit dieser Truggebilde erhellt erst recht aus den Folgerungen, welche ihre eigenen Vertreter daraus ziehen. Da die Gesetze, Einrichtungen und Vorschriften zur Regelung des Ehelebens ausschließlich durch den Willen des Menschen geschaffen sind, sollen sie auch ihm allein unterstehen und können und müssen deshalb, nach menschlichem Belieben und je nach den Zeitverhältnissen gegeben, geändert oder ganz abgeschafft werden. Der Geschlechtstrieb aber, weil auf der Natur selbst beruhend, sei etwas Unantastbares und erstrecke sich über die Ehe hinaus. Er könne darum innerhalb und außerhalb der Ehegemeinschaft, auch ohne Rücksicht auf die Ehezwecke, ausgeübt werden, gerade als ob die schimpfliche Ausschweifung der Dirne fast gleichberechtigt wäre mit der keuschen Mutterschaft der rechtmäßigen Gattin.
Aus diesen Gedanken heraus sind einige darauf verfallen, neue Verbindungen auszudenken, die ihrer Meinung nach den heutigen Zeitverhältnissen besser entsprechen und die sie als ebenso viele neue Ehearten betrachtet wissen wollen; einige wollen eine „Zeitehe“, andere eine „Versuchsehe“, andere die „Kameradschaftsehe“, der sie alle Rechte und Freiheiten der Ehe zuerkennen, jedoch ohne unauflösliche Verbindung und mit Ausschluß von Nachkommenschaft, es sei denn, daß beide Teile ihre Lebensgemeinschaft in eine vollberechtigte Ehe umwandeln.
Es fehlt sogar nicht an solchen, die mit aller Macht auf gesetzliche Anerkennung ihrer Wahngebilde oder wenigstens auf Berücksichtigung in den staatlichen und gesellschaftlichen Einrichtungen drängen. Dabei kommt ihnen nicht einmal der Gedanke, daß all dies nichts gemein hat mit moderner Kultur, deren sie sich so gerne rühmen, sondern nichts als verwerflichste Sittenverderbnis ist, die auch ein Kulturvolk zu den barbarischen Sitten und Gebräuchen gewisser wilder Völker zurückführen würde.
3. Die Verkennung der Ehe im Hinblick auf die Güter der Ehe im einzelnen
a) Die Mißkennung des ersten Gutes, des Kindes
Der Ehemißbrauch
Aber treten Wir nunmehr, Ehrwürdige Brüder, an die Einzelheiten heran, mit denen man gegen die Güter der Ehe angeht. Das erste dieser Güter ist das Kind. Viele gehen so weit, die Nachkommenschaft eine beschwerliche Ehelast zu nennen und den Rat zu geben, die Eheleute sollten das Kind nicht durch ehrbare Enthaltsamkeit (die mit beiderseitigem Einverständnis auch in der Ehe erlaubt ist), sondern durch Verkehrung des natürlichen Aktes fernhalten. Solche verbrecherische Freiheit nehmen einige für sich in Anspruch, weil sie aus Widerwillen gegen den Kindersegen die Last vermeiden, aber trotzdem die Lust genießen wollen; andere, weil sie angeblich keine Enthaltsamkeit beobachten, aber auch nicht den Kindersegen zulassen können, da es ihre persönlichen Verhältnisse oder die der Mutter oder die schwierige Vermögenslage nicht gestatten.
Aber es gibt keinen auch noch so schwerwiegenden Grund, der etwas innerlich Naturwidriges zu etwas Naturgemäßem und sittlich Gutem machen könnte. Da nun aber der eheliche Akt seiner Natur nach zur Weckung neuen Lebens bestimmt ist, so handeln jene, die ihn bei seinem Vollzug absichtlich seiner natürlichen Kraft berauben, naturwidrig und tun etwas Schimpfliches und innerlich Unsittliches.
Es ist darum auch nicht zu verwundern, daß die Hl. Schrift bezeugt, die göttliche Majestät hasse und verabscheue solch verwerfliches Tun, ja habe es sogar schon mit dem Tode bestraft. Darauf macht auch der hl. Augustinus aufmerksam, wenn er schreibt: »Unerlaubt und unsittlich ist der eheliche Verkehr selbst mit der rechtmäßigen Gattin, wenn dabei die Weckung neuen Lebens verhütet wird. Das hat Onan, des Judas Sohn, getan, und darum hat ihn Gott getötet.«48
Da nun noch vor kurzem einige in offenkundiger Abweichung von der in ununterbrochener Folge von Anfang an überlieferten christlichen Lehre geglaubt haben, amtlich und feierlich über solches Tun anders lehren zu sollen, erhebt die katholische Kirche, von Gott selbst zur Lehrerin und Wächterin der Unversehrtheit und Ehrbarkeit der Sitten bestellt, inmitten dieses Sittenverfalls, zum Zeichen ihrer göttlichen Sendung, um die Reinheit des Ehebundes von solch schimpflicher Makel unversehrt zu bewahren, durch Unseren Mund laut ihre Stimme und verkündet von neuem: Jeder Gebrauch der Ehe, bei dessen Vollzug der Akt durch die Willkür der Menschen seiner natürlichen Kraft zur Weckung neuen Lebens beraubt wird, verstößt gegen das Gesetz Gottes und der Natur, und die solches tun, beflecken ihr Gewissen mit schwerer Schuld.
Kraft Unserer höchsten Autorität und wegen der Uns obliegenden Sorge um das Heil aller Menschen ermahnen wir daher die Beichtväter und die übrigen Seelsorger, die ihnen anvertrauten Gläubigen über dieses schwer verpflichtende göttliche Gesetz nicht im Irrtum zu lassen, noch mehr aber, sich selber von derartigen falschen Meinungen freizuhalten und ihnen nicht aus Schwäche nachzugeben. Sollte aber ein Beichtvater oder Seelenhirte, was Gott verhüte, selber die ihm anvertrauten Gläubigen in solche Irrtümer führen oder durch seine Zustimmung oder durch böswilliges Schweigen sie darin bestärken, so möge er wissen, daß er dereinst Gott, dem höchsten Richter, ernste Rechenschaft über den Mißbrauch seines Amtes wird ablegen müssen. Er möge sich das Wort Christi gesagt sein lassen: »Blinde sind sie und Führer von Blinden. Wenn aber ein Blinder einen Blinden führt, fallen beide in die Grube.«49
Was nun die Gründe betrifft, mit denen man den Ehemißbrauch verteidigt, so werden – um von den unsittlichen ganz zu schweigen – nicht selten erdichtete oder doch übertriebene vorgebracht. Nichtsdestoweniger kennt die heilige Mutter, die Kirche, nur zu gut die wirklichen Gefahren für Gesundheit und Leben der Mutter und fühlt sie tief mit. Wer könnte sie ohne inniges Mitleid überdenken? Wer wird nicht von der höchsten Bewunderung ergriffen, wenn er sieht, wie eine Mutter in wahrem Heldenmut sich dem fast sicheren Tode aussetzt, um dem Kind, das sie unter dem Herzen trägt, das Leben zu erhalten? Was sie alles auf sich nimmt, um allen ihren Mutterpflichten gerecht zu werden, das kann ihr allein der reiche und erbarmungsvolle Gott vergelten und er wird ihr ihren Lohn sicherlich nicht nur in vollem, sondern in überfließendem Maße zukommen lassen.50
Die heilige Kirche weiß ferner sehr gut, daß nicht selten der eine Eheteil das sündige Tun nur leidet, nicht vollbringt, indem er aus gewichtigen Gründen die Verkehrung der rechten Ordnung geschehen läßt, ohne sie selber zu wollen, und daß er darum keine Schuld auf sich lädt, wofern er nur des Gebotes der Liebe eingedenk bleibt und es nicht unterläßt, dem Ehegefährten von der Sünde abzuraten und ihn davon zurückzuhalten. Auch jene Eheleute handeln nicht wider die Natur, die in ganz natürlicher Weise von ihrem Recht Gebrauch machen, obwohl aus ihrem Tun infolge natürlicher Umstände, seien es bestimmte Zeiten oder gewisse Mängel der Anlage, neues Leben nicht entstehen kann. Denn es gibt in der Ehe selbst wie in dem Gebrauch des Eherechts auch Zwecke zweiter Ordnung: die wechselseitige Hilfe, die Betätigung der ehelichen Liebe und die Regelung des natürlichen Verlangens, Zwecke, die anzustreben den Ehegatten keineswegs untersagt ist, vorausgesetzt, daß die Natur des Aktes und damit seine Unterordnung unter das Hauptziel nicht angetastet wird.
Tief erschüttern Uns auch die Klagen der Eheleute, die unter dem Druck bitterer Armut kaum wissen, wie sie ihre Kinder aufziehen sollen.
Aber trotzdem muß man sich davor hüten, daß die verhängnisvolle Vermögenslage Anlaß zu einem noch verhängnisvolleren Irrtum wird. Es kann keine Schwierigkeiten geben, die die Verpflichtung des göttlichen Gebotes, Handlungen zu unterlassen, die ihrer inneren Natur nach sündhaft sind, aufzuheben vermöchten. Es sind keine Verhältnisse denkbar, unter denen die Gatten nicht mit Hilfe der göttlichen Gnade ihrer Pflicht treu bleiben und die eheliche Keuschheit von jener entehrenden Makel rein bewahren könnten. Denn fest bleibt die Wahrheit des christlichen Glaubens, die das Trienter Konzil in seiner Lehrentscheidung also ausgedrückt hat: »Niemand darf sich des verwegenen und von den Vätern unter der Strafe des Bannes verbotenen Wortes bedienen: die Gebote Gottes zu beobachten, sei dem Gerechtfertigten unmöglich. Denn Gott befiehlt nichts Unmögliches; indem er befiehlt, mahnt er zu tun, was du tun kannst, und um das zu bitten, was du nicht kannst, und er hilft, daß du kannst.«51 Die gleiche Lehre wurde von der Kirche wiederholt und feierlich bestätigt gelegentlich der Verurteilung der jansenistischen Irrlehre, die sich gegen Gottes Güte den blasphemischen Satz aufzustellen erdreistet hatte: »Einige Gebote Gottes sind den Gerechten, auch denen, die ernstlich wollen und versuchen, mit den Kräften, die sie gegenwärtig haben, unmöglich; es fehlt ihnen auch die Gnade, durch die sie ihnen möglich würden.«52
Die Abtreibung
Aber noch ein anderes schweres Vergehen, Ehrwürdige Brüder, ist zu erwähnen, das das Leben des Kindes im Mutterschoße bedroht. Es anzutasten soll nach den einen erlaubt sein, wenn es Vater und Mutter so gefällt. Andere halten dies für unerlaubt, falls nicht schwerwiegende Gründe hinzukommen, die sie mit den Namen „medizinische“, „soziale“ und „eugenische Indikation“ bezeichnen. In bezug auf die staatlichen Strafgesetze, wodurch die Tötung des Ungeborenen verboten wird, verlangen alle diese Richtungen, daß die Strafgesetze die von ihnen vertretene Indikation (nicht alle vertreten die gleiche) anerkennen und für straflos erklären. Einige stellen sogar die Forderung, die öffentlichen Behörden sollten zu diesen tödlichen Operationen ihre hilfreiche Hand bieten, was verschiedenenorts, wie allgemein bekannt, nur zu oft geschieht.
Bezüglich der sogenannten „medizinischen und therapeutischen Indikation“ haben Wir schon erklärt, Ehrwürdige Brüder, wie sehr Wir es mitempfinden, daß mancher Mutter aus der Erfüllung ihrer Mutterpflichten große Gefahren für die Gesundheit oder gar das Leben entstehen. Aber was für ein Grund vermöchte jemals auszureichen, um die direkte Tötung eines Unschuldigen zu rechtfertigen? Denn darum handelt es sich hier. Mag man nun die Mutter oder das Kind töten, es ist gegen Gottes Gebot und die Stimme der Natur: »Du sollst nicht töten!«53 Gleich heilig ist beider Leben, das zu vernichten selbst die Staatsgewalt keine Befugnis hat. Ganz zu Unrecht wird diese Befugnis gegen Unschuldige aus dem Recht der Gewalt über Leben und Tod gefolgert, die doch nur Schuldigen gegenüber Geltung hat. Auch das Recht der gewaltsamen Verteidigung gegen einen ungerechten Angreifer kommt hier nicht in Frage. (Wer wollte wohl ein unschuldiges Kind einen ungerechten Angreifer nennen?) Und ein „Notstandsrecht“, das bis zur direkten Tötung eines Schuldlosen reichte, gibt es nicht. Daß sich um beider Leben, das der Mutter wie das des Kindes, gewissenhafte und erfahrene Ärzte bemühen, verdient alles Lob und alle Anerkennung; dagegen würde sich des edlen Namens und Lobes eines Arztes unwürdig erweisen, wer unter dem Vorwand, Heilmaßnahmen zu treffen, oder aus falsch verstandenem Mitleid auf den Tod des einen von beiden abzielte.
Diese Ausführungen stehen in Übereinstimmung mit den ernsten Vorwürfen, die der Bischof von Hippo gegen entartete Gatten richtete, die die Empfängnis zu verhüten suchen und, wenn ihnen das mißlingt, sich nicht scheuen, in sündhaftem Tun die Frucht zu töten: »Zuweilen«, so sagt er, »gehen Leidenschaft und Grausamkeit so weit, daß sie mit Gifttränken die Unfruchtbarkeit herbeizuführen suchen und, wenn sie keinen Erfolg haben, auf irgend eine Weise die Frucht im Mutterschoße vernichten und entfernen. Ihr Streben geht also dahin, die Frucht zu vernichten, bevor sie noch zu leben beginnt, oder, wenn sie im Mutterschoße schon lebte, sie zu töten, bevor sie geboren wird. Wenn beide Gatten so geartet sind, sind sie in Wirklichkeit keine Gatten; und wenn sie von Anfang so geartet waren, dann kamen sie nicht zur Ehe, sondern zur Unzucht zusammen. Sind aber nicht beide so, dann wage ich zu behaupten: entweder ist sie die Buhlerin des Gatten, oder er ist der Buhle der Gattin.«54
Der „sozialen und eugenischen Indikation“ sodann kann und soll mit erlaubten, sittlich einwandfreien Mitteln und innerhalb der rechten Grenzen Rechnung getragen werden; aber den Notständen, auf denen diese Indikationen aufbauen, durch Tötung Unschuldiger abhelfen zu wollen, ist töricht und dem Gebot Gottes zuwider, das der Apostel in die Worte kleidet: »Man darf nicht Böses tun, um damit Gutes zu stiften.«55
Die Staatenlenker und Gesetzgeber endlich dürfen nicht vergessen, daß es Sache der staatlichen Autorität ist, durch zweckmäßige Gesetze und Strafen das Leben der Unschuldigen zu schützen, und zwar um so mehr, je weniger das gefährdete Leben sich selber schützen kann. Und hier stehen doch an erster Stelle die Kinder, die die Mutter noch unter dem Herzen trägt. Sollte jedoch die öffentliche Gewalt diesen Kleinen nicht allein den Schutz versagen, sie vielmehr durch ihre Gesetze und Verordnungen den Händen der Ärzte und anderer zur Tötung überlassen oder ausliefern, dann möge sie sich erinnern, daß Gott der Richter und Rächer unschuldigen Blutes ist, das von der Erde zum Himmel schreit.56
Die Frage der Eugenik
Zu verwerfen sind zum Schluß noch jene bedenklichen Bestrebungen, die zwar zunächst das natürliche Recht des Menschen auf die Ehe, tatsächlich aber unter gewisser Rücksicht auch das Gut der Nachkommenschaft angehen. Es finden sich nämlich solche, die in übertriebener Sorge um die „eugenischen“ Zwecke nicht nur heilsame Ratschläge zur Erzielung einer starken und gesunden Nachkommenschaft geben – was der gesunden Vernunft durchaus nicht zuwider ist –, sondern dem „eugenischen“ Zweck den Vorzug vor allen andern, selbst denen einer höheren Ordnung geben. Sie möchten daher von Staats wegen alle von der Ehe ausschließen, von denen nach den Gesetzen und Mutmaßungen ihrer Wissenschaft infolge von Vererbungen nur eine minderwertige Nachkommenschaft zu erwarten ist, auch wenn sie zur Eingehung einer Ehe an sich tauglich sind. Ja sie gehen so weit, solche von Gesetzes wegen, auch gegen ihren Willen, durch ärztlichen Eingriff jener natürlichen Fähigkeit berauben zu lassen, und zwar nicht als Körperstrafe für begangene Verbrechen, noch auch um künftigen Vergehen solcher Schuldiger vorzubeugen, sondern indem sie gegen alles Recht und alle Gerechtigkeit für die weltliche Obrigkeit eine Gewalt in Anspruch nehmen, die sie nie gehabt hat und rechtmäßigerweise überhaupt nicht haben kann.
Sie vergessen zu Unrecht, daß die Familie höher steht als der Staat und daß die Menschen nicht an erster Stelle für die Zeit und die Erde, sondern für den Himmel und die Ewigkeit geboren werden. Und in der Tat, es ist nicht recht, Menschen, die an sich zur Eingehung einer Ehe fähig sind, aber trotz gewissenhaftester Sorge voraussichtlich nur einer minderwertigen Nachkommenschaft das Leben geben können, schon deshalb einer schweren Schuld zu zeihen, falls sie in die Ehe treten, wenn ihnen auch oft die Ehe zu widerraten ist.
Was nun die Obrigkeit angeht, so hat sie über die körperlichen Organe ihrer Untertanen keine direkte Gewalt. Wo keine Schuld und damit keine Ursache für körperliche Bestrafung vorliegt, kann sie die Unversehrtheit des Leibes weder aus eugenischen noch aus irgendwelchen Gründen direkt verletzen oder antasten. Das ist auch die Lehre des hl. Thomas von Aquin, der bei Erörterung der Frage, ob der weltliche Richter zur Verhütung künftiger Schäden einem Menschen Übel zufügen könne, dies zwar für gewisse Sicherungsmaßnahmen zugibt, es aber mit Fug und Recht für jede Art von Körperverletzung verneint. »Niemals«, so sagt er, »darf ein Schuldloser durch ein menschliches Gericht mit Körperstrafe belegt werden, die in Tötung oder Verstümmelung oder Züchtigung besteht.«57
Der einzelne aber hat über die Glieder seines Leibes kein anderes Verfügungsrecht, als daß er sie ihrem natürlichen Zweck entsprechend gebrauchen kann. Er darf sie daher weder vernichten noch verstümmeln, noch auf irgend eine andere Weise sich zu ihren natürlichen Funktionen untauglich machen, außer wenn sonst für das Wohl des ganzen Körpers nicht gesorgt werden kann. So sagt es die christliche Sittenlehre und das gleiche steht schon aus der Vernunft fest.
b) Die Mißkennung des Gutes der Treue
Die dreifache Verletzung dieses Gutes
Gehen Wir über zu einer zweiten Gruppe von Irrtümern, die sich auf die eheliche Treue beziehen. Jede Sünde gegen die Nachkommenschaft ist in gewissem Sinne auch eine Verfehlung gegen die eheliche Treue, da das eine Gut der Ehe mit den andern verkettet ist. Aber davon abgesehen sind so viele Arten besonderer Irrtümer und Verfehlungen gegen die Ehetreue aufzuzählen, als diese Treue Tugenden des häuslichen Lebens umfaßt: die treu gehaltene eheliche Keuschheit jedes Gatten, die ehrenvolle Unterordnung der Frau unter den Mann, die unwandelbare und aufrichtige gegenseitige Liebe.
Der Ehebruch
Die Treue tasten zunächst jene an, die die Meinung vertreten, man müsse den Zeitanschauungen über gewisse falsche und durchaus nicht harmlose Freundschaften mit dritten Personen in etwa Rechnung tragen. Sie verfechten die Ansicht, man müsse den Ehegatten hier nach außen eine größere Denk- und Bewegungsfreiheit zugestehen, und das um so mehr, als nicht wenige von Natur eine so starke Triebveranlagung hätten, daß sie sie innerhalb der engen Schranken der Einehe nicht befriedigen könnten. Daher halten sie die strenge Anschauung ehrbarer Gatten, die jede der Leidenschaft entspringende Zuneigung und Handlung mit einer dritten Person verurteilt und zurückweist, für eine rückständige Enge des Geistes und Herzens oder sehen in ihr unwürdige und verächtliche Eifersucht. Und darum wollen sie auch, daß alle staatlichen Strafgesetze über die Wahrung der ehelichen Treue wirkungslos seien bzw. für wirkungslos erklärt werden.
Edelgesinnte und keusche Gatten werden schon aus dem unmittelbaren natürlichen Empfinden heraus all diese Dinge als eitel und schimpflich zurückweisen und verachten. Und die Stimme der Natur erhält hier volle Bestätigung und Bekräftigung durch das Gottesgebot: »Du sollst nicht ehebrechen!«58 und durch das Wort Christi: »Wer immer ein Weib anblickt, um ihrer zu begehren, der hat schon in seinem Herzen die Ehe mit ihr gebrochen.«59 Keine menschlichen Gepflogenheiten, keine verkehrten Beispiele, keine Art angeblichen menschlichen Fortschritts können jemals die Verpflichtung dieses Gottesgebotes entkräften. Denn gleichwie ein und derselbe »Jesus Christus gestern, heute und in alle Ewigkeit«60, so bleibt auch Christi Lehre immer die gleiche, »kein Jota von ihr wird vergehen, bis alles geschieht.«61
Die sogenannte Frauenemanzipation
Alle diese nun, die so den Glanz der ehelichen Treue und Keuschheit zu verdunkeln trachten, sind es auch, die als Lehrer des Irrtums den treuen und ehrenvollen Gehorsam der Frau gegen den Mann gern erschüttern möchten. Einige Verwegene gehen noch weiter und bezeichnen diesen Gehorsam als eine entwürdigende Versklavung des einen Eheteils durch den andern. Beide Gatten, sagen sie, besäßen völlig gleiche Rechte. Da diese Ebenbürtigkeit durch die Sklaverei des einen Teiles verletzt werde, so rühmen sie sich stolz, eine Befreiung der Frau vollzogen zu haben, oder fordern, daß sie in Bälde vollzogen werde. Je nachdem es sich bei dieser Befreiung um die Leitung der häuslichen Gemeinschaft oder die Vermögensverwaltung oder die Verhütung bzw. Tötung neuen Lebens handelt, unterscheiden sie eine dreifache Emanzipation: eine soziale, wirtschaftliche, physiologische. Die physiologische Emanzipation verstehen sie dahin, daß es der Frau völlig frei stehen soll, die mit dem Beruf der Gattin und Mutter verknüpften natürlichen Lasten von sich fernzuhalten (daß dies keine Befreiung, sondern ein ruchloser Frevel ist, haben Wir schon zur Genüge dargelegt). Die wirtschaftliche Emanzipation soll der Frau das Recht bringen, ohne Vorwissen und gegen den Willen des Mannes ihr eigenes Gewerbe zu haben, ihre Angelegenheiten und Geschäfte selbst zu betreiben, selbst die Verwaltung in Händen zu halten, gleichgültig, was dabei aus Kindern, Gatten und der ganzen Familie wird. Die soziale Emanzipation endlich will die Frau dem engen Kreis der häuslichen Pflichten und Sorgen für Kinder und Familie entheben, um sie freizumachen für ihre angeborenen Neigungen, damit sie sich anderen Berufen und Ämtern, auch solchen des öffentlichen Lebens widmen kann.
Aber das ist keine wirkliche Befreiung der Frau; sie enthält nicht jene der Vernunft entsprechende und gebührende Freiheit, wie sie die hehre Aufgabe der Frau und Gattin fordert. Sie ist eher eine Entartung des weiblichen Empfindens und der Mutterwürde, eine Umkehrung der ganzen Familienordnung, so daß der Gatte der Gattin, die Kinder der Mutter, die ganze Familie und Hausgemeinschaft der stets wachsamen Hüterin und Wächterin beraubt werden. Diese falsche Freiheit und unnatürliche Gleichstellung mit dem Manne wird sich zum eigenen Verderben der Frau auswirken; denn wenn sie einmal von der Höhe und dem Thron herabsteigt, zu dem sie innerhalb der Familie durch das Evangelium erhoben wurde, wird sie bald (vielleicht weniger dem äußeren Schein nach, wohl aber in Wirklichkeit) in die frühere Sklavenstellung zurückgedrängt und wie im Heidentum zu einem bloßen Werkzeug des Mannes werden.
Jene Rechtsgleichheit aber, die hier in so übertriebener Weise beansprucht wird, besteht hinsichtlich der Persönlichkeitsrechte und der Menschenwürde und in dem, was dem Vertrag entspringt und der Ehe eigentümlich ist; hierin erfreuen sich in der Tat beide Gatten gleicher Rechte und haben gleiche Pflichten, in den übrigen Dingen aber muß eine gewisse Ungleichheit und Abstufung herrschen, wie sie das Familienwohl und die notwendige Einheit und Festigkeit der häuslichen Gemeinschaft und Ordnung fordern.
Sollte jedoch in einem Lande die soziale und wirtschaftliche Lage der verheirateten Frau wegen der gewandelten Kulturverhältnisse eine Abänderung benötigen, so ist es Aufgabe der Staatsgewalt, die bürgerlichen Rechte der Gattin den Bedürfnissen und Forderungen der Jetztzeit anzupassen unter Berücksichtigung der Eigenart der weiblichen Natur, der Sittlichkeit und Ehrbarkeit und des Gemeinwohls der Familie; nur muß die wesentliche Ordnung der Hausgemeinschaft unangetastet bleiben, da sie durch eine höhere als die menschliche, nämlich die göttliche Autorität und Weisheit festgesetzt ist und darum keiner Änderung durch Staatsgesetze oder durch das Gutdünken der einzelnen unterliegen kann.
Die Ersetzung der sittlich geformten Liebe durch die „Sympathie“
Die heutigen Feinde der Ehe gehen noch einen Schritt weiter. An Stelle der echten und wahren Liebe, die das Fundament des Eheglücks und der innigsten Seelengemeinschaft ist, setzen sie eine mehr triebhafte Übereinstimmung und Zuneigung, die sie Sympathie nennen. Hört sie auf, so lockere sich, wie sie behaupten, das Band, durch das allein die Gatten miteinander verbunden sind; ja es werde völlig gelöst. Was heißt das anders, als ein Haus auf Sand bauen, das nach dem Worte Christi beim ersten Ansturm der Wogen des Unglücks sofort ins Wanken gerät und einstürzt? »Und es bliesen die Winde und stürmten wider jenes Haus, es brach zusammen und sein Fall war groß.«62 Das Haus hingegen, das auf den Felsen der echten gegenseitigen Liebe der Gatten gebaut ist, einer Liebe, die durch die klar gewollte und dauernde Eintracht der Seelen gefestigt wird, kann durch kein Unglück erschüttert oder auch nur schadhaft werden.
c) Die Mißkennung der Ehe als Sakrament
Die Leugnung des religiösen Charakters der Ehe
Bis hierhin, Ehrwürdige Brüder, galt Unsere Verteidigung den beiden ersten Gütern der christlichen Ehe, denen die heutigen Umstürzler der Gesellschaftsordnung nachstellen. Da aber das dritte Gut, das des Sakramentes, die anderen übertrifft, darf es nicht wundernehmen, wenn die Feinde dieses Gut noch viel heftiger bekämpfen. Zunächst lehren sie, die Ehe sei eine rein weltliche und bürgerliche Angelegenheit, die keineswegs der Religionsgemeinschaft, der Kirche Christi, sondern ausschließlich der staatlichen Gesellschaft zu unterstellen sei. Ferner wollen sie den Ehebund von jedem unlösbaren Bande befreit wissen; es soll die Trennung oder Scheidung der Gatten nicht geduldet, sondern auch gesetzlich gutgeheißen werden. Infolgedessen wird es dahin kommen, daß die Ehe ihres heiligen Charakters entkleidet und zu den rein weltlichen und bürgerlichen Dingen gerechnet wird.
Als erstes stellen sie also auf, der bürgerliche Akt sei als der eigentliche Ehevertrag anzusehen (sie nennen das die Zivilehe); der religiöse Akt hingegen solle eine bloße Zutat sein, die man höchstens dem abergläubischen Volke gestatten könne. Ferner soll es den Katholiken freistehen, anstandslos Mischehen mit Nichtkatholiken einzugehen ohne Rücksicht auf die Religionsvorschriften und ohne vorherige Erlaubnis der kirchlichen Obrigkeit. Das zweite betrifft die völlige Ehescheidung: sie wird gerechtfertigt, und Staatsgesetze, die die Lösung des Ehebandes begünstigen, werden gelobt und empfohlen.
Da der religiöse Charakter jeder Ehe und vor allem des christlichen Ehesakraments in dem Rundschreiben Leos XIII., das Wir mehrfach erwähnt und Uns ausdrücklich zu eigen gemacht haben, ausführlich behandelt und begründet wird, so verweisen Wir hier darauf und wollen nur einige wenige Punkte wiederholen.
Schon das Licht der bloßen Vernunft, die Geschichtsquellen des Altertums, die stete Überzeugung der Menschheit, die Sitten und Gebräuche aller Völker bekunden zur Genüge, daß sogar der Naturehe ein gewisser heiliger und religiöser Charakter eignet, »nicht als etwas von außen an sie Herangebrachtes, sondern ihr Angeborenes, nicht als etwas durch Menschenwillkür Angenommenes, sondern von der Natur Hineingelegtes, weil die Ehe Gott zum Urheber hat und von Anfang an eine Andeutung der Menschwerdung des göttlichen Wortes war.«63 Der geheiligte Charakter der Ehe, der mit der Religion und der Ordnung des Heiligen in innigem Zusammenhang steht, ergibt sich: aus ihrem göttlichen Ursprung, den Wir oben bereits erwähnt haben; dann aus ihrem Zweck, Kindern für Gott das Leben zu schenken und sie für Gott zu erziehen sowie die Gatten auf dem Wege christlicher Liebe und gegenseitiger Hilfe zu Gott zu führen; endlich aus der Betätigung der ehelichen Naturaufgabe, die nach der Absicht Gottes, des Schöpfers, Mittel zur Weitergabe des Lebens sein soll, so daß die Eltern sozusagen als Gehilfen in den Dienst der Allmacht Gottes treten. Dazu kommt die neue Würde, die die Ehe durch das Sakrament erhält. Sie erhebt die christliche Ehe zum höchsten Adel und verleiht ihr eine Auszeichnung, daß sie dem Apostel als ein »großes und überaus verehrungswürdiges Geheimnis« erschien.64
Der religiöse Charakter der Ehe, ihre erhabene Bedeutung als Abbild der gnadenvollen Vereinigung zwischen Christus und der Kirche verlangt von den Brautleuten eine heilige Ehrfurcht vor dem christlichen Ehestand und ein heiliges und eifriges Streben, ihre eigene Ehe, die sie eingehen wollen, möglichst nahe an das Vorbild Christi und der Kirche heranzubringen.
Die Mischehe
Schwer und oft nicht ohne Gefahr für ihr ewiges Heil fehlen hierin jene, die leichtsinnig eine Mischehe eingehen, von der die mütterliche Liebe und Vorsicht der Kirche ihre Kinder aus den gewichtigsten Gründen abhält. Das zeigt sich an der großen Zahl von Äußerungen, die in dem Kanon des kirchlichen Rechtsbuches zusammengefaßt sind, der bestimmt: »Aufs strengste verbietet die aus solcher Ehe vermeiden.
Die Ehescheidung
Ein Haupthindernis jedoch, Ehrwürdige Brüder, gegen die von unserem Heiland Jesus Christus gewollte Wiederherstellung und Vollendung der Ehe bildet die von Tag zu Tag fortschreitende Erleichterung der Ehescheidung. Die Verfechter des Neuheidentums setzen trotz der traurigen Erfahrungen ihren von Tag zu Tag erbitterteren Kampf gegen die gottgewollte Unauflöslichkeit der Ehe und die zu ihrem Schutz aufgestellten Gesetze fort. Ihr leidenschaftlich verfolgtes Ziel ist, die Ehescheidung zu legalisieren und jene veralteten Gesetze durch menschlichere zu ersetzen.
Der Gründe, die sie zugunsten der Ehescheidung vorbringen, sind viele und verschiedenartige; solche, die von persönlicher Schuld und Verfehlung herrühren, andere, die in der Sache selber liegen (die ersteren nennen sie subjektive, die letzteren objektive Gründe), dann auch all das, was irgendwie das Zusammenleben hart und schwer erträglich macht. Diese Gründe und die angestrebten Gesetze suchen sie auf mannigfache Weise zu rechtfertigen. Zunächst mit dem Wohl beider Gatten: ist der andere Teil unschuldig, so stehe ihm das Recht zu, von dem schuldigen wegzugehen; ist er schwerer Vergehen schuldig, so müsse er aus der Gemeinschaft, die für den andern unerträglich und erzwungen sei, ausgesondert werden. Einen weiteren Grund sieht man in dem Wohl der Nachkommenschaft, die die richtige Erziehung entbehren müsse und infolge der Zwietracht und anderer Untugenden der Eltern nur allzuleicht Schaden leide und vom rechten Wege abgedrängt werde. Einen letzten Grund erblicken sie im Gemeinwohl der menschlichen Gesellschaft. Dieses verlange zunächst die völlige Auslöschung all der Ehen, die doch nichts mehr taugen zur Erreichung dessen, was die Natur beabsichtigt. Sodann sei den Gatten die Trennung gesetzlich zu gestatten zur Vermeidung von Verbrechen, auf die man bei ihrem erzwungenen Beisammenbleiben nur zu sehr gefaßt sein müsse, und damit nicht die Gerichte und das Ansehen der Gesetze täglich mehr zum Gespött würden. Denn um das ersehnte Scheidungsurteil zu erreichen, begingen die Gatten entweder absichtlich Verbrechen, auf die hin der Richter kraft des Gesetzes das Eheband lösen kann, oder sie behaupten frech mit Lüge und Meineid vor dem Richter, auch wenn dieser den wahren Sachverhalt durchschaut, sie hätten sich solche Verfehlungen zuschulden kommen lassen. Unter diesen Umständen müßten, so sagen sie, die Gesetze solchen Notlagen, den veränderten Zeitumständen, der öffentlichen Meinung, den Verhältnissen und Gepflogenheiten moderner Staaten angepaßt werden. Diese Gründe, besonders aber alle zusammengenommen, seien ein augenscheinlicher Beweis für die Notwendigkeit, aus bestimmten Ursachen die Ehescheidung zu gestatten.
Andere gehen in ihrer Verwegenheit noch weiter und wähnen: da die Ehe ein bloßer Privatvertrag sei, so sei es, gleich wie bei den übrigen Privatverträgen, dem Gutdünken und dem übereinstimmenden Willen der beiden Vertragschließenden völlig anheimzustellen, die Ehe aus jedem beliebigen Grunde wieder zu lösen.
Schrift und kirchliches Lehramt verteidigen die Unauflöslichkeit der Ehe
Allen diesen Torheiten steht, Ehrwürdige Brüder, unbeugsam und unerschütterlich das eine göttliche Gesetz gegenüber, das Christus in seinem vollen Umfang bestätigt hat. Ein Gesetz, das durch keine Menschensatzungen und Volksbeschlüsse und kein Diktat der Gesetzgeber entkräftet werden kann: »Was Gott verbunden hat, das soll der Mensch nicht trennen.«67 Trennt er gegen das Recht trotzdem, so bleibt sein Unterfangen wirkungslos. Daraus ergibt sich die Schlußfolgerung, die Christus mit ausdrücklichen Worten bekräftigt: »Ein jeder, der sein Weib entläßt und eine andere heiratet, der bricht die Ehe: und wer eine vom Manne Geschiedene heiratet, der bricht die Ehe.«68 Diese Worte Christi treffen auf jede Ehe zu, auch auf die bloß natürliche. Denn jede wahre Ehe besitzt die Eigenschaft der Unauflöslichkeit, wodurch die Lösung des Bandes dem Gutdünken der Parteien und jeglicher weltlichen Gewalt entzogen ist.
Hier ist auch die feierliche Entscheidung des Trienter Konzils ins Gedächtnis zurückzurufen, das unter Strafe des Bannes den Satz verwarf: »Wenn jemand behauptet, das Eheband könne gelöst werden wegen Abfalls vom wahren Glauben, oder weil das Zusammenleben zur Last geworden, oder wegen böswilligen Verlassens, so sei er im Banne.«69 Und weiterhin: »Wenn jemand behauptet, die Kirche irre, wenn sie gelehrt hat und noch lehrt, gemäß der Lehre des Evangeliums und der Apostel könne das Eheband wegen Ehebruchs des einen Gatten nicht gelöst werden, und keiner von beiden, auch der unschuldige nicht, der keine Ursache zum Ehebruch gegeben hat, könne zu Lebzeiten des andern Gatten eine neue Ehe eingehen, und es begehe Ehebruch sowohl der Mann, der nach Entlassung seiner ehebrecherischen Frau eine andere heiratet, wie auch die Frau, die nach Entlassung ihres Mannes einen anderen heiratet: so sei er im Bann.«70
Wenn aber die Kirche nicht geirrt hat und nicht irrt, indem sie dies lehrte und lehrt, und wenn es darum sicher ist, daß das Eheband nicht einmal wegen Ehebruchs gelöst werden kann, dann ist es offenkundig, daß die übrigen schwächeren Gründe, die man zugunsten der Ehescheidung vorzubringen pflegt, noch viel weniger Beweiskraft haben und übergangen werden können.
Einzige Möglichkeit: Trennung der Ehegatten
Übrigens lassen sich die oben erwähnten dreifachen Einwände gegen die Festigkeit des Ehebandes leicht lösen. Alle jene Nachteile und Gefahren sind unschwer zu beheben, wenn in den genannten äußersten Fällen den Gatten eine unvollkommene Trennung gestattet wird, jene nämlich, die bei Wahrung des Ehebandes das Kirchengesetz ausdrücklich in den Kanones über die Trennung von Bett, Tisch und Hausgemeinschaft71 gewährt. Über die Gründe, die Bedingungen, die Art und Weise einer solchen Trennung sowie über die Vorsichtsmaßregeln für die Erziehung der Kinder und das Wohl der Familie und zur Vermeidung aller Nachteile, die dem Gatten, den Kindern oder der staatlichen Gemeinschaft drohen, darüber Bestimmungen zu treffen, ist Sache der kirchlichen Gesetze und zum Teil auch der bürgerlichen, soweit es sich um bürgerliche Belange handelt.
Widerlegung der Ehescheidung aus natürlichen Überlegungen
Dieselben Gründe aber, die zur Erhärtung der unauflöslichen Festigkeit der Ehe angeführt werden und die Wir oben bereits erwähnt haben, können mit ganz dem gleichen Recht als Beweise dafür gelten, daß es keine Notwendigkeit der Ehescheidung und kein Recht dazu gibt, und daß keine Obrigkeit die Macht hat, sie zu erlauben. So viele offensichtliche Vorteile für die Unauflöslichkeit der Ehe sprechen, ebenso viele Nachteile zeigen sich auf der Seite der Ehescheidung, Nachteile, die sich zum Schaden der einzelnen wie der gesamten menschlichen Gesellschaft auswirken.
Um nochmals einen Ausspruch Unseres Vorgängers anzuführen, so läßt sich kaum in Worte fassen, wie groß der Segen ist, den die Unauflöslichkeit der Ehe in sich schließt, wie schlimm dagegen die Saat von Übeln und Schäden, die die Ehescheidung in sich birgt. Hier, wo das Eheband unangetastet bleibt, erblicken wir die Ehen in voller Sicherheit; dort, wo man Scheidung der Gatten vorschlägt oder sie der Gefahr der Ehescheidung aussetzt, wird der Ehebund schwankend und wandelbar oder Zweifeln und Verdacht ausgesetzt. Hier gegenseitiges Wohlwollen und eine wunderbar gefestigte Gemeinschaft aller Güter; dort aber ist eben aus der Möglichkeit der Scheidung diese Gemeinsamkeit in der traurigsten Weise geschwächt. Hier die trefflichsten Mittel zum Schutze der ehelichen Treue und Keuschheit, dort verderbliche Anreize zur Untreue. Hier wird das Kind gern entgegengenommen, sein Schutz und seine Erziehung wirksam gefördert, dort wird es den größten Schädigungen ausgesetzt. Hier sind der Zwietracht zwischen Familien und Verwandten alle Zugänge verschlossen; dort ist dazu nur zu häufig Gelegenheit geboten. Hier werden Streitigkeiten leichter unterdrückt, dort wird der Same der Zwietracht weit und breit in reichster Fülle ausgestreut. Hier vor allem wird die Würde und Stellung der Frau in der häuslichen wie in der bürgerlichen Gesellschaft wieder voll zur Geltung gebracht, dort in unwürdiger Weise herabgedrückt; denn die Gattinnen sind der Gefahr ausgesetzt, »verlassen zu werden, nachdem sie der Leidenschaft des Mannes gedient haben.«72
Da zum Verderben der Familien, um mit den tiefernsten Worten Leos XIII. zu schließen, »und zum Umsturz der Staaten nichts so sehr beiträgt wie die Sittenverderbnis, so ist leicht ersichtlich, daß die größte Feindin der Wohlfahrt von Familie und Staat die Ehescheidung ist, die aus der Sittenentartung der Völker entspringt und nach dem Zeugnis der Erfahrung den größten Lastern im öffentlichen und privaten Leben Tür und Tor öffnet. Noch viel schlimmer erscheinen diese Übel, wenn man bedenkt, daß in Zukunft keine Zügel stark genug sein werden, um die einmal gewährte Erlaubnis zur Ehescheidung innerhalb bestimmter und absehbarer Grenzen zu halten. Groß ist wahrhaftig die Macht des Beispiels, aber größer noch die der Leidenschaft. Infolge dieser Verlockungen wird es dahin kommen, daß das Verlangen nach Ehescheidung täglich weiter um sich greift und in viele Herzen eindringt gleich einer ansteckenden Seuche oder einem mächtigen Strom, der die Dämme durchbricht und das Land überschwemmt.«73
Wenn daher, wie es im gleichen Rundschreiben heißt, »die Menschen ihre Pläne und Entschlüsse nicht ändern, haben sowohl die Familie wie die menschliche Gesellschaft fortwährend zu gewärtigen, daß sie elendiglich in den Umsturz und die Auflösung aller Ordnung hineingeraten.«74 Wie richtig das alles vor fünfzig Jahren vorausverkündet wurde, beweist mehr als genug die täglich wachsende Sittenverderbnis und die unerhörte Entartung des Familienlebens in jenen Ländern, wo der Kommunismus zur vollen Herrschaft gelangt ist.
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