Das „Vater unser“
(Sedulius, Carmen paschale 2,234-300) übers. von Linus P.
Vater unser, der du bist im Himmel
So sprach Christus: Bittet den Vater, durch Taufe der unsre/Seiner durch Anspruch, einzige Ehre erwies er dem Menschen:/Denn was allein er besaß, zum Besitz gewährt' er es allen./Vater wir nennen den himmlischen Herrn: in ihm nun geziemt es,/Brüder zu sein, und die Brüder zu hassen nach Fleischesbegehren,/Das ist nimmer erlaubt. Erglühend jedoch durch die Glut des/Geistes, schaffen wir weg, was erinnert an uralte Täuschung!/Neu sei der Mensch, den wir tragen, damit nicht das Ird'sche/Gott, den Erhabnen verlasse, für den uns die Gnade vom Himmel – /Christus war Führer hierbei - zu erwählten Kindern geboren.
Geheiligt werde dein Name
Wo wohl wird der Herr, der alles heiligt durch Schaffen./Wo wird er selbst wohl wieder geheiligt, wenn nicht im/Herzen, das fromm, wenn nicht in der Brust, die da keusch ist./Würdig mache er uns, ihn zu heil'gen in frommer Verehrung!/Selbst er zeige die Weis', wie er gelöbet sein möchte!/Segen empfangen wir von ihm, von uns steigt Lob ihm empor.
Zu uns komme dein Reich
Ach, es komme das Reich, das des Tods entbehrt und ohne Ende/währt.. Denn niemals mehr folgt diesem Reich eine Folge von Zeiten./Nachtlos ist dort der beständige Tag, denn er kennt keine Zeit mehr./Christus herrscht dort, und mit ewiger Krone bekrängt er das edle/Haupt des siegreichen Kriegers, der herrlichen Lohn hat erlanget.
Dein Wille geschehe wie im Himme1 also auch auf Erden
Das erflehen wir ständig bei Tag und bei Nacht im Gebete:/Wie im Himmel gescheh' auch auf Erden sein heiliger Wille!/Niemals will er, daß irgendein Unrecht bestehe und schadend/nahe der Feind. Wie einst aus dem Himmel, so wirf ihn auch jetzo/weg von der Erde, daß nicht die wütende Schlange es wage,/unsern Leib als billigen Boden zu nutzen. Der alles hegt, sich verströmend in vollkommner Liebe, möge in Allmacht/Leib und Seele zusammen behüten: von uns ist ein Teil ja/himmlisches Gut, der andre jedoch gehört dieser Erde.
Gib uns heute unser tägliches Brot
Nahrung des Glaubens wir hoffen vom täglichen Brote; es könnte/sonst unser Geist den Hunger nach Lehre verspüren, wenn Christus/ferne weilte von ihm; denn Christus sättigt mit Wort und Leib uns/Arme: Er ist ja in einem Wort und Speise zugleich. Und/süß sind die Worte des Herrn, und unsere Seele bewahrt sie./Süß sind sie fürwahr über Honig und jegliche Süße.
Und vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern
Wenn wir nun bitten, er möge unsere Schuld vergeben,/dann vergeben auch wir! Denn jeden verpflichtet sein eigen Wort. Denn gewiß: Wir werden härter gebunden, falls wir uns/weigern, zu lösen die Bande des Nächsten. Der Herr, der voll Milde/zehnmal tausend Talente an Schulden vergibt, überliefert jeden den Henkern sogleich, wenn er sieht, wie wir einen Mitknecht/hundert Denare wegen bitter bedrängen und schlagen. Wahrlich, in diesem grausigen Kerker liegt jeder gebunden -/erst wenn der letzte Heller bezahlt ist, entläßt er uns wieder.
Und führe uns nicht in Versuchung
Nein, nicht der Herr, der der Weg zum Licht, der Pfad zum Frieden;/nein, nicht der Herr führt uns in die Schlingen des bösen Versuchers, er verläßt unsere Bosheit nur, wir beschreiten dann selbst die/Wege zum Bösen, wer nämlich folgt dem Lockruf der Welt, der siebt ihre Geilheit und Lust, mit denen das Unheil ihn anlockt./Gott liebt die Tugend, drum läßt er dann solche allein, die Versuchung/führt sie sodann, wohin sie nur will, in beliebiges Unheil./Drum wohlan, ziehen zurück wir den Fuß vom Weg ins Verderben! /Mutig wollen wir gehen den steilen Weg in die Höhe!/Schmal ist der Pfad, der durch’s enge Tor, in den.Himmel uns führet!
Sondern erlöse uns von dem Übel
Wenn wir zu meiden wünschen das Böse, müssen wir eifrig/folgen dem Guten: denn dieses bringt Freiheit, jenes den Tod, und/dieses nährt, doch jenes tötet. Denn soweit von der Erde/weg sind die Sterne, vom Wasser das Feuer, vom Finstern das Licht, vom/Kriege die Eintracht, vom Leben der Tod, viel weiter noch ist das/Gute vom Bösen entfernt. Den Weg links oder rechts hat jeder zu/gehen. Der rechte Pfad aller Guten bringt allen Gerechten/seine besonderen Freuden und ruft in deinen Schoß sie,/o Patriarch! Doch links, am Pfad aller Bösen, wird Rache geübt, und/ tief in den gottfernen Abgrund werden sie alle geworfen./ Gottes Lämmer und Schafe haben als einzigen Wunsch und/einzige glückliche Freiheit nur dieses: zu entgehen dem blut'gen/Rachen des finsteren Wolfs und auf Christi Weide zu leben.
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