EHE, FAMILIE UND ERZIEHUNG
von H.H. Dr.theol. Otto Katzer
1. Fortsetzung:
Es sei jedoch gleich zu Beginn bemerkt, daß ein heiliges und erhabenes eheliches und sexuelles Leben nur aus einem gediegenen religiösen Leben erwachsen kann. In diesem Zusammenhang bemerkt die hl. Birgitta: "Jene, die aus göttlicher Liebe und Gottesfurcht der Nachkommenschaft willen zusammenkommen, sind ein geistiger Tempel, in welchem ich als Dritter wohnen will... Wenn nämlich ihre Gedanken bei mir verweilen und sie ihren Willen meinen Händen anvertrauen und in Gottesfurcht die Ehe begehen, dann werde ich ihnen meinen Beifall bezeigen und als Dritter unter ihnen bleiben... Suchen sie aber eine schnell vergehende Glut und das Fleisch, die Nahrung der Würmer, kommen sie zusammen, ohne auf das Band Gott Vaters und die Verbindung mit Ihm zu achten, ohne die Liebe des Sohnes, ohne den Trost des Heiligcn Geistes, verläßt mein Geist sofort solche Eheleute, wenn sie dem Bette nahen, und der unreine Geist tritt heran, da sie nur deshalb zusammenkommen, um der Geilheit zu frönen und nichts anderes ihren Sinn durchdringt." (1)
Tief in den Urwäldern Äquatorial-Afrikas lebt eine Rasse von kleinen Menschen, die Pygmäen. Der größte von den Männern erreicht 1,50 m, die von den Frauen 1,40 m. Sie leben allein von dem, was die Natur ihnen bietet. Sie betreiben weder Landwirtschaft noch Viehzucht. Da sie nun nicht jene "Vollkommenheiten" aufweisen, welche die sogenannte zivilisierte Welt kennzeichnet, spricht man von ihnen als von Primitiven. Mit der Kultur ihres Geistes und Herzens überragen sie jedoch oft, wenn nicht immer, ihre weißen Brüder, solange sie isoliert bleiben und nicht mit Weißen oder Negern in Berührung kommen. Ihr hartes Leben entbehrt nicht der Poesie, es gibt Augenblicke von bezaubernder Schönheit in ihrem Leben. So wenn ihnen ein Kindlein geboren wird, singen sie ein rührendes Lied, dem wir folgenden Vers entnehmen: "Dir, o Schöpfer, Dir Allmächtiger, opfern wir diese frische Blüte, die neue Frucht des alten Stammes: Du bist der Herr und wir sind deine Kinder." (2) Wenn wir nicht offen über jenen Augenblick sprechen, wenn der Grundstein für ein neues Leben gelegt wird, so geschieht das nicht deshalb, weil wir ihn als unmoralisch werten, gerade im Gegenteil, aber deshalb nicht, weil dieser Augenblick so zart ist, daß er selbst einen derben Gedanken nicht ertragen kann. Liebe will mit Liebe allein sein: die Gegenwart einer anderen Person wirkt störend, ja tötet sogar. Wehe aber, wenn diese Liebe nicht echt ist! Dann wird dieser Augenblick besudelt und zu einem Fratzengebilde. So wie der eisige Frost in einer einzigen Nacht alle Blumen und Blüten verbrennt, so kann durch eine einzige egoistische Tat all der Zauber des menschlichen Lebens, und manchmal für immer, verloren gehen. Was aus diesem Schock erwacht, ist so tief verletzt, daß es nur weitervegetieren kann, bis es endgültig abstirbt. Wie viele Ehen brechen gleich in den ersten Tagen zusammen, wenn sie auch nicht bereits vor der Trauung verletzt wurden, da die Ehrfurcht vor dem Geheimnis des Lebens nicht vorhanden war. Wer trägt die Schuld?
Der ganze Leib ist heilig, die Genitalien nicht ausgenommen. Im Hohen Lied Salomons besingt der heilige Autor die Schönheit des menschlichen Leibes und die Herrlichkeit der ehelichen Liebe, welche er als Gleichnis für die Liebe Gottes zum Menschen und des Menschen zu Gott benützt, wie wir es öfters, wie im Alten Testament, so bei den christlichen Mystikern finden.
Der heilige Bernhard erklärte durch zwanzig Jahre das Hohelied seinen Mönchen und beschreibt in 84 Predigten auf eine herrliche Weise die mystische Liebe zu Gott aufgrund des Hohenliedes.
Es ist höchste Zeit, die falsche Prüderie beiseite zu schieben, welche mit der Tugend der Keuschheit nichts Gemeinsames hat, und die Sachen zu nehmen, so wie sie sind. Wir dürfen uns mit ihnen nicht mehr, aber auch nicht weniger befassen, als sie es fordern, nie aber auf eine unkorrekte Weise. Auch müssen wir bedenken, daß dort, wo die Ehrfurcht vor Gottes Werk nicht einsetzt und die Liebe zu Gott nicht zu Hilfe kommt, die Angst vor der Hölle uns schwerlich vor der Entweihung zurückhalten wird. Eine solche Kraft, wie der Sexualtrieb es ist, kann allein von der Liebe gebändigt werden.
Das heißt also keineswegs, daß wir die Schamhaftigkeit beiseite schieben. Im Gegenteil. Wir müssen sie vervollkommnen! Die Schamhaftigkeit bedeckt nicht etwas, was als schamlos zu bezeichnen wäre, denn so etwas kann beim Leibe, der doch die Kathedrale des Heiligen Geistes ist, nicht sein; sie schützt etwas Ehrfürchtiges und Geheimnisvolles vor der Entweihung. Die Scham unterscheidet den Menschen von den Tieren. Kein Tier weist Schamhaftigkeit auf, da es ihrer nicht bedarf, wohl aber der Mensch. Das Geheimnis des Lebens kann und soll nur dem anvertraut werden, der imstande ist, mit seinem Partner eine leib-seelische Einheit zu schaffen, wie der Schöpfer es will: "und beide werden zu einem Fleisch". (3: Genesis 2,24) Aus der Unkenntnis der menschlichen Natur entspringende Ausflüchte und Entschuldigungen gelten nichts oder wenig, da die Unkenntnis seiner selbst, der Seele wie des Leibes, soweit sie für den Menschen überwindbar ist, strafbar ist, ein jeder kann und soll in diesen Dingen Klarheit haben.
Das Geheimnis des Lebens darf beim Menschen nicht mit jedem geteilt werden. Ein Tier lebt für die Art und das Individuum hat Bedeutung allein in Bezug auf die Art. Ihrer Natur entsprechend sind die Tiere sterblich, ein Tier stirbt, um dem anderen Platz zu machen, sie existieren mehr, um die Art zu erhalten, als sich selbst. Beim Menschen ist es anders: Mittelpunkt der Aufmerksamkeit ist das Individuum, dann erst kommt die Art. Der Mensch lebt für sich in Gott und für Gott. Deshalb sollten die, die "ein Fleisch, geworden sind, nie auseinandergehen, aufgrund der Verantwortung sich selbst gegenüber, aber auch zu dem Kinde, dem sie in Gott das Leben geschenkt haben. Diese Verantwortung endet ja nicht mit der Geburt des Kindes, sondern entfaltet sich allmählich, und dauert das ganze Leben. Solch eine gegenseitige Verantwortung fordert die Monogamie, (Einehe), wie auch die Unauflöslichkeit der Ehe. Diese finden wir auch fast immer bei den ältesten Menschenkulturen, immer aber dort, wo Kinder sind. Die Polygamie, wie wir sie nicht selten im Alten Testament sehen, ist als eine Abweichung vom Ideal zu betrachten, eine Nachsicht der menschlichen Unvollkommenheit gegenüber. (4: Matth.19,4) Die Propheten betrachten die Ehe stets als unauflösbar und benützen sie als Vergleich für das Verhältnis von Israel zu Gott. (5: Os. 2,19-20) Eine gewisse Erklärung für die Polygamie bei den Israeliten bietet die Isoliertheit des Volkes.
Daraus entspringt natürlich die Forderung der Jungfräulichkeit vor der Ehe, welche auch bei den ältesten menschlichen Kulturen stets zu finden ist. So spricht der "Große Mann" bei den zentralkalifornischen Maidu-Indianern: "Jungfrauen sollen mit Männern zusammenkommen, erst nachdem sie verheiratet sind; und ledige Männer sollen, erst nachdem sie verheiratet sind, mit Frauen schlafen". (6: P.W. Schmidt, Ursprung der Gottesidee, II,127) Es ist wirklich komisch, wenn sogenannte zivilisierte Völker dies wie in so vielen anderen Dingen nicht verstehen wollen.
Die Heiligkeit der Ehe, wie auch das Naturgesetz, fordern den Ausschluß von allem Unnatürlichen, dem, was nicht physiologisch ist. So schreibt V.A. Giliarovski in Psikhiatria, Moskau: "Es it wünschenswert, daß das sexuelle Verhältnis, soweit möglich, ohne Antikonzeptionsmittel verläuft, mit Aussicht auf eine Empfängnis... Es ist auf das äußerste notwendig, daß der sexuelle Akt eine volle psychologische wie auch physische Befriedigung mit sich bringt.. Es besteht kein Grund zu glauben, daß sexuelle Enthaltsamkeit Ursache für psychische Störungen, geschweige denn für eine Psychose sein könnte..." (7: The Lancet, January 1951,220)
Ähnlich schreibt ein moderner deutscher Autor: "Van de Veldesche eheliche Technik und Methoden der Antikonzeption sind im Widerspruch mit der biologischen, psychologischen und anthropologischen Notwendigkeit eines ungestörten sexuellen Aktes und geben Anlaß für eine Neurose." (8: Sutermeister. Über den heutigen Stand der Sexualforschung, Praxis, 1950) In einem sehr bekannten medizinischen Werke (9: Assman, Lehrbuch der inneren Medizin, Berlin 1936), in dem auch von den Neurosen gesprochen wird; lesen wir, daß eine jede Disproportion zwischen Instinkt und seiner Befriedigung zum fruchtbaren Boden für eine Neurose wird. In der Ehe kann es auf Grund der Regelung der Kinderzahl zu großen Störungen kommen, und alles Unnatürliche kann zur Quelle von neurotischen Nöten werden. "Gewollte und mehr noch ungewollte Kinderlosigkeit sind eine schwere Last für die Frau. Schwer ist nicht nur das Fehlen des Kindes, es ist das Nichtausleben einer natürlichen Funktion, trifft das Geltungsbedürfnis und macht fast unvermeidlich ein Insuffizienzgefühl, das freilich oft ganz unbegründet ist." Der deutsche Biologe Alverdes schreibt: "Gelingt es einem Organismus nicht, die ihm entsprechende Totalität zu erreichen, so ist er in seiner Existenz auf das Ernsteste bedroht."(10: Alverles, Die Totalität des Lebendigen, 91)
"Halte die Ordnung ein", mahnt der hl. Augustinus, "und die Ordnung wird dich erhalten!" In diesem Zusammenhang müssen wir bedenken, was Bovet sagt: "Wie manche Ehefrau wandert von einem Spezialisten zum anderen, und ihre Beschwerden hören auf, wenn man den immer neu enttäuschenden Coitus Interruptus abstellt." (11: Bovet, Die Person, ihre Krankheiten und Wandlungen, Bern 1946, S. 103) "Es muß zugegeben werden, daß bis heute kein absolut verläßliches Antikonzeptionsmittel existiert, nur die Entfernung des Uterus oder beider Ovarien. (Was natürlich von der Kirche verboten ist. Anm.v.O.K.) Weder das Sichzurückziehen, noch vaginale Ausspülungen sind verläßlich, noch sind es die sog. sicheren Tage bei Frauen mit unregelmäßigem Menstrualzyklus." (12: Weiss-English, Psychosomatic Medicine, S. 376) Dasselbe gilt in der neuesten Zeit auch für die Pille, wobei noch zu betonen ist: "Jede Kontrazeption beeinträchtigt jedoch das Liebeserleben von Mann und Frau. Die Hingabe ist deshalb ein Liebesbeweis der Frau, weil sie das Wagnis der Mutterschaft - als mögliche Nebenwirkung des Liebesaktes - einschließt." (13: Gisela Heinze, Familienplanung aus ärztlicher Verantwortung. Psychotherap. Psychosom. 21: 316-320, 1972/73) Sexualmißbräuchliche Manipulationen können sehr oft zu vorübergehender oder sogar dauernder Sterilität Mit allen ihren traurigen Folgen führen.
Wenn es aus einem gerechten, schwerwiegenden Grund nicht möglich ist, mit einem Kinde zu rechnen, so bleibt als letztes, moralisch relativ zulässiges Mittel die Methode Knaus-Ogino, von welcher wir aber soeben gesagt haben, daß auch sie, wie alle anderen nicht absolut zuverläßlich ist. Auch wird sie sofort unmoralisch dort, wo Geilheit sie ausgesucht hat. Das einzig sichere Mittel ist die Enthaltsamkeit, aus Liebe zu Gott, zum Ehepartner und dem möglichen Kinde.
Die Enthaltsamkeit wäre viel leichter, wenn man die Gewohnheit der Ehebetten aufgeben würde und Mann und Frau getrennt schlafen könnten, wenn auch im selben Schlafzimmer. Die Behauptung, der Mann bedürfe des sexuellen Verkehrs ist absolut unbegründet dort, wo ein der leibseelischen Natur des Menschen entsprechendes Leben geführt wird. Wenn der Mann ernstlich seinem Beruf nachgeht, besteht kein Grund für Schwierigkeiten, vorausgesetzt daß er ein tief religiöses Leben führt und seine Phantasie streng kontrolliert. Die periodischen, meist im Schlaf eintretenden Samenentleerungen zeigen, daß die Natur für die Regulation schon gesorgt hat.
Wenn es zum ehelichen Verkehr einmal in vierzehn Tagen, ja sogar einmal in der Woche kommt, ist die Empfängnis so wie so nicht wahrscheinlich, wenn sie auch nie völlig ausgeschlossen werden kann. Ein zu häufiger Verkehr ist aber bereits eine Verkehrtheit! Die Strafe wird nicht ausbleiben! Es steht nirgends geschrieben, daß Gott den Eheleuten ein Kindlein geben muß! Wie viele wünschen sich ein Kindlein, und doch wird ihnen diese Freude nicht zuteil. Wenn ihnen aber dieses von Gott geschenkt wird, dann - nachdem sie ihren Verpflichtungen nachgekommen sind - müssen sie den Rest Gott selbst überlassen, der der Vater aller ist.
In der Beherrschung des Sexualinstinktes soll sich der Mensch als Herr seiner selbst beweisen. Wenn er es nicht zustande bringt, dann ist er entweder krank oder böse, eine andere Erklärung gibt es nicht. In früheren Zeiten wurde während der ganzen Fastenzeit in christlichen Familien Enthaltsamkeit auch im ehelichen Verkehr geübt. Dies ist besonders in unseren um die Nachkommenschaft so "besorgten" Zeiten herzlichst zu empfehlen. Nur auf diese Art kann man es verhindern, daß der Fortpflanzungstrieb nicht in eine unkontrollierbare Leidenschaft entartet. Wir müssen wiederholen, daß der sexuelle Akt aus Liebe zu Gott eine dreifache Liebe aufweisen muß. Das Kind muß gewollt werden von den Eltern und nicht etwa auf der Welt mit einem Stempel eines unerwünschten Gastes erscheinen, eines ungewollten Familienzuwachses, weil die Eltern nicht "vorsichtig" genug waren. Wenn die Eltern ein solches Kind mit den Worten: "Wohl, wenn du schon einmal hier bist ..." willkommen heißen, dann ist es noch ein gutes Ende.
(Fortsetzung folgt)
Anmerkungen:
(1) Revelationum liber I, cap. XXVI, 9. (2) R.P.Trilles, Les Pymées de la Forêt Equatoriale, S. 342.
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