VORLÄUFER, NACHLÄUFER, MITLÄUFER von Ambros Kocher
Es ist Tatsache, daß ein Mensch umso mehr ohne Scheu beurteilt wird, je größer der Zeitraum ist, der uns von ihm trennt. So kommt es, daß man Lebende oder erst vor kurzem Abgeschiedene nicht zu tangieren wagt. So kommt es, daß die Wahrheit sich vor solchen verhüllen muß, auch wenn ihre Offenbarung noch so notwendig wäre. Der Grund dafür liegt in der menschlichen Schwäche und in der Feigheit. Man entschuldigt sich mit dem Vorzeichen der Liebe oder mit der Autorität.
Der hl. Petrus, Papst und Blutzeuge für seinen Herrn und Meister, gilt auch heute noch gewissermaßen als Prototyp des Verleugners. Er vermag sich nicht zu wehren. Eigene Verräterei entschuldigt man mit dem Hinweis auf den hl. Petrus. Wehe dir aber, solltest du es versuchen, die heutigen Verräter - es handelt sich wirklich um Verräter an Wahrheit, Christus und Kirche - beim Namen zu nennen! Selbst die "besten" unter den Priestern, die unter solchen Verrätereien zu leiden haben, warnen mit einem ängstlichen "Pst". Unsere modernen Herren wissen über unsere heiligen Päpste Pius X. bis XII. nichts Vorteilhaftes zu berichten. Bestenfalls heißt es, sie seien zeitgebunden befangen und abgesondert gewesen. Wer nimmt sich des verlästerten Pius XII. an, des pflichtbewußten Hüters des Depositum Fidei und des beispielhaften Hirten? Diese Päpste hätten Vorläufer einer entfalteten und blühenden Kirche sein können - wenn sie "Nachläufer" gefunden hätten.
Der bekannteste unter allen Vorläufern ist der heilige Johannes der Täufer. Er ist der Vorläufer Christi und damit Wegbereiter einer Kirche. Christus sagte von ihm: "Kein Größerer ward erweckt unter den vom Weibe Geborenen". (Mt.11,11) So hat ihn denn auch die Kirche als den größten unter den Heiligen nach der Allerseligsten Jungfrau verehrt und ihn nach Dieser und den Engeln in die Allerheiligenlitanei eingereiht. Prädikate wie "der Liebe" oder "der Gute" wurden ihm nicht beigegeben.
Er ist der Vertreter der Wahrheit, der Reinheit und der Buße. So präsentiert er von Anfang an das Wesentliche an der Kirche. Er ebnete den Boden für jenen, der größer ist als er, und dessen Schuhriemen zu lösen er sich nicht für würdig hielt. Er ebnete den Weg für die Erlösung, er tat es um den Preis seines Lebens. Johannes der Vorläufer fand nicht besonderes Ansehen bei der Behörde; das Volk lief ihm nach, mehr aus Neugierde getrieben, denn von Bußgeist angespornt. Richtunggebend wirkte Johannes für die Vollkommenheit.
Hunderte von Jahren verflossen nachdem Johannes Gesetz und unveränderliche Wahrheit mit seinem Blute besiegelt hatte, da trat ein neuer Johannes auf, auch ein Vorläufer. Er nannte sich zwar nicht so, was aber gleichbedeutend ist, er bezeichnete sich als Übergangspapst. Er wird doch selber wissen, was er damit gemeint hat. Man halte ihn ja nicht für naiv oder gar dumm! Er war ja lange Zeit in der Diplomatie tätig und verfügte über eine gehörige Dosis an Bauernschlauheit. Übergang zu einer neuen Kirche, das ist es und nichts anderes. Übergang zu einem neuen Herrn, Chef einer neuen Kirche. Er wurde als der "Gute" bezeichnet, von den Franzosen als "Le Débonnaire". Wer die Irrlehrer nicht mehr verdammen will, der ist freilich in den Augen der Irrlehrer ein "Guter". "Die Irrlehren vergehen im Lichte der Sonne wie Nebel". Das war seine Ansicht. Bezeichnend ist die Tatsache, daß er eben von Freimaurern, Juden und Kommunisten als Guter gelobt und gepriesen wurde. Auf ein Lob aus solchem Munde möchten wir alle verzichten. Wer zwei bedeutende Enzykliken, die wegweisend werden sollten, herausgegeben hat, der ist nicht dumm und weiß gewiß, was er will. "Mater et Magistra" und "Pacem in Terris" stehen im Widerspruch zur bisherigen Sozial- und Rechtslehre der Kirche. Diese Umkehrung bedeutet, daß die Partikular-, Individual- und Kollektivinteressen nicht mehr von vorneherein der allgemeinen Gerechtigkeit unterworfen sind. Der Mensch wird Fundament und Ziel, Ziel und Subjekt aller Institutionen, in denen sich das soziale Leben offenbart (singuli homines, also die Individuen). Solche Lehren sind wahrhaftig in besonderer Weise dazu geeignet, zur marxistischen Kirchenlehre hinzuführen. Prächtiges Präludium zu "Populorum Progressio". Der Vorläufer-Spruch, keine Irrlehren mehr verdammen zu wollen, wird tatsächlich offenbar im Akte seines Nachläufers, der die Tiara, das Symbol der unfehlbaren Papstwürde und des Magisteriums, verkaufte. Die Ausrede, damit einen Akt positiver Armut zu geben, wirkt lächerlich, auf keinen Fall glaubwürdig.
Der Empfang russischer Diplomaten und Journalisten bildete eine ausgezeichnete Anregung zum Empfang kommunistischer und freimaurerischer Kreise, für die Liebesbeteuerungen gegenüber kommunistischen "Freiheitskämpfern".
Das Vorläufertum gestaltete sich höchst bedenklich durch einsetzende liturgische "Erneuerungen" und Veränderungen. Was bis dahin als unantastbar gehalten und beobachtet wurde, das wurde angetastet. Durch solche Änderungen wurde eine Lawine ausgelöst. Das Ziel solchen Vorläufertums bestand darin, das Volk mit den ungewohnten liturgischen Veränderungen vertraut zu machen und es daran zu gewöhnen. Man begann, mit dem Gottesvolk ein schändliches Spiel zu treiben. Unsere gutgläubigen, aber einfältigen Priester glauben immer noch, solche "Anfänge" annehmen zu müssen. Principiis obsta. Kehrt zurück, bevor ihr hereinfallt.
Wenn das gesagt wird, was der historischen Wahrheit entspricht, so soll über niemand gerichtet werden. Das Gericht steht Gott allein zu. Im Übrigen gilt in bezug auf die obersten Hirten das, was Kardinal Kajetan lehrt: "Der Grundsatz, wo der Papst ist, da ist die Kirche, hat nur Geltung, wenn der Papst sich als Haupt der Kirche verhält. Aber wenn das nicht der Fall ist, dann ist die Kirche weder in ihm, noch ist er in der Kirche". So spricht der Kämpfer für die Päpstliche Gewalt.
Gibt es heute noch Vorläufer, und zu welchem Ziele? Man weiß es nicht. Auf jeden Fall gibt es eine Menge von Nachläufern und Mitläufern. Das angestrebte Werk steht bereits, die Neue Kirche ist da. Was zu ihrem Aufbau vonnöten war, ist geschehen: Zerstörung der hl. Messe, d.h. der Kirche selber, des Ordenslebens, der päpstlichen Gewalt, des Glaubenslebens, der Moral - am Abbau der Sakramente wird fleißig gearbeitet. Also, was braucht es noch? Nur noch der beiden Arten von Läufern. Wir finden sie zumal im Kreise der Hierarchie. Ein Teil unter ihnen sucht unter Anwendung äußerst gewandter Methoden Klerus und Volk ins Innere der Neuen Kirche zu bugsieren. Ein anderer Teil, der nicht bewußt antreibt, läßt sich selber treiben - feige und voll Menschenfurcht wie sie sind. Wie soll man es denn anders erklären angesichts der Handlungs- und Denkweise jener Bischöfe, die bisher treu zur Kirche und zu einem Pius X. gestanden sind, heute aber, mit der kollegialen Meute mitheulen? Als Kollegen fühlt man sich von innen heraus bewogen, "zusammenzuarbeiten" und mitzulaufen wie Hündchen hinter ihren Herren. Hier gilt ebenfalls das Wort. Clericus clericum non decimat. Vergessen wir nicht die Tatsache: Nichts trübt so sehr die Einsicht und den Verstand und schwächt den Willen wie das Fleisch und die Sinnlichkeit. Es geht in erster Linie um die Verschandelung des Meßopfers. Die sog. guten Hirten machen auch hierin mit, aus Furcht davor, von den Kollegen mißachtet zu werden. Die Furcht davor, wegen ihrer Gotteslästerung dereinst verdammt zu werden, befällt sie kaum. Es hat ja noch Zeit bin dahin. Die Herren sehen, wie das Bußsakrament entwertet wird, sie bringen es fertig, ihre Augen vor den tausendfachen Todsünden zu verschließen, die täglich durch unwürdigen Empfang der hl. Sakramente begangen werden. Die schwerwiegenden Worte "Sumunt boni, sumunt mali, sorte tamen inaequali..." verursachen ihnen kein Bauchgrimmen! Die Schuldigen, sie selbst, werden jenen Interitus erfahren müssen, sie, denen das Hirtenamt übergeben worden ist.
Sie sehen, wie die Jugend in Unreinheit erstickt, wie sie von "Beichtvätern" und Kursleitern verführt wird. Macht heute nichts mehr. Sie unternehmen nichts gegen die Verbreitung der Schundliteratur, dafür aber sehr viel für die Vermehrung der Opfer. Sie lassen die "Pille" empfehlen, empfehlen sie gar selber. Sie hören, wie von Staates wegen Kindermord gesetzlich gestattet werden soll. Man schweigt von oben bis unten: Vorläufer, Mit- und Nachläufer. Nur sozialer Fortschritt, soziale Gerechtigkeit, gleiches Recht für alle, Friede und bessere Zukunft! Und wenn die Herren auch bloß schweigen, ist ihre Schuld groß genug. Durch ihr Schweigen beweisen sie ihr Einverständnis. Wenn ihr Hirten, von oben angefangen bis zu unterst, die Ehrfurcht vor dem Leben, vor dem Schöpfer, vor den Seelen, die euch anvertraut sind, verloren habt, warum zeigt ihr denn nicht wenigstens ein klein wenig Erbarmcn für eure eigene Seele? Ein Hirte, der schweigt, wo er reden sollte, fällt der Hölle anheim. Eine solche Ansicht ist sehr katholisch. Das gleiche Verhältnis der Mitläuferei findet sich im gewöhnlichen Klerus. Die Entschuldigung, sie verständen es nicht besser, gilt nicht. Es handelt sich um ignorantia crassa.
Damit sind wir bei uns, bei den Laien angelangt. Auch hier gibt es verschiedene Stufen: Räte, Beamte, Akademiker, Lehrer, Arbeiter und dienende Leute. Je höher der Rang, umso größer die Bedeutung und Verantwortung! Wir haben zahllose Beamte, Regierungeräte, Bundesräte, National- und Ständeräte und zahlreiche andere -Räte. Welcher unter ihnen nimmt sich der Nöte der Kirche an? Keiner! Und wenn, dann nur im Sinne des "Fortschrittes". Wie tatkräftig und wirkungsvoll vermöchten sie sich für die heilige Messe einzusetzen! Die Hirten müßten notgedrungen klein beigeben. Denn der geistige und materielle Druck, der ausgeübt werden könnte, wäre zwingend. Doch sie sagen sich: Was geht mich das an? Ich kümmere mich um Politik und nicht um die Kirchc, dafür haben wir ja Theologen! Sie benehmen sich wie jener jüdische Priester gegenüber dem Verwundeten am Wegrande. Oh wären sie doch bloß Samaritaner oder Heiden! Sie werden dereinst zur Rechenschaft gezogen werden wegen der Unterlassung des Guten, das sie hätten wirken müssen und sollen. Wie könnten sie sich doch der verstoßenen treuen Priester annehmen! Nein, Politik geht vor, ich schulde es meiner Karriere, ich darf sie nicht aufs Spiel setzen.
Wo sind die katholischen Lehrer und Professoren? Nenne mir einen, der sich für das hl. Meßopfer und für die Sakramente einsetzt! Dann die große Masse des "Gottesvolkes!" alles Mitläufer, feige, sinnlich, bloß auf Irdisches gerichtete Individuen. Nur wenige sind es, die nicht mitlaufen. Wo findest du sie? Suche sie in den Kreisen der Kleinen und Geringen. Es sind kleine Beamte, Arbeiter, kleine Angestellte, Knechte und Mägde. Alles Leute, denen Gott die Gnade der Einsicht verleiht - eben weil sie gering sind und sich als gering fühlen. Gott wählt die Geringsten aus, er bedient sich der Kleinsten, um die Großen zu beschämen. Sie werden den für sie im Himmel vorgesehen Platz einnehmen. Auch in der Hölle gibt es verschiedene Plätze, von zu oberst bis zu unterst. Dort die Vor-, Mit- und Nachläufer im Namen Christi und der Kirche - hier die Vor-, Mit- und Nachläufer im Dienste des Bösen und einer neuen antikirchlichen "Kirche".
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