DER HEILIGE THOMAS MORE - ZUM FEST AM 6. JULI
von Heinrich Storm
Thomas More, nach Thomas Beckett der zweite große Staatsmann, Martyrer und Heilige der englischen Geschichte, wurde 1478 als Sohn des angesehenen Richters John More in London geboren. Der Vater ließ ihm eine gründliche Erziehung und Bildung zuteil werden: Nach dem Besuch einer Schule, die ihn vor allem mit der lateinischen Sprache vertraut machte, trat der Knabe für einige Jahre in den Dienst des Kardinals Morton, Erzbischof von Canterbury, der damals Kanzler von England war. 1492, also im Alter von erst vierzehn Jahren, zog der junge Thomas More als Student nach Oxford, um sich dort mit Fächern wie Geschichte, Geometrie, Arithmetik und Französisch zu befassen, vor allem aber, um in der Zeit des aufblühenden Humanismus die griechische Sprache und Literatur zu studieren. Thomas More war mit Feuereifer bei seinen Studien: "Ich hatte nicht die geringste Vorstellung von Luxus und lebte nur meinen Studien", sagt er selbst einmal über diese Zeit. Die Begeisterung für die klassischen Sprachen sollte ihn sein ganzes Leben hindurch begleiten, nicht von ungefähr gilt der Freund des Desiderius Erasmus nach diesem als einer der bedeutendsten Gelehrten des Humanismus. So war er verständlicherweise nicht erfreut, als ihn sein Vater nach zwei Jahren nach London zurückrief, damit er dort das Studium der Rechte ergriff. Obwohl er also kein begeisterter Jurist war, zeichnete sich Thomas More doch auch in diesem Beruf so sehr aus, daß er bald nach Beendigung seines Studiums Vorträge an seiner Rechtsschule halten durfte und zu den angesehensten Advokaten Londons zählte.
Thomas More wurde schon 1505 member of Parliament (Mitglied des Parlaments), wo er sich bald höchste Achtung, beim Volk aber Beliebtheit erwarb, als er einer überflüssigen Steuer wegen den Absichten des Königs offen entgegentrat.
Während seiner Tätigkeit als Advokat hatte More sich ein Zimmer neben dem Charterhouse, der Londoner Kartause, gemietet, wo er täglich dem Gottesdienst der Mönche beiwohnte. Es ist nicht ausgeschlossen, daß er sich in dieser Zeit der stillen Zurückgezogenheit mit dem Gedanken trug, selbst den Weg zum Priestertum einzuschlagen. Doch schließlich sah er sich doch zu einer anderen Aufgabe berufen: Er kehrte in die Welt zurück und nahm um das Jahr 1504/05 Jane Colt, die Tochter eines Landedelmannes, zur Frau. Schon nach fünf Jahren eines glücklichen Zusammenlebens, während der sie ihrem Mann vier Kinder schenkte, starb diese. Seiner unmündigen Kinder wegen heiratete More bald darauf ein zweites Mal. Alice Middleton, wie seine zweite Frau hieß, wurde ihm eine treue Lebensgefährtin und seinen Kindern eine so gute Mutter, daß er ihr das hohe Lob ausstellte, sie habe "für ihre Stiefkinder so gut gesorgt, wie kaum eine Mutter für ihre eigenen." Während all dieser Jahre setzte sich der berufliche Aufstieg Thomas Mores mit Stetigkeit fort. Er führte ihn über die Stationen eines Vizesheriffs von London und eines Gesandten und Vertrauensmannes Kardinal Wolseys, des mächtigen Kanzlers Heinrichs VIII., 1518 in den Privy Council, das engste Beratergremium des Königs. 1521 wurde More zum Ritter geschlagen und war fortan ständiger Berater und Vertrauter Heinrichs VIII., der ihn zum Kanzler des Herzogtums Lancaster ernannte.
Ohne sich je danach gedrängt zu haben sah sich More, dessen Sehnsucht vielmehr nach einer stillen Gelehrtentätigkeit ging, ins Zentrum der Staatsgeschäfte gestellt. Was ihn bewog, dort wie an allen anderen Stationen seines Lebens nach besten Kräften seinen Mann zu stehen, war weder Machtstreben noch eine Schwäche für den Glanz des höfischen Lebens, beides Dinge, die More seiner natürlichen Anlage nach eher abstießen.Vielmehr bewegte ihn dazu die Liebe zu seinem Vaterland und die Hoffnung, Wohlfahrt und Gerechtigkeit für sein Volk durch seinen Einfluß erhalten und mehren zu können. Dagegen machte er sich über die Gunst des Königs, auch als diese noch ungetrübt schien, so wenig Illusionen, daß er einmal drastisch bemerkte: "... wenn ihm mein Kopf eine Feste in Frankreich erkaufen könnte, so würde er bald fallen." -
Die eigentliche Erfüllung seines Lebens fand Thomas More im Kreise seiner Familie, deren großartige Harmonie von vielen Zeitgenossen mit begeisterten Worten gepriesen wurde. Erasmus von Rotterdam lobt das Haus seines Freundes mit den Worten: "Es herrscht dort eine solche Weite des Geistes, oder, wie ich wohl besser sage, es lebt dort eine solche Frömmigkeit und Klugheit, daß ein jeder, was immer ihm auch an Unabänderlichem begegnet, es so liebt, als wenn sich nichts Glücklicheres hätte ereignen können. Eine so vortreffliche Hausordnung aber weiß dieser Mann ohne Schelten, nur durch Freundlichkeit und Wohlwollen zu behaupten." Größten Wert maß More einer sorgfältigen und gründlichen Erziehung seiner Kinder bei. Er sorgte dafür, daß sie von ausgezeichneten Lehrern unterrichtet wurden und freute sich kindlich, wenn die lateinischen Briefe, die sie ihm an den Hof schrieben, und deren er nicht genug bekommen konnte ihm zeigten, daß der Unterricht an ihnen nicht vergeblich war. Vielmehr als auf die literarische kam es ihm aber auf die Herzensbildung der Kinder an. In einem Brief ermahnt er ihren Hauslehrer, darauf zu achten, "daß sie die Tugend an die erste Stelle rücken und die Bildung an die zweite und in ihren Studien das am höchsten schätzen, was sie Gehorsam gegen Gott, Mildtätigkeit gegen die Nächsten und Bescheidenheit für sich selbst und christliche Demut lehrt." Als ein wahrer christlicher Hausvater bemühte er sich, seine Familie weniger durch Worte und noch weniger durch Drohungen und Strafen, als vielmehr durch das Vorbild seines eigenen Lebens zu leiten. Die Familie umfaßte für ihn dabei nicht nur Frau und Kinder, sondern alle Angehörigen seines Hauswesens, für deren geistiges und leibliches Wohl er sich mitverantwortlich fühlte. Seine Nächstenliebe machte aber auch an dieser Grenze nicht halt, sondern versuchte die Not der Mitmenschen zu lindern, wo immer er ihrer angesichtig wurde und es ihm möglich war. Oft suchte er die Armen, die sich ihrer Not schämten, in ihren Behausungen auf, um ihnen Unterstützung zu bringen. Sein eigenes Heim bot fast immer Kranken und Obdachlosen ein Unterkommen, wo sie das tägliche Brot und hingebende Pflege erhielten. Wie sehr er sich den Nöten seiner Mitmenschen verbunden fühlte, zeigt die folgende Verhaltensweise, die von ihm berichtet wird, besonders deutlich: Sooft er nämlich erfuhr, daß in seiner Nachbarschaft eine Frau in den Wehen lag, widmete er sich dem Gebet und hörte nicht eher auf, als bis ihm die glückliche Niederkunft gemeldet wurde.
Diese Anekdote leitet uns hin zum letzten und bestimmenden Schwerpunkt in Thomas Mores Leben, nämlich seinem festen Glauben an die durch die Kirche geoffenbarten religiösen Wahrheiten, in denen er lebte und aus denen heraus er wirkte. Auf der Höhe seines Lebens vergaß er inmitten des ihm in Beruf und Familie so reich zuteil gewordenen Glücks niemals, Gott, dem Urheber all dieser Gaben, Dank zu sagen. Mit Freude und Eifer nahm er am sakramentalen Leben der Kirche Anteil. "Wenn er ein Amt auszuüben oder ein schwieriges Geschäft zu erledigen hatte, unterließ er es nie, die nötige Kraft für die Ausführung seines Auftrages aus dem häufigen Empfang der hl. Kommunion und dem eifrigen Gebet zum Hl. Geist zu schöpfen." In seinem häuslichen Betzimmer versenkte er sich oft stundenlang in das Gebet und geistliche Betrachtungen, betete aber auch regelmäßig gemeinsam mit seiner Familie, um so sein ganzes Haus zu den geistigen "Quellen hinzuführen, aus denen er selbst so reich schöpfte." Wenn seine Pflichten ihm Zeit ließen, war es seine größte Freude, irgendeine bekannte Kapelle zu besuchen. Auch wenn sie mehrere Meilen von seinem Haus entfernt war, führte er solche frommen Wallfahrten stets zu Fuß aus, was heutzutage nicht einmal der geringste Bürger von London mehr tut.", heißt es in dem Lebensbericht seines Schwiegersohnes William Roper.
Der Wohlstand, ja Überfluß, in dem er lebte, ließ in Thomas More nicht den Willen zu Buße und Verzicht absterben: Stets aß und trank er mäßig, und unter seinen prächtigen Amtsgewändern trug er jahrelang heimlich ein Bußhemd.
"Selig der Mann, der ohne Makel befunden ward, der dem Golde nicht nachging und nicht auf Gold und Reichtum seine Hoffnung setzte." (Ekkl. 31/8) Diese Worte der Schrift finden ihre volle Anwendung auf den hl. Thomas More. Denn weil er der Versuchung des Glücks nicht erlegen war, fand er die Kraft, auch in dem nun über ihn hereinbrechenden Unglück, das ihm aus seiner hohen Stellung als Berater des Königs erwuchs, standzuhalten: Seit 1527 betrieb Heinrich VIII. unter fadenscheinigen Gründen die Scheidung von seiner Frau Katharina von Aragon, um so die Hofdame Ann Boleyn heiraten zu können.Um in dieser seiner "great matter" (großen Angelegenheit) Erfolg zu haben, bemühte er Theologen, Minister und Bischöfe. Als er jedoch sehen mußte, daß das rechtmäßige Oberhaupt der Kirche nicht bereit war, den geplanten Ehebruch zu legalisieren, ließ sich der Tyrann schließlich vom Parlament zum "Oberhaupt der Anglikanischen Kirche nach Christus" ernennen und verlangte von seinen Untertanen einen Eid auf diese seine angemaßte kirchliche Oberhoheit. Daß es ihm auf diese Art und Weise gelang, zumindest äußerlich fast ein ganzes Volk zum Abfall von der wahren Kirche zu bewegen, gehört zu den traurigsten Kapiteln der Kirchengeschichte. -
Thomas More, dem der König als einem der ersten seinen Scheidungsplan anvertraut hatte, verweigerte von Anfang an jegliche Mitwirkung an diesem Unrecht. Trotzdem wurde er - vielleicht ein letzter Versuch Heinrichs VIII., einen der angesehensten Männer seines Reiches auf seine Seite zu ziehen - 1529 zum Lord-Großkanzler von England und damit zum ersten Mann im Staate nach dem Monarchen ernannt. Doch der äußere Anschein trog: Mores Einfluß sank in dem Maße, in dem der König erkennen mußte, daß das Gewissen dieses Mannes unbestechlich war. Schon 1532, als More nach nur zweieinhalb Jahren von seinem Amte zurücktrat, wurde die Entfremdung zwischen dem Monarchen und seinem einstigen Vertrauten offenbar. In den folgenden Jahren half More auch seine völlige Zurückhaltung in politischen Fragen nichts mehr: Die bloße Existenz dieses nunmehr schweigenden Mahners mußte auf den König wie ein ständiger Stachel seines Gewissens wirken. So wurde Thomas More, als er 1539 den Eid auf die Nachkommenschaft des Königs mit Ann Boleyn und auf die Suprematie (kirchliche Oberhoheit) verweigerte, in den Tower eingekerkert.
Der Entschluß, alle menschlichen Rücksichten beiseite zu setzen und nur seinem Gewissen zu folgen, hatte den einst so mächtigen und beliebten Mann einsam gemacht. Nicht einmal seine Frau und die eigene Familie verstanden völlig, warum er sich einer Sache widersetzte, die von fast allen Bischöfen, Staatsmännern und Gelehrten Englands gebilligt worden war. Dies alles konnte der Entscheidung Thomas Mores nichts mehr anhaben: "Da ich in dieser Sache nur auf Gott schaue, macht es mir nichts aus, wenn die Menschen es nach ihrem Begriff nennen und sagen, es sei nicht das Gewissen, es seien nur törichte Skrupel." In jahrelangem Studium hatte er die Rechtmäßigkeit des päpstlichen Primates untersucht und war schließlich zu der Überzeugung gekommen, "daß sein Gewissen für ihn in Gefahr sei, wenn er nicht anerkennen würde, daß der Primat des Papstes göttlichen Ursprungs sei." Auch die Folgen, die sich aus dem Konflikt mit dem König ergeben mußten, hatte er nach eigenem Bekenntnis in langen durchwachten Nächten erwogen. "Doch auch im Hinblick auf all das habe ich Gott sei Dank nie daran gedacht, meine Meinung zu ändern, selbst wenn mir das Alleräußerste, worauf meine Furcht zulief, geschehen sollte." So wenig, wie Thomas More alle diejenigen verurteilte, die, sei es aus Unwissenheit oder aus Furcht den Eid geleistet hatten, so deutlich wußte er sich selbst berufen, in dieser Sache Zeugnis für die Wahrheit abzulegen: "Gott hat mir den geraden Weg gewiesen, daß ich ihm entweder tödlich mißfallen oder alles irdische Leid erdulden muß, daß es meiner Sünden wegen unter dem Namen dieser Sache auf mich niederkommen läßt." Diese Sicherheit gab ihm die Starkmut, alle Ängste vor dem Leiden, die ihm nicht erspart blieben, niederzukämpfen. Aus dem Kerker schrieb er an seine Tochter Margaret: "...obwohl sich meine Natur so heftig gegen das Leiden sträubt, daß mich ein Nasenstüber fast zum Erzittern bringt, so besteht doch gerade darin meine große Stärke, daß ich in allen Todesängsten, die ich durchgemacht habe, dank der Barmherzigkeit und Macht Gottes niemals daran dachte, in irgendetwas einzuwilligen, was gegen mein Gewissen wäre."
Je länger Thomas More im Kerker saß, umsomehr traten alle diese Sorgen in den Hintergrund, umso inniger richtete er seine Gedanken und Hoffnungen auf Gott, dessen Vorsehung er sich ganz anvertraute. Die Gefängniszelle wurde ihm zur Klosterzelle, zu einer Stätte des Gebetes und der inneren Läuterung, zu einem Ort wahren Gottesfriedens. In dieser Haltung kann er in einem weiteren Brief an seine Tochter die rührend schlichten Worte richten: "Es ist mir gerade so, als ob Gott mich auf seinen Knien halte und mich wie ein verwöhntes Kind hin- und herwiege." Und als man ihn zum letzten Mal zur Eidesleistung aufforderte, antwortete er: "Ich kümmere mich nicht mehr um die Dinge dieser Welt. Mein ganzes Studium ist nur mehr darauf gerichtet, über das Leiden und Sterben Jesu Christi nachzudenken." Bei aller inneren Gewißheit drängte Thomas More sich nicht zum Martyrium, jedoch nicht aus Furcht, sondern aus Demut: "Ich bin noch nicht heilig genug, mich kühn und ohne weiteres dem Tode anzubieten. Um meine Anmaßung zu züchtigen; könnte Gott zulassen, daß ich falle." Daher vermied er jede Aussage, die als Anklage gegen ihn hätte verwandt werden können und verteidigte sich mit allen zu Gebote stehenden Mitteln. Erst als er trotzdem, wider alles Recht, zum Tode verurteilt worden war, brach er sein Schweigen und verteidigte vor den Richtern seine Haltung: "So bin ich, hochedle Herrn, nicht verpflichtet, mein Gewissen den Geboten eines Königreiches anzupassen, wenn diese Gesetze in Widerspruch stehen mit der ganzen Christenheit. Für einen Bischof, der auf eurer Seite steht, habe ich mehr als hundert, die wie ich denken; für ein Parlament und Gott weiß, aus wem es zusammengesetzt ist - habe ich die Billigung aller Konzilien der letzten 1000 Jahre..." Noch viel großartiger als diese Verteidigungsrede zeigen aber die Worte der Verzeihung, die More nun an seine Henker - denn als solche kann man diese "Richter", wohl bezeichnen - richtete, bis zu welcher Heiligkeit er sich bereits erhoben hatte: Um das dem Angeklagten zustehende letzte Wort gebeten; antwortete er nämlich: "Ich habe nur noch eines zu sagen, hochedle Herren. Ich will euch daran erinnern, wie der hl. Apostel Paulus, der Teilnehmer beim Martyrium des hl. Stephanus, jetzt in guter Freundschaft mit ihm zusammen im Himmel lebt, wo er ihn wieder getroffen hat. Dasselbe gilt auch für euch und für mich. Es ist meine Hoffnung und mein eifriges Gebet, daß Eure Gnaden, die so zu meiner Verurteilung auf Erden beigetragen haben, mich im Himmel wiederfinden, wo wir uns zusammen immer freuen werden."
In der Frühe des 6. Juli 1535 trat Thomas More, ungebrochen und in großem inneren Frieden, ja geradezu heiter, den Weg zum Schafott an. Bevor sein Haupt unter dem Beil des Henkers fiel, rief er der versammelten Menge noch einmal zu, daß er als Katholik für die katholische Kirche sterbe, als treuer Diener Gottes und des Königs. Und nachdem er sich durch den Psalm "Miserere" ein letztes Mal der göttlchen Barmherzigkeit anempfohlen hatte, bekräftigte er diese seine Worte mit seinem Blute und reihte sich so in die Schar der Martyrer ein.-
Zwei Eigenschaften sind es, die im Wesen Thomas Mores besonders hervorstechen: Seine Heiterkeit und seine Güte und Milde. Erasmus schreibt einmal über ihn "Seit seiner Kindheit liebte er so sehr das Scherzen, daß er nur dafür geboren schien, Witze zu machen. (...) Er ist liebenswürdig, hat stets guten Humor und vorsetzt die Herzen aller, die mit ihm umgehen, in Frohsinn und Freude." Dieser Humor (das engl. 'humour' trifft die Sache besser!) darf nicht verwechselt, werden mit einer bloßen Stimmung, einer oberflächlichen Lustigkeit. Es ist eine Eigenschaft, die ihn weder im Glück noch im Unglück, ja selbst auf dem Gang zum Schafott nicht verläßt und die letztlich nichts anderes bedeutet als die wahrhaft christliche Freude des Erlösten ob seiner Geborgenheit in Gott. Nur in diesem Sinne kann er aus dem Gefängnis an die Familie schreiben: "Ich bitte den Herrn, euch alle fröhlich zu machen in der Hoffnung auf die himmlische Seligkeit."
Neben dieser Heiterkeit ist es die Güte und Sanftmut, die uns aus Thomas More entgegenstrahlt. Er duldete in seinem Herzen weder Haß noch Bitterkeit gegen irgendjemanden, auch wenn er ihm noch so großes Unrecht zugefügt hatte. Aus dem Gefängnis schreibt er: "Ich danke unserem Herrn, daß ich keinen Menschen kenne dem ich wünschte, daß er auch nur das geringste Ungemach um meinetwillen erduldete, über welche Gemütsverfassung ich glücklicher bin als über alle Schätze der Erde. Schon viel früher hatte er in einer Regel für die eigene Lebensführung unter anderem geschrieben: "Wir wollen keinen Haß gegen irgendjemanden hegen, denn entweder er ist gut, oder er ist böse. Ist er gut, so machen wir uns schuldig, wenn wir einen tugendhaften und von Gott gesegneten Menschen hassen, ist er aber böse, so würden wir uns wie Barbaren aufführen, wenn wir einen Menschen hassen, der im anderen Leben leiden muß. (...) Wir armen Sünder wollen unaufhörlich für unsere schuldigen Brüder eintreten, denn unser Gewissen sagt uns zu jeder Stunde, wie sehr wir gleichermaßen der Nachsicht und der Verzeihung bedürfen."
In diesen letzten Worten wird deutlich welche Grundtugend die verzeihende Güte des hl. Thomas More erst möglich machte: Es ist die Demut, deren erste Voraussetzung das Bewußtsein der eigenen Schwäche und Fehlerhaftigkeit ist, denn nur in ein zerknirschtes, nicht aber in ein stolzes Herz kann Gottes Gnade einziehen und von ihm Besitz ergreifen. In diesem Sinne schreibt der Heilige an seine Tochter: "Gott gebe uns beiden die Gnade, an uns selbst zu verzweifeln, damit wir ganz von ihm abhängig werden und ganz auf die Hoffnung und die Kraft Gottes vertrauen."
Schließen wir uns dieser Bitte des Heiligen an und beten wir, "mit zerknirschtem Herzen und im Geiste der Demut", vertrauend auf seine Fürsprache, die Worte seines ebenso schlichten wie schönen Gebetes:
"Und gib mir, o guter Gott, ein demütiges, bescheidenes, ruhiges, friedsames, geduldiges, barmherziges, gütiges, zartes, kindliches Herz; in allen meinen Worten, in allen meinen Werken, in allen meinen Gedanken, damit ich einen Vorgeschmack habe, Deines heiligen, gesegneten Geistes."
München, den 2. Juli 1973, Heinrich Storm
Literatur: Henri Brémónd, Thomas More, (Regensburg 1949). Alfons Erb, Thomas Morus und John Fisher (Freiburg 1935). Thomas Morus Privat (Briefe und Dokumente) (Köln 1971, Hegner).
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