VERÄNDERUNGEN IM MISSALE von Michael Wildfeuer
Ein Leser dieser Zeitschrift hat zu Recht darauf hingewiesen, daß bezüglich der Bulle "Quo primum" (1), einem der historischen Hauptpfeiler bei der in "Einsicht" vorgetragenen Beweisführung in der Meßfrage, folgendes Problem besteht: Der hl. Papst Pius V. gebietet mit dem genannten Dekret unaufhebbar für alle Zeiten, daß "diesem Unserem gerade herausgegebenen Missale niemals etwas hinzugefügt, weggenommen oder an ihm verändert werden dürfe." Es ist aber kein Geheimnis, daß der Hl. Stuhl im Lauf der folgenden Jahrhunderte Heiligenfeste hinzugefügt oder gestrichen, neue Gebete und Lesungen eingeführt, Rubriken geändert, den Rang der Feste neu geordnet, mit einem Wort: das Missale von Pius V. nicht unverändert gelassen hat. Was ist nun hier nicht in Ordnung: Sind die erwähnten Veränderungen (2) unrechtmäßig oder ist jene Bulle ungültig? Oder ist diese Schwierigkeit durch ein tieferes Verständnis aufzulösen?
Untersuchen wir, um diese Frage zu klären, "Quo primum" genau und achten wir darauf, wie nach der Erklärung des hl. Papstes sein Meßbuch entstanden ist! Er sagt: "Wir hielten es darum für richtig, diese Bürde (nämlich die Neuordnung des Meßbuches) ausgesuchten Gelehrten zu übertragen. Nach sorgfältiger Untersuchung der alten Bücher Unserer Vatikanischen Bibliothek sowie anderer, von überall herbeigeholter, verbesserter und unverderbter Handschriften, ebenso auch der Überlegungen der Alten und der Schriften anerkannter Autoren, die uns Aufzeichnungen über die hl. Einrichtung der Riten hinterlassen haben, stellten diese gelehrten Männer das Missale nach Vorschrift und Ritus der Hl. Väter wieder her. Damit alle aus dieser Arbeit Nutzen zögen, haben wir, nachdem Wir es geprüft und verbessert haben, nach reiflicher Überlegung angeordnet, daß es möglichst bald in Rom gedruckt und herausgegeben werde." Darauf folgt die strenge, jede Veränderung in alle Zukunft verbietende Verpflichtung zu diesem Meßbuch.
Bietet der zitierte Text eine hinreichende Begründung für eine solche Verpflichtung? - Nach ihm ist das Missale aus dem Gebets- und Gedankengut der Hl. Väter und anderer großer Theologen, soweit erreichbar, durch vergleichende Auswahl der Gelehrten und oberhirtliche Überprüfung und Verbesserung zustandekommen. Pius V. war also bemüht, aus der ihm zugänglichen Fülle das Schönste und Heiligste herauszufinden; und aufgrund seiner Heiligkeit und päpstlichen Vollmacht dürfen und sollen wir annehmen, daß dieses Ziel erreicht worden ist. Dennoch bleibt, auch wenn alle Mühe angewandt worden ist, das Ergebnis in zweifacher Rücksicht relativ: - Zum einen ist nicht auszuschließen, daß schönere Gebete und Riten durch frühere Unachtsamkeit verloren gegangen sind und daher bei der Überarbeitung nicht berücksichtigt werden konnten. - Zum andoren aber ist vor allem nicht auszuschließen, daß mit Hilfe der Gnade vollkommenere Formen der Gottesverehrung gefunden werden, und daß in der folgenden Zeit Ereignisse vorkommen und Heilige auftreten, deren Gedächtnis neben den bisherigen Festen in das Missale eingereiht zu werden verdient.
Pius V. kann demnach zu Recht nur beanspruchen, die für seine Zeit und seine Möglichkeiten, also die relativ beste Form des Meßbuches gefunden zu haben; und wie der zitierte Text aus der Bulle zeigt, beansprucht er tatsächlich auch nicht, die absolut beste Form zu bieten.
Was aber in irgendeiner Rücksicht relativ ist, darf nicht absolut gesetzt werden. Wie muß es also gemeint sein, wenn Pius V. dieses Missale absolut bindend für alle Zeiten vorschreibt? - Will man ihm nicht unterstellen, daß er etwas Relatives als unüberschreitbare, absolute Grenze setzen, d. h. in diesem Fall ein weiteres Wirken des Hl. Geistes bezüglich des Gottesdienstes im Missale nicht zum Ausdruck kommen lassen wollte - eine Annahme, die mit seiner Heiligkeit unverträglich wäre -, dann ist, soweit ich sehe, sein Erlaß nur durch folgende Unterscheidung zu verstehen: Das kategorische Gebot, nichts zu ändern, ist nicht auf die Form, sondern auf den dieses Missale tragenden Geist zu beziehen: "Dem Missale darf niemals etwas hinzugefügt, weggenommen, noch darf etwas an ihm verändert werden", hieße demnach: Der Geist, der es von der ersten bis zur letzten Seite durchdringt, - der Geist, der in allem durch die Ergebung des menschlichen in den göttlichen Willen lebt, darf nicht "erweitert" (3), "geschmälert" (4) oder sonst irgendwie geändert werden. Denn es ist der Geist der Wahrheit, der allein absolut ist und absolut gesetzt werden darf.
Da es diesen Geist unverändert zu bewahren gilt, kann es sogar geboten sein, die Form des Meßbuchs, d. h. seine Buchstaben zu ändern, nämlich dann, wenn der Hl. Geist zum größeren Lob Gottes es will. (5)
Diese Interpretation von "Quo primum" verteidigt einmal den Hl. Pius V. gegen den Einwand, er habe etwas Relatives zur absoluten Norm erhoben und die Vervollkommnung der Liturgie verhindern wollen. Ferner macht sie verständlich, wie die zahlreichen späteren Änderungen mit "Quo primum" in Einklang zu bringen sind. Ohne ein solches Verständnis müßten wir nämlich entweder schließen, daß all die Päpste, die am Missale Veränderungen vorgenommen haben (darunter auch ein Hl. Pius X.), gegen ein rechtmäßiges Gesetzt verstoßen hätten oder wir müßten "Quo primum" für ungültig hallen. Schließlich geht aus diesem Verständnis auch hervor, daß die Bulle von Pius V. nicht als "bloß disziplinarische" Dogma und Moral nicht betreffende Maßnahmen angesehen und deshalb überholt werden kann (wie immer wieder zu hören ist), denn man kann nicht dem Geist dieses Meßbuches untreu werden ohne dem Hl. Geist, seinem Urheber, und damit dem Quellgrund von Dogma und Moral untreu zu werden. Aus demselben Grunde ist bei "Quo primum" auch die Formel "Was ein Papst geordnet hat, kann ein anderer aufheben" vorfehlt. Das Wort "Was du auf Erden lösen wirst, wird auch im Himmel gelöst sein" kann nämlich sinnvollerweise nur in dem Bereich gelten, wo noch keine Erkenntnis der Wahrheit errungen ist.*) Was aber, wie der Geist des Pius-Meßbuches, aus der Wahrheit ist, kann rechtens von niemand außer Kraft gesetzt werden.
Daß es nicht nur, wie gezeigt, Gründe gibt, den päpstlichen Erlaß von 1570 in dem angegebenen Sinne aufzufassen, sondern daß er in der Kirche auch tatsächlich so aufgefaßt worden ist, belegt die Bulle "Cum sanctissimum" vom 7. Juli 1604, mit der Papst Clemens VIII. das Missale mit kleinen Überarbeitungen neu herausgab. Darin heißt es bei der Ausführung dieser Aufgabe (nämlich der, das Missale, das seit 1570 unter schädlichen Einflüssen schon gelitten hatte, "nach der ursprünglichen und bestmöglichen Form wiederherzustellen") geschehen, daß aufgrund eines gewissenhaften Vergleichs der alten Bücher Einiges in eine bessere Form gebracht, und in den Regeln und Rubriken Manches ausführlicher und klarer ausgedrückt worden ist. Dies jedoch scheint, da es aus den Prinzipien und Grundlagen jener alten Bücher gleichsam abgeleitet ist, eher ihren Sinn klar auszudrücken als irgendetwas Neues zu bringen." Mit anderen Worten, die Neuherausgabe bringt zwar, so Clemens VIII., eine Veränderung der Form, nicht aber einen anderen Geist.
Im Einzelnen zu untersuchen und nach Gründen darzulegen, ob und welche Verbesserungen die verschiedenen Veränderungen des Pius Meßbuches gebracht haben, ist - solange die apostolische Treue der betreffenden Päpste nicht bestritten wird - hier nicht notwendig. Notwendig und für jeden Katholiken leicht einzusehen aber ist die Anwendung des hier entfalteten Verständnissen von "Quo primum" auf die Meßreform unserer Zeit: Während bis zum Aggiornamento der Geist des römischen Meßbuches unverändert bewahrt wurde, wollen die heutigen Reformisten mit ihren Änderungen einen anderen Geist einführen, der nicht der Geist des Evangeliums ist. Der objektive Fehler derjenigen, die den Novus Ordo eingeführt haben, besteht nicht darin, daß sie überhaupt etwas am Missale verändert, auch nicht darin, daß sie im Vergleich zu früheren Veränderungen rein quantitativ ungeheuer viel geändert, sondern darin, daß sie den Geist des römischen Meßbuches geändert haben: Es soll nicht mehr - um den zentralen Punkt herauszugreifen - das Kreuzesopfer Christi gegenwärtig gesetzt, sondern bloß eine Erinnerungsfeier gehalten werden. Deshalb dürfen sie nicht mehr als verbindliche Lehrer und rechtmäßige Hirten der kath. Kirche anerkannt werden.
Fußnoten: (1) Veröffentlicht in : Einsicht" I/1 (April 71), S. 1 - 3. (2) Gemeint sind nur die Veränderungen vor dem Aggiornamento. (3) D. h.: Es darf nicht etwas Willkürliches als göttliche Eingebung genommen und ins Missale eingeführt werden. (4) D. h.: Es darf nicht etwas, was göttliche Eingebung ist, willkürlich unterdrückt und aus dem Missale ferngehalten werden. (5) Ein kurioses und daher besonders einprägsames Beispiel einer solchen Änderung zugleich ein Beispiel dafür, daß der Geist Gottes in allem, bis ins kleinste, wirkt - stellt eine Episode dar, die Ernst Hello aus dem Leben des hl. Joseph da Cupertino (1603 - 1663) erzählt: "Eines Tages befahl man ihm, eine Stelle aus dem Brevier zu erklären. Joseph öffnete das Buch und fand einen Abschnitt über die hl. Katharina von Siena. Ein Satz lautete: 'Chatharina, virgo senensis, ex Benincasiis piis orta parentibus': Katharina, eine Jungfrau aus Siena, Tochter der Benincasa, ihrer frommen Eltern. Joseph las und ließ das Wort 'ex Benincasiis': der Benincasa aus. Man befahl ihm nocheinmal zu lesen. Gegen seinen Willen ließ er wieder dasselbe Wort aus. Man befahl ihm, ein drittes Mal zu lesen, hartnäckig läßt er wieder das gleiche Wort aus. Man befiehlt ihm, genauer hinzusehen. Aber er strengt vergeblich seine Augen an, er sieht das Wort nicht, das man ihm zu sehen befiehlt. Einige Zeit darauf strich die Ritenkongregation dies Wort." (E. Hello, Heiligengestalten, Fischerbücherei Bd. 260 (1959), S. 182 f.).
*) Vgl. dazu: Hans Gliwitzky, "Einige Überlegungen zum Verhältnis von Dogma und Kirchenrecht", EINSICHT II/7 (Oktober 72), S. 2,3).
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