EHE, FAMILIE UND ERZIEHUNG
von H.H. Dr.theol. Otto Katzer
"Hier liegt ein erhabenes Geheimnis vor." (Eph. 5,32)
Es ist nicht Ziel der Ehe, zwei Menschen zusammenzubringen, Mann und Frau, die völlig im Charakter, den Fähigkeiten und den Interessen übereinstimmen würden. Die Ehe ist eine unauflösliche Bindung von zwei Menschen, die fähig sind, die durch die Ehe auferlegten Pflichten auch zu erfüllen, in erster Reihe die Gründung einer christlichen Familie. Das Ziel der Ehe ist also die Erzeugung und Erziehung von Kindern, gegenseitige und körperliche Hilfe, wie auch die Regelung des sexuellen Lebens.
Ziel der Ehe ist es also nicht, zwei völlig sich entsprechende Naturen zusammenzubringen. Wenn dies das Ziel sein sollte, würde so mancher sein ganzes Leben auf der Suche nach einem solchen Partner sein. Wir dürfen ferner nicht vergessen, daß es zwar für eine gewisse Zeit möglich ist, zu einer vollkommenen Harmonie von Geist und Körper zu gelangen, es aber nicht wahrscheinlich ist, daß dieser Zustand ewig dauern wird. Die Möglichkeit einer solchen Harmonie kann sogar während der Trauung selbst blitzartig auftauchen, wenn der Bräutigam eine andere Frau, die Braut einen anderen Mann erblickt. Sie können zu sich selbst sagen: "Schade, daß ich ihn oder sie nicht früher kennengelernt habe, ich hätte ihn oder sie geheiratet." Wenn jemand keine Versuchung dieser Art erlebt hat, so kann er von einer großen Gnade Gottes sprechen, und muß für sie dankbar sein.
Wenn nun auch die Partner zu Beginn völlig glücklich sind, müssen sie dennoch damit rechnen, daß die körperliche Schönheit verlorengehen kann, und daß auch der Charakter sich ändert - so oft und so leicht, Krankheit oder Gram verzerrt das Antlitz, nimmt dem Körper seinen natürlichen Reiz, und wo nur die Sinne Befriedigung suchen, ist die Anziehungskraft bald zu Ende. Wie wenige Menschen sind es nur, die den Schleier des Körpers zurückschlagen, um die Herrlichkeiten des Geistes zu sehen, sich vor ihm zu neigen und dem ewigen GEIST die Ehre erweisen, dessen Abbild der menschliche Geist ist.
Von allem Anfang an sehen wir, daß eine so vollkommene Einheit nicht möglich ist, in welcher die Eheleute alle ihre Wünsche gegenseitig beruhigen könnten, da der menschliche Geist nach ewigen Werten strebt, die kein erschaffenes Wesen bieten kann. Für dich hast du uns erschaffen oh Gott ... und unruhig ist mein Herz, solange es nicht in dir ruht!" (Hl. Augustinus.)
Infolge der ersten Sünde verlor der Mensch das lebendige Abbild des dreieinigen Gottes in seinem Herzen, die heiligmachende Gnade, und so blieb in seinem Herzen ein Abgrund, den allein Gott ausfüllen kann. Wenn wir auch noch so viel in diesen Abgrund werfen, er kann nie voll werden. Weder der Mann, noch die Frau, weder die Kinder, noch alle Schönheiten der Welt können ihn ganz füllen - und diese Leere wird am meisten dann verspürt, wenn die Einheit in der Liebe am vollkommensten zu sein scheint. Durch solche Seelen, die ganz von der naturlichen Liebe durchdrungen sind, wird von Zeit zu Zeit eine eigenartige Traurigkeit wehen, welche die Person versuchen wird zu vertreiben, für eine kurze Weile vielleicht mit Erfolg, um jedoch nur zu bald zu lernen, daß die Schatten umso tiefer in die Seele eingedrungen sind.
Gott ist eifersüchtig auf das menschliche Herz. Wenn es sich mit einem erschaffenen Ding zufrieden geben scheint, dann zeigt ER, daß das menschliche Herz weder sich noch jemanden anderen ohne Sein Herz glücklich machen kann. Manchmal verbirgt sich Gott grade vor einem Menschen, der voll Sehnsucht nach Ihm ist, um ihn erleben zu lassen, wie leer sein Leben ohne Gott ist. Trennung ist hart für ein liebendes Herz. In der Abwesenheit des geliebten Dinges lernt der Mensch, von welchem Wert das ist, was er nicht besitzt, verloren hat. Nicht selten gerade prüft Gott den Menschen in dieser Sache, wie wir schön von Heinrich Seuse erfahren: Die ewige Weisheit (spricht): Meine wahre Gegenwart erkennst du am besten hieran. Verberge ich mich und ziehe das Meine aus der (menschlichen) Seele ab, so wirst du erst inne, wer ich bin, wer aber du. Ich bin das ewige Gut, ohne das niemand etwas Gutes besitzt. .... Solange der Liebende bei dem Geliebten weilt, ermißt er dessen Liebe nicht; sind aber beide getrennt, so wird sich der Liebende erst des anderen Liebe bewußt." (1)
Bei der Erfüllung ihrer Pflichten müssen die Eheleute sich auf nicht geringe Hindernisse gefaßt machen, die vier Quellen entspringen können: Körper, Seele, Umwelt und Teufel.
Betrachten wir zuerst den Körper. Wer ist sicher, seine Gesundheit auch nur einen Augenblick behalten zu können? Was geschieht, wenn sich eine ernste Krankheit gleich in den ersten Tagen, vielleicht am Trauungstag selbst, meldet?
Ich erinnere mich an einen Fall, wo die junge Frau gleich in den ersten Tagen der Ehe an einer Grippe erkrankte, die sie unheilbar gelähmt ans Bett heftete. So lag sie schon zwanzig Jahre. Ihr Mann mußte alles tun, wie bei einem Kleinkind: sie waschen, anziehen, füttern, alles was nötig war. An sonnigen Tagen trug er sie für eine Weile in den Schatten des Gartens. Ich fragte den Mann schonend, ob ihm seine Frau nicht zur Last geworden ist. Er überraschte mich mit der Antwort, daß er sie von Tag zu Tag mehr liebe, und die Art und Weise, wie er mit ihr umging, bewies die Wahrheit seiner Worte und doch, wie wenig blieb übrig von der einst großen Schönheit! Wie viele solcher Fälle finden wir, wie selten aber mit solcher Liebe verbundene Liebe, die sich ändert, wenn unverschuldete Änderung eintritt, ist nicht Liebe!
Die unserem Charakter entspringenden Hindernisse erscheinen in vielen Formen, zu jeder Zeit, oft ganz unerwartet. Einst sagte mir ein Rechtsanwalt, Vater von zwei bereits erwachsenen Töchtern: "Ich lebe mit meiner Frau schon dreißig Jahre, und erst gestern bin ich daraufgekommen, daß wir uns eigentlich nicht verstehen!" Das war nicht irgendein augenblickliches, vergängliches Gefühl, sondern das Endergebnis einer langdauernden Überlegung. "Aus einem kleinen Funken entsteht ein großes Feuer", dies gilt ganz besonders in der Ehe. Es ist wirklich edel, einen Menschen zu lieben, in dem Augenblicke aber, da wir mit ihm von Tag zu Tag in der engsten Gemeinschaft leben müssen, melden sich Schwierigkeiten. Und ich, der ich behaupte, bereit zu sein, für einen Menschen zu sterben, bin bereit, ihn sogar zu töten für ein ganz gewöhnliches Niesen, bemerkt Dostojewski in den Brüdern Karamasoff.
Vor der Ehe sind die Brautleute bereit, ein jeder in dem anderen einen Engel zu sehen. Leicht vergessen sie, daß alle Menschen auch Fehler haben; und daß diese sich ganz bestimmt eines Tages bemerkbar machen werden. Vor der Trauung ist es verhältnismäßig leicht über die Schwierigkeiten hinwegzusehen, soweit sie dem Charakter entspringen, da sie ja meistens verborgen bleiben, und die Liebenden sich fürchten, sie könnten sich noch entfremden. Wenn sich aber das Band, nach dem sie sich so sehnten, als fester erweist, als sie dachten, und sie zum Bewußtsein kommen, das es unauflöslich ist, kann das Leben für manchen unerträglich werden. Wenn wir den Liebenden vor der Trauung nur einen geringen Teil von dem sagen würden, was sie vielleicht später bei einem Ehescheidungsprozeß öffentlich über sich aussagen werden, für nichts in der Welt würden sie das glauben. Gehen wir nun den eigentlichen Ursachen der Schwierigkeiten nach, so wissen wir oft wirklich nicht, ob wir über die Nichtigkeiten lachen oder weinen sollen. Halb im Ernst und halb im Scherz: Er kann nicht schlafen, weil die Uhr geht, sie weil sie nicht gebt. Dies mag der erste Anlaß sein zur Spannung, die zuletzt bis in den Gerichtshof führt. In der Ehe, mehr denn anderswo, müssen wir die Worte des Herrn beherzigen: "Einer trage des andern Last: so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen." (2) Die Frau muß lernen, dem Manne zu verzeihen, und der Mann ihr, im Bewußtsein, daß wir alle täglich in vielen Dingen uns verfehlen. Wir werden mehr darüber sprechen, wenn wir über die Liebe sprechen werden.
Die dritte Art der Schwierigkeiten entspringt der Umwelt. Es kann z.B. geschehen, daß der Mann plötzlich unverschuldet seine Arbeit verliert. Wenn er auch nicht hiermit alle Möglichkeiten verloren hat, den Haushalt zu erhalten, findet er keine, die seiner sozialen Einordnung entsprechen würde. Wie viel Gutes, aber auch wie viel Schlechtes kann die Frau für ihren Mann in solchen Umständen tun! Wenn sie sich nicht einschränken kann in ihren Anforderungen, und ihren sowieso schon niedergeschlagenen Mann mit Vorwürfen verfolgt, dann, besonders wenn Kinder in der Familie sind, wird das gemeinsame Leben zur Hölle, und es kann zu unüberdachten Handlungen kommen, mit dem unglücklichen Ende eines teilweise oder ganz zerstörten Familienlebens, welches äußerst selten nocheinmal in Ordnung kommt.
Wenn es aber der Frau gelingt, die biologisch begründete Angst zu bewältigen, wird sie ihrem Manne ein Schutzengel sein. Armut beraubt den Menschen nicht seiner inneren Würde, die er von Gott empfangen hat. Um ein Aristokrat zu sein, dazu braucht man kein Schloß. Es genügt völlig, ein reines Zimmer zu haben mit einem reinen Tisch, geschmückt etwa mit einem Blumenstrauß, zugleich mit einem Benehmen, das der Würde eines Kindes Gottes entspricht. Nachdem wir alles getan haben, was in unserer Macht ist, überlassen wir die Sorge um den gedeckten Tisch Dem, Der die Vöglein des Himmels füttert, und die Sorge um die Kleider Dem, Der die Lilien kleidet. Ein französisches Sprichwort sagt: "Sei großmütig, und du wirst glücklich sein!" - "Suchet zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, und dies alles wird euch hinzugegeben werden." (3)
Es kann sogar soweit kommen, daß die Frau arbeiten gehen muß, da ihr Mann keine Arbeit findet. Nur für diesen extremen Fall können wir zustimmen, der äußersten Notwendigkeit; mehr werden wir darüber bei der Erziehung sprechen. Der Schaden, den die Familie in diesem Fall erleidet, ist in keinem Verhältnis zum finanziellen Gewinn; da die Familie es mit körperlichen, und was noch schlimmer ist, mit seelischen Werten bezahlen muß.
Über die Anfeindungen des bösen Geistes, die keineswegs übersehen werden dürfen, wird an anderen Stellen gesprochen.
Da wir nun die Schwierigkeiten gezeigt haben, müssen wir auch jene Kraft zeigen, die uns über diese hinweghelfen kann, es ist die Liebe.
Wollten wir nun die Menschen von heute fragen, was die Liebe ist, so würden sie uns die Antwort schuldig bleiben, bestenfalls eine dunkle geben. Und doch brauchen wir die Liebe so notwendig. Wenn die Liebe in einem solchen Maße abnimmt, wie es bis jetzt geschehen ist, dann wird das Leben langsam unerträglich.
Liebe ist es, die Menschen an Menschen bindet, den Mann mit der Frau, die Kinder mit den Eltern. Es ist immer eine und dieselbe Liebe, die von Fall zu Fall ihre spezifische Färbung enthält. Wann liebe ich nun jemanden? Dann, wenn ich ihm verhelfe, seine spezifische Vollkommenheit zu erlangen, oder wenn er sie bereits besitzen sollte, was kaum der Fall sein wird, sie zu behalten; wenn ich mein Glück darin finde, daß der andere glücklich ist. Dann liebe ich, wenn ich entschlossen bin, alles auf mich zu nehmen, nur um dieses Ziel zu erreichen. In der Ehe muß der Mann sein Glück im Glücke der Frau suchen und die Frau im Glücke des Mannes, beide müssen bereit sein, alle dazu notwendigen Opfer zu bringen. Die Eltern müssen sich für die Kinder opfern, die Kinder aber später für die Eltern, wie sie auch immer bereit sein müssen, diese glücklich zu machen, nur eine solche Liebe bringt Schönheit und Segen.
Ein Sprichwort sagt: "Lieben heißt verstehn, geliebt werden, verstanden werden". Es ist ein großer Irrtum zu sagen, daß Liebe blind sei. Im Gegenteil, die Liebe sieht, und je größer sie ist, umso klarer sieht sie. Die Leidenschaft ist blind, da sie selbstisch ist, sie denkt nur an sich selbst, an die Befriedigung ihrer eigenen Wünsche. Die Liebe gibt, denkt dabei nicht an den Preis, während die selbstische Leidenschaft und sie kann nichts anderes als selbstisch sein - wohlbedacht kalkuliert.
Hier können wir auch den Unterschied finden, was die Ehe nach der Kirche und was sie nach der Welt ist. Nach der Idee der Ehe, wie die Welt sie geschaffen hat, erwartet ein jeder von ihr soviel wie nur möglich, ist aber nicht bereit, mehr als notwendig zu spenden. Nehmen wir an jemand hatte Geld deponiert, würde wenig oder nichts hinzugeben, dafür sehr viel herausnehmen, ist es da ein Wunder, wenn eines Tages sein Konto leer sein wird? Wenn jemand nun die Ehe nur selbstisch genießen will, wenn diese dann eines Tages ihm nichts mehr zu bieten hat - leichte Hilfe! Man sagt einfach es herrsche unter den Eheleuten eine unüberwindliche Aversion und die Ehe ist zu Ende. Die christliche Ehe aber fordert von denen, die sie eingehen, ein Kreuz auf sich zu nehmen, zu geben ohne an die Höhe zu denken, weil zuletzt alles Gott gegeben werden soll selbst durch die Ehe, und nicht zuerst und zuletzt dem einen Menschen. Deshalb können solche Eheleute nicht enttäuscht werden, da das Hauptziel, welches sie anstreben, Gott in und durch die Ehe zu dienen, selbst dort erreicht wird, wo der Preis, den die Welt erwartet, ausbleibt.
Wenn Lieben Verstehn ist, so müssen wir allererst von uns selbst ein klares Bild haben. Der Mensch ist nicht ein Stück Fleisch, welches durch die Welt rollt, um sich eines Tages in einen stinkenden Kadaver zu verwandeln, sondern ein Kind Gottes. Er ist kein bloßes Knäuel von Reflexen, welches nach einem von Menschen geschaffenen Plan verlaufen sollen, dies umso weniger, als kein Mensch dazu berechtigt ist, einen solchen einfach nach seinem Gutdünken zu schaffen. Nach Gottes Willen soll der Mensch allerdings Herr seiner selbst sein, aber nur als Verwalter des ihm von Gott anvertrauten Gutes, welches er Gott wieder in jener Vollkommenheit zurückerstatten muß, in welcher er es von Ihm in Empfang genommen hat, damit all dem, was er vermittels der ihm anvertrauten Fähigkeiten und Kräfte erreichen konnte und sollte, wie der natürlichen, so auch der übernatürlichen. Er selbst und die gesamte Umwelt sind ihm nicht als absolutes Eigentum übergeben, mit dem er nun tun könnte, was er wollte. Die ganze Welt ist nichts anderes als ein großes Orchester, in welchem der Mensch einer von den Solisten ist, und den Gesang seines Lebens nach der Partitur Gottes singen soll, im vollen Einklang mit der den Schöpfer preisenden Symphonie, zu seiner und aller Geschöpfe Freude. Wenn er sich aber entschließen sollte, auf seine eigene Faust zu singen, wenn er mit seinem Leben das "non serviam" ausspricht, "Ich will nicht dienen", "ich richte mich nicht nach der Partitur", dann wird er die unglücklichen Folgen an sich bald verspüren.
Irgendwie singen wir alle falsch, Gott aber wendet dies zum Guten. So falsch ist unser Gesang, daß, wäre es nicht um die Barmherzigkeit Gottes, niemand von uns vor Gottes Gericht bestehen könnte.
Es mag mancher sagen, auf diese Art sei der Mensch seines freien Willens beraubt, jedoch mit Unrecht. Niemals ist der Mensch freier, als wenn er sich den Geboten Gottes unterwirft. Wir dürfen Freiheit nicht mit Zügellosigkeit verwechseln. Eine zügellose Person ist immer Sklave des eigenen "Ich", der schlimmsten Knechtschaft verfallen.
Wenn ich den Menschen kennen will, so muß ich seinen Leib und seine Seele studieren. Wer war nicht ergriffen beim Betreten einer majestätischen Kathedrale, voll Staunen vor all der Pracht und Herrlichkeit, die ja nicht für den Menschen, sondern für Gott bestimmt ist, denn soweit sie auch für den Menschen ist, nur dazu ist es, um ihn schleunigst vor Gott zu führen, den er besingen will, bei dem er Hilfe sucht. Viele von den Schönheiten wird niemand mehr von den Menschen sehn, nachdem sie aus der Hand ihrer Schöpfer gekommen sind, was hat das aber zu sagen? Sie sind hier, um Gott zu dienen, und Gott sieht sie; sie preisen Ihn und ER hört sie, sie bitten für den Menschen, und ER neigt sich zu ihm.
Der menschliche Leib ist eine Kathedrale des Heiligen Geistes, erbaut von dem Architekten des Universums selbst. Stellen wir uns vor eine Kirche, die nicht aus gewöhnlichen Steinen, sondern aus Edelsteinen gebaut wäre. Rote Rubine, blaue Aquamarine, grüne Smaragde, gelbe Topase, violette Amethyste, Diamanten und Kristalle, dies alles glänzend in den Strahlen der Morgensonne. Was für eine Pracht! Wen überraschen nun noch die Worte des hl. Paulus: "Wißt ihr nicht, daß ihr ein Tempel Gottes seid und der Geist Gottes in euch wohnt? Wenn aber einer den Tempel Gottes zugrunderichtet, so wird ihn Gott zugrunderichten. Denn der Tempel Gottes ist heilig, und der seid ihr." (4)
Wie ist es nur möglich, daß wir jeden Respekt vor dem menschlichen Körper verloren haben, der so sehr von Gott geweiht ist, daß er, nachdem er dem menschlichen Geiste gedient hatte, in geweihten Boden versenkt werden muß! Wie können wir so indifferent dem Leib gegenüberstehen, den der Herr selbst angenommen hat, und nicht zurückscheute vor dem Schoße der Jungfrau.
Sicher werdet ihr schon einen Apfel gegessen haben, meine lieben Leser. In der Mitte finden wir die Kerne, gemacht aus weißem Material: das ist alles, was wir bemerken, und werfen die Kerne größtenteils weg. Was für ein Wunder haben wir aber vor den Augen gehabt! Als ob eine geheimnisvolle Macht den ganzen Apelbaum in den Kern verzaubert hätte. Umsonst fragen wir - kein Wissenschaftler könnte uns die Antwort geben - wie der ganz große Baum im kleinen Samenkörnlein verborgen ist. Wo sind da die Wurzeln, die so tief in die Erde treiben, wo der mächtige Stamm, den wir kaum umarmen können, wo die schattigen Blätter, die rosenfarbigen Blüten, die saftigen Früchte? Gelehrte Köpfe werden vielleicht vom Epigenetismus und Präformationismus sprechen, lauter Worte, die uns nichts erklären.
Solch ein Samenkörnlein waren auch wir im Schoße unserer Mutter. Denken wir nur ein wenig an unsere Vergangenheit. Wir werden kleiner und kleiner, zehn Jahre, fünf, vier, drei, zwei, ja wir kehren zurück bis in den Schoß unserer Mutter, jenen Schoß, aus welchem auch unser Herr selbst hervorgegangen ist. Die Mutter der sieben Makkabäer ermahnte ihre Söhne folgendermaßen: "Ich weiß nicht, wie ihr in meinem Schoße gebildet wurdet. Nicht ich gab euch Odem und Leben, noch fügte ich die Gliedmaßen eines jeden von euch kunstvoll zusammen. Der Schöpfer des Weltalls ist es, der den Ursprung des Menschen bewirkt, wie er allem das Dasein gibt." (5) .
Wer sind die Kunstarbeiter im Schoße der Mutter, wer die genialen Architekten, die den Bau der Kathedrale unseres Körpers leiten! Woher nehmen sie das Material? - die hunderte Quadrillionen von Molekulen, die immerwährend sich in Verwandlungen befinden? Dazu der geheimnisvolle Raum! Müssen wir da nicht mit dem Psalmisten sagen: "Es haben deine Hände mich gemacht und gebildet!" (6), und uns im Staunen vor dem Schöpfer neigen? Was ist der Mensch? Eddington sagt in seinem Buch "Die Natur der physikalischen Welt": "Die Enthüllung des leeren Raumes innerhalb des Atoms durch die moderne Physik ist mehr beunruhigend als die Enthüllung der Räume zwischen den Sternen durch die Astronomie. Das Atom ist ebenso porös wie das Sonnensystem. Wenn wir allen freien Raum im menschlichen Körper ausschließen würden, und alle Protonen und Elektronen in eine einzige Masse zusammenziehen würden, der Mensch würde zu einem so kleinen Stückchen reduziert sein, daß es gerade nur noch mit einem Vergrößerungsglas sichtbar ist." Welch schauerliche Leere ist der Mensch, was kann er aber verursachen! Er kann ganze Völker vernichten, ja sich sogar seinem Schöpfer gegenüber widersetzen!
Der Mensch ist aber nicht nur Quantität, eine vorübergehende, hoffnungslose Quantität! In seinen Gedanken sagt Psacal: "Die ganze Würde des Menschen ist im Denken!" Der Mensch ist nur ein sehr schwaches Rohr der Natur, aber er ist ein denkendes Rohr. Das ganze Universum braucht sich nicht zu waffnen, ihn zu zermalmen. Etwas Dampf, ein Tropfen Wasser genügt ihn zu töten. Aber wenn das Universum ihn zermalmt, der Mensch ist doch viel edler als das, was ihn tötet, denn er weiß, daß er stirbt, welchen Vorzug das Universum auch von ihm hat, das Universum weiß nichts davon. Also besteht all' unsere Würde im Gedanken."
"Die Seele, - so schreibt der Schweizer Psychiater C.G. Jung - enthält so viele Rätsel, vor deren erhabenem Anblick nur ein phantasieloser Geist sein Ungenügen sich nicht zugestehen kann. Bei dieser äußersten Unsicherheit menschlicher Auffassung ist aufklärerisches Getue nicht nur lächerlich, sondern auch betrüblich geistlos." (7)
Wenn der Körper eine Kathedrale ist, dann ist der menschliche Geist ein Tabernakel, in welchem, wenn er rein und frei von der Selbstliebe ist, der dreieinige Gott sich in seiner Gnade widerspiegelt. .
In einer Novelle des tschechischen Schriftstellers Zeyer, sagt ein alter Brahmane: "Wer keine Leidenschaft kennt, die Angst überwunden hat, wer Herr seiner Sinne ist, und im Herzen Frieden hat, der wird im ruhigen Lichte der Wahrheit seine Seele sehn, rein, majestätisch in ihrem Adel" und wir können hinzufügen: Er wird Gott in ihr sehn!
In einem Alpensee, rein wie ein Kristall, dessen Oberfläche glatt ist wie ein Siegel, strahlt uns die goldene Sonne am blauen Himmel samt den schneeweißen Wolken entgegen, als wären sie alle in den See gefallen. Dasselbe finden wir in einer Seele, die rein ist, frei von Selbstsucht, frei von einer Todsünde, die Oberfläche ist ruhig und Gott strahlt uns entgegen.
Es mag aber sein, das ein Sturmwind über den See hinwegfegt, dann kräuselt sich die Oberfläche, die Wellen wachsen an, und eine jagt die andere, es scheint als brodelte das Wasser ... all die Herrlichkeit des Himmels ist verschwunden, die Sonne ist nicht mehr da. So verhält es sich mit einer Seele, die mit Selbstsucht bedeckt ist, deren Oberfläche gepeitscht wird von Leidenschaften, die sich über die Seele ergießen, gepeitscht von Stolz, Geiz, Unmäßigkeit, Unkeuschheit, Haß, Neid, Trägheit, usw. Aus einer solchen Seele kann uns Gott mit seinem Himmel nicht entgegenstrahlen, und auch die Seele selbst kann ihr wahres Antlitz in Gott nicht schauen, in welchem allein sie ja sich selbst sehen kann.
Hierin finden wir die Erklärung, warum so manche Gott nicht finden, warum es nicht einmal möglich ist, Ihn ihnen zu zeigen, da sie ja unfähig sind, Ihn zu sehen. "Selig, die reinen Herzens sind, Sie werden Gott schauen." (8) Das ist es, woran Pascal dachte, als er sagte: "Trachtet euch nicht zu überzeugen durch Anhäufung von Gottesbeweisen, sondern durch die Beherrschung eurer Leidenschaften, die euer größtes Hindernis sind." Solange sich der Sturm nicht legt, ist alles umsonst!
Wer könnte nun nicht Ehrfurcht vor dem Menschen haben! Der Mensch ist ein durch den Willen Gottes unsterblicher Geist, begabt mit Vernunft, Herz und freiem Willen dem von Gott als Instrument der Körper gegeben wurde, damit er mit seiner Hilfe sich in der materiellen Welt offenbaren könne, in welcher er zu leben hat. Der Geist bildet mit dem Körper eine geheimnisvolle Einheit, in welcher, nach erlangter Vervollkommnung an Leib und Seele, er die ganze Ewigkeit loben soll.
Lieben heißt also sein eigenes "Ich" verstehn, welches ja ein unsterblicher Geist ist, wenn auch mit Körper bekleidet. Das "Ich" der Mitmenschen verstehn, die ganz Umwelt, in welcher der Mensch König sein sollte und auch noch heute herrschen soll, natürlich mit Gottes Hilfe!
Wenn wir all dieses bedenken würden, wie besser und leichter würden wir da leben! Gibt es einen Musiker, der im Banne der Schönheit der Symphonie diese mit einem falschen Ton stören wollte. Würde ein Maler ein Kunstwerk bewerfen? Das ist doch undenkbar!
Die Kunst ist nicht imstande den erhabenen Augenblick darzubieten, wenn der Sämann die Saat dem gewissenhaft bereiteten Boden anvertraut, wie heilig ist er in seiner Hoffnung!
Der geheimnisvollste, reinste und heiligste Augenblick im menschlichen Leben ist der, wenn der Mann sich ganz seiner Frau gibt und sie ihm, mit Seele und Leib, so daß eine neue Blüte mit gemeinsamen Baum des Lebens aufblühen kann: das Kind. Dieses Wunder muß aber aus einer dreifachen Liebe wachsen, aus der Liebe des Mannes zu seiner Frau, und der Frau zu ihrem Mann, beider dann zu dem Dritten, welches ihnen Gott vielleicht gewähren wird.
Fortsetzung folgt.
Anmerkungen: (1) Büchlein der ewigen Weisheit, Neuntes Kapitel. (2) Gal. 6,2. (3) Matth. 6,33. (4) 1 Kor. 3,16-17. (5) 2 Makk 7,22-23. (6) Psalm 118,73. (7) C.G. Jung, Wirklichkeit der Seele 229. (8) Matth. 5,8.
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