LIBERTAS ECCLESIAE - Der hl. Papst Gregor VII. -
Zum Fest am 25. Mai, gleichzeitig zum 900. Jahrestag seiner Wahl zum Papst am 22. April 1073.
von Heinrich Storm
Man hat oft versucht, die Frage zu beantworten, wer aus der langen Reihe der Päpste, angefangen von Petrus bis zur Jetztzeit, mit Recht als der größte und bedeutendste bezeichnet werden könnte, und nicht selten ist dieser Rang dem hl. Gregor VII. zuerkannt worden. Aber auch wenn man, mit Recht einwendet, daß sich in der Schar heiliger Päpste und Heiliger überhaupt keine Rangordnung der geschichtlichen "Größe" mehr aufstellen läßt - denn die Großen der Kirche sind ihre Heiligen - so steht doch fest, daß Gregor VII., der das Antlitz der Kirche nicht nur seiner Zeit, sondern über Jahrhunderte hinweg, entscheidend gestaltet hat, zu den bedeutendsten Gestalten der abendländischen Kirchen- und Geistesgeschichte gehört. Die Persönlichkeit dieses Papstes, seine Idee und ihre geschichtliche Wirkung sind nicht zu verstehen ohne den größeren Rahmen des geschichtlichen Ortes, an dem sie sich entfaltet haben und der daher wenigstens den Umrissen nach dargestellt werden soll. - Die Kaiserkrönung Karls des Großen und noch mehr die Ottos des Großen hatten ein Zeitalter eingeleitet, das von einem engen Zusammenwirken der geistlichen und der weltlichen Macht, vor allem in den Personen ihrer höchsten Amtsträger, Papst und Kaiser, gekennzeichnet war. Die Kaiser schützen das Papsttum vor dem kleinlichen Hader stadtrömischer Adelsfamilien, in deren völliger Abhängigkeit es sich zu seiner Schmach lange Jahrhunderte befunden hatte, übten dafür jedoch einen maßgeblichen Einfluß auf die kirchlichen Angelegenheiten aus. Sie nahmen vor allen Dingen entscheidenden Anteil an der Investitur, der Amtseinsetzung der im Reich residierenden Bischöfe. Diese wurden seit Otto I. neben ihren geistlichen auch mit weltlichen Aufgaben betreut, da der Herrscher sich auf ihre Treue mehr als auf die der eigensüchtigen Herzöge und Grafen, seiner weltlichen Vasallen, verlassen konnte, so daß ihre Stellung mehr und mehr der von Reichefürsten gleichkam. Dieser Zustand engsten Ineinandergreifens von geistlicher und königlicher Gewalt bewährte sich so lange, wie das Königtum im wahren Interesse der Kirche, d.h. auch ihrer geistlichen Belange, handelte. Herrscher wie Otto d. Gr., Heinrich II. der Heilige oder auch Heinrich III. hatten sicherlich so zu handeln versucht. Das System hatte aber große Gefahren, indem es die eigentliche Grenze zwischen dem weltlichen und dem geistlichen Bereich verwischte. Geistliches konnte sich so mit Weltlichem und Weltliches mit Geistlichem vermischen: Während der König seinem Amte eine geradezu priesterliche Stellung zumaß, verstanden sich die Bischöfe oft mehr als weltliche Fürsten denn als geistliche Oberhirten. Dieser Verwässerung der eigentlich geistlichen Idee entsprach eine Abnahme des seelsorgerlichen Eifers, die naturgemäß nicht nur auf den hohen Klerus beschränkt blieb, sondern große Teile des Priesterstandes ansteckte und weitere schwere Mißbräuche im Gefolge hatte, darunter in ganz besonderem Maße die Simonie, die Käuflichkeit geistlicher Ämter, und den sog. Nikolaitismus, das Zusammenleben von Priestern und Klerikern mit Frauen.
Gegen diese Verweltlichung des geistlichen Standes und die Mißbräuche die sich wie Seuchen in ihm ausbreiteten, entstand seit dem Beginn des 11. Jahrhunderts eine Gegenbewegung, die das eigentliche Wesen des Priestertums, nämlich die Verehrung Gottes und die Sorge um das Heil der Seelen, wieder in den Vordergrund rückte und, um das Übel an seiner Wurzel zu bekämpfen, die Unabhängigkeit der geistlichen von der weltlichen Gewalt forderte. Ausgehend von den großen Benediktinerklöstern wie Cluny, Gorze und Hirsau ergriff sie immer weitere Kreise der Kirche, bis sie 1048 mit Papst Leo IX., dem früheren Bischof Bruno von Toul, die Spitze der Kirche erreichte. Dieser bedeutende Papst scharte um sich einen Kreis von Beratern, die wie er unbedingte Verfechter der kirchlichen Reform waren und die nun in den kommenden Jahrzehnten zusammen mit dem jeweiligen Papst kraftvoll die Leitung der Kirche in ihre Hand nahmen. Unter ihnen waren so bedeutende Männer wie Humbert, Kardinalerzbischof von Silve Candida, der hl. Petrus Damiani, Eremit aus Fonte Avellana und später Kardinalbischof von Ostia, und der Mönch Hildebrand, der als Papst Gregor VII. der berufene Führer und Vollender dieser Reformbewegung werden sollte. Über die Herkunft Hildebrands ist nur wenig mit Sicherheit bekannt. Er wurde, wohl um 1020, in Soana in der Toskana geboren. Sein Vater scheint ein einfacher Handwerker gewesen zu sein, während die Mutter verwandtschaftliche Beziehungen zu römischen Adelskreisen hatte. Diese ermöglichten es, daß Hildebrand bei einem Onkel in Rom, der das Marienkloster auf dem Aventin leitete, erzogen wurde und anschließend in den Dienst der päpstlichen Verwaltung trat. 1046, nachdem Kaiser Heinrich III. in Sutri durch seine Autorität das Schisma der Kirche beendet und drei "Päpste" (Die Frage, wer von ihnen zu Recht den Anspruch, Statthalter Christ zu sein, erhob, kann und soll an dieser Stelle nicht entschieden werden!) zum Rücktritt veranlaßt hatte, begleitete er Gregor VI., mit dem er wohl entfernt verwandt war, in die Verbannung nach Köln. Nach dessen Tod trat er 1047 als Mönch in das Kloster Cluny ein, das er 1048 "magis invitus" (sehr unwillig), wie er später einmal schrieb, verließ, um dem Ruf Leos IX. nach Rom, zurück an die Kurie, zu folgen. Dort begann nun sein stetiger Aufstieg, der ihn vom Verwalter des großen Klosters St. Paul vor den Mauern bald zum Leiter der päpstlichen Finanzen und einem der wichtigsten Berater der Päpste werden ließ, in deren Auftrag er mehrere Gesandtschaften nach Frankreich und Deutschland leitete. 1057 war sein Einfluß bereits so bedeutend, daß Papst Stephan IX., als er seinen Tod herannahen spürte, bestimmen konnte, vor der Rückkehr Hildebrands von seiner Legation nach Deutschland keinen Nachfolger zu wählen. 1059 übertrug Papst Nikolaus II. Hildebrand das wichtigste Amt eines Archidiakons der römischen Kirche. Zwei bedeutsame Ereignisse, an denen Hildebrand entscheidenden Anteil hatte, fallen in das Pontifikat dieses Papstes: das Papstwahldekret von 1059, das die Wahl des Oberhirten der Kirche in die Hände der Kardinäle legte, und das Bündnis des Papsttums mit den süditalienischen Normannen, das seine größere Unabhängigkeit der Macht des Kaisers gegenüber bezweckte. Seit 1061, als Bischof Anselm von Lucca auf Betreiben Hildebrands als Alexander II. den Stuhl Petri bestieg, war der Archidiakon der führende Geist an der römischen Kurie. Er war es, der im Schisma von 1061 den Widerstand gegen Cadalus von Parma, der sich als Gegenpapst Honorius II. nannte, organisierte, und von ihm gingen die entscheidenden Ideen und Maßnahmen zur Leitung und Reform der Kirche aus. Daß er nach dem Tode Alexanders im Jahre 1073 daher als der geeignetste Kandidat für das höchste Amt der Kirche erschien, kann nicht verwundern, wohl aber die außergewöhnliche Art und Weise, in der seine Erhebung sich vollzog: Als dem Archidiakon der römischen Kirche oblag es ihm, nach dem Tode des Papstes ein dreitägiges Fasten anzuordnen und die Wahl eines Nachfolgers vorzubereiten. Doch schon bei den Beisetzungsfeierlichkeiten für den verstorbenen Papst erhob sich aus dem Volke plötzlich der Ruf: "Hildebrand soll Papst sein!" Es entstand ein Tumult, in dessen Verlauf man den zunächst widerstrebenden Hildebrand ergriff und in feierlichem Triumph zur Cathedra Petri in der Peterskirche führte. Einige Tage nach diesem Ereignis, am 22. April 1073, also vor nunmehr 900 Jahren, bestätigten die Kardinäle formell diese Wahl, die sich wie durch unmittelbare Eingebung des Hl. Geistes vollzogen hatte. Hildebrand nahm den Namen Gregor an, wohl weniger in Erinnerung an seinen 1046 zurückgetreten Vorgänger, als vielmehr aus besonderer Verehrung für den hl. Papst Gregor d. Gr., den er sich zum Vorbild erkor. -
Die Wahl zum Papst kann für Hildebrand der ja schon seit Jahren an der Führung der Kirche engsten Anteil hatte, nicht vollkommen überraschend gekommen sein. Trotzdem lastete, nachdem er sich in das hohepriesterliche Amt eingesetzt sah, die Bürde seiner Verantwortung so schwer auf ihm, daß sie ihn auf das Krankenlager warf: "Da ich, erschöpft im Bett liegend, kaum diktieren kann, übergehe ich es, meine Ängste zu schildern" heißt es in einem der Briefe, mit denen er seine Wahl bekanntgab. Es dauerte jedoch nicht lange, bis er die Aufgaben seines Amtes mit einer solchen Kraft und einem solchen Selbstbewußtsein ausübte wie wohl kaum einer seiner Vorgänger. Schon auf der ersten Fastensynode seines Pontifikates 1074 sagte er den kirchlichen Mißständen wie Simonie und Nikolaitismus aufs schärfste den Kampf an und erließ ein Verbot der Laieninvestitur. In seinen Maßnahmen beschränkte er sich niemals auf Erlasse und Erklärungen, sondern ließ den Worten unmittelbar die Taten folgen: Eine große Zahl simonistischer Bischöfe wurde nach Rom vorgeladen, um sich wegen ihrer Vergehen zu verantworten. Manche von ihnen wurden, nach Ableistung einer Kirchenbuße, in ihrer Würde belassen, viele aber von Gregor ihres Amtes enthoben, ja aus der Kirche ausgeschlossen, falls sie sich weigerten, den päpstlichen Geboten Folge zu leisten. Gegen simonistische und nikolaitistische Priester, die nicht bereit waren, von ihren Vergehen abzulassen und sich durch einen feierlichen Eid zu reinigen, scheute Gregor sich nicht, die Laien zum Widerstand aufzurufen. Den schwersten Kampf aber hatte der Papst zu bestehen, als er gegen den um seine Machtgrundlage fürchtenden deutschen König Heinrich IV. das Investiturverbot durchzusetzen versuchte. Seit 1074 richtete er an den jungen Herrscher, der, wohl auch unter dem Einfluß schlechter Räte, unbekümmert Simonisten begünstigte und die Investitur der Bischöfe rücksichtslos praktizierte, zunächst sehr gütige, dann aber immer dringlichere Mahnungen. Der König dachte aber nicht daran, diese zu beherzigen. Sobald er seiner inneren Gegner Herr geworden war, wagte er es, sich offen gegen die päpstliche Autorität aufzulehnen. Auf einer Versammlung von Bischöfen und Reichsfürsten in Worms 1076 kündigte er Gregor, den er als "falschen Mönch" titulierte und die ungeheuerlichsten Anschuldigungen gegen ihn erhob, offen den Gehorsam auf und forderte von ihm, den päpstlichen Stuhl, den er unrechtmäßig usurpiere, zu verlassen. Diese unerhörte Kränkung des Apostolischen Stuhles beantwortete der Papst mit einem ebenfalls nie dagewesenen Schritt: In der feierlichen Form eines Gebetes zum Apostelfürsten Petrus bannte er den Herrscher des Reiches, untersagte ihm die Regierungsgewalt und löste alle Untertanen vom Treueid: "Denn es ist billig, daß der, welcher die Ehre Deiner Kirche zu mindern sich bemüht, selbst die Ehre verliere, die er innezuhaben scheine. Und weil er verschmäht hat, als Christ zu gehorchen und nicht zu Gott zurückgekehrt ist, den er dadurch verlassen hat, daß er mit Gebannten verkehrte, meine Mahnungen, die ich zu seinem Heil ihm sandte..., verachtete und sich von Deiner Kirche trennte, indem er sie zu spalten versuchte, so binde ich ihn an Deiner Statt mit der Fessel des Fluches, und so binde ich ihn, im Vertrauen auf Dich, daß die Völker wissen und erfahren, daß Du bist Petrus, und daß auf diesen Felsen der Sohn lebendigen Gottes seine Kirche erbaut hat und die "Pforten der Hölle sie nicht überwältigen werden."
In dem gewaltigen Streit zwischen Papst und König, der das gesamte Abendland erschütterte, ist Gregor äußerlich unterlegen: Zwar mußte Heinrich IV., da seine innenpolitischen Gegner sich erneut gegen ihn erhoben, sich zunächst unterwerfen und leistete 1079 in Canossa Kirchenbuße. Sowie er aber wieder im Besitz der Macht war, nahm er den Kampf erneut auf. Durch Abtrünnige Bischöfe ließ er 1080 in Brixen einen Gegenpapst "Klemens III.", wählen, den er nach langen Kämpfen 1084 endlich nach Rom führen und sich von ihm zum "Kaiser" krönen lassen konnte. Zwar wurde Gregor bald darauf von den Normannen aus seiner Belagerung in der Engelsburg befreit, diese aber verwüsteten Rom und verübten an seinen Bewohnern solche Greueltaten, daß der Papst mit seinen "Befreiern" nach Salerno in die Verbannung fliehen mußte, wo er am 25. Mai 1085 starb. Seine letzten Worte sollen gelautet haben: "Ich habe die Gerechtigkeit geliebt und das Unrecht gehaßt, deshalb sterbe ich in der Verbannung." -
Die Dramatik des Investiturstreites darf nicht die gewaltigen Leistungen, die Papst Gregor VII. trotzdem im Dienste der Erneuerung und Reinigung des kirchlichen Lebens geleistet hat, vergessen lassen. Mit zahlreichen Ermahnungen und Erlassen, durch Briefe und durch Erlasse griff er in den gesamten Umkreis der damals bekannten Welt ein. Er kümmerte sich um die christliche Wiedereroberung Spaniens und war der erste, der zur Abwehr der Sarazenen im Osten aufrief, er beriet und lenkte zum Teil auch die Könige, er trieb die universale Annahme des römischen Ritus voran und war auch nicht müßig, wenn ihm Unrecht an einem Kloster oder auch nur an einem einzigen Christen bekannt wurde. Auf die Bewohner Roms aber wirkte er vor allem durch sein Beispiel, von dem der Chronist Lampert von Hersfeld sagt, "daß auf die Erhabenheit seines Wandels durch ein Gerücht auch nicht der leiseste Makel fallen konnte."
Bis zuletzt appellierte er in seinen Rundschreiben mit erschütternden Worten an die Christen der Welt, ihm und damit der gerechten Sache des hl. Petrus beizustehen und beklagte das Unheil der hl. Kirche: "...ich rufe, rufe, rufe wiederum und vorkündige euch: Denn die christliche Religion und der wahre Glaube, den Gottes Sohn vom Himmel her kommend uns durch unsere Väter gelehrt hat, wurden in weltliche und schlechte Gewohnheit verwandelt und sind, oh welcher Schmerz, beinahe zu nichts geworden..." "In allen Ländern dürfen arme Frauen nach dem Gesetz ihres Vaterlandes und ihrem eigenen Willen einen rechtmäßigen Gemahl annehmen; die hl. Kirche aber, die die Braut Gottes und unsere Mutter ist, darf nach dem verachtungswürdigen Beschluß und der Gewohnheit der Frevler nicht, wie es dem göttlichen Gesetz und ihrem eigenen Willen entspricht, ihrem Bräutigam rechtmäßig auf dieser Erde anhängen." -
Das Wirken des großen Papstes sollte nicht vergeblich gewesen sein. Während sein Gegner, Heinrich IV., in seinen späteren Lebensjahren von all seinen Getreuen verlassen, ja von den eigenen Söhnen verraten wurde, blieb Gregors VII. geistiges Erbe nicht nur lebendig, sondern entfaltete nach seinem Tod nur noch siegreicher seine Fahnen. Das Grundanliegen dieser gregorianischen Idee bestand nicht etwa nur in der Beseitigung von Einzelmißständen, sondern strebte nach nicht weniger als der rechten Ordnung im ganzen christlichen Erdkreis. "Justitia", "Gerechtigkeit" ist der Begriff, der in fast allen Briefen Gregors VII. wiederkehrt. Diese Gerechtigkeit verwirklichte sich für den Papst einmal im Verhältnis von geistlicher und weltlicher Gewalt. Dabei trat er nicht für eine Trennung, sondern für ein einträchtiges Miteinander der Gewalten ein, aber so, daß jede sich auf ihre eigentliche Aufgabe im "magnus ordo differentiae", der "großen Weltordnung der Verschiedenheit", wie er sie einmal nennt, besinne. Daher kämpfte er auf der einen Seite um die Reinheit des geistlichen Standes, auf der anderen Seite aber gegen jede Unterjochung der Kirche durch die irdischen Gewalten zu ihren Zwecken. Immer wieder ermahnte er Könige und Machthaber, die Kirche zu beschützen, zu fördern und sie mit Ehrfurcht als die Mutter ihrer Reiche zu betrachten. Daß in der christlichen Gesellschaft, in der er lebte, die geistliche Gewalt, der ja das Heil der Seelen und damit der letzte Sinn allen Daseins unmittelbar anvertraut ist, die weltliche Würde bei weitem überragte, stand für ihn außerhalb jeden Zweifels. -
Gerechtigkeit oder die rechte Ordnung war aber auch im Raum der Kirche selbst zu verwirklichen. Sie bestand für Gregor in erster Linie darin, die gottgesetzte Hierarchie und damit den Vorrang und die universale Führungsstellung der römischen Kirche als der "cathdra Petri" wirksam durchzuführen, ihr die Anerkennung der gesamten Kirche zu sichern. Diese innere Reorganisation der Kirche ist in ihrer über die Jahrhunderte fortdauernden Wirkung wohl das bedeutendste Werk des Papstes. - Die ungeheure Wirksamkeit Gregors auf das Gesicht seiner Zeit läßt sich nur erklären aus der vollkommenen Einheit seiner Person mit der von ihm verfochtenen Idee. In diesem Manne, dessen äußere Erscheinung uns als unscheinbar und klein, ja häßlich geschildert wird, wohnte ein Feuergeist, der seine Anhänger in Begeisterung mitriß, seinen Gegnern aber "rauh wie der Nordwind" entgegenfuhr. Einen "heiligen Satan" hat Petrus Damiani, der hl. Eremit und Mitarbeiter des Papstes, ihn einmal genannt, denn Gregor haßte das Böse mit der gleichen Kraft, mit der der Teufel das Gute haßt. Dabei unterschied er aber sehr wohl, entgegen dem, was ihm Zeitgenossen und Nachwelt oft vorgeworfen haben, zwischen den Fehlern und der Person der von ihm bekämpften Menschen. Worauf es ihm letztlich ankam, war der Schutz der Gerechten und die Bekehrung der Ungerechten, das ewige, nicht das zeitliche Heil aller Menschen. "Unsere Aufgabe ist es, die Menschen zu lieben, nicht ihre Fehler, den Übeltätern zu widerstehen, damit sie umkehren, und die Freveltaten abzuschrecken, nicht aber die Menschen."
So stark und gewaltig Gregor vor den Menschen auftrat, so blieb er sich doch voll Demut bewußt ein schwaches, sündiges und unvollkommenes Werkzeug in der Hand Gottes zu sein. Mehr als einmal schilderte er in seinen Briefen mit bewegten Worten die Ängste, Verwirrungen und die Erschöpfung, in die ihn die täglichen Mühen seines Amtes stürzten, und bittet einmal den Abt Hugo von Cluny, doch unter Tränen zu Gott zu beten, "daß der arme Jesus, durch den alles gemacht ist und der alles regiert, doch seine Hand ausstrecke und den Elenden in seiner einzigartigen Barmherzigkeit befreie. Denn ich habe ihn oft gebeten, daß er mich entweder aus diesem Leben hinwegnehme oder aber der gemeinsamen Mutter (der Kirche) nützlich sein lasse." Und an einer anderen Stelle heißt es schlicht: "Ich scheue mich nicht im mindesten, mich als das zu bekennen, was ich in Wahrheit bin: ein Sünder."
Wenn daher der Papst mit einer nie gehörten Gewalt seine Stimme erhob und das Zeitalter mit seinen Taten erschütterte, so war es nicht das Vertrauen auf die Kraft der eigenen Person, die ihm dazu befähigte, sondern die sichere Überzeugung von der gottgewollten Autorität und überragenden Würde und Verantwortung seines hohen Amtes. Er war bis ins letzte durchdrungen von dem Bewußtsein, auf dieser Erde an der Stelle des hl. Petrus zu stehen, dem Christus in der Binde- und Lösegewalt die höchste irdische Verantwortung anvertraut hat: "... die Sorge für alle haben wir übernommen und das Heil aller wünschen wir, denn wir haben, wenn auch unwürdig dem Verdienst nach, das universale Regiment über die Kirche empfangen." Darin lag für ihn aber nicht in erster Linie ein Herrschaftsanspruch begründet, sondern die schwere Pflicht, oberster Künder der Wahrheit und Gerechtigkeit zu sein. "... an jenen Ort sind wir gestellt, daß wir, ob wir wollen oder nicht, angehalten sind, die Wahrheit und Gerechtigkeit zu verkünden." Vor dieser Pflicht galt in den Augen des Papstes keine menschliche Rücksicht, denn: "Wer schändlichen Menschen in Ansehung seiner Pflicht nicht widerspricht, stimmt ihnen zu, und wer verborgenen Missetaten nicht ihre Hülle entreißt, begeht sie."
Daß er sich mit dieser Auffassung der Rechte und Pflichten seines Amtes "auf dem wahren Weg der Gerechtigkeit" befand, war Gregor VII. trotz aller Anfeindungen, die ihm in überreichem Maß zuteil wurden, niemals zweifelhaft," konnte er doch am Ende seines Lebens im ungebrochenen Bewußtsein seiner Sendung erklären: "Seit mich die Mutter Kirche durch göttliche Anordnung auf den Apostolischen Thron erhoben hat, habe ich mich mit höchster Kraft darum bemüht, daß die hl. Kirche, die Braut Gottes, ...frei, keusch und katholisch bliebe. Aber da dies dem Feind von Anbeginn an vollkommen mißfiel, hat er seine Glieder gegen uns bewaffnet, um alles ins Gegenteil zu verkehren." -
"In mir sterbe ich immer, aber in Ihm (Jesus) lebe ich bisweilen." Diese Worte Papst Gregors VII. lassen uns erkennen, welche Kraft ihn dazu befähigte, ungebrochen den Kampf gegen die Mächte der Finsternis zu bestehen: die tiefe, ja mystische Verbundenheit mit Christus und den von ihm eingesetzten übernatürlichen Heilsgütern, den Sakramenten.
Aber dieses beständige Leben in der übernatürlichen Gegenwart war für ihn nicht gleich bedeutend mit einem Rückzug aus der natürlichen, irdischen Welt. Im Gegenteil, gerade darin erkannte er die große Aufgabe der Kirche und jedes Christen, in dieser Welt beide Wirklichkeiten in höchstmöglicher Vollkommenheit miteinander zu vereinigen. Verwirklichung der "Justitia" bedeutete für ihn nichts anderes, als die Forderung der Wahrheit auf die Wirklichkeit dieser Erde zu beziehen, hier und jetzt das Reich Gottes aufzurichten. Gregor kämpfte nicht bedingungslos gegen die Welt, denn indem er ihren Versuch, die Kirche mit weltlichen Mitteln zu gewinnen, abwehrte, bemühte er sich gleichzeitig darum, umgekehrt sie mit den Mitteln der Kirche zu gewinnen. Immer wieder ermahnte er die Christen, in tätiger Nächstenliebe für das Heil ihrer Mitmenschen und die Durchsetzung der Gerechtigkeit auch unter dem Einsatz ihres Lebens einzustehen. Die letzte Entscheidung sah er nicht in der Alternative zwischen Gott und der irdischen Welt, sondern zwischen gut und böse, zwischen Gottesreich und Satansreich, christlicher Freiheit und teuflischer Knechtschaft. Nur diese zwei Möglichkeiten stellen sich dem Menschen: entweder "für die Freiheit der hl. Kirche zu streiten", oder "sich der teuflischen Knechtschaft zu unterwerfen. - Denn die Elenden, die Glieder des Satans streiten, um in dessen elender Knechtschaft unterdrückt zu werden, die Glieder Christi dagegen streiten, um diese Elenden zur christlichen Freiheit zurückzuführen." Das letzte Ziel des großen Papstes war nichts anderes als die Herbeiführung der Einheit der Welt im wahren Glauben und in der wahren, der christlichen Freiheit. "Libertas ecclesiae", die "Freiheit der Kirche", sollte den Weg ebnen zur Herrschaft Christi und damit zur Freiheit der Welt vom Satan. Dieses Einheitsstreben des heiligen Papstes hat in einem seiner letzten großen Rundschreiben "an alle Getreuen des Apostolischen Stuhles" großartigen Ausdruck gefunden:
"Darin glauben wir die Liebe Gottes ausgegossen in unsere Herzen, daß wir alle eines wollen, eines begehren und nach einem streben. Eines wollen wir, nämlich daß alle Frevler zur Einsicht kommen und zu ihrem Schöpfer zurückkehren; eines begehren wir, nämlich daß die hl. Kirche, die auf der ganzen Erde niedergetreten und verwirrt ist, in ihrem früheren Glanz und ihrer Festigkeit wiedererstehe, nach einem streben wir, da wir aufs sehnlichste wünschen, daß Gott in uns verherrlicht werde und wir mit unseren Brüdern, auch mit denen, die uns verfolgen, würdig befunden werden, das ewige Leben zu erlangen." -
Bitten wir daher den hl. Papst Gregor VII. mit besonderer Innigkeit darum, daß er uns die Kraft erflehe, als Christen unseren Aufgaben in dieser Welt und an dieser Welt gewachsen zu sein, damit sie durch unser Wirken dem Reich Gottes und Seiner Gerechtigkeit ähnlicher werde. Denn der Heilige hat sein Leben beispielhaft für das eingesetzt, um was wir täglich im Vater unser beten: Adveniat regnum tuum: Herr, Dein Reich komme!
Literatur: (es kann nur auf einige wichtige Werke hingewiesen werden!)
"Gregorii VII Registrum", ed. E. Caspar in MGH Epistolae selectae, 2,1 und 2,2 (Berlin 1920). Augustin Fliche, "La réforme grégorienne et la reconqête chrétienne" in Histoire de l'Eglise VIII (Paris 1940). ders., Saint Grégoire VII (Paris 1920). Franz X. Seppelt, Geschichte der Päpste III, 1 (München 1956). Gerd Tellenbach, "Libertas, Kirche und Weltordnung im Zeitalter des Investiturstreites" in Forschungen zur Kirchen- und Geistesgeschichte 7 (Stuttgart 1936).
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