DIE HL. KATHARINA VON SIENA
Zum Fest am 30. April
von Heinrich Strom, München
Man hat in der Geschichtsschreibung das 10.Jahrhundert oft als das "dunkle Jahrhundert" bezeichnet. Wenn man aber die Geschichte nicht in erster Linie als den Aufstieg und Verfall von Völkern und Kulturen, sondern als den Ablauf des Heilsgeschehens in der Zeit ansieht, so erscheint uns das 14.Jahrhundert um vieles dunkler als das 10.. Es ist nicht nur die Zeit großer äußerer Katastrophen, von denen die große Pest von 1348 wohl die schreckenerregendste war, sondern auch eines Verfalls der inneren, geistigmoralischen Kräfte des Abendlandes. Vor allem in dem politisch zerrissenen und durch innere Kriege heimgesuchten Italien entstand schon jetzt in Ansätzen jene neue Lebensanschauung, die in ihrem Streben nach der rücksichtslosen Selbstverwirklichung des Menschen durch Macht und Genuß dem christlichen Ideal vollständig entgegengesetzt war. Erst viel später hat man ihn den Namen der "Renaissance" gegeben. Das Ë Papsttum sank in dieser Zeit von seiner übersteigerten machtpolitischen Führungsstellung, die es unter Innozenz III. und Bonifaz VIII. innegehabt hatte, in eine unwürdige Abhängigkeit vom französischen Königtum ab; von 1305 bis 1376 dauerte das "babylonische Exil" der Kirche in Avignon. Schlimmer noch als sein politischer war aber sein sittlicher Niedergang, die Prunksucht der Päpste sowie die Geld- und Machtgier des päpstlichen Hofstaates, wo der Nepotismus (=Verwandtenbegünstigung) blühte und die Simonie an der Tagesordnung war. Es nimmt nicht wunder, daß diese erschreckende Verweltichung der obersten Leitung der Kirche schließlich zu einer Katastrophe führte: Zum großen abendländischen Schisma, das die Kirche von 1378 - 1415 in zwei Lager spaltete und das ihrer geistlichen Autorität ungeheuren Schaden zufügte. -
Untrennbar verknüptt mit dieser bewegten Zait ist das Leben und Wirken einer der ganz großen Frauengestalten der Kirche: der hl.Katharina von Siena. Ihre Geburt fällt in d Ëas Jahr 1347, also ein Jahr vor Beginn der furchtbarsten Pestkatastrophe, die Europa je heimsuchte. Sie war das 24. Kind der Familie Benincasa. Der Vater, nach dem Zeugnis der Quellen "ein gütiger und geduldiger Mann, der seine Kinder gewissenhaft zu erziehen suchte", sicherte als Färbermeister seiner großen Familie einen bescheidenen Wohlstand. Von der Mutter wissen wir, daß sie ihr zweitjüngstes Kind besonders ins Herz geschlossen hatte. Sie wird geschildert als eine Frau mit "überschäumenden, heftigem Temperament", die sich erst sehr spät mit dem außergewöhnlichen Geschick ihrer Tochter abfinden konnte.
Schon von Kindheit an müssen wir Katharina als eine Auserwählte betrachten. Von ihr "strömte ... eine Kraft aus, nicht nur von dem, was sie sagte, sondern aus ihren ganzen Wesen. In ihrer Gegenwart fühIte man einen mächtigen Antrieb zum Guten und eine so unbändige Freude an Gott, daß sich alle Traurigkeit im Herzen auflöste." Sie betete oft und mit einer bei Kindern seltenen Innigk Ëeit, ja begann schon jetzt, sich zu geißeln sowie auf andere Arten Buße zu üben, und leitete auch ihre Kameradinnen zu diesem Tun an. Im Alter von sieben Jahren wurde sie bereits der ersten Vision gewürdigt: Christus erschien ihr, mit den hohepriesterlichen Gewändern angetan, und mit ihm die Apostel Petrus, Paulus und Johannes. Als sie aus ihrer Entrückung zurückgerufen wurde in die irdische Wirklichkeit, erkannte sie mit erschreckender Deutlichkeit deren Nichtigkeit. Das Erlebnis hinterließ in ihr eine unstillbare Sehnsucht nach dem Übernatürlichen und verdoppelte ihren Abtötungseifer. Sie gelobte schon bald darauf immerwährende Jungfräulichkeit um Christi willen und wünschte sich nichts sehnlicher, als in den Orden des hl. Dominikus, den sie besonders verehrte, einzutreten.
Ehe sie diesen Vorsatz aber verwirklichen und somit ihrem Gelöbnis treubleiben konnte, mußte sie einen harten Kampf mit ihrer Familie bestehen, die, sowenig wie ihre ersten Beichtväter, die übernatürliche Begabun Ëg Katharinas erkannte und sie stattdessen, als sie das entsprechende Alter erreicht hatte, zum Heiraten nötigen wollte. Man setzte ihr ohne Unterlaß zu, sich doch zu schmücken und zu pflegen und ließ ihr keinen Augenblick Ruhe, um sie von ihren Gebets- und Bußübungen abzuhalten. Katharina aber errichtete, als ihr die äußere Ruhe genommen wurde, "in ihrem Herzen eine stille Kammer ein". Ihrer Familie diente sie mit noch größerer Bereitwilligkeit als vorher, indem sie sich vorstellte, durch sie hindurch Christus selbst und seinen Heiligen zu Diensten zu sein. Mit dieser Langmut erreichte sie schließlich ihr Ziel: Der Vater ließ nicht nur von seinen Heiratsplänen ab, sondern gebot dem ganzen Hause, nunmehr der Lebensweise seiner Tochter keinerlei Hindernisse mehr in den Weg zu legen. Um die Jahreswende 1364/65 ging auch der Herzenswunsch Katharinas in Erfüllung: Sie durfte als "Mantellatin" in den 3.Orden des hl. Dominikus eintreten. Fortan wurde ihr das Zimmer zur Kosterzelle, in der sie Ë in beständigem Gebet und Buße ihre Seele mit Gott zu verbinden suchte. Drei Jahre lang wahrte sie strengstes Schweigen und verließ das Hause nur, um sich in der Kirche mit den anderen Bußschwestern zum gemeinsamen Gottesdienst zu versammeln.
Weitaus schwerer als die äußeren Hemmnisse waren aber die inneren Versuchungen, die Katharina nun überfielen. Während sie der Versucher mit Vorstellungen sinnlicher Genüsse und Lüste quälte, und sie zu überreden suchte, doch von ihren "übermenschlich strengen Bußübungen und Gebeten" aluzulassen, blieben gleichzeitig die übernatürlichen Tröstungen durch Christus aus. Katharina bekämpfte die schweren inneren Anfechtungen, indem sie ihren Körper nur noch mehr kasteite. Sie fastete mit einer nahezu unvorstellbaren Stenge; dazu entzog Sie dem ohnehin schon geschwächten Körper auch noch die Ruhe: Diesen Kampf gegen den Schlaf, den sie schließlich auf nicht einmal eine Stunde am Tag beschränkte, hat Katharina selbst als die härteste ihrer körperlichen A Ëbtötungen bezeichnet. Die beinahe restlose Unterjochung des Körpers mit allen seinen Bedürfnissen war für die weitgehende Enthaltung von Nahrung und Schlaf, zu der sie in ihren spätaren Lebensjahren fähig war, ein Geschenk der Gnade und nicht eine Leistung ihres Willens war. Nein, die harte Buße, der sie den Leib unterwarf, war für sie der Ausdruck der seelischen Haltung, die sie den "heiligen Selbsthaß" nannte und die nichts anderes bedeutete als die vollkommene Abtötung des Eigenwillens mit allen seinen Regungen, das Sich-Sterben, um in Christus zu leben. Nur so kann sie sagen: "Ach wie arg, wie arg für den Menschen, der sich nicht selbst auf diese Weise haßt. In ihm hat die Eigenliebe alles unterjocht, ihr ist alles untertan, ihr, dieser Brutstätte der Sünden und aller bösen Gelüste."
Schon in einer ihrer ersten Visionen hatte ihr Christus geoffenbart: "Meine Tochter, weist du, wer du bist und wer ich bin? Es gibt kein seligeres Glück als dies zu wissen. Du bist die, die nicht ist. Ë Ich bin der, der ist. Bist du von diesem Wissen lebendig durchdrungen, kann dir das Böse nichts anhaben, und allen seinen Schlingen wirst du unversehrt entschlüpfen. "Diese Erkenntnis hatte sich Katharina so vollkommen zu eigen gemacht, daß sie auch in der größten Trübsal, als sie sich den Dämonen der Finsternis schutzlos preisgegeben fühlte nicht an der Güte Gottes verzweifelte, sondern ihre eigene Sündhaftigkeit als die Ursache ihrer Leiden ansah. Und als der Herr sie nach bestandener Prüfung mit umso größeren Freuden erfüllte, und ihr zeigte, daß er auch in der größten Verzweiflung mit ihr war, da fragte sie voll Demut: "Du bist die Wahrheit, und vor deiner Majestät beuge ich mich in den Staub aber wie kann ich glauben, daß du damals in meinem Herzen wohntest, das nichts als eine Grube größsten Unflates war?" Darauf erhielt sie die Antwort: "Haben dich denn diese Vorstellungen und Versuchungen ergötzt, oder warst du nicht traurig darüber?... (...) Wer hat dich denn traurig gemacht Ë, wenn nicht ich, verborgen auf dem Grund deines Herzens?"
Von nun an durfte Katharina sich immer häufiger der mystischen Anwesenheit des Herrn erfreuen. Kaum war sie noch fähig, ein Vaterunser zu Ende zu beten, ohne in Verzückung zu fallen, so sehr war bei ihr bereits der Glaube dem Schauen, das gesprochene dem betrachten den Gebet gewichen. Bald darauf wurde sie der höchsten Gnade gewürdigt, die das mystische Leben überhaupt kennt, der "mystischen Vermählung". Christus erscheint ihr in Begleitung seiner Mutter Maria, der Apostel Petrus und Johannes sowie des hl. Dominikus. Er streift ihr einen mit vier Perlen und einem Diamanten besetzten Ring über und spricht dazu die Worte: "Sieh, ich vermähle dich mit mir, mit deinem Schöpfer und Heiland, im Glauben. Denn bis du im Himmel die nie endende Vermählung mit mir begehen wirst, wird dich ein makelloser Glaube fortan begleiten. Meine Tochter, was ich dir mit liebender Sorgfalt zu tun auftrage, das vollbringe zuversichtlich und ohne Zaude Ërn. Jetzt närnlich stählt dich die Kraft des Glaubens. Was dir widersteht, wirst du überwinden." -
Das Jahr 1368, in einem dieses Ereignis stattfindet, bedeutet den Höhepunkt für Katharinas mystische Entwicklung und gleichzeitig die Wende ihres Lebens. Denn Christus sandte sie nun, da er sie mit dem vollen Reichtum seiner Gnade ausgestattet hatte, aus der Einsamkeit zurück in die Welt, um dort die ihr vorherbestimmte Aufgabe zu erfüllen. Nichts konnte Katharina schwerer fallen als nun, aus der erfüllenden Seligkeit der Vereinigung mit dem geliebten Herrn und Erlöser wieder hinabzusteigen in die Niedrigkeit der Welt aber sie tat es, weil sie erkannte, daß sich die wahre Gottesliebe in der Liebe zum Mitmenschen bewähren muß. In einem Brief berichtet sie selbst über ihren inneren Werdegang: "Als sie (d.h. Katharina selbst) diese abgründige Liebe verkostete, sah sie keine andere Möglichkeit, Gott zu danken, als durch Liebe. (...) Über den Mitmenschen ging also der Weg und die Antwort an G Ëott. (...) Wie Gott uns über seinen Sohn das Wort seine Liebe und Barmherzigkeit kundgab, so wird der Mensch Gott wohlgefällig durch das Verlangen nach dem Heil der Seelen, Gott die Ehre gebend, dem Menschen aber die Arbeit und die Mühe." Um ihr noch deutlicher die Wichtigkeit ihrer Mission zu veranschaulichen, erwies Gott Katharina eine weitere große Gnade: Während ihr Leib vier Stunden lang vor vielen Zeugen wie tot dalag, durfte ihre Seele "Die ganze Not der Mensehen, das Elend ihrer Sünde schauen. Dieses Gesicht gab ihr die Kraft geduldig die Beschwerlichkeiten ihres irdischen Lebens weiterzutragen: "Haltet für gewiß, daß meine Seele das göttliche Wesen schaute, und daß ich aus diesem Grunde voller Ungeduld im Gefängnisse des Leibes lebe; wenn es nicht um der Liebe Gottes und des Nächsten willen wäre, wegen der mich der Herr in den Leib zurückkehren ließ, würde ich vor Traurigkeit sterben." -
Schrittweise begab sich Katharina nun aus der selbstgewählten Einsamkeit ihrer Zelle zurü Ëck in den Kreis der Menschen, zunächst ihrer Familie, dann ihrer Vaterstadt und ihrer italienischen Heimat, schließlich der ganzen Kirche. Bald hatte sich in Siena um sie ein Jüngerkreis geschert, der sie als seine "dolce mamma" (süße Mutter) betrachtete und anredete und den man daher ihre "famiglia" nannte. Katharina war hier die Lehrmeisterin des geistlichen Lebens, ging aber auch in der Sorge für Seele und Leib ihrer Mitmenschen mit gutem Beispiel voran. Aus dem elterlichen Besitz verschenkte sie vieles an Bedürftige und pflegte mit größter Hingebung Kranke, vor allem solche, deren Krankheiten und Wunden besonders abstoßend waren. Viele Kranke wurden von ihr auf wunderbare Art und Weise geheilt, besonders im Pestjahr 1374, als mehrere Mitglieder ihrer "famiglia" von der furchtbaren Krankheit erfaßt wurden. Viel bezwingender als über die Leiber war aber ihre Gewalt über die Seelen. Viele, und oft gerade die verstocktesten Sünder wurden durch den bloßen Anblick der Heiligen bekehrt, s Ëo daß einer von ihnen über seine Begegnung mit Katharina schreiben kann: "...von diesem Tage an geschah etwas Neues in mir, so daß ich nicht mehr derselbe war wie vorher."
Katharina war barmherzig gegen die Schwächen der Menschen, solange sie nur, oft in prophetischer Vorausschau, die Möglichkeit der Umkehr sah. So sagte sie einmal einen ihrer geistlichen Söhne, der immer wieder in seine alten Schwächen zurückfiel: "Du kommst oft zu mir, und dann fliegst du, einem Vogel gleich, deinen verschiedenen Lastern nach. Fliege jetzt nur hin, wo du willst, aber am Ende werde ich dir mit Gottes Hilfe eine Schlinge um den Hals legen, daß du nicht mehr mit den Flügeln schlagen kannst." Daß die Heilige nicht nach dem äußeren Schein urteilte, zeigt der Brief, den sie an eine Dirne schrieb: "Tu dir selbst eine heilige Gewalt an, erhebe dich aus soviel Elend und Verderbtheit, ..., du wirst sehen, daß Christus dir ein Bad von Blut bereitet hat, um dich von dem Aussatz der Todsünde und seiner Unreinhei Ët reinzuwaschen. Dein süßer Gott wird dich nicht verachten."
Die rastlose Tätigkeit in der Welt hinderte Katharina nicht daran, in dauernder Verbindung mit der übernatürlichen Welt zu leben. Sie konnte mitten aus einer Beschäftigung heraus für Stunden in einen Zustand mystischer Verzückung fallen. Vor allem nach dem Empfang der hl. Eucharistie, von der in den letzten Lebensjahren nicht nur ihr Geist, sondern auch ihr Körper lebte, fiel sie regelmäßig in eine langandauernde Entrückung. Während dieser Zeit mißhandelten rohe und verständnislose Menschen nicht selten ihren Körper, indem sie ihn mit Nadeln stachen oder ihm sogar Fußtritte versetzten. Überhaupt hatte Katllarina, je offensichtlicher und bekannter ihre außergewöhnliche Begabung wurde, umso mehr unter Verfolgungen und Verleumdungen durch Menschen zu leiden die, wie Raimund von Capua, ihr Beichtvater und Biograph, es so schön ausdrückt, "in allem, was sie tat und sprach, den herrlichen Reichtum der Gnade nicht sahen, mit dem de Ër Herr die Seele seiner Braut ausgestattet hatte; überall wollten sie sie in das allgemeine Maß pressen und ihr ihre eigene, kurze Elle aufdrängen ...". Selbst nachdem das Ordenskapitel der Dominikaner die Heilige 1374 in Florenz von allen Vorwürfen freigesprochen hatte, verstummten die Lästersungen nicht. Katharina, die ja einmal bekannte, nichts vermöge ihre Kräfte so von innen heraus zu erneuern wie Leiden und Schmerzen, hatte darauf keine andere Entgegnung als die geduldiger Sanftmut: "Laßt reden, wer da reden will. Es tut mir leid für sie, aber nicht für mich."
Der Radius von Katharinas Tätigkeit sollte nicht lange auf ihre engere Heimat beschränkt bleiben. Die Heilige wußte sich von Gott untrüglich gerufen, nicht nur auf die Mängel ihrer Mitmenschen, sondern die ihres Vaterlandes, ja der ganzen Kirche, anklagend und mahnend hinzuweisen. Seit 1370 begann sie, Briefe an die Fürsten und Machthaber Italiens zu schreiben, indem sie sie ermahnte, die Hände, und Kriege untereinander, v Ëor allem aber die gegen den Papst gerichteten, beizulegen und statdessen die Kräfte zu einem Kreuzzug zu einen. Sie ließ es jedoch nicht bei den schriftlichen Mahnungen bewenden, sondern unternahm bald auch Reisen und Gesandtschaften durch ganz Oberitalien, um Fürsten, Adeligen und Söldnerführern persönlich ins Gewissen zu reden.
Viel brennender noch als die Zwistigkeiten ihres Heimatlandes lag ihr aber der moralische Niedergang der Kirche und vor allem die unwürdige Lage des Papsttums in Avignon am Herzen. Es dauerte nicht lange, bis sie in Briefen an Papst Gregor XI schonungslos und ohne Furcht die Verweltlichung der Kirche an ihrer höchsten Spitze geißelte: "Ach, wie muß man sich schämen, wenn man jene, die ein Vorbild in freiwilliger Armut sein und Kirchengut an die Armen verteilen sollten, in den Kostbarkeiten, im Pomp und in den Eitelkeiten der Welt schwelgen sieht. Tausendmal schlimmer treiben sie es, als wenn sie in der Welt leben würden." Als die Heilige 1376 in Avignon zum e Ërsten Mal dem Papst gegenüberstand, schleuderte sie ihm ins Angesicht: "Ich bekenne furchtlos, da es um die Ehre des allmächtigen Gottes geht, daß die Sünden des päpstlichen Hofes bis nach Siena stinken, von wo ich herkomme, und mir dort noch mehr Ekel einjagen als den Leuten hier, die sich mit ihnen besudelt haben und noch jeden Tag weiter besudeln." Katharina prangerte in Avignon aber nicht nur die Laster des päpstlichen Hofes an, sondern warf das ganze Gewicht ihrer Persönlichkeit in die Waagschale, um den Nachfolger Petri entgegen allen Einflüsterungen seiner französischen Kardinäle, seines verweltlichten Hofes und seiner eigenen Schwäche zur Rückkehr an seinen angestammten Sitz, nämlich Rom, zu bewegen. "Kommen Sie, o kommen Sie, und widerstehen Sie nicht länger dem Rufe Gottes!
Die ausgehungerte Herde wartet auf Sie, daß Sie den Stuhl Ihres Vorgängers, des Apostelfürsten Petrus, in Besitz nehmen." Immerwieder feuerte sie den zögernden Papst an und ermahnte ihn zur Standhaftigkei Ët. "Seien Sie ein Mann, fest und unerschütterlich! Lassen Sie sich nicht umwerfen weder durch irgendeinen Sturm, noch durch eine List Satans, noch durch Ratschläge fleischgewordener Teufel." Daß Gregor XI. schließlich 1377 endgültig nach Rom zurückkehrte, ist zu einem nicht geringen Teil auf Katharinas Mahnungen zurückzuführen, und bleibt die wohl größte ihrer geschichtlichen Taten.
Daß damit allein die Übel der Kirche noch nicht geheilt waren, wußte niemand besser als Kauharina, die nicht aufhörte, zu fordern, daß die schlechten Hirten, die sie "stinkende Blumen, voll von Unreinigkeit und Begierlichkeit, strotzend von Hochmut nannte, durch eifrige, fromme ersetzt werden müßten, die die Gerechtigkeit mit Liebe und die Liebe mit Gerechtigkeit ausübten. Daß es dazu, nämlich zu der umfassenden Erneuerung der Kirche an Haupt und Gliedern, nicht gekommen ist, hat die letzten Lebensjahre der Heiiigen verdüstert. "In allen Zeiten tut das Beten not. Aber eine Zeit größerer Not sahst du nie, w Ëeder du noch sonst jemand. Ja meine Tochter, in Schmerz und Bitterkeit mußt du sie fühlen, die Dunkelheit, die über die heilige Kirche gekommen ist. Menschliche Hilfe vermag da nichts mehr. Du und die anderen Geweihten Gottes müssen ihn um seine Hilfe bestürmen. Mit diesen Worten forderte sie 1379, nach dem Ausbruch des Schismas, das sie prophetisch verausgesehen hatte, eine Mitschwester zum Gebet für die zerrissene Kirche auf. Obwohl sie bis zu ihrem Tod unermüdlich für die Rechte des römischen Papstes Urban VI. eintrat und erbittert die abgefallenen Kardinäle und ihren "Papst" Clemens VII (eigentlich Robert von Genf) bekämpfte, hatte sie ihre eigentliche Sendung erfüllt und wünschte nichts sehnlicher, als ihr Leben und Leiden für das Wohl der Kirche opfern zu dürfen. "Herr, da dein Wollen stets gerecht sein muß, verachte die Gebete deiner armseligen Magd nicht, ich beschwöre dich, und gib die Strafen die sich dieses widerspenstige Volk zugezogen hat, mir! Ach wie gern, wie gern würd Ëe ich dessen Leidens- und Todeskelch trinken, der Ehre deines Namens, deiner heiligen Kirche zu liebe!"
So sehr war Katharina mit dem mystischen Leib Christi, der Kirche eins geworden, daß seine Spaltung auch ihr das Herz zerriß: Am 28. Februar 1380 brach ihr ausgezehrter Körper zusammen, der letzte Kampf Katharinas begann. Es war ein wahrlich schwerer Kampf, denn bevor der Herr, ihr mystischer Gemahl, sie für immer in die ewigen Wohnstätten heimholte, durfte sie noch einmal den Leidenskelch in seiner ganzer Fülle austrinken. So furchtbar waren ihre Qualen, daß sie ausrief: "Ich leide gewiß an meinem Körper, aber das ist kein natürliches Leiden. Es scheint, Gott habe es den Dämonen anheimgestellt, mich zu quälen, wie es ihnen gefällt." Trotzdem begrüßte sie ihre Leiden mit den Worten: "Ich danke dir, mein Gemahl, in Ewigkeit, daß du mir jeden Tag so viele und große Gnaden erweisest! Ich bin ja nur deine schlechte, nichtswürdige Magd." Am frühen Morgen des 29. April 1380 begann der Tod Ëeskampf Katharinas. Noch einmal flehte sie für das Heil ihrer geistigen Kinder, aber auch für die gesamte Kirche, "aus ihrer ganzen, brennenden Seele, daß die Steine ebenso- wie unsere Herzen hätten springen müssen", wie ein Zeuge ihres Todes erschüttert schreibt. Und nachdem sie, nicht ohne sich zuvor in reuiger Zerknirschung ihrer Sünden angeklagt zu haben, die Absolution empfangen hatte, wurde sie heimgerufen zum himmlischen Vater, um auf ewig Hochzeit zu halten mit ihrem Gemahl, unserem Herrn und Heiland Jesus Christus. -
Man hat die hl. Katharina von Siena oft als eine "politische" Heilige bezeichnet. Schon zu Lebzeiten mußte sie dies als Vorwurf hören und erwiderte darauf. "... anders will ich nicht tun, noch will ich, daß es die tun, die bei mir sind, außer den Teufel in die Flucht zu schlagen und ihm die Herrschaft zu nehmen, die er durch die Todsünde vom Menschen ergriffen hat, und diesem den Haß aus dem Herzen zu nehmen und ihn mit Christus dem Gekreuzigten und mit seinem Ë Nächsten auszusöhnen. Das sind die Unterhandlungen, die wir führen...".
Wäre Katharina nur eine "Heilige" der Politik, so könnte ihr Beispiel unserer Zeit keine Anregungen geben. Doch sie ist weitaus mehr: Sie ist eine Heilige des Gebets und der mystischen Versenkung in Gott, aber auch der "caritas", der Nächstenliebe im umfassendsten Sinn; eine Heilige der tiefsten Einsamkeit, deren Wirken doch in die breiteste Öffentlichkeit ging, der Vaterlandsliebe, und doch der weltumspannenden Weite des Denkers: Sie ist, und darin faßt sich alles zusaramen, eine Heilige der Kirche. Ihr Denken, Wollen und handeln ist mit dem der Kirche völlig eins geworden. "In der Kirche ist mein Platz, als Posten, als Wache, als Kämpferin", sagt sie von sich selbst. Und so ragt sie in unsere Zeit hinein als eine Beterin und Büßerin, eine Prophetin und Mahnerin für das Wohl der kämpfenden Kirche. Deswegen haben wir mehr denn je Grund, diese mächtige Fürsprecherin der Kirche um ihre Hilfe anzuflehen, gilt doch h (eute wenigstens ebensosehr wie zu ihrer Zeit ihr Wort: "Zu allen Zeiten, tut das Beten not. Aber eine Zeit größerer Not sahst du nie ... Menschliche Hilfe vermag da nichts mehr."
Heilige Katharina von Siena, bitte für uns und für die Wiederherstellung unserer heiligen Mutter, der Kirche!
___________ Literatur:
Raimund von Capua, Das Leben der hl. Katharina von Siena, in Heilige der ungeteilten Christenheit" (Düsseldorf 1965) Arrigo Levasti, Katharina von Siena (Regensburg 1952) Katharina von Siena, Politische Briefe (Einsiedeln, Köln 1944)
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