Ehe, Familie und Erziehung
4. Fortsetzung
von Dr.theol.Otto Katzer
Die dem Kinde gewidmete Aufmerksamteit ist nicht überbetont, (bedenken wir nur wieviel auf diesem Gebiete gesündigt wird), und entspricht vollauf den feinsten Forderungen der modernen pädagogischen Psychologie. Abermals wollen wir in das Leben einer "wilden" Mutter, diesmal aus dem Australischen Stamm Euahlayi, einen Blick werfen. Schon im "Wiegenlied" (das Wort ist in Australien natürlich nicht wörtlich zu nehmen!) beginnt die Mutter ihre Wünsche und Mahnungen an das Kind, singt sie über dasselbe, um ihm großherzige Freigebigkeit einzuflößen:
"Gib mir, Baby, Gib ihr, Baby, Gib ihm, Baby, Gib irgendeinem, Baby, Gib allen, Baby!"
Oder um es mit Güte und Ehrlichkeit zu erfüllen:
"Sei gütig, Stehle nicht, Rühre nicht an, was andern gehört, Laß all das liegen, Sei gütig!" (1)
Genauso wie eine ausgespielte, mit wunderbaren Melodien durchwobene Violine neue in Empfang nimmt, wird ein Kind mit vielen guten Dispositionen zu edlen Taten leicht neue zum Aufbau seines Charakters nehmen. Die Mütter jenes Australischen Stammes haben keine Schulen und dennoch finden sie auf eine natürliche Weise das heraus, was mancher Mutter mit vielen Schulen nicht einleuchten will, weshalb sie es viele Fehler auf diesem Gebiete begeht, daß wir sie nicht selten als verbrecherisch qualifizieren müssen. Wenn derartige Mütter den Leib ihres Kindes mit einer solchen Nahrung "ernähren" möchten, wie sie die Seele ihres Kindes beeinflußen und beeinflußen lassen, welch trauriges Ende müßte da eine solche "Pflege" nehmen!
Bevor das Kind fähig ist, aus dem Buch der Bücher zu lesen, was sicher lange Jahre beansprucht, soll die Mutter ihr Kind im Buche der Natur lesen lehren, welches ja vom himmlischen Vater selbst geschrieben wurde und wird?
Ist es denn so schwer, den Blick des Kindes auf die Schönheit eines Gänseblümchens zu lenken, einen Grashalm zu betrachten, dem lieblichen Gesang der Vöglein zuzulauschen, dem murmelnden Lied des Bächleins, dem Rauschen des Waldes? Es gibt doch nichts leichteres, als dem Kinde die bunten strahlenden Farben der Schmetterlinge zu zeigen, das kleine wissenslustige Wesen mit den Haustieren bekannt zu machen, sei es ein Kätzchen oder ein Hund, ein Häslein, Pferd oder Kuh usw., mit all den Wunderdingen der Schöpfung! Und wenn es am Abend den Blick zum gestirnter Himmel emporhebt, wie könnte es da nicht mit der heiligen Ruhe erfüllt seine die aus den langsam vorüberschwebenden Wolken und der so weiten glitzernden Sternenwelt sich über die Erde ergießt!
Wenn das Klindlein nun sehen wird, daß alles auf seine eigene Art lebt und besteht, dann wird es sich nicht mehr einsam fühlen, es wird sich nicht fürchten, wird Freude an all den Geschöpfen finden, die nie lügen können, nie schlecht sind, nie häßlich sind, selbst wenn manchmal die Naturgesetze uns hart erscheinen. Doch wie wenige Mütter haben selbst das Lesen in diesem Buche gelernt! Daß sie keine Zeit dazu hätten? Sie mögen nur nachforschen, wie vielen überflüssigen, ja nicht selten schädlichen Dingen sie ihre Aufmerksamkeit und Zeit widmen
Ich erinnere mich an eine Fahrt im Zug. Ein kleines Mädchen neben mir war ganz entzückt von den scheinbar an dem Zug vorbeilaufenden mit Schnee bedeckten Bäumen: "Mami, schau, die Bäume laufen Hand in Hand!" Und wirklich! Der Ast eines größeren Baumes lag auf dem eines kleineren, und es sah aus, als ob das ältere Schwesterchen den jüngeren Bruder bei der Hand führte!
Ein anderes Mal sagte eine gute Mutter ihrem Kindlein bei Betrachtung der im Abendwinde sich wiegenden Äste der Bäume: "Schau, sie winken dir "Gute Nacht"! Winke auch du ihnen "Gute Nacht"! und mit dem Rauschen des Waldes kam zurück: "Gute Nacht"
Muß denn das Herz des Kindes, wie das der Mutter, schon von den ersten Augenblicken des Lebens mit dem düsteren Geknister der der Selbstliebe entspringenden höllischen Flammen erfüllt sein? Ein Einblick in das Familenleben aller Staaten der Welt wird uns zeigen, daß diese traurige Erscheinung nicht so selten ist, wie wir gerne annehmen möchten! Was wird da nur vom "nervösen Kind" herumgesprochen! Bedenken wir, wie hoch der Prozentsatz der iugendlichen Selbstmorde in manchen Staaten ist, wie stark die Bewegung der Hippies, was ihre Ursachen sind, wie auch was so manchen Jugendlichen zu den Drogen treibt! Ursache ist eine erschreckende Gemütsunterernährung; wie auch falsche geistige Ernährung, deren Auswirkungen sich auf das ganze Leben des Menschen verbreiten. Wie kann eine solche Mutter ihr Kind in die bezaubernde Poesie des Lebens einweihen, wenn diese ihr selbst unbekannt ist?!
Viele Sachen entschwinden aus dem Leben der Kinder, mit dem Wiegenlied angefangen. Wo hört man denn heute noch ein solches, wo Märchen, welche geschrieben sind von Menschen, die die Kinder in Gott lieben, um sie vor jenen Fehlern zu bewahren, die sie etwa selbst begangen haben, wie auch vor ihren traurigen Folgen!
Sollten nicht gerade junge Menschen, wenn sie beginnen, an das Heiraten zu denken, sich die in den Märchen enthaltenen Wahrheiten zu Herzen nehmen? Suchen denn nicht auch sie einen tief verborgenen Schatz, der ihnen viel Freude bringen kann, nicht selten aber auch viel Leid!?
"Geh nicht weiter" mahnt im Märchen ein altes Weib einen Jüngling, der ihr ein Stück Brot gegeben hat und nach dem Weg zum verborgenen Schloß fragt, wo er eine Prinzessin befreien will. "Gehe nicht weiter, bedenke wie viele vor dir in demselben Unternehmen gescheitert sind!" Da er aber trotzdem sich nicht abschrecken lassen will, warnt sie ihn: "Habe keine Angst vor Drohungen, die man dir in Gesicht schleudern möchte, laß dich nicht verführen durch ein noch so schönes Gesicht oder lieblichen Gesang, laß dich durch falsche Barmherzigkeit nicht dazu verleiten, vom Wege abzuweichen, wenn du ihn schon betreten hast! Niemand kann gutes mit schlechten Mitteln erreichen!"
Wird denn in der Ehe nicht etwas ähnliches erlebt, und es muß nicht gerade in ihren ersten Tagen sein? Es mögen die Eheleute nur in ihr Leben zurückschauen. Wieviele schöne Gestalten mit verführendem Lächeln zogen an ihnen vorbei! Nur einen Augenblick - und dann kannst du wieder weiter gehn! Doch weh, einen Weg der meisten zur Hölle führt, hier auf Erden und einmal in der Ewigkeit! Wie viele Schwierigkeiten mußten sie überwinden! Dies alles müssen Vater und Mutter bei der Erziehung des Kindes berücksichtigen. Die Erziehung muß stets vom Standpunkte des ganzen Lebens geführt werden, wobei alle Möglichkeiten berücksichtigt werden müssen!
Wenn ein junges Pygmäenmädchen das Heimatdorf verläßt, singen ihre Freundinnen während die Mutter ihr zum Andenken eine Blume mitgibt:
Langsam, langsam, zählend die Schritte Kind, geh, weinend nimm Abschied mit schwerem, müdem Herzen, ohne dich umzudrehen, von der Hütte, dem Dorf, wo deine Augen so fröhlich lachten bei allem.
Zählend, zählend deine Schritte gehst du heute von hier mit schwerem, müdem Herzen, geh nur, geh dorthin! Zählend, zählend deine Schritte, mit schwerem, müdem Herzen, heute gehst du dorthin.
Behalte auf deinem Herzen, bewahre gut die Blume aus Mutters Garten, die Blume, die dir sagen wird: Man liebt mich noch dort, Behalte auf deinem Herzen, bewahre gut die Blume, ein ewiges Andenken.
Zählend, zählend deine Schritte, gehst du heute von hier, Mit schwerem, müdem Herzen, geh nur, ach nur dorthin, zählend, zählend deine Schritte, mit schwerem, müdem Herzen, gehst du heute von hier! (2)
Mögen doch auch unsere Mütter ihren Töchtern die Blume der Erfahrung zum Andenken mitgeben, als Liebeszeichen. Es ist oft nicht gut in das Leben zurückzuschauen, noch nach rechts oder links zu blicken! Wir müssen stets DEN WEG in den Augen behalten, der Christus ist, und uns zu Gott führt. Alles soll in uns nur den Akkord der Liebe verstärken: das Wahre, Gute und Schöne, in Gott!
Manchmal kommt es in den Familien auch zu Streitigkeiten. Ein jeder Vater, Mutter, Kinderr wir alle haben Fehler, welche früher oder später den übrigen Mitgliedern der Familie unangenehm werden und zur Quelle von Zwistigkeiten. Keinesfalls dürfen wir aber unnütz über die Fehler anderer, auch wenn es große Fehler sein sollten, nachdenken. Unsere Gedanken rufen ein Echo hervor in den Herzen der Menschen, die uns umgeben, am meisten, derer, die uns nahe stehen. Nichts ist weniger wahr als der Satz: Gedanken sind zollfrei! Welche Art von Strahlen entspringen unserem Hcrzen? Sind es positive oder negative? Und wenn schon negative im Herzen unseres Nächsten sind, die wir zu erlöschen trachten, warum sie noch durch das Nachdenken über sie verstärken? "Laß dich also nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse durch das Gute!" (3)
Wie wenig beachten wir nur die Macht der Vorstellungskraft! Wir bedenken nicht, daß das eine schöpferische Kraft ist und daß der Mensch nicht mit Unrecht ein Kind der Phantasie benannt wurde. So kommt es nicht selten vor, daß ein Ehepartner dem anderen die Untreue suggeriert, indem er immerfort über eine solche Möglichkeit nachdenkt, wenn auch ganz unbegründet. Auf dieselbe Weise trifft es sich auch bei den Kindern, wo der erste Ansporn zu manchen unerwünschten Taten von den Eltern kommt auf welche die Kinder selbst nie gekommen wären. Ja, der Mensch ist ein Kind der Phantasie, aber nicht immer der eigenen, sehr oft anderer, wenn er nicht so viel geistige Kraft besitzt sich dort zu widersetzen wo es notwendig ist! Wie viele Eifersuchtsszenen entspringen oft nur ganz unbegründeten Eifersuchtsvorstellungen!
Es ist buchstäblich unheimlich, was die moralische Kraft auf dem materiellen und erst recht auf dem geistigen Gebiet hervorrufen kann. Sie durchdringt nicht nur den Körper, sondern ergießt sich auch über die ganze Umgebung und ruft auf zum Widerstand dort, wo ein Angriff gefürchtet wird. Als die Armee Napoleons von der Pest betroffen wurde, lähmte der Schreck ihre Kräfte. Nun kam der Kaiser selbst, berührte die Pestbeule eines Soldaten und sagte: Mir tut es keinen Schaden... und tat auch nicht, worauf die Armee sich zusammenraffte. Unsere Aufgabe ist es, über die Welt zu herrschen, nicht von ihr beherrscht zu werden. Sehr oft kommen wir bei den Mystikern auf den Gedanken, daß in einem gewissen Sinne alles in der Welt mit unserem leibseelischen "Ich" im Zusammenhange steht. Infolgedessen müssen wir in Anbetracht besonders der engsten Umgebung uns dieser Einheit des Seins bewußt werden, als auch der daraus entspringenden Verantwortung, wie aus den Worten des hl. Paulus ersichtlich ist: "Gott (hat alles) so eingerichtete, daß keine Unordnung im Leibe entsteht, sondern die Glieder einträchtig füreinander Sorge tragen. Leidet ein Glied, so leiden alle Glieder mit, wird ein Glied geehrt, so freuen sich alle andern Glieder mit." (4) Der gute und der böse Geist ringen miteinander um die Herrschaft über die Welt: das Endergebnis ist entweder die harmonische Ordnung in Gott oder das Chaos, Dies gilt in der ersten Reihe für die Familie!
Es ist gar nicht notwendig, eine besondere psychische Kraft zu besitzen um herauszufinden, daß einer Person oder einem Ort ein moralischer Mangel anhaftet, der unsere Beziehungen zu ihnen erschwert oder sogar unmöglich macht! So müssen die Eltern, aber auch sonst ein jeder Mensch dafür Sorge tragen, daß sie eine gesunde Umgebung um sich aufbauen; sollten sie denn nicht immer nur das Gute widerstrahlen?
Es ist der Geist, der sich den Körper und in Verbindung mit ihm die entsprechende Umwelt schaft. Die Welt wird in der Regel immer so sein, wie wir sie geschaffen haben, die Familie geformt nach unserem Willen, vorausgesetzt, daß sich irgendeine ihrer Mitglieder nicht unserem Bestreben widersetzt, was leider sehr leicht ob des durch die Erbsünde geschwächten Willens möglich ist. Keineswegs dürfen wir aber in einem solchen Falle die Hände einfach in den Schoß legen. Der Rost der Trägheit zerfrißt selbst den besten Stahl! Geduld ist da notwendig, und wie viel! Durch seine Güte verwandelt, wenn auch langsam, ein guter Mensch die Umwelt im Bewußtsein, daß er sich nicht selbst überlassen ist, sondern daß Gott, der uns unendlich mehr liebt, als wir uns selbst lieben können, mit Seiner Hilfe uns beisteht, und die größte Arbeit leistet. Es ist nur notwendig, daß wir ein williges Instrument in den Handen des heiligen Geistes werden, der allein, und zwar unendlich besser, das realisieren kann, was wir uns ausgedacht haben. "Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was in kein Menschenherz gedrunen ist, das hat Gott denen bereitet, die ihn lieben." (5)
Schon diese Welt muß es bezeugen, wie manche ungesehene und ungehörte Schönheit im Lichte der Gnade Gottes zum Vorschein kommt, trotz all den Schwierigkeiten, die wir zu überwinden haben, wie auch aus den Worten des Heilandes herauszufühlen ist: "Denn mein Joch ist sanft, und meine Bürde leicht." (6)
Das Leben ist ein immerwährender Kampf des Lichtes mit der Finsternis, ein Ringen des Guten mit dem Bösen, wo zuletzt das Gute in der ewigen SCHÖNHEIT siegt. Es liegt nur an uns, ob wir Kinder des Lichtes sein wollen. Lasset uns wenigstens einmal im Tage unsere Lebensäußerungen, was das Gute, Wahre und Schöne anbelangt, überprüfen! Fragen wir unsere Gedanken, ob sie wirklich das waren, was sie sein sollten! Vielleicht sagen wir uns, es war ja die Liebe selbst, die sie geboren hatte! Doch war diese Liebe nicht am Ende unsere Eigenliebe? Wie oft fordert unsere Selbstliebe eine Demütigung bei anderen, und dies im Namen der Liebe! Belügen wir uns nicht selbst, betrügen wir uns nicht, denn so würden wir nur an unserer Selbstvernichtung arbeiten, wie auch derer, die ihr Leben mit uns teilen. Wie viele Dinge beanspruchen, als gute betrachtet zu werden, und sind in Wirklichkeit schlechte. Wenn wir es gestatten, von ihnen betrogen zu werden, dann können wir sie zwar für eine Weile als solche erleben, aber nicht für lange Gewöhnen wir es uns doch an zu fragen: "Du magst heute als gut erscheinen, wirst du es jedoch morgen sein? Wie viele Sachen zeigten sich uns als gute, verführten uns aber zuletzt. Es ist nicht alles Gold, was glänzt!
Alles, was wir anstreben, muß das Wahre, Gute und Schöne zugleich, zusammen aufweisen. Fehlt eine von diesen Eigenschaften, dann ist keine hier; ist eine in der Tat anwesend, dann müssen es auch die beiden anderen sein! Das beste ist, wir begnügen uns nicht mit dem nachforschen nach einer, sondern suchen alle drei.
Bin ich ein Kind des Lichtes und der Liebe, so wird das Licht meiner Liebe alles durchdringen, und im Lebenskampfe wird alles Gute an meiner Seite stehen. Vergessen wir nicht die Worte des hl. Pfarrers Vianney: "Die Welt gehört dem, der sie (natürlich in Gott) an meisten liebt." In so weit da Liebe in uns sein wird, wird die Welt ein Echo unseres sich vor dem Geiste Gottes beugenden Geistes sein. Ebenso wird die Familie ein Widerhall des Geistes des Mannes werden, der Frau und der Kinder, selbst dann wenn einer von ihnen, ob seiner Boshaftigheit nicht jene Eigenschaften aufweisen würde, welche notwendig sind. Im letzten Falle müssen wir uns zu unserem Troste eine Frage stellen, wie die Familie ohne das wahre Bestreben überhaupt ausschauen möchte. Wirklich besteht für den, der mit Gottes Hilfe das geleistet hat, was er hat leisten können kein Grund zur Depression.
Wir haben bereits von der Australischen Mutter gesprochen, wie sie sich bemüht, gute moralische Eigenschaften dem Kindlein zu suggerieren. Warum könnten unsere Mütter nicht dasselbe tun? Das beste ist, sie neigt sich jeden Abend über ihr bereits schlafendes Kind und flüstert ihm ins Ohr ihre sein Benehmen betreffende Wünsche, und führt mit Hilfe von Vorstellungen in die Welt des Kindes jenes Bild der Persönlichkeit ein, welche sie bei ihm wünschte. Natürlich wirkt hierbei nicht wenig ihre eigene Charatereinheit mit, nach welcher sie, wie ein jeder Mensch, streben muß. Welch leichte Hilfe beim Aufbau des Charakters wird da übergangen, ja sogar mißachtet, allein deshalb weil sie leicht ist! Wie viele Mühe kostet die Erziehung später die Mutter, die sie sich hätte erleichtern können, wenn sie selbst nicht - faul gewesen wäre. Wenn die Eltern kein geistiges Leben führen, wie können sie ein solches bei ihrem Kinde erwarten!
Was begleitet das Kind in den Schlaf? War es der Gedanke an den himmlischen Vater, der im Gebet erweckt wurde? Das beste wäre, wenn die ganze Familie am Nachtgebet des Kindleins teilnehmen möchte, getreu den Worten des Herrn: "Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter itnen." (7) Warum bringen Vater und Mutter nicht zuerst ihre eigene Seele in Ruhe und dann die so lebhafte ihres Kindes? Könnte dem Schlafengehen nicht eine kurze Lesung aus der Heiligen Schrift vorausgehen, damit der Geist Gottes umso intensiver ihre Seele durchdringt?
Nach dem Talmud verläßt die Seele "nachts den Körper des Schlafenden, um bei Gott zu weilen. In ihrer Abwesenheit suchen sich die bösen Geister des Schlafenden zu bemächtigen. Um sich gegen sie zu schützen, fleht der Jude in dem Gebete, das er unmittelbar vor dem Einschlafen verrichtet, eine Nachtwache herbei, die er sich in folgender Aufstellung denkt: links Gabriel, rechts Michael, vorn Uriel, hinten Baphael, zu Häupten die Herrlichkeit Gottes. Eine noch größere Wirkung aber verspricht er sich vom Lesen des Schema. (8) Dieses Lesen ist den bösen Geistern gegenüber gleichbedeutend mit einem zweischneidigen Schwert. Ähnlich lautet ein altes englisches Gebet:
"Zum Schlafe leg, ich mich jetzt nieder, behüt, oh Herr, die Seele wieder, vier Engel seien mir erlaubt, zwei bei den Füßen, zwei beim Haupt, einer zur Wacht, zwei zum Gebet, einer zu Gott die Seele trägt."
oder ein anderes, ebenso altes:
"Matthäus, Markus, Lukas, Johannes, gesegnet sei mir der Ort des Schlafes!"
"Der Gerechte lebt aus dem Glauben!" (10)
Welcher Obhut bedürfen wie die Eltern, so auch die Kinder. Das Gebet zum heiligen Schutzengel finden wir gut ausgerechnet für die Kinder, als ob wir etwas anderes wären als arme, den Mächten der Finsternis preisgegebene Geschöpfe, für den Fall, daß wir das Reich des Lichtes verachten oder unterschätzen.
Wie verschieden wird der Schlaf bei denen verlaufen, die sich dem Schutze Gottes anvertrauen, von dem derer, die sich niederlegen von ihren Leidenschaften hin und her gezerrt!
Der letzte Gedanke, mit dem wir einschlafen, sollte der erste sein, mit dem wir erwachen: Vater! - Dann wird alles in uns durchdrungen sein von der mystischen Harmonie der Liebe Gottes, nicht aber nur in uns allein, sondern auch alles um uns herum wird durchtränkt sein vom Wahren, Guten und Schönen. Diese Harmonie können die meisten Menschen nicht finden, weil sie sie nicht suchen oder sie suchen dort, wo sie nicht zu finden ist.
Die Erziehung der Kinder, so sagten wir uns, beginnt mit der Erziehung der Eltern. Diese Selbsterziehung endet aber nicht mit dem Schulgang, sie muß weitergehn, das ganze Leben, am meisten aber, wenn wir andere zu erziehen haben! Jener ist der beste Erzieher, der andere erzieht, in dem er sich selbst erzieht!
Manchmal machen wir eine eigenartige Erfahrung. Erstaunt sehen wir in einer ganz moralisch verkommenen Umwelt wohl erzogene Kinder, welche moralische Werte aufweisen, die wir bei den Eltern aber nicht sehen. Nun ist es wohl wahr, daß ein jeder Mensch ein schöpferisches Wesen ist, welches mit Gottes Hilfe wahrlich Großes leisten kann, doch dürfen wir den Einfluß der Umwelt nicht unterschätzen und müssen versuchen, ihn auf das beste zu gestalten.
"Hochwürden", sagte mir einst ein junger Student, "Sie können sich nicht vorstellen, was für eine Mühe es mich kostet, meine Eltern in die Kirche zu bekommen!" Gewöhnlich haben die Eltern Schwierigkeiten mit den Kindern, manchmal ist es aber auch umgekehrt. Wie kann nun ein Vater oder eine Mutter ihr Kind religiös erziehen, wenn sie selbst kein religiöses Leben führen, ihren religiösen Verpflichtungen nicht nachkommen? Sehr bald werden die Kinder herausfinden, daß Vater oder Mutter, vielleicht sogar beide, nicht so ganz bei der Sache sind und bald werden ihre Anordnungen auch in nichtreligiösen Dingen das Etikett "Unbedeutend" bekommen. Wie mancher Vater fordert Gehorsam von seinen Kindern, er selbst ist aber ungehorsam dem himmlischen Vater gegenüber!
Wenn unser Leben nicht die entsprechende Hinordnung zu Gott aufweisen wird, dem Gott der unsertwegen als BRENNPUKT der LIEBE in der kleinen weißen Hostie auf dem Altar auf uns wartet, so wird allmählich das Böse in uns triumphieren und wir werden anstelle des Wahren die Lüge, des Guten die Schlechtigkeit, des Schönen das Häßliche herrschen lassen. Wer aber mit Gottes Hilfe alles getan hat, was er hat tun können, der kann wahrlich in Bezug auf sein Familienleben ausrufen: "Hier liegt ein erhabenes Geheimis vor." (11)
Fortsetzung folgt.
Literaturanmerkugen:
1) Schmidt, Ursprung des Gottesidee, I, 296. 2) Trilles, Les Pygmées...S. 413. 3) Röm. 12,21. 4) 1 Kor. 12,26. 5) 1 Kor. 2,9. 6) Matth. 11,30. 7) Matth. 18,20. 8) Det. 6,4-9; 11,13-21; Num. 15,37-41. 9) Der babylonische Talmud, Jakob Fromer, S. 73. 10) Röm. 1,17. 11) Epho 5,32.
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