Das "Ich" als Opfergabe (Wurzel, Stamm Krone - XVI.)
von Dr. theol.Otto Katzer
"Jetzt ergeht das Gericht über diese Welt, jetzt wird der Fürst dieser Welt hinausgestoßen. Ich aber werde, wenn ich von der Erde erhöht bin, alles an mich ziehen". (1).
"Wir kennen und verspüren die hinterlistigen Kunstgriffe des Teufels, um die Verehrung Gottes und der Heiligen abzuschaffen und sich an ihre Stelle zu setzen." (2)
Das heilige Kreuz ist der Wegweiser für den Menschen zum zeitlichen und zum ewigen Glück. An einer Stelle sagt Peter Wust: "Entweder werden die Menschen vor dem Kreuze fallen oder unter dem Kreuze." Entfliehen können sie ihm nicht, wie weit es auch dem Teufel gelungen ist, das heilige Kreuz zu entfernen, am weitesten vom Altare. Das heilige Kreuz ist ihm nämlich verhaßt, weil es "das gegen die Dämonen aufgepflanzte Siegesseichen ist, das Schwert gegen die Sünden, das Schwert mit dem Christus die Schlange durchstochen hat: das Kreuz ist der Wille des Vaters, der Ruhm des Eingeborenen, der Jubel des Heiligen Geistes, die Zierde der Engel, die Sicherheit der Kirche, Pauli Ruhm, Wall der Heiligen, Licht der ganzen Welt. Ebenso, wie wenn jemand in einem in die Finsternis versunkenem Hause eine Lampe anzündet und hoch emporstellt, er sofort die Finsternis vertreibt, hat Christus in der der Finsternis verfallenen Welt das Kreuz angezündet und hoch emporgehoben, wodurch alle Dunkelheit der Welt vertrieben wurde. Und wie bei der Lampe das Licht oben sich befindet, trägt auch das Kreuz hoch oben das strahlende Licht der Sonne der Gerechtigkeit. Als die Welt diese angenagelt sah, schauderte sie zusammen, die Erde bewegte sich, Felsen zersprangen, die Härte der Juden (und jetzt der sogenannten Christen; O.K.) barst aber nicht. Der Vorhang des Tempels zerriß, nicht aber ihre ruchlose Verschwörung." (2 a)
Das Geplapper in der Kirche bei Ausschließung des Schweigens während des Kanons beweist, wie wenig sich die Menschen in das hehre Geschehen eingelebt haben. "Wie kannst du" so betont weiter der heilige Chrysostomus, "an diesem Opfer Anteil haben, wenn du bei solcher Unruhe und solchem Lärm herantrittst?"
Die eigentliche Ursache dieser Erscheinung liegt aber etwas tiefer als angenommen wird. Mehr als je vorher ist der Mensch heute vor die Wahl gestellt: Entweder die kleine weiße Hostie, Frucht des hl. Kreuzes, oder das eigene "Ich", wie selbstlos es auch erscheinen möchte. Daß sich im letzten Falle der Teufel hinter tausend Masken versteckt, wäre für den Menschen nicht so schwer zu erkennen, wenn er nur ein kleinwenig nachdenken würde. Doch das hat er sich schon längst abgewöhnt. Er täuscht zwar sogar ein Scharfdenken vor, indem er sich verschiedene Götter schafft, um nicht gottlos zu erscheinen, theologische oder philosophische Gebilde, wie einst Aaron das goldene Kalb. Nein, nicht die abstrakten menschlichen Schöpfungen kommen in Betracht, die Wahl ist: der für uns durch das Opfer des hl. Kreuzes am A1tar konkret gewordene Gott im allerheiligsten Altarsakrament oder das eigene, dem Teufel verschriebene vielgeliebte "Ich". Leicht könnte jemand sagen, das sei etwas zu scharf ausgedrückt, doch das Gegenteil ist wahr. Wenn wir bedenken, daß diese kleine, weiße Hostie der ABSOLUTE MITTELPUNKT des Weltalls ist und daß der, der IHN von sich stoßen wollte, sich selbst auf die Peripherie des Seins schleudert in eine Agonie, die den Tod als Vernichtung nicht kennt, dann müssen wir es anerkennen.
Hiermit kommen wir zu einer Sache, die den meisten Menschen unbekannt ist, zum Werterlebnis, weshalb wir uns in einem Meer von Entwertungen und Wertverschiebungen befinden, wo eine richtige Orientierung nicht mehr möglich ist. Was wäre denn? wenn ein jeder sich ein Verzeichnis bedeutungsvoller Begriffe anlegen möchte, natürlich abgestuft nach dem relativen Werte. Wie würde etwa die Reihe ausschauen bei Begriffen: Lohnauezahlung, Schnitzel, Auto, Fußball, Mensch, Ehe, Grundsteinlegung eines neuen Menschenlebens, Kind, Gnade, Taufe, Meßopfer, Gott usw. Sind wir ehrlich genug und führen diese Probe bei uns rücksichtslos durch, dann würden wir staunen, welche Wertverschiebungen bei uns eingetreten sind, und daß aus unserem Wörterbuche ein Wort fast völlig entfallen ist: EHRFURCHT!
Die Ursache liegt darin, daß wir uns keine Zeit mehr nehmen, uns zu einem Werterlebnis überhaupt durchzuarbeiten. Nehmen wir bloß ein Wort: Mensch. Zu welcher Entwertung dieses Begriffes wir gekommen sind, darüber belehren uns Krieg, die Konzentrationslager, Gefängnisse, Morde und Selbstmorde, derer die Seiten der Zeitungen voll sind.
Es möge ja niemand behaupten, daß wir von unserer Aufgabe abgeschweift sind und daß dies in eine Behandlung des Meßopfers nicht hineingehört, vergessen wir nie, daß alles aufzuopfern ist, zu allererst unser eigenes leib-seelisches "Ich". Sicher ist es nicht gleich, was wir dem Herrn opfern! "Ein Sohn soll den Vater ehren und ein Knecht seinen Herrn." Wenn ich nun der Vater bin - so spricht der Herr beim Propheten Malachias, wo bleibt meine Ehre, und wenn ich der Herr bin? wo bleibt die Furcht vor mir? So spricht der Herr Sebaoth zu euch, ihr Priester, die ihr meinen Namen verachtet. Ihr freilich fragt: "Wodurch denn haben wir deinen Namen verachtet?" - "Indem ihr auf meinem Altar befleckte Speise darbringt." Und wenn ihr weiter fragt: "Wodurch haben wir dich denn befleckt?" - Indem ihr sprecht: "Der Tisch des Herrn ist geringzuschätzen." Oder ist es nichts Schlimmes, wenn ihr blinde (Tiere) zum Opfer darbringt? oder ist es nichts Schlimmes, wenn ihr hinkende und kranke Tiere darbringt? Bring es doch einmal dem Statthalter (als Geschenk)? ob er dich damit freundlich aufnehmen oder dein Haupt erheben (=deinem Wunsche willfahren) wird, spricht Gott Sebaoth. Und nun? wenn ihr damit das Angesicht Gottes gnädig stimmen wollt, soll er sich unser erbarmen? Von eurer Seite ist solches wirklich geschehen! Soll er nun irgendeinem von euch willfahren, spricht Gott Sebaoth." (3). Wer erfrecht sich da, unter solchen Voraussetzungen in Anbetracht der äußersten Unvollkommenheit unseres leib-seelischen "Ich's" seinerseits von einer gültigen und würdigen Opfergabe sprechen, wenn sich nicht eine entsprechende tiefe Reue einstellt!
Bei der Betrachtung aller Dinge, die wir in der Welt finden, muß dreierlei eintreten, wenn wir wirklich als wahre Menschen gelten wollen: admiratio' veneratio, aderatio, d.i. Bewunderung, Ehrfurcht, Anbetung. Da wir nun vom eigenen "Ich" sprechen, so müssen wir unsere Aufmerksamkeit ihm widmen. Beginnen wir mit dem Leib.
In der Einleitung zum Lehrbuch der Anatomie von Rauber-Kopsch steht geschrieben: "Ohne die Kenntnis der Naturgesetze und der Naturerscheinungen - sagt Justus Liebig - scheitert der menschliche Geist in dem Versuche, sich eine Vorstellung über die Größe und unergründliche Weisheit des Schöpfers zu schaffen; denn alles, was die reichste Phantasie, die höchste Geistesbildung an Bildern nur zu ersinnen vermag, erscheint gegen die Wirklichkeit gehalten, wie eine bunte, schillernde' inhaltlose Seifenblase."
"Nil admirari?" (Nichts zu bewundern?)
Ist etwa dies der Eindruck, den wir von dem allen davontragen? Nein, der Eindruck ist ein ganz anderer. Das ist auch von allergrößtem Werte. Denn es gilt das Wort zu beherzigen: "Wenn ihr nicht mit der Bewunderung anfangt, werdet ihr nie in das innere Heiligtum eindringen." (Goethe) (4). So groß und wunderbar ist Sein Werk - bemerkt der hl. Augustinus, daß nicht nur der Mensch, der ein vernunftbegabtes Wesen ist, ein weit erhabeneres und vorzüglicheres Lebewesen von allen in der Welt das Staunen erweckt, sondern selbst die kleinste Mücke einen gut betrachtenden Geist ins Staunen versetzt und ihn zum Loblied an den Schöpfer zwingt (5). ~
Betrachten wir nun den Leib des Menschen näher, der von allen Seiten schon durchforscht zu sein scheint, dann müssen wir uns Rauber-Kopechs Worte gut zu Herzen nehmen: "Gar leicht könnte es dabei dem Nichteingeweihten scheinen, die Hauptsachen seinen alle schon in unserem sicheren Besitz und höchstens nur noch Nebendinge zu besorgen. Allein wie sehr würde ein jugendlicher Beurteiler sich damit täuschen. Wo früher kaum einzelne Fragen vorlagen, da sind solche mit dem Fortschreiten der Wissenschaft zu Tausenden gleich Pilzen emporgeschossen. Wo hunderte neue Tatsachen bekannt geworden sind, da sind zugleich Millionen von unbekannten Dingen an den überraschten Beobachter herangetreten." (6). Und was, wenn wir bis in die atomare Welt hinabsteigen und den Leib, sein Werden mit den Augen eines Physikers betrachten???
Setzt uns aber schon der Anblick des Leibes, sein Werden, die Zusammenarbeit seiner Organe ins Staunen, was erst, wenn wir die menschliche Seele betrachten Da müssen wir bereits die Welt der Vorstellungen verlassen.
In der Einleitung zu den Sinnesorganen betont Rauber-Kopech: Ohne Sinnesorgane oder ihnen entsprechende Einrichtungen entsteht kein Denken.
Man kann ein solches Denken ein Reizdenken oder stigmatisches Denken, mit Rücksicht auf die materielle Unterlage auch protoplastiscl1es Denken nennen.
Rauber fragt (aber dennoch): Gibt es kein höheres Denken als ein stigmatisches, protoplastisches, animales? und antwortet: Es muß ein anderes, höheres Denken geben, als das geschaffene, nämlich das schöpferische, das keiner cerebralen Unterlage bedarf. Wir können es uns nicht genauer vorstellen, nur ahnen. "Du gleichst dem Geist, den du begreifst, nicht mir." (7).
"Viertausend Bände Metaphysik", sagt Voltaire, "können uns nicht belehren, was die Seele ist." "Du kannst ihre Grenzen nicht finden, welche Richtung du auch einnehmen würdest", bemerkt Herakleitos. "Die Persönlichkeit ist das große zentrale Faktum des Weltalls, schreibt der Biologe J.S.Haldane. Diese Welt, mit all dem, was in ihr liegt, ist eine geistige Welt!" (8) "Der Materialismus ist die Philosophie des bei seiner Rechnung sich selbst vergessenden Subjekts!" mahnt Schopenhauer!(9) Wenn nun der Materialismus sagt, der Mensch sei höchst organisierter Stoff, so können wir dies, was den Leib betrifft, akzeptieren und sehen ihn da als qualitativen Mittelpunkt des Weltalls, denn soweit wir es kennen, gibt es und kann es auch kein anderes solches Wesen in ihm geben. Bedenken wir nun, daß dieser höchst organisierte Stoff von einer unsterblichen Seele geleitet wird, dann können wir uns schon eine, wenn auch äußerst unvollkommene, Vorstellung von seiner Erhabenheit machen. Doch wir blieben bis jetzt im rein natürlichen Bereich, was wenn wir die Welt der Übernatur, die Welt der Gnade betreten! Solange wir uns nicht zum Bewußtsein durchgearbeitet haben, daß das geringste verschuldete moralische Vergehen, das wir gewöhnlich als leichte Sünde benennen, wenn Gott der in ihr enthaltenen zerstörenden Kraft Durchbruch ließe, mehr Schaden anstiften würde, wie bei einem Zusammenprall von zwei Himmelskörpern, haben wir keine Vorstellung von der wahren Bedeutung des Menschen im Weltall! Das ist aber nur was das Negative anbelangt. Solange wir nicht begriffen haben, daß die geringste Einheit der Gnade Gottes, soweit wir überhaupt auf diese Art von ihr sprechen dürfen, mehr Kraft beinhaltet, als die gesamte Energie der Schöpfung, wissen wir von seiner Erhabenheit rein nichts. Was ist die Gnade? Der lebendige Abglanz des dreieinigen Gottes in der Seele, die mystische Anteilnahme an der Natur Gottes.
Nun müssen wir bedenken, daß wir all dies Gott wieder zurückerstatten müssen und zwar in jener Vollkommenheit, in welcher wir „uns“ von Gott geschenkt wurden, zu dem wir noch das hinzugegeben haben, was wir vermittels der uns anvertrauten natürlichen und übernatürlichen Gaben schaffen sollten und konnten. Der entsprechende Augenblick ist das Offertorium, wie einmal der Tod!
Religion wird gewöhnlich vom Zeitworte religare abgeleitet, dem Wiederverbinden, Wiederverknüpfen dessen, was bei der ersten Sünde auseinandergerissen wurde. Wenn der Heiland sagte, Er werde alles an sich ziehen bei seiner Erhöhung am Kreuze, dann ist hiermit auch die praktische Möglichkeit der Wiederverbindung im BRENNPUNKT des SEINS, im allerheiligsten Altarsakrament gegeben. Eine jede Faser unseres Seins, eine jede Äußerung unseres Lebens soll in diesem Brennpunkt verankert sein.
Das Brot besteht aus unzähligen kleinen Körnchen Mehl und symbolisiert unsere Arbeit. Soviele Körnchen, wieviele Schritte, Bewegungen der Hand, Blicke der Augen, Schläge des Herzens usw. Und wie im Weine viele Tröpfchen sind, besteht unser Leiden, welches der Wein darstellt, ebenfalls aus vielen Tränen, gar manchem Weh. Diese alle opfern wir auf, zusammen mit denen aller unserer Brüder in der Welt, die je waren, und noch sein werden, in Verbindung mit der Arbeit und dem Leid unseres Herrn. Wir haben schon von der unio symbolica gesprochen, der symbolischen Einheit des ganzen mystischen Leibes Christi. Priester sein, heißt Opferer sein! Der Altar endet nicht mit den etwa zwei Metern, sondern breitet sich aus auf das ganze Arbeitsfeld, die ganze Lebensbühne, wo, wie wir bereits angeführt haben, in einem jeden Augenblicke, sich die drei Hauptereignisse des hochheiligen Meßopfers abspielen: die Darbringung der Opfergabe, ihre Verwandlung und unsere umso intimere Verbindung mit Gott. Praktisch ist es zu empfehlen, daß ein jeder sich an seinem Arbeitsplatz, sei es die Ordination eines Arztes, die Klasse eines Lehrers, der Fabriksaal, die Küche der Hausfrau, das Feld des Landwirts usw. ein großes Kreuz hindenke und sich von Zeit zu Zeit daran erinnere, daß er vermittels des hochheiligen Meßopfers sein Lebensopfer auf dem Altare der unendlichen Majestät Gottes im Himmel darbringt. Religion wird auch "relatio totius hominis ad Deum" definiert, was buchstäblich übersetzt lautet: "Das Zurücktragen des ganzen Menschen zu Gott". Dieses Zurücktragen aller Lebensäußerungen und ihre Wiederanknüpfung mit dem Leben spendenden Quell der Gnade Gottes wird zwar im Augenblicke der hl. Wandlung vollbracht, symbolisch jedoch beim Offertorium hergestellt, welches hiermit eine absolut notwendige Bedingung ist für den, der von den Früchten des hochheiligen Opfers genießen will.
Literatur: 1) Joh. 12,32. 2) Mansi XXXIV, 621 C Consilium Rothmagense, 1581. 2a) Joannis Chryeastomi, De coemeterio et de cruce, PG. 49, 596 sq. 3) Mal. 1,6-9. 4) Rauber-Kopsch, Lehrbuch und Atlas der Anatomie des Menschen, Band I, 16. Auflage, Thieme Leipzig. 5) De civitate Dei, 22,24. 6) Rauber-Kopsch7 op. cit. 12. 7) Op. cit. III, 349. 8) G.N.M. Tyrrell, The personality of Man 23. 9) Welt als Wille und Vorstellung II. Kap. 4.
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