Prozeß gegen den Papst?
III. – Über das Vorgehen gegen einen häretischen, schismatischen und skandalösen Papst (3. Teil und Schluß)
von Abbé George de Nantes
1. Eine unpraktikable Lösung
Bellarmin schlägt eine radikale Lösung vor. Aber man muß bemerken, daß er sie ohne wirkliche Überzeugung vorschlägt, weil er einen solchen Fall bekanntlich für irreal und praktisch unmöglich ansieht. "PAPA HAERETICUS DEPOSITUS EST...Ein häretischer Papst ist abgesetzt." Der Grund dafür ist einfach. Da die Häresie ein geistiger Tod ist, ein Verlassen der Kirche, ist jeder Papst, der in Häresie fällt, geistig tot und ipso facto von der Kirche getrennt. Eben dadurch ist er abgesetzt; er hat seinerseits aufgehört, den Apostolischen Stuhl innezuhaben.
Diese Lösung, vorzüglich in der Theorie, läßt bewußt die psychologische und soziologische Seite der Frage außer Betracht. Schon zehn Jahre lang läßt uns die gegenwärtige schwierige Lage die Unzulänglichkeit dieser Antwort spüren, die zwei derzeit unvorstellbare Umstände voraussetzt: daß der Papst, indem er vom rechten Glauben abweicht und sich einer Häresie hingibt, klar erkennt, daß er eine Todsünde gegen den Glauben begeht und daß er das in aller Form will; daß der Klerus und das gläubige Volk das Neue und Arge der päpstlichen Lehre unzweideutig bemerkt und daß sie sie in einmütiger Übereinstimmung für häretisch halten. Das sind leider! zwei ganz unrealisierbare Bedingungen. Seit dem modernistischen Liberalismus und Evolutionismus, der den religiösen Gedanken durchtränkt, haben die Glaubenskämpfe nicht mehr diese Klarheit! Der Häretiker hält sich nicht für einen Häretiker, sondern für einen Neuerer und Progressisten. Er will nicht Rebell sein, sondern Prophet und Retter seiner Kirche. Was den Klerus und das gläubige Volk betrifft, so wissen sie seit der Invasion der hohen hierarchischen Ämter durch die Modernisten nicht mehr, wo Glaube und wo Häresie ist, selbst da, wo ein klarer Unterschied und ein Widerspruch zwischen dem einen und der anderen gegeben ist....
Heute kann ein Papst nach den altehrwürdigen göttlichen Gesetzen und Konstitutionen der Kirche häretisch, schismatisch und skandalös sein und sich dennoch für einen zweiten Gründer und Retter des Christentums halten! Deswegen wird die Allgemeinheit der Priester und Gläubigen nicht aufhören, ihn zu bewundern und ihm wie den größten und heiligsten Oberhirten der Vergangenheit folgen.
Die Annahme der Idee, daß der Papst infolge seines offensichtlichen Irrtums automatisch abgesetzt sei, hätte daher zwei pastorale Konsequenzen, von denen die eine fatal und die andere burlesk wäre. Fatal: eine solche Reaktion wird niemals kommen, nicht einmal in den Tagen des Antichrist. Die Masse wird immer dem regierenden Oberhirten folgen. Burlesk: jeder beliebige Unzufriedene kann, wann auch immer, aus jedem beliebigen Grund erklären, der Papst sei häretisch und daher kein Papst mehr. Während die Massen in ihrer schlichten Treue verharren würden, würden Exzentriker jeden Papst, wie immer er auch sei, bekämpfen und ihn im Namen Bellarmins für abgesetzt erklären!
2. Mögliche Lösung.
Cajetan schlägt die andere Lösung des Dilemmas vor, dem sich Johann von St.Thomas und andere anschließen; auch wir schlagen diese Richtung ein: "PAPA HAERETICUS DEPONENDUS EST... Ein häretischer Papst ist absusetzen. " Damit sind zwei gleich bedeutende Dinge gesagt: wenn ein Papst häretisch wird, muß man zu seiner Absetzung schreiten, damit er aufhört, Papst zu sein. Und dann dieses: wer den Papst der Häresie anklagt, darf sich nicht damit begnügen, sondern muß einen regelrechten juristischen Prozeß zu seiner Absetzung anstrengen, da er sein persönliches Urteil nicht zu einer allgemein und unmittelbar wirksamen Entscheidung erheben kann. Diese Ansicht ist richtig gesehen und realistisch.
Aber sofort tritt eine Fülle von Fragen über die Art und die Mittel dieser Absetzung auf. Wer wird den Papst absetzen? Offenbar die Kirche. Aber hat denn die Kirche die erforderliche Kompetenz, den Papst zu richten, der in einer Person das Oberhaupt und der souveräne Richter aller ist? Die Antwort Cajetans ist enttäuschend: Wenn sie zu dieser Absetzung schreitet, richtet nach ihm die Kirche den Schuldigen nicht, sie zeigt ihn nur vor dem obersten Richter an, der Gott selbst ist und von dem allein der Beschluß der Absetzung kommt. Man sieht nicht recht, was Cajetan sagen will. Seine Verlegenheit ist zu offensichtlich. Wir halten jedenfalls fest, daß das kirchliche Tribunal in einem solchen Prozeß lediglich die Kompetenz haben würde, das Verfahren in Gang zu setzen, aber kein Urteil fällen könnte. Der Rest ist nebelhaft.
Der von Hadrian II. an das VIII. Konzil von Konstantinopel gerichtete Libellus fidei (Mansi, Bd. XVI, Spalte 126) ermöglicht es uns indessen, auf dem rechten Wege zu bleiben. Bezugnehmend auf Honorius, erinnert das Buch an das Recht der Gläubigen, einem Papst zu widerstehen, der seinem Amt untreu geworden ist, und macht darauf aufmerksam, daß es nur im Falle der Häresie den Untergebenen "erlaubt" ist, den Anordnungen ihrer Vorgesetzten zu widerstehen und deren Irrtümer zu verwerfen. Es fügt indessen hinzu, daß selbst in diesen Falle kein Patriarch und kein Bischof das Recht hätte, ohne vorheriges Einverständnis des souveränen Oberhirten selbst ein Urteil (ein Anathema) zu fällen. "Cuipiam de eo quamlibet fas fuerit proferendum sententiam, nisi eiusdem primae sedis pontificis consensus praecessisset auctoritas". Jeder muß der Häresie widerstehen und sie bekämpfen, auch wenn sie vom Papst kommt. Aber um den Papst zu richten und eine Verurteilung gegen ihn auszusprechen, ist die Zustimmung des souveränen Oberhirten notwendig. Hadrian II. dachte offensichtlich an ein postumes Urteil. Aber warum sollen wir nicht einen Schritt weiter gehen auf diesem Wege und einen Prozeß gegen einen lebenden pflichtvergessenen Papst ins Auge fassen - mit seiner Autorisierung? Warum auf den Tod warten, um das Übel einzudämmen? Das Heil der Seelen erlaubt es nicht zu warten.
3. Moderne Lösung
Diese Lösung ist neu, modern, weil sie die päpstliche Unfehlbarkeit als definiert voraussetzt, so wie sie vor hundert Jahren vom Vatikanischen Konzil promulgiert wurde. Nur diese Definition ermöglicht es, mit der Schwierigkeit fertig zu werden und für den Fall eines häretischen, schismatischen oder skandalösen Papstes eine nicht phantastische Lösung vorzuschlagen. Zunächst unbeachtet, wird diese Anwendung des Dogmas eines Tages den Historikern vielleicht als die am meisten providentielle und gerechtfertigte erscheinen. Denn auf die entscheidende Frage: Wer wird endgültig und souverän den einmal in Gang gesetzten Prozeß eines häretischen, schismatischen oder skandalösen Papstes entscheiden? gibt nur das vatikanische Dogma die Möglichkeit einer realistischen Antwort. Wer wird den Parst richten? Nun der Papst selbst in Ausübung seines unfehlbaren doktrinalen Lehramts!
Die Kirche muß also DEN PAPST BEIM PAPST ANKLAGEN. Das wiederhole und fordere ich seit bald sechs Jahren, aber die öffentliche Meinung ist auf eine so neue Lösung so wenig vorbereitet, daß man mich ständig beschuldigt, "den Papst zu verurteilen" oder ihn "ohne Berufungsmöglichkeit zu richten", während ich ständig an sein Urteil appelliere, an ihn, der allein ohne Berufungsmöglichkeit urteilt, und ich mich mit der Rolle des Anklägers begnüge! Unsere Demarche in Rom hat denn doch die Kirche aufgeklärt; man beginnt den kanonisch legitimen Gang dieses seltsamen Prozesses zu verstehen. Haben wir Recht oder sollten wir Unrecht haben, die Lösung bleibt dieselbe. Schuldig oder unschuldig, häretisch oder orthodox, der angeklagte Papst kann sich nicht anders aus der Affäre ziehen - mit Anstand! - als durch einen Prozeß, über den nunmehr alles genau bestimmt ist.
Wer wird als Ankläger auftreten? Die sichere Antwort: gleich welcher Christ, als Glied der Heiligen Kirche. Wenn er Kaiser oder Fürst ist, wird er nur mehr Gewicht haben, wie man es im barbarischen Zeitalter erlebt hat, und eine bedrohliche Anklage ist nicht immer zu verschmähen, da die Gewalt ja auch manchmal im Dienste des Glaubens steht. Wenn der Ankläger ein Heiliger ist, umso besser, aber wer könnte Heiligkeit in Anspruch nehmen? Lassen wir das, trauern wir den glaubensstarken Zeiten nach, in denen Heilige Wunder wirkten und ihren überaus gewagten Vorstellungen mit Prophetien und Wundern begleiteten, die sie umso klarer als von Gott inspiriert erscheinen ließen. Am besten wäre es, wenn der Ankläger ein Glied der Hierarchie wäre. Je höher sein Rang, umso mehr Gewicht wird seine Demarche haben.
Mangels eines Fürsten, eines Heiligen, eines Bischofs oder Kurienkardinals kann der letzte Christ, wenn er seiner Sache sicher ist, als Ankläger des Papstes auftreten - und dazu habe ich mich schließlich entschlossen, weil niemand sich gerührt, wie ich in der Contre-Réform Catholique Nr. 38 vom November 1970 erklärt habe, auf die ich unsere neuen Leser verweise, und nochmals in der Ausgabe vom November 1972 Nr. 62, S. 16, die unsere Demarche in Rom ankündigt.
Wenn der Ankläger des Papstes sich täuscht, wird dieser es ihn fühlen lassen und das wird nur Recht sein. Aber auf jeden Fall muß der Gläubige, der sicher ist, daß der Papst Häretiker ist, ihn offen anklagen. Denn von dem Tage an, wo er innerlich ein Rebell gegen den Papst geworden ist, hat er mit dem Oberhaupt der Kirche gebrochen und steht, wenn er Unrecht hat, in der Gefahr der Verdammung. Wenn er aus Angst oder Respekt schweigt, aber in der stillen Revolte verharrt, verdammt er sich im Stillen! Hat er Recht, so macht es ihm seine Liebe zur Kirche zur Pflicht, seine Brüder zu warnen. In jedem Falle muß er sprechen.
Vor welchem Tribunal? Das wahre und einzige Tribunal für den Glauben ist die KIRCHE auf Grund ihrer Autorität als BRAUT des HERRN. Ihre Zuständigkeit ist umfassend, ihre Urteile unfehlbar. Die glaubende Kirche hält indessen durch den ständigen Beistand der lehrenden Kirche an ihrem Glauben fest und verharrt in ihrern "sensus fidei" ihrem unfehlbaren Sinn für die Wahrheit. Der Prozeß wird also vor der ganzen Kirche anzustrengen sein, sei es durch repräsentative Glieder der Hierarchie, sei es durch ein Tribunal von Theologen, die lediglich beauftragt werden, die Übereinstimmung oder den Widerspruch der Lehre und der Akte des Papstes mit dem katholischen Glauben und der Tradition der Kirche festzustellen vorbehaltlich eines unfehlbaren Urteils, das nicht in die Kompetenz dieses Tribunals fällt.
Es wird Sache des Papstes sein, dieses Tribunal zu bilden, das den Auftrag hat, die Sache in aller Unabhängigkeit und Unparteilichkeit zu führen. Mir scheint, daß es besser sein wird, die Mitglieder des Tribunals unter einfachen Theologen, die ihre Aufgabe ohne Prätention handhaben, als unter Bischöfen und Kardinälen zu wählen, die sofort versucht sein würden, sich als Konzil zu konstituieren, sich eine Überlegenheit über den Papst anzumaßen und die Fähigkeit in Anspruch zu nehmen, ihn zu richten und ohne Berufung &u verurte`ten~ Wir würden so in den abscheulichen Irrtum der Suprematie des Konzils verfallen.
Wer wird der souveräne Richter sein? Zweifellos die Kirche, aber notwendigerweise in einem einzigen Mann, der persönlich entscheidet. Über allen und über jeder konziliaren Versammlung gibt es nur ein einziges Oberhaupt, den Papst. Der Papst wird also aufgefordert werden, sich selbst zu richten. Aufgefordert, aber auch gezwungen, dieses souveräne Urteil zu fällen. Das ist die neue Lösung dieses sehr alten Problems. Wenn der Papst, ex cathedra spricht, hat er den absoluten Beistand des Heiligen Geistes, der ihn vor jeder irrigen Entscheidung aus Unwissenheit oder Bosheit schützt. Der unfehlbare Papst wird also den fehlbaren Papst ohne Berufungsmöglichkeit richten. Er allein kann auf diese Weise Richter und Partei in eigener Sache sein, denn wenn er "ein Dämon in seiner Seele" wäre, wäre er immer noch "heilig durch sein Amt", wie Cajetan sagt (zitiert durch Journet' op.cit., Bd.I, S.550) Und alles wird gerettet sein durch Gott!
Welches sind die voraussehbaren Ergebnisse eines solchen Prozesses?
Ich zähle drei (ich präzisiere, daß dieser Teil meiner Studie abgeschlossen war, bevor unsere Reise nach Rom eine ergreifende Illustration dafür gab; ich ändere nichts daran).
a) Eine neue Definition des Glaubens. Es wäre der ruhmvollste Ausgang für den Papst, wenn bewiesen wäre, daß er zu unrecht beschuldigt wurde. Der Kläger ist dann abgewiesen. Der Papst wiederholt, aber in feierlicher Form "ex cathedra", was er auf authentische, aber nur ordentliche Weise gelehrt hat und was ein Opponent bestritt. Dieser und seine Anhänger werden sich dann zu unterwerfen und zu widerrufen haben, weil sie sonst wegen formeller Häresie exkommuniziert werden.
Beispiel: Paul VI. hat die Kommunion einer Presbyterianerin autorisiert. Der Kläger behauptet, daß dieses Dekret dem Glauben und dem göttlichen Gesetz der Kirche widerspricht. Das Tribunal hat festgestellt, daß kein Irrtum im Sachverhalt vorlag, daß es sich nicht um ein Mißverständnis, eine zufällige unbedeutende Unordnung handelte, sondern um einen realen Widerspruch zwischen zwei Interpretationen des geoffenbarten Glaubens. Wenn der Papst der Interkommunion eine theologische Grundlage aus der Offenbarung in Übereinstimmung mit der Tradition gibt und diese Doktrin ex cathedra verkündet, dann werden sich alle beugen müssen.
b) Der Widerruf des Papstes. Daß der Papst widerruft, das ist ganz unmöglich, wird vielleicht der Leser ausrufen. Das wäre aber ein unüberlegter Ausruf oder Zeichen eines Mangels an Glaube. In der Tat, wenn der Papst nach einem schweren Irrtum vor die Alternative gezwungen wird: entweder den unveränderlichen katholischen Glauben zu bekennen und also seinen Irrtum zu gestehen, oder den katholischen Glauben zu verleugnen, um sich in seiner Meinung zu versteifen, ist es möglich' ist es sogar mehr als wahrscheinlich' daß der Papst widerruft. Die fünf häretischen Päpste, die die Geschichte kennt, haben alle widerrufen.
Man muß mit Festigkeit gegen einen häretischen Papst verfahren, aber man muß gleichzeitig für ihn und die Kirche beten, weil ein großer, gegen den Papst wegen Häresie, Schisma oder Skandal angestrengter Prozeß zum größten Ruhme Gottes und zum größten Wohl der Kirche mit dem Widerruf des Papstes enden kann, einem großartigen Beispiel der Demut und des Gehorsams gegen Gott.
c) Feststellung der Weigerung. Aber schließlich und endlich kann sich der Papst auch weigern, den Kläger zu hören. "Er soll hier vorstellig werden? Schließt die Tür. Ich will ihn nicht hören". Das kann dauern, sich hinziehen. Andere werden die Anklage wieder aufnehmen. Eines Tages wird der Papst sich vom eigenen Klerus aufgefordert finden, zu antworten. "Nein, ich will nicht antworten". Dann wird die Kirche von Rom die Feststellung der Weigerung' der Pflichtvergessenheit machen müssen: der Papst will sein höchstes Lehramt nicht ausüben!
Aber vielleicht wird sich der Prozeß in die Länge zichen. Der Papst sucht Ausflüchte. Man drängt ihn. Für diese Rolle ist seine Kirche, die Kirche von Rom, qualifiziert, man wird ihn auffordern, seine kalkulierte Untätigkeit in dieser Sache aufzugeben. "Die Welt erwartet, daß Sie die Frage entscheiden. Sie können nicht in Schweigen verharren, Sie müssen ihre Aufgabe als oberster Richter wahrnehmen"'. Wenn er weiterhin ablehnt, auf seine Kirche zu hören, wird man äußerste Entscheidungen ins Auge fassen müssen.
Die Kirche von Rom wird dann dem Papst mit Absetzung drohen müssen. Im Falle dieser Aufforderung ist es die Handlungsweise des Papstes, seine wiederholte Weigerung, sein Amt wahrzunehmen, die seine Demission konstituiert. Seine Absetzung durch die Kirche ist lediglich eine Folge davon. Das Absetzungsurteil wird dann die kanonische Folgerung der Feststellung des Rücktritts des Papstes sein. Die Kirche von Rom wird den Apostolischen Stuhl für vakant erklären und ein Konklave zur Wahl eines Nachfolgers einberufen. Als Maßnahme zur Erhaltung, weil die Kirche nicht auf ein Haupt und einen Souverän verzichten kann der mit unfehlbarer Autorität lehrt, der entscheidet, richtet und straft, der die Einheit und den Frieden sichert. Die Kirche darf niemals lange - nach der Definition, die Marcel Sombat für die Republik gab - "eine kopflose Frau" bleiben. Unfehlbar wird das Andenken des häretischen Papstes vergehen.
UNFEHLBARE HEILIGE KIRCHE!
Gott allein ist wahrhaftig, Gott allein ist gut, Gott allein kann weder sich täuschen, noch uns täuschen. Gott der Vater, der Sohn und der Heilige Geist ist allein anbetungswürdig. Wir werden immer nur Ihn anbeten, jeder andere Anbetungskult kommt vom Dämon. Diese Unfehlbarkeit, diese Heiligkeit ohne Makel, diese Fülle der Gaben, die alle Gedanken, alle Worte, alle Werke umfaßt, findet sich absolut nur in Jesus, dem Menschen, einem einzigartigen Wunder. Das war das leitende Prinzip der katholischen Orthodoxie während der Jahrhunderte der monothelistischen Kontroverse. Das Fleisch gewordene Wort führt in die Geschichte das Absolute göttlicher Vollkommenheit ein, jedoch so, daß es selbst völlig menschlich ist. Dieses MYSTERIUM der Inkarnation setzt sich in dem WUNDER der Kirche fort, die der gesellschaftliche Leib Christi ist, jedoch unter anderen Modalitäten. Wenn die Menschen Seinen Beistand empfangende Instrumente sind, "Servomechanismen", völlig gehorsam ihrem Leiter und Meister, haben sie an seinen absoluten Vollkommenheiten Teil, wenn sie ihre Autonomie wiedererlangen, so sind sie nur Männer der Kirche mit ihren Fehlern und Tugenden und der Unsicherheitskoeffizient steigt bis zum Äußersten.
PETRUS hat Anspruch auf unsere Ergebenheit und unseren Gehorsam, wenn er nicht auf Antrieb "von Fleisch und Blut", sondern unter Inspiration "meines Vaters' der im Himmel ist" (Mtt. 16,17) spricht. Wenn hingegen seine "Gedanken nicht Gottesgedanken, sondern Menschengedanken sind" (16,23), hat er Anspruch auf unsere Revolte, unsere Vorhaltungen, unsere Anklage wegen Häresie, wegen Schisma, wegen Skandal, denn er ist Christus "ein Hindernis" und "wird ein Werkzeug - ein unbewußtes sicherlich - Satans", wie die Bibel von Jerusalem kommentiert.
EINE BEWUNDERUNGSWÜRDIGE TRADITION DER HEILIGKEIT
"Was mich in Erstaunen versetzt, ist nicht die Unordnung, sondern die Ordnung", sagte Maurras. Das Wunder der ewigen Kirche ist in den Augen der Gelehrten wie in den Augen der einfachen Menschen funkelnd, blendend. Diese Kontinuität, diese Weisheit, diese Einmütigkeit sind menschlich unerklärlich. Das ist das Werk der Gnade, die allerdings durch Hirn und Herz wirkt, durch die beredte Zunge und eine geschickte Hand von hundert und tausend Oberhirten, Doktoren, Predigern, Mönchen, Jungfrauen und das heilige Volk Gottes.
Ich bete den Heiligen Geist an, aber ich bewundere die geschöpflichen Werkzeuge, die er sich geschaffen und gezähmt hat. Zweifellos vor allem und im höchsten Grade Petrus und seine 262 Nachfolger, mit allen ihren Vorzügen, deren größter der der Unfehlbarkeit ex cathedra ist. Dieser "einzige Mensch" ist das Oberhaupt. Aber er ist nicht "ein einsamer Mensch". Eine ganze Institution lebt seit fast zweitausend Jahren hierarchisch oder dezentralisiert, mit allen möglichen Freiheiten und Privilegien, auf dem Glauben gegründet, unerschütterlich in ihrer Treue zu Jesus Christus.
Als Petrus sich verirrte, tadelte ihn Paulus, denn er war Apostel wie dieser, und Petrus gibt in heiliger Demut seinen vorübergehenden Irrtum auf. Später, als Päpste sich den Pflichten ihres Amtes und dem Beistand des Heiligen Geistes entziehen, geht die Kirche ihren Weg, mit legitimster Unabhängigkeit, in der heiligsten Gehorsamsverweigerung. Und Heilige oder schlichte Gläubige erheben sich mutig, um den fehlenden Papst, der Diener Satans, lügnerischer Hirte, reißender Wolf geworden ist zu ermahnen.
Athanasius und Hilarius widersetzen sich dem unglücklichen Liberius. Colomban bezwingt Bonifaz IV., der dennoch kanonisiert wird! Sophronius widersteht Honorius, dem anathematisierten. Der Kartäuser Bruno greift Paschalis II. an. Thomas Becket lehnt es ab, dem großen Feigling Alexander III. zu gehorchen, der der wahre Verantwortliche seines grausamen Martyriums ist. O nein, die Päpste sind keine Götter! Bernhard ermahnt Eugen III. Die Universität von Paris verurteilt die Häresie Johannes XXII. Katharina von Siena fordert den trägen Gregor XI. auf, nach Rom zurückzukehren und tadelt jenen Urban VI. hart, den Blutrausch zu einer wilden Bestie im terrorisierten Rom zu machen. Wenn der Papst nicht gut ist, übernimmt es die Kirche, ihr versagendes Oberhaupt wieder aufzurichten.
FEHLBAR GEGEN UNFEHLBAR
Die Kirche war vor Paul VI. keine Tyrannei unter der Maske einer kollegialen Demokratie. Die Irrtümer eines Papstes oder seine Verbrechen ließen die lokalen Kirchen treu und unerschütterlich, sie riefen eine heilsame Reaktion der römischen Kurie hervor, die keineswegs geknechtet war. Es genügte deshalb irgendeine Klageschrift, eine Beschwerde, eine Anklage gegen den Papst wegen Häresie, damit die Kirche in Bewegung geriet und der verirrte Papst zur Vernunft kam.
Die Schriftzüge auf den letzten Seiten dieser gemeinsamen Geschichte des Papsttums und der Kirche sind noch nicht trocken. Als Pius IX. in seinen Anfängen in den Liberalismus verfällt, "erwartet" ein junger Priester "nichts Gutes von diesem Pontifikat". "Wenn der Papst sich nicht ändert und seine modernen Ideen nicht aufgibt, schreibt er7 geht er dem Untergang entgegen." Der Papst ändert seine Haltung 1848 angesichts der Ermordung Rossis. Er macht aus dem oben genannten jungen rebellischen Priester einen Kardinal und Berater. Mein Urgroßvater war ein bescheidener Freund dieses Kardinals.
Als Leo XIII. die Katholiken 1892 mit der freimaurerischen und antichristlichen Republik versöhnen wollte, antwortete der Marquis de la Tour du Pin mit einem respektvollen, aber festen non possumus. Und Leo XIII. hat schließlich erkannt, daß "man ihn getäuscht hat". Mein Großvater war auf Seiten von la Tour du Pin.
Als Pius XI. die Leute von der Action Française, als ob sie die schlimmsten Häretiker wären, exkommunizierte, trat ihm Kardinal Billot in den Weg, der zu ihm von "der Stunde und der Macht der Finsternis" sprach, was ihm den Verlust des Kardinalshutes und die Bekanntschaft mit dem berüchtigten Gefängnis von Falloro und der Undankbarkeit Roms kostete. Mein Vater und meine Mutter waren mit ganzem Herzen auf Seiten Billot's.
Unsere Streitsache ordnet sich in diese Kontinuität ein, aber sie übertrifft sie bei weitem. Der Gegensatz zwischen dem mondän-modernen Papst und der ewigen Kirche ist zu einer Tragödie geworden und menschlich gesehen unüberbrückbar. Aus zwei Gründen:
Der Fall Paul VI. ist gar nicht mehr mit dem seiner wenigen Vorgänger vergleichbar, die sich kurzzeitig in die Häresie verirrten. Sie täuschten sich in einer Einzelfrage und ohne auf ihrer Meinung fest zu beharren. Vor allem glaubten sie nicht, durch ihre Aufrechterhaltung der Kirche eine neue Offenbarung zu bringen und so eine herrliche Revolution durchzuführen. Sie waren nicht "Propheten" einer neuen Kirche für eine neue Welt!
Dagegen klagen wir Paul VI. an, in die Adern der Kirche das Gift eines weltweiten Systems einzuführen, das die ganze Offenbarung entstellt und unsere Religion in der Tiefe verdirbt. Wir stellen fest, daß er sich mit ganzer Seele und seiner ganzen päpstlichen Gewalt für diese totale Änderung der Kirche engagiert. Das, wahrlich, ist noch niemals geschehen.
Und diese Revolution kommt in Zusammenhang mit einer Konzilsinitiative, die auf eine totale Knechtung der Kirche durch die Willkür einer PARTEI abzielt, deren HAUPT der Papst ist. Die römische Kurie ist zersetzt, infiltriert von internationalen Verrätern. Rom ist einer geheimen Gewalt hingegeben, die es paralysiert. Die lokalen Kirchen, die Orden, alles ist der ständigen Spionage durch richtige politische Kommissare ausgesetzt, und die kollegialen Formen der neuen Gewalt machen jede Reaktion in legalen und offiziellen Formen unmöglich. Die PARTEI PAUL VI. hält die Kirche gefangen auf Grund des KONZILIAREN REFORMVERTRAGES.
Hora et potestas tenebrarum... Und wie ein einzelner Baum in einer weiten Ebene stehen wir da mit unserem LIBER ACCUSATIONIS IN PAULUM VI, allein im Antlitz des Widersachers, der auf dem Gipfel seiner Macht ist. Unsere Waffen sind der Glaube und das Gesetz der Kirche. Es gibt kein Beispiel in der Geschichte, daß sie nicht den Endsieg davongetragen hätten.
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