Der Antimodernisteneid
von Walter W.E. Dettmann
Johannes XXIII. sagte in seiner Eröffnungsrede zum sogenannten Zweiten Vatikanischen Konzil, die katholische Lehre müsse so ausgelegt werden, "wie unsere Zeit es verlangt."
In der von Papst Pius X. für alle Kandidaten der Priesterweihe vorgeschriebenen Eidesformel ist aber das gerade Gegenteil enthalten. Der Eid beginnt nämlich mit den Worten: "Ich, N.N., umarme fest alles und ich mache mir alle einzelnen Dinge zu eigen, die vom irrtumslosen Lehramt der Kirche definiert und erklärt worden sind, besonders jene Teile der Lehre, die den Irrtümern dieser Zeit direkt entgegengesetzt sind. " Papst Pius X. verpflichtete die Priester feierlich zum Kampf gegen die Irrtümer "dieser Zeit" und Johannes XXIII. sagte zur Eröffnung des sogenannten Konzils, die katholische Lehre müsse so ausgelegt werden, "wie unsere Zeit es verlangt".
Ein Jahr später wurde das große Werk der Neuausgabe des kirchlichen Gesetzbuches - die unentbehrliche Grundlage, die Papst Pius X. und Papst Benedikt XV. dem kirchlichen Leben gegeben hatten, von Paul VI. mit den kurzen und sonderbaren Worten abgetan, die Gesetzgebung sei in der Kirche seit dem Jahre 1870 "nicht mehr auegeübt worden", vgl. die Rede Pauls VI. bei Beginn der zweiten Konzilsperiode am 29.Sept.1963, zitiert von Erzbischof Loris Capovilla in seinem Buch "Papst Johannes, ein Zeichen der Zeit" - deutsch bei Josef Habbel, Regensburg 1969.
In den erwähnten Worten Pauls VI. lag zugleich die ausgesuchteste und bündigste Aburteilung und Geringschätzung des von Papst Pius X. am 1. September 1910 vorgeschriebenen "Eides gegen die Irrtümer des Modernismus" (AAS II. 669) . Manfred Plate, einer der Schreiber des progressistischen Herderverlages, sagt: "So läßt sich das eigentliche kirchengeschichtliche 'Ereignis' im Zweiten Vatikanischen Konzil darin sehen, daß es jene vielfältigen Erneuerungsbewegungen, die etwa seit (dem Jahre) 1900 in der katholischen Kirche lebendig geworden waren, recipiert und sanktioniert hat oder, mit anderen Worten: Jene Strömungen, die bisher am Rande des kirchlichen Lebens standen, in die verpflichtende Mitte hereingenommen hat" ("Weltereignis Konzil", Herder 1966, Seite 93).
Hierzu ist zu sagen:
Wenn Manfred Plate mit den genannten "Erneuerungsbewegungen" seit dem Jahre 1900 die Ziele Papst Pius' X. gemeint hätte - Pius X. hatte nämlich den Wahlspruch: "Alles in Christus erneuern " ("omnia instaurare in Christo") - , dann hatte er etwas vom Antimodernisteneid sagen müssen. Tatsächlich aber wollte Manfred Plate gerade das Gegenteil verkünden, nämlich, das, was Papst Pius X. verurteilt hatte, sei vom (sog.) Zweiten Vatikanischen Konzil in bewußtem Gegensatz zu Pius X. "in die verpflichtende Mitte;' der heutigen Kirche "hereingenommen" worden. Manfred Plate deutet für jeden Kenner unverhüllt darauf hin, daß sich Paul VI. schon am Beginn seiner Regierung in schärfsten Gegensatz zu Pius X. gestellt hat.
Ebenso hintergründig wie Manfred Plate schreibt Josef Ratzinger, der Konzilstheologe des Kardinals Frings von Köln und jetziger Professor in Regensburg, er sagt: "Der Beginn des gegenwärtigen Jahrhunderts steht dem Rückschauenden unter einem merkwürdigen Zwiespalt. Einerseits ist er geprägt durch die Krise des Modernisinus, in der es der Kirche im Dilemma zwischen modernistischer Preisgabe ihres Eigentlichen und ängstlicher Verschließung in das Bisherige nicht zu gelingen schien, die rettende Mitte zu finden" (Einleitung zur deutschen Ausgabe der Dogmatischen Konstitution über die Kirche, Verlag Aschendorff, Münster/Westfalen 1965).
Aber bei Papst Pius X. und bei den von ihm vorgeschriebenen Maßnahmen handelte es sich nicht um eine "ängstliche Verschließung in das Bisherige", wie Ratzinger behauptet. Ebensowenig waren die Maßnahmen Papst Pius' X. "die rettende Mitte" zwischen Modernismus und bisherigem Glauben, sondern sie waren die klare Verurteilung des Modernismus durch das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche.
Als Einleitung zur dogmatischen Konstitution über die Kirche, wie sie vom sog. Zweiten Vatikanischen Konzil verabschiedet wurde, wollte Prof. Josef Ratzinger einen Rückblick auf den Anfang unseres Jahrhunderts machen. Dabei verschwieg er aber ganz und gar den von Papst Pius X. vorgeschriebenen Antimodernisteneid, als ob es niemals eine so feierliche Maßnahme gegeben hätte.
Ratzinger hielt es nicht einmal für nötig, die Person und den Namen Papst Pius' X. zu erwähnen. Er gebrauchte nur das unbestimmte Fürwort "man", um anzudeuten, daß die kirchliche Obrigkeit dem Modernismus "vielfach mit Skepsis und Zurückhaltung begegnete".
Das, was Papst Pius X. als die größte Bedrohung der Kirche ansah, wurde von Prof. Ratzinge zr nicht nur als etwas ganz Harmloses, sondern geradezu als eine "neue Vitalität der Kirche" bezeichnet, aus der "letztlich" die vorliegende Konstitution über die Kirche "hervorgewachsen" sei.
Diese Methode des Professors Ratzinger in der Behandlung der Person und Geschichte Papst Pius' X. und des Antimodernisteneides ist typisch und charakteristisch für das Vorgehen Pauls VI. und der weitaus meisten Bischöfe während des sog. Zweiten Vatikan. Konzils. Der Antimodernisteneid galt und gilt einfachhin als ein Fehlgriff Papst Pius' X., über den man mit völligem Schweigen hinweggeht.
Im Dekret des sog. Zweiten Vatikanischen Konzils über die Ausbildung der Priester ist vom Antimodernisteneid nicht mehr die Rede. Statt dessen heißt es dort im Artikel 17: "Man lasse die Fragen aus, die kaum mehr Bedeutung haben" und: "Der Unterricht der Alumnen soll so eingerichtet werden, daß sie ohne Schwierigkeiten anderweitig auf ihn aufbauen können, wenn sie einen anderen Lebensstand wählen sollten" (Art. 3).
Im Dekret über "Dienst und Leben der Priester" ist vom Antimodornisteneid ebenfalls nichts zu lesen. Vor wenigen Wochen schrieb Oberstudienrat Ulrich Lange in einem Autsatz mit dem Titel "Priestermangel und Priesternachwuchs": "Der Antimodernisteneid sollte in dieser schweren Stunde der Kirche in überarbeitetet (aber nicht in aufgeweichter) Fassung mutig von allen mit der kirchlichen Verkündigung betrauten Lehrpersonen erneut gefordert werden' (Una-Voce-Korrespondenz, Sept./Okt. 1973, S. 243).
Dazu ist zu sagen:
1. Aus den Worten von OStR. Ulrich Lange geht hervor, daß der Antimodernisteneid heute offenbar nicht mehr verlangt wird.
2. Wenn der Vorschlag der Überarbeitung des Eides ernst gemeint ist, dann könnte es sich höchstens um eine strengere Fassung der Eidesformel handeln. Eine Milderung als Zugeständnis an alle jene, die diesen Eid entweder leichtfertig falsch geschworen oder leichtfertig gebrochen haben, kommt niemals in Frage. Im übrigen ist die Eidesformel von Papst Pius X. so klar abgefaßt worden, daß sie keiner Verbesserung bedarf.
An wen sollte schließlich die Bitte gerichtet werden, den Antimodernisteneid zu "überarbeiten", und wem obliegt danach die Pflicht, diesen Eid auf’s neue "mutig" zu fordern? - Darüber schweigt die Una-Voce-Korrespondenz.
In der Papstgeschichte von Seppelt-Löffler (46.-55.Tausend) wird der Kampf Papst Pius' X. gegen die Irrlehren des Modernismus mehr oder weniger ausführlich dargelegt. Dabei wird auf Seite 366 erwähnt, von den Modernisten sei verschiedentlich erklärt worden, daß man weiter in der Kirche verbleiben und in ihr wirken wolle". Gerade dagegen habe dann Papst Pius X. von allen Priestern den Eid gegen die Irrtümer des Modernismus gefordert.
Aus diesem Vorgehen der Modernisten und aus dem Vorgehen des Papstes ergibt sich, daß der Eid gar nicht mehr abgeschafft oder "überarbeitet" werden kann, ohne der Kirche schwersten Schaden zuzufügen.
Die Abschaffung des Antimodernisteneides muß unter heutigen Verhältnissen geradezu als das hauptsächlichste Mittel zur Selbstzerstörung der Kirche bezeichnet werden. Denn durch den Verzicht auf diesen Eid versichtet die Obrigkeit der katholischen Kirche darauf, daß ihrer Lehrverkündigung - sowohl im Ganzen als auch in allen einzelnen Teilen - Gehorsam geleistet wird.
Wenn die Kandidaten der Priesterweibe diesen Eid nicht mehr sprechen und Gott den Herrn nicht mehr zum Zeugen ihrer aufrichtigen Unterwerfung unter den Glauben anrufen müssen' dann wird in Zukunft jede sog. "Eucharistiefeier" zu einer höchst unsicheren Sache, wie es sich seit dem sogenannten Zweiten Vatikanischen Konzil tatsächlich von Tag zu Tag mehr herausstellt. Ohne Antimodernisteneid gibt es keine katholische Kirche mehr. Die römisch-katholische Kirche ist heute nur noch dort, wo dieser Eid heilig gehalten wird. "Wer Ohren hat, zu hören, der höre."
In der Einleitung zum Dekret des sog. Zweiten Vatikanischen Konzils über "Dienst und Leben der Priester" schreibt Karl Rahner: "Die Auffassung des früheren 'Heiligen Offiziums' (vom 3.7.1959), Handarbeit sei mit dem Priesterstand unvereinbar, ist damit (d.h. durch den Artikel 8 des Dekretes - eig. Anm.) höchstamtlich revidiert" ("Kleines Konzilskompendium", S.556).
Aber abgesehen von der Frage, ob das Hl. Offizium damals wirklich ganz allgemein gesagt hat, Handarbeit sei mit dem Priesterstand unvereinbar, ist es hier interessant zu sehen, wie Karl Rahner von einer "höchstamtlichen" Revision eines Dekretes des Hl. Offiziums redet.
Im Falle des Antimodernisteneides wird dagegen völliges Stillschweigen bewahrt, otwohl gerade gemäß Beschluß desselben Heiligen Offiziums und Papst Benedikts eine Aufhebung des Antimodernisteneides gesetzlich bekanntgegeben werden müßte (Dekret vom 22. März 1918, AAS. X 136).
Dr. Eduard Eichmann, Universitätsprofessor für Kirchenrecht in München, schrieb in seinem Lehrbuch dos Kirchenrechts im Jahre 1934: "Der nach Motuproprio Pius' X. vom 1. Sept. 1910 (vor Empfang der Subdiakonatsweibe) zu leistende Eid (AAS II 669) ist einstweilen auch fernerhin zu leisten, bis vom Apostolischen Stuhl eine gegenteilige Verpflichtung erfolgt." (4. Aufl., II. Band, S. 106).
Dasselbe stellt Prof. Adalbert Schmitt S.J. fest, der als Professor der Moral an der Universität Innsbruck das dreibändige Werk von H. Noldin "Summa Theologiae Moralis juxt a Codicem Juris Canonicii" in der 28. Auflage herausgab (1945 - wahrscheinlich war es die letzte Auflage).
Der Text des vom Hl. Offizium am 22. März 1918 veröffentlichten Dekretes lautet:
"Im Codex des kanonischen Rechtes, der vom nächsten Pfingstfest an verpflichtende Kraft haben wird, werden die 'Consilia a vigilantia' und der Antimodernisteneid nicht erwähnt, von denen in der Constitutio 'Pascendi Dominici gregis' und im Motuproprio 'Sacrorum Antistitum' Papst Pius' X. die Rede ist. Deshalb war im Hinblick auf den Can. 6 Nr. 6 des kanonischen Rechtes die Frage erhoben worden, ob die Vorschriften, die sich auf die obengenannten Erlasse beziehen, nach dem kommenden Pfingstfest in Kraft bleiben oder nicht".
Anmerkung: Im Can. 6 Nr. 6 wird gesagt, daß alle kirchlichen Gesetze, die im neuen Codex nicht ausdrücklich erwähnt sind, als aufgehoben zu gelten haben. Ausgenommen natürlich die Vorschriften der liturgischen Bücher.
"Auf Befehl S. Heiligkeit Papst Benedikis XV. ist die Angelegenheit der Höchsten Kongregation des Hl. Offiziums vorgelegt worden, worauf die Kardinäle und Generalinquisitoren in Sachen des Glaubens und der Sitten auf ihrer Vollversammlung am 20. März 1918 den ausdrücklichen Beschluß faßten: 'Die erwähnten Vorschriften, die wegen der gegenwärtig umherschleichenden modernistischen Irrtümer erlassen worden waren, sind zwar ihrer Natur nach zeitlich begrenzt und vorübergehend und konnten deshalb nicht in den Codex des kanonischen Rechtes aufgenommen werden. Aus anderen Gründen aber müssen sie in voller Kraft bleiben, bis der Apostolische Stuhl in dieser Sache etwas anderes verfügt, weil das Gift des Modernismus keineswegs aufgehört hat, verbreitet zu werden".
Am folgenden Donnerstag desselben Monats und Jahres hat S. Heiligkeit in der regelmäßigen Audienz, die er den H.H. Assessor (des Hl. Gffiziums) gewährte, den vorgetragenen Beschluß der Kardinäle mit seiner höchsten Autorität bekräftigt. Gegenteiliges steht nicht im Wege. Gegeben zu Rom im Gebäude des Hl. Offiziums. am 22. März 1918, Aloisius Castellano, Notar".
Aus diesem, von Papst Benedikt XV. bekräftigten Dekret des Hl. Offiziums vom 22. März 1918 geht hervor, daß niemand vor und während dem sog. Zweiten Vatikanischen Konzil so tun durfte, als habe es niemals einen Antimodernisteneid gegeben. Am allerwenigsten durften Johannes XXIII. und Paul VI. eine solche Täuschung fördern. Bei den sog. Arbeitspriestern in Frankreich handelte es sich nur um einige wenige Dutzend Priester dieser Art. Der Antimodernisteneid aber betraf und betrifft alle katholischen Priester auf der ganzen Erde. Trotzdem wird seine Aufhebung gegen alle Vorschrift mit völligem Schweigen übergangen. In der gesamten progressistischen Konzilsliteratur findet man kein Wort davon. Dies zeigt, daß Paul VI. und der größte Teil der sog. Konzilsbischöfe kein ruhiges Gewissen haben können. Sie haben mit einer heiligen Sache ein sonderbares und dunkles Spiel getrieben. Noch im Jahre 1953 ist in der Auegabe des "Rechtes der Katholischen Kirche" von Dr. Anton Retzbach unter Berufung auf die Entscheidung des Hl. Offiziums vom 22. März 1918 der Vermerk enthalten: "Der Antimodernisteneid ist auch fernerhin zu leisten" (S.-324). - Johannes XXIII. und Paul VI. haben dagegen so getan, als habe es eine solche Sache niemals gegeben. Der Professor für Kirchengeschichte, Georg Denzler, der sich in den vergangenen Monaten durch seinen sonderbaren Kampf gegen den Zöllibat bemerkbar gemacht hat, schrieb über Papst Pius X. folgendes:
"Mit der Forderung des Antimodernisteneides bestand für alle Kleriker die Verpflichtung - die deutschen Theologieprofessoren wurden bald wieder davon ausgenommen - jährlich eine Eidesformel zu beschwören, in der sie die häretische Annahme einer Dogmenentwicklung, ja die historisch-kritische Methode überhaupt verwarfen..." ("Reformer der Kirche", herausgeg. von P. Manns, Matth. Grünewald-Verlag Mainz 1970, S. 1044-1048).
Das ist ein großer Unsinn. Denn von einer jährlichen Ablegung des Antimodernisteneides war noch nie die Rede. Außerdem hat Papst Pius X. nicht die ` "historisch-kritische Methode" als solche verworfen, sondern er hat nur die Ansicht verurteilt, ein Lehrer der Theologiegeschichte müsse sich zuerst ganz frei machen von jeder Annahme eines übernatürlichen Ursprungs der katholischen Tradition.
Georg Denzler stellt Papst Pius X. als einen unselbständigen Mann hin und schreibt: "Zur Entschuldigung für das radikale Vorgehen des Papstes kann man sagen, daß er 'sich von der Tücke und Intrige engstirniger und verantwortungeloser Kurialisten' täuschen und mißbrauchen ließ. (Schmidlin)". - Überdies habe es damals noch an der Einsicht gefehlt, 'daß ein Unterschied besteht zwischen der unveränderten Lehre und den mannigfachen dogmatischen Formulierungen, die gewiß alle als gültig und wahr, aber nicht immer auch als umfassend und erschöpfend anzusehen sind" (S.1046-1047).
Hier zeigt Georg Denzler sein glaubensfeindliches Gesicht noch viel mehr als bei seiner Mißachtung des Zölibats. Er behauptet, Papst Pius X. sei ein Opfer von "verantwortungslosen Kurialisten" geworden und habe den angeblich nur vorübergehenden Wert von (feierlichen)) dogmatischen Formulierungen noch nicht erkannt gehabt. Es ist sonderbar, daß noch kein einziger Bischof in Bayern den Herrn Denzler wegen dieser Äußerungen zur Rechenschaft gezogen hat.
Zu erwähnen bleibt noch die Tatsache, daß die katholischen Theologieprofessoren in Deutschland zur Zeit Papst Pius' X. den Antimodernisteneid tatsächlich nicht abzulegen brauchten. Aber daraus folgte noch lange nicht die Erlaubnis, diesen Eid auf Schritt und Tritt bekämpfen und untergraben zu dürfen, wie es vor dem sogenannten Zweiten Vatikanischen Konzil jahrzehntelang geschehen ist.
|