54. Jahrgang Nr. 6 / September 2024
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Ausgabe Nr. 4 Monat April 2004
Die Passion Christi von Mel Gibson (Filmbesprechung)


Ausgabe Nr. 4 Monat April 2004
Buchhinweise- Der römische Katechismus (Catechismus romanus)


Ausgabe Nr. 5 Monat Juni 2004
Werner Olles: Leben und Werk des heiligen Don Bosco


Ausgabe Nr. 6 Monat Juli 2004
Werner Olles: Islam heißt Gottvertrauen


Ausgabe Nr. 6 Monat Juli 2004
Werner Olles: Warum ich römisch-katholisch bin - Brief an einen muslimischen Freund


Ausgabe Nr. 3 Monat April 2005
Die Krise der Kirche ist hausgemacht


Ausgabe Nr. 3 Monat April 2005
Neues aus der Konzilskirche


Ausgabe Nr. 4 Monat Juni 2005
Neues aus der Konzilskirche


Ausgabe Nr. 9 Monat November 2004
Wider den Relativismus


Ausgabe Nr. 6 Monat Oktober 2005
Vom Elend der Postmoderne


Ausgabe Nr. 7 Monat Dezember 2005
Zur Theologie und Philosophie Joseph Ratzingers


Ausgabe Nr. 7 Monat Dezember 2005
Der Rosenkranz ist unser Maschinengewehr!


Ausgabe Nr. 11 Monat december 2005
A commentary on the present situation of the Church


Ausgabe Nr. 1 Monat Februar 2006
Pro Familia agiert an hessischen Schulen


Ausgabe Nr. 1 Monat Februar 2003
Häresie der Formlosigkeit. Die römische Liturgie und ihr Feind


Ausgabe Nr. 2 Monat März 2003
Wer in der modernen Welt


Ausgabe Nr. 3 Monat April 2003
Vom Kampf der Kulturen zum Krieg der Ideen


Ausgabe Nr. 5 Monat Juni 2003
Von der Weigerung, erwachsen zu werden


Ausgabe Nr. 6 Monat Juli 2003
Zur derzeitigen Situation der Kirche


Ausgabe Nr. 6 Monat Juli 2003
Zum 50. Todestag von Hilaire Belloc


Ausgabe Nr. 7 Monat September 2003
Die Junge Freiheit, Besprechung


Ausgabe Nr. 8 Monat October 2003
Sobre la situación actual de la Iglesia (esp.)


Ausgabe Nr. 8 Monat October 2003
A propos de la situation actuelle de l’Eglise (fr.)


Ausgabe Nr. 8 Monat October 2003
A commentary on the present situation of the Church (engl.)


Ausgabe Nr. 9 Monat November 2003
Kino - Filmbesprechungen: a) Passion und b) Luther


Ausgabe Nr. 10 Monat Dezember 2003
Bücherbesprechung: Udo Ulfkotte/Hans-Peter Raddatz


Ausgabe Nr. 11 Monat December 2003
Dalla „Lotta delle civiltà“ alla „Lotta delle idee“


Ausgabe Nr. 3 Monat Mai 2002
Eine gesellschaftliche Katastrophe


Ausgabe Nr. 5 Monat September 2002
Die göttliche Wahrheit erkennen


Ausgabe Nr. 6 Monat November 2002
Satanistische Tendenzen in der Rock-Musik


Ausgabe Nr. 6 Monat November 2002
Das Wesen aller Kultur ist Religion


Ausgabe Nr. 7 Monat Dezember 2002
Satanische Tendenzen in der Rock Musik


Ausgabe Nr. 5 Monat November 2001
Sozialpartnerschaft statt Klassenkampf


Ausgabe Nr. 6 Monat Dezember 2001
Streit um das


Ausgabe Nr. 7 Monat März 2001
Die magische Welt des Harry Potter 1)


Ausgabe Nr. 3 Monat April 2006
Jesus Christus - der deutschen Medien interessantester Fall


Ausgabe Nr. 3 Monat April 2006
Leserbriefe zu dem Artikel


Ausgabe Nr. 6 Monat Oktober 2006
Der Teufel im Kino


Ausgabe Nr. 7 Monat Dezember 2006
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Ausgabe Nr. 1 Monat Februar 2007
Buchbesprechung


Ausgabe Nr. 3 Monat August 2017
Warum wir kämpfen!


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Der Gottsucher Joris-Karl Huysmans


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Zum 50. Todestag des katholischen Dichters Reinhold Schneider


Ausgabe Nr. 3 Monat August 2008
Basra ist christenfrei!


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Zum 150. Geburtstag des Wüstenheiligen Charles de Foucauld


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Hinweis auf einen Gedichtband:


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Ausgabe Nr. 4 Monat Dezember 2011
Vom Gender-Mainstreaming zur Pädosexualität


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Buchbesprechung: Lorenz Jäger „Fromme Übungen“


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Ausgabe Nr. 1 Monat Februar 2021
Endzeit – eine wahre Geschichte


Ausgabe Nr. 1 Monat Februar 2021
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Ausgabe Nr. 5 Monat November 2021
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Ausgabe Nr. 5 Monat November 2021
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Ausgabe Nr. 1 Monat Januar 2022
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Ausgabe Nr. 2 Monat April 2022
Buchbesprechung


Ausgabe Nr. 3 Monat Juni 2022
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Ausgabe Nr. 4 Monat September 2022
„… aber es bleibt uns nichts anderes übrig...


Ausgabe Nr. 4 Monat September 2022
Ein glühendes Herz für soziale Gerechtigkeit


Ausgabe Nr. 5 Monat November 2022
Die Zerstörer


Ausgabe Nr. 5 Monat November 2022
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Ausgabe Nr. 1 Monat Januar 2023
Gegen eine Politik der Illusionen und die Diktatur des Schwachsinns


Ausgabe Nr. 1 Monat Januar 2023
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Ausgabe Nr. 2 Monat April 2023
Glaube, Heimat, Tradition – Der Kampf gegen den linksgrünen Globalismus


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Wie man auf die Schnelle ein neues Volk aus dem Hut zaubert


Ausgabe Nr. 4 Monat August 2023
Auf der Suche nach der verlorenen Einheit


Ausgabe Nr. 4 Monat August 2023
Kampf um Europa


Ausgabe Nr. 4 Monat August 2023
Ins rechte Licht gerückt


Ausgabe Nr. 4 Monat August 2023
Buchvorstellung


Ausgabe Nr. 5 Monat Oktober 2023
In Search of Lost Unity


Ausgabe Nr. 5 Monat Oktober 2023
En busca de la unidad perdida


Ausgabe Nr. 5 Monat Oktober 2023
À la recherche de ´unité perdue


Ausgabe Nr. 5 Monat Oktober 2023
Auf der Suche nach der verlorenen Einheit


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Zeitschriftenkritik:


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Überlegungen zur Metaphysik des Krieges


Ausgabe Nr. 2 Monat März 2024
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Ausgabe Nr. 2 Monat März 2024
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Ausgabe Nr. 5 Monat August 2024
El Prinzipal


Ausgabe Nr. 5 Monat August 2024
Der Hauptfeind steht im eigenen Land!


Ausgabe Nr. 5 Monat August 2024
Aber der morgige Tag gehört uns


Ausgabe Nr. 5 Monat August 2024
Buchbesprechung


Ausgabe Nr. 6 Monat September 2024
Tradition versus Postmoderne


Ausgabe Nr. 6 Monat September 2024
Buchbesprechung


Von der Weigerung, erwachsen zu werden
 
Von der Weigerung, erwachsen zu werden

von
Werner Olles

Der amerikanische Lyriker und Erzähler Robert Bly vertrat in seinem 1997 erschienenen Buch "Die kindliche Gesellschaft. Über die Weigerung erwachsen zu werden" die These, daß die westlichen Wohlstandsgesellschaften nicht allein "durch die kapitalistische Erwerbsgier entstellt wurden, sondern auch durch ein geradezu debiles Mißtrauen gegenüber den Errungenschaften von Religion, Literatur und Philosophie, kurz gegenüber allem, was wir vergangenen Generationen verdanken". Viele "Halberwachsene" wären heute der Überzeugung, "daß ihnen die Tradition nichts Brauchbares geschenkt hat". Die Wahrheit vergangener Zeiten laute jedoch, "daß der einzelne in der Schuld aller anderen Menschen, der Lebenden und der Toten, steht, und nicht nur der Menschen, auch der Pflanzen, Tiere und Götter".

Wenn also die Krise am Anfang des 21. Jahrhunderts eine Krise der Werte als solche ist, und wir auf das zutreiben, was Freud in seinen "Kulturtheoretischen Schriften" die "reine Herrschaft des Todestriebs" nennt, liegt dies zu einem erheblichen Teil ganz offensichtlich daran, daß wir unsere Fähigkeit, zur Reife zu gelangen, verloren haben. Man spaziere nur einmal durch eine beliebige deutsche Großstadt und achte auf den jugendlich-naiven Ausdruck in den Gesichtern der Passanten aller Altersstufen. Oder man betrachte sich Fotos von Männern und Frauen, die vor fünfzig Jahren gelebt haben und deren physiognomische Merkmale ihr Alter und ihr Erwachsensein eindrucksvoll bestätigen. Man sieht auf diesen Bildern Menschen, die sich gewiß auch zu amüsieren verstanden, aber dennoch stets mit beiden Beinen mitten im wirklichen Leben standen. Und rufen wir uns die eigene Kindheit und Jugend ins Gedächtnis zurück, dann erinnern wir, daß es uns damals kaum schnell genug gehen konnte, erwachsen oder zumindest älter zu werden. Hinzu kommt das Phänomen der Scheinselbständigkeit. In den fünfziger und sechziger Jahren lebte die überwiegende Mehrzahl der jungen Leute Anfang zwanzig noch im Elternhaus. Die Berufstätigen unter ihnen gaben einen Teil ihres Einkommens als Miet- und Essenszuschuß ab. Inzwischen bestehen siebzehnjährige Schüler auf einer eigenen Wohnung, nur für die Miete und die anfallenden Nebenkosten sollen gefälligst die Eltern oder das Sozialamt aufkommen. Derart großzügig alimentiert kann man seine Scheinselbständigkeit durchaus einige Jährchen unbeschwert genießen, sich in seinem Selbstbetrug gemütlich einrichten und rundum sauwohl fühlen.

Die Straße in der Siedlung am Stadtrand, in der wir leben, gehört jeden Samstag zwischen 15 und 17 Uhr den Rollschuhläufern. Mit Sturzhelm, Ellbogen-, Knie- und Schienbeinschützern bestens gegen alle Risiken ihres kindlichen Vergnügens abgesichert rollen sie fröhlich dahin. Das Phänomen an der Sache ist, daß es sich bei den fröhlichen Rollern keineswegs um Kinder oder Halbwüchsige handelt, sondern um Erwachsene zwischen fünfundzwanzig und vierzig Jahren, die dem Zwang zur Popularität, den die kindliche Gesellschaft mit ihrer Offenheit für die Banalitäten der Pop-Kultur, ihrer ökonomischen Unsicherheit und ihrer Zerstörung der Höflichkeit ohne jede Gegenwehr nur allzu gerne nachkommen. Wenn wir abends den Fernseher einschalten, beginnen wir langsam zu verstehen, warum eine Gesellschaft, die von ewigen Jugendlichen geführt und regiert wird, sich derartig verhält. "Das Fernsehen ist das Contergan der modernen Gesellschaft" schreibt Robert Bly, und Karl Marx würde sein Verdikt gegen die Religion als "Opium des Volkes" heutzutage mit Sicherheit entsprechend ändern: Das Fernsehen ist längst zum Opium des Volkes geworden. Etwa ein Drittel ihrer wachen Zeit verbringen Kinder heute vor dem Bildschirm. Über zehn Prozent lesen überhaupt nicht mehr, und nur ein ein Fünftel aller Abiturienten ist in der Lage die für ein Universitätsstudium erforderliche Literatur zu bewältigen. Von den angehenden Pädagogen gestand in einer vor wenigen Jahren durchgeführten Studie ein Viertel "schon immer mit dem gedruckten Wort auf Kriegsfuß gestanden zu haben". Wissenschaftlich bewiesen ist heute, daß das Fernsehen genau jene Fertigkeiten des menschlichen Gehirns nicht ausbildet, die später für gute Leser notwendig sind: Sprache, aktives Denken, Beharrlichkeit und innere Kontrolle.

Im westlichen Kulturkreis haben Kinder und Erwachsene jahrhundertelang Musik gelernt, indem sie solche Musik hörten, die die vorangegangene Generation geliebt hatte, ob es nun Volklieder, Opern, Operetten, Mozart, Bach oder einfache Tanzmusik war. Nachdem die Musikindustrie dahinter kam, daß sich Riesengewinne damit scheffeln ließen, wenn jede Generation ihre eigene Musik hört, war es mit dieser Konvergenz vorbei. Gegen die neuen Stars der Massenunterhaltung hatten die Eltern keine Chance. Dieser blitzartige Schachzug der Unterhaltungsindustrie, die Stelle der Eltern einzunehmen, verlief ziemlich reibungslos und kam vor allem so rasch, daß keiner ihm wirkunsgvoll entgegentreten konnte. Es kam jedoch noch schlimmer. An die Stelle romantischer und von Liebesleid und Einsamkeit erzählenden Balladen und der zärtlich-verspielten Texte der Beatles, denen man selbst als Erwachsener noch etwas abgewinnen konnte, traten Hard-Rock und später "Gangster-Rap", dessen Texte offenen Haß auf Frauen artikulieren, mit Mord und Vergewaltigung kokettieren und zu brutaler Gewalt aufrufen. Wenn man weiß, daß inzwischen bereits Sechs-, Siebenjährige diese Musik hören, deren in frühkindlichem Lallen hervorgestoßene Gewalt-Parolen ebenso wie das unzurechnungsfähige Techno- und Hard Rock-Gedröhn jederzeit in ein primitives Pogrom umschlagen können, wundert man sich über die spektakulären Massenmorde in unseren Schulen überhaupt nicht mehr.

Die Gehirnforschung weiß heute, daß die von Kindern und Jugendlichen am häufigsten gehörte Musik mit ihrem hämmernden Rhythmus vor allem von der rechten Gehirnhälfte verarbeitet wird, die das Stück als Ganzes hört und nicht in seine Teile zerlegt und hinterfragt. In der Folge versetzt sich das Gehirn in einen Alpha-Zustand, der aktives Denken und Lernen unmöglich macht und die Individuen bis zur offenkundigen Ichlosigkeit regrediert. Genau dies ist aber die beste Voraussetzung sich den ausgefransten, furchterregenden und halbwahnsinnigen Werten der infantilisierten Spaß-Gesellschaft, "deren Mitläufer wirklich eine grobe Unverschämtheit begehen, wenn sie "Ich" sagen" (Robert Kurz), widerstandslos anzupassen.

Einem Reisenden im Mittelalter, der sich Paris oder Straßburg näherte, stand klar vor Augen, daß an diesen Orten die Seele eines Menschen den höchsten Wert besaß. Wenn wir uns heute, ob von der Autobahn oder mit dem Zug kommend - um nur eine Beispiel zu nennen - Frankfurt am Main nähern, sehen wir zunächst die Wolkenkratzer des Bankenviertels und sind uns sofort bewußt, worauf es hier allein ankommt und was hier zählt. Die Manager der Konzerne interessieren sich nämlich inzwischen eher für die Generation junger Inder die als zukünftige Computerspezialisten heranwächst oder junger Indonesier, die für die günstige Fertigung von Mikrochips interessant sind, als für die Jugend im eigenen Land. Diese jungen Philippinos, Indonesier und Inder haben in der Tat noch gelernt, daß sie Teil einer Gemeinschaft sind, und daß sie ihre Kindheit und Adoleszenz nicht auf Dauer beliebig verlängern können. Unsere Jugendlichen erwarten hingegen, daß ihre Bedürfnisse hier und jetzt erfüllt werden. Das Bewußtsein in einer gesellschaftlichen Struktur zu leben, die aus Sorgen und Mühen, Triebverzicht, Arbeit, Verantwortung und uneingelösten Schulden gegen-über Gott und ihren Nächsten besteht, ist ihnen gänzlich abhanden gekommen.

Der Haß und die Verbitterung, die zwischen der politischen Linken und der politischen Rechten eines Landes herrscht, der Konflikt zwischen den Generationen und der Krieg zwischen den Geschlechtern, sind ebenfalls deutliche Zeichen einer infantilen Gesellschaft. Mitte der sechziger Jahre brachen Familienregeln zusammen, die seit Jahrhundert relativ unangefochten gegolten hatten. Tatsächlich geschah dies nicht nur in den kapitalistischen Gesellschaften des Westens, sondern auch dort, wo Fernsehen und Wohlstand noch nicht angekommen waren. In der Volksrepublik China stürzten die "Roten Garden" im Verlauf ihrer Kulturrevolution die fundamentalen Werte des Konfuzianismus in einem Ausmaß, von dem die westlichen Achtundsechziger nicht einmal zu träumen wagten. Gut ein Drittel der reichen kulturellen Erbschaft Chinas - darunter unersetzbare Schriften, Bilder, Gebäude, Skulpturen und Keramikarbeiten - wurde damals mutwillig zerstört. Noch weitaus blutiger und gewalttätiger ereignete sich das gleiche Phänomen ein paar Jahre später in Kambodscha.

Am Ende des 20.Jahrhunderts und zu Beginn des 21. leben die heutigen Halberwachsenen hingegen in einem Zustand ausdrucksloser Gefestigtheit, von spektakulären Ausnahmen abgesehen ohne organisierte Gewaltausbrüche, aber auch ohne Spontaneität und Kreativität. Die Hauptaufgabe ihrer deformierten Psyche besteht darin, mit Drogen, Alkohol und beziehungslosem Sex ihre Wut und ihre Trauer über den Zustand des psychischen Elends, in dem sie zu leben gezwungen sind, zu betäuben. Die Sozialwissenschaft spricht angesichts der Muster einer institutionalisierten Jugend von einem eher unpolitischen und von der gesellschaftlichen Verantwortung entbundenen Zeitalter des Moratoriums-Menschen, das für viele eine einzige große Fete und ein realitätsentlastendes Intermezzo darstellt, solange man nicht unter dem Zwang steht sich als mündige Individuen präsentieren zu müssen.

In unserer gegenwärtigen Gesellschaft hat der Erwerbs- und Konsumkapitalismus auf der ganzen Linie den Sieg davon getragen. Wie alle Kolonisatoren begann auch er sein Zerstörungswerk am Wertesytem des unterworfenen Volkes und endete mit der Demontage aller tradierten Kultur. An diesem Punkt stehen wir heute. Wir sind die erste Kultur der Geschichte, die sich selbst kolonialisiert hat. Wir haben kein Zentrum und keine geistige Mitte mehr, die wir lieben, verehren, anbeten und fürchten, denn wir haben Gott auf den Müllhaufen befördert. Als die Rolling Stones 1969 in Altamont ihr "Sympathy for the Devil" sangen und die Hells Angels synchron dazu einen jungen Schwarzen erstachen, roch die Luft nach Schwefel und das Licht glänzte schaurig und dämonisch über den psychedelischen Wolken. Diese psychedelischen Verführer schufen eine Hölle, in der die Jungen durch den Konsum von Drogen nicht nur symbolisch ermordet wurden. Die amerikanischen Indianer sahen damals beispielsweise mit Entsetzen, daß junge Weiße ohne die Anwesenheit und Begleitung von erfahrenen Älteren, die imstande gewesen wären ihre Seelen vor bösen Geistern zu schützen, LSD und Peyote schluckten. Auch die Zerstörung des Ältestensystems in Kambodscha, wo Alte, Lehrer, Künstler, Priester, Mütter und Väter in den siebziger Jahren millionenfach gezielt ausgemordet wurden und die Ermordung von Älteren in Somalia waren nur der Auftakt für kommende Barbarismen.

Wir wissen seit langem, daß das Bedürfnis nach Ordnung unter sogenannten Normalbürgern durchaus terroristisch werden kann. Daß das primäre Bedürfnis nach Lust und Spaß unter Vergnügunssüchtigen ebenfalls terroristische Ausmaße annehmen kann, weiß man spätestens seit der Etablierung der Love-Parade. Andererseits sind ihre Anhänger im gewissen Sinne die logische Folge der Achtundsechziger-Rebellen. Anders als authentische Revolutionäre in kommunistischen Diktaturen oder in Latein-Amerika, die Gefängnis oder Folter immer auch als eine selbstverständliche Konsequenz ihres Widerstands betrachteten, hatten die Achtundsechziger den Wunsch von Halberwachsenen nach schranken- und folgenlosen Aktionen. In diesem Wunschdenken wurden sie von ihren Lehrern und Mentoren noch bestärkt, und die Bewegung brach zusammen, als der damals noch nicht gänzlich entkernte Staat mit aller Vorsicht und großer Milde die Ordnung wieder herzustellen versuchte.

Die kulturelle Linke verschweigt heute, daß das heillose Chaos, das sie anrichtete, die Kolonialisierung unserer Kultur und das Abgleiten in unkontrollierbare Zustände und kapitalistische Profitgier nach Kräften förderte. Anstatt über den erlittenen Verlust zu trauern, was angebracht wäre, hat die infantile Gesellschaft eine falsche Lustigkeit zu ihrem obersten Prinzip erhoben, die sie mit flackernden Augen als neue Weltanschauung ausgibt. Damit ist sie aber auch auf dem äußersten Punkt der Idiotie angekommen. Unfähig die gesellschaftlichen Ursprünge ihres Leidens durch die verschleierte Sozialisierung der Jugend zu erkennen, wird das eigene Elend im Rückzug in immer absurdere mediale Simulationen zum Privatismus stilisiert. Die Kleinanzeigen in linken und ex-linken Stadtmagazinen sprechen mit ihrem narzißtischen Gestammel wahrlich Bände.

In der Kultur der amerikanischen Indianer herrschte die Überzeugung, daß man vor jeder Entscheidung deren Folgen bis in die siebte Generation überdenken sollte. Ein anderes Beispiel für vertikales Denken ist die Vorstellung, daß gleichzeitig mit uns ein spiritueller Zwilling geboren wurde. In Rußland sind gewisse Züge dieser schönen Tradition noch erhalten, dort wird der Name mit einem Heiligen geteilt und bei Geburtstagsfeiern Kerzen für den Zwilling angezündet. In der infantilen Gesellschaft feiert die Masse als inszenierte Moden- und Fleischbeschau nur noch sich selbst, und längst fühlt sich dabei keiner mehr dem anderen gegenüber verpflichtet. Und wenn wir die halberwachsenen Kulissen der Polit-Pop-Kultur betrachten, die sich gelangweilt auf den Regierungsbänken und ihren Parlamentssitzen räkeln, wird einem schnell klar, daß Entscheidungen, die hier getroffen werden, eher der Auslagerung von Problemfeldern dienen, als den Problemen auf den Grund zu gehen. Einig ist man sich hier nur noch im Haß auf die Vergangenheit. Dieser Haß ist jedoch, wie der große kolumbianische Philosoph Nicolàs Gómez Dávila schreibt, "ein eindeutiges Symptom einer Gesellschaft, die verpöbelt."

Was wir heute vor uns sehen, ist eine ganze Schüler- und Studentengeneration, die in einer kulturell verödeten Landschaft lebt. Das Christentum hat längst seine prägende Kraft verloren, die Älteren sind ohne jede Macht und der sogenannte Generationenvertrag ist das Papier nicht wert, auf dem er gedruckt ist. Wir erleben ein schwindendes Interesse an Geschichte, Philosophie, an den schönen Künsten, an Sprachen - übrigens auch der eigenen Muttersprache -, an klassischen Bildungsgütern wie der Bibel, Shakespeare, Goethe, der Antike oder griechischer Mythologie. Dort, wo einst schöne alte Häuser standen, wo Menschen sich an vertrauten Plätzen zum Gespräch trafen und inmitten blühender Gärten flanierten, finden wir heute die üblichen Ruinen des Fortschritts: Supermärkte, Hochhäuser und Stadtautobahnen. Eine Technologie der Zerstörung, dessen Zielscheibe die Jugend ist, hat sich etabliert. Überall stoßen wir auf monströse Häßlichkeit, Uniformität, Ähnlichkeit und Gleichheit. Erwachsene regredieren in die Adoleszenz, Kinder und Jugendliche gehen dagegen den umgekehrten Weg, weigern sich erwachsen zu werden und verbleiben freiwillig in einem selbstgewählten Zustand permanenter Infantilität.

In seinem vor fast vierzig Jahre erschienenen Buch "Auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft", einer aus psychoanalytischer Sicht recht genauen Zustandsbeschreibung und Analyse der Fundamentalkrise der infantilen Gesellschaft, schrieb Alexander Mitscherlich: "Die Massengesellschaft mit ihren Arbeitsaufforderungen in Abhängigkeit unter Ausschluß der spurenhaften, selbstverantwortlichen Leistung, schafft ein Riesenheer von rivalisierenden, neidischen Geschwistern". Die Möglichkeiten und Chancen der Selbstheilung einer kolonialisierten Kultur und kindlichen Gesellschaft sah er als relativ gering bis aussichtslos an. Dieser pessimistischen Einschätzung vermag man heute weniger denn je zu widersprechen.

 
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