Prozeß gegen den Papst?
1. Fortsetzung
von Abbé George de Nantes
(Entgegen unserer Ankündigung im letzten Heft war es nicht möglich, die Übersetzung und die Stellungnahme bereits für dieses Heft fertigzustellen. Dies soll in der Dezember-Nummer geschehen. – Anm. d. Red.)
1. KANN EIN PAPST HÄRETISCH SEIN?
Um den klassischen Autoren zu folgen, wollen wir zuerst die theoretische und dann die praktische Möglichkeit eines solchen Unglücks untersuchen.
a) Theoretischer Nachweis.
Ja, außerhalb seiner Lehre ex cathedra und außerhalb seines ordentlichen Lehramts, wenn er aufhört zu wiederholen, was die einmütige Tradition für geoffenbart hält, wenn er also als privater Theologe spricht, kann ein Papst in Häresie verfallen.
Diese Möglichkeit - ohne die er wie Gott wäre - ist von der Kirche schon immer erkannt und gelehrt worden. Ein Kanon des Decretum Gratiani erwähnt sie ausdrücklich. Da aber dieses Dekret von 1119 eine Zusammenfassung kanonischer Formeln ist, reicht dieser Kanon in ein viel höheres Altertum, indem er Teil einer Quelle aus dem VIII. Jahrhundert ist, des Leben des heiligen Bonifazius. Und dieser so bedeutende Kanon wurde durch ständigen Gebrauch in der Folge der Zeiten bekräftigt.
Es ist eigenartig, ich habe in den letzten Jahren dieses Dekret hundertmal zitiert gehört, aber stets unter Ausschluß der letzten Worte desselben, die seine Tragweite begrenzen und seinen Sinn vollständig ändern:
"Huius (papae) culpas redarguere praesumit mortalium nullus, quia cunctos ipse judicaturus a nemine est judicandus, NISI REPREHENDATUR A FIDE DEVIUS" (Ia, dist, XL, c.6 Si papa; ex Gestis Bonifacii martyris). Was etwa so zu übersetzen ist: "Kein sterblicher soll sich herausnehmen, den Papst wegen seiner Fehler anzuklagen, weil er, der alle zu richten hat, von niemand gerichtet werden kann, ES SEI DENN, ES WIRD IHM ABWEICHUNG VOM GLAUBEN VORGEWORFEN". Wenn Sie die letzte Einschränkung weglassen, dann sind wir wegen unserer Anklage gegen Paul VI. exkommuniziert, es ist nicht nötig nach Rom zu gehen, um dieses Urbeil zu erhalten. Aber wenn Sie die Präzisierung am Schluß beibehalten, ist alles anders, unsere Aktion gegen Paul VI. wird annehmbar, sie verlangt die Entscheidung der kirchlichen Rechtsprechung.
Nun wird diese klare Behauptung, daß der Papst, durch wen auch immer in diesem einen und einzigen Fall gestellt werden kann, nämlich wenn er der Häresie verdächtig ist, wenn er vom wahren Glauben abzuweichen scheint, - diese Behauptung wird bekräftigt durch Innozenz III., Innozenz IV., Gregor IX, Hadrian VI., Paul IV. usw. Ich habe alle diese Dokumente in einem kleinen Buch von Paul Viollet gefunden, herausgegeben von Lethielleux im Jahre 1904, Die Unfehlbarkeit des Papstes und der Syllabus, das Pius X. leider hat auf den Index setzen müssen, nicht wegen dieses ersten Teils, wo er die Möglichkeit feststellt, daß ein Papst häretisch sein kann, sondern wegen des zweiten Teils, wo er diesen Satz auf Pius IX und den Syllabus anwendet! Die Theorie bleibt solide, wenn auch die Anwendung irrig ist.
Zitieren wir Hadrian VI.: "Ich sage, daß, wenn man unter der römischen Kirche ihr Haupt versteht, das heißt den Oberhirten, es sicher ist, daß sie irren kann, selbst in Dingen, die den Glauben betreffen, indem sie eine Häresie durch ihre Bestimmung oder ein Dekret bekräftigt. In der Tat waren mehrere römische Oberhirten häretisch..." (Quaest. in IV Sent.; Viollet, p.21)
Das Testament Gregors XI. von 1374 ist instruktiv und ergreifend: der Papst erkennt darin in der Tat an, daß er in seiner "öffentlichen oder privaten" Lehrunterweisung hat "Irrtümer gegen den katholischen Glauben" begehen können "oder Meinungen anhängen, die dem katholischen Glauben widersprechen", er fordert auf, sie zu verabscheuen und zu verwerfen, wenn sich welche finden sollten (Viollet, p.15-16). Johannes XXII. widerruft auf seinem Sterbebett feierlich jede Meinung, jede Lehre, die dem katholischen Glauben widerspricht, indem er auf seine häretische Predigt von Allerheiligen 1331 anspielt: "Er unterwirft alles, was er darüber hat sagen oder schreiben können, dem Urteil der Kirche und seiner Nachfolger (determinationi Ecclesiae ac successorum nostrorum)" (ibid., p.14).
Also ist kein Zweifel mehr möglich: die Päpste können in Häresie verfallen, außer in ihrem feierlichen Lehramt, welches allein aus sich heraus unfehlbar ist.
Für diejenigen, die noch zweifeln sollten, sei hier ein spezifisch theologischer Beweis, der absolut zwingend ist, erbracht. Leute, die nicht nachdenken, wiederholen, so oft es ihnen gefällt: das Vatikanische Konzil hat den Papst für unfehlbar erklärt, also muß man immer auf den Papst hören und ihm unter Strafe der Verdammung gehorchen. Wohlan, die Väter jenes Konzils sind genau den entgegengesetzten Weg gegangen. Sie haben festgestellt, daß die Kirche seit jeher behauptet, daß niemand gerettet werden kann, wenn er nicht mit dem Bischof von Rom vereint und seiner Autorität unterworfen ist. Daraus haben sie geschlossen, daß der Papst weder sich täuschen, noch uns irreführen könnte, weil man sonst schließen müßte, daß die Gläubigen manchmal gezwungen sind, ihm in seine Irrtümer und Verirrungen zu folgen, um gerettet zu werden. Nun ist niemand zum Übel verpflichtet. Indem er dem Papst gehorcht und so folgerichtig selig wird, muß der Gläubige sicher sein, daß er nur das Gute tun kann und daß er unfehlbar Gott gehorcht!
An diesem Punkt angekommen, hat sich das Konzil beeilt, die Art dieser Unfehlbarkeit rigoros einzugrenzen. Es hat eine erschöpfende Liste präzisert genau definierter Bedingungen der Lehre "ex cathedra" aufgestellt. Wozu soviel Sorgfalt?
Weil das Konzil den Gehorsam dem relativ unfehlbaren Papst gegenüber nicht vollständig dem Gehorsam Gott gegenüber, der allein heilig und wahr ist gleichsetzen konnte. Sicher, die Notwendigkeit, sich dem Papst zu unterwerfen, beweist seine Unfehlbarkeit, aber die Grenzen seiner Unfehlbarkeit müssen genau die Grenzen der Unterwerfung bezeichnen, die man ihm schuldet. Das Konzil, das die Unfehlbarkeit proklamiert hat, hat auch nachdrücklich verlautbart, daß außerhalb jener Bedingungen der Papst zum Irrtum fähig bleibt und man ihm also nicht blind folgen kann.
Viele Einwände gegen das Papsttum würden hinfällig werden, wenn der Papst demütig seine Grenzen erkennen würde...
b) Historischer Nachweis.
Die Theorie der pontifikalen Vollmachten - es wären noch die entsprechenden Grundsätze betreffend die Vollmachten der ökumenischen Konzile zu formulieren -führt auf die Möglichkeit des Irrtums und des Verbrechens beim Papst. Aber ist das jemals vorgekommen? Haben solche Verirrungen praktisch jemals existiert? Was sagen darüber die Theologen? Und zunächst einmal die Historiker.
Bellarmin, der den ersten Platz unter den großen Theologen der Gegenreformation einnimmt, hält diese Hypothese für eine Schimäre; solche Verirrungen können praktisch nicht vorkommen, dank Gott. Ihm folgt die Mehrzahl der modernen Theologen und sozusagen alle unsere Zeitgenossen, bis 1962. Die Tendenz hat sich seitdem brüsk umgekehrt! Diese Haltung war übrigens von einer tiefen Unlogik und kann mit den geschichtlichen Gegebenheiten nicht in Übereinstimmung gebracht werden.
Cajetan, Turrecremata vor ihm, dann Banès. Suarez urteilen im umgekehrten Sinn: was theoretisch möglich ist, ist es auch praktisch. Und die endgültige Entscheidung fällt die Geschichte, die einige derartige Fälle anführt. Niemand kann die Realität dieser Tatsachen in ihrem ganzen Gewicht bestreiten. Mehrere Päpste sind in Glaubenssachen in Irrtum geraten, haben sich versteift bis zur Verdammung der Anhänger der Orthodoxie, manchmal mit einer gewissen Feierlichkeit. Aber man muß auch genau festhalten, daß solche Fälle an den Fingern einer Hand zu zählen sind, daß sie strittige und besonders dunkle Fragen betrafen; daß solche Schwachheit niemals lange gedauert hat und daß außerdem Verfolgung, Alter und Krankheit manchmal stark mildernde Umstände sind.
Es genügt, eine quasi vollständige Liste solcher Fälle aufzustellen, um die Geringfügigkeit dieser Ereignisse festzustellen. Das festigt unwiderstehlich unsere Bewunderung des Schauspiels der ununterbrochenen Folge der römischen Oberhirten und ihrer durchgängigen Weisheit. Die Unordnung ist geringfügig, die Ordnung ist die Regel.
Liberius ist bekannt wegen seiner schuldhaften Schwäche, als er Dezember 359, gezwungen durch den Kaiser, der ihn in Byzanz gefangen hielt, einwilligte, ein halb arianisches Formular zu unterzeichnen, das schon alle 160 in Seleukia versammelten Bischöfe des Orients und 400 in Rimini versammelten Bischöfe des Westens praktisch angenommen hatten – alle, außer Hilarius, Athanasius und einigen anderen, die Liberius sogar verdammte (cf. Lettre à mes Amis 198,235) Aber dieser unglückliche Papst fing sich bald, bot dem Kaiser die Stirn und hielt mit Festigkeit die Orthodoxie aufrecht, bis zu seinem Tode.
Vigilius schien 553 in der durch die Byzantiner außerordentlich verdunkelten Frage des "Monothelismus" die Häresie zu begünstigen, indem er es ablehnte, die Lehre der Kirche klar zu verkünden, die in Christus zwei Willen behauptet, einen göttlichen und einen anderen menschlichen. Er verdammte weder die alten monophysitischen noch die neuen monothelistischen Häresien. Den römischen Diakon Pelagius, der ihm das vorwirft und ihn für häretisch erklärt, exkommuniziert Vigilius. Indessen folgt ihm Pelagius auf dem römischen Stuhl. Und in der Folge scheint er die abwartende Haltung oder sogar die diplomatische Zweideutigkeit nachgeahmt zu haben, die er seinem Vorgänger so sehr vorgeworfen hatte.
Bonifaz IV. nahm in derselben immer mehr vergifteten Frage eine nicht minder zweideutige (oder kluge?) Stellung ein. Der heilige Colomban warf es ihm in einem Brief von bewunderungswürdiger Vehemenz vor. Ich hätte daraus wörtlich ganze Seiten für mein Liber Accusationis in Paulum VI entnehmen können!
Honorius ist unter allen häretischen Päpsten der bekannteste und ohne Zweifel auch der schuldhafteste. Ich habe diese abscheuliche Geschichte, die ein Fleck auf einem sonst großen und bemerkenswerten Pontifikat ist, in meinem Lettre à Amis Nr. 168 vom November 1964 referiert, als bereits vor unseren Augen hundertmal Schlimmeres erschien als das Schlimmste der vergangenen Zeiten. Um sich zu rechtfertigen, den Häretikern nachgegeben zu haben, hat Honorius Worte gesagt, die von einer erstaunlichen Modernität sind, - aber es war 634 - : "Hüten wir uns alte Streitigkeiten wieder aufzuwecken". Damit befahl er, den Irrtum sich frei ausbreiten zu lassen. Die Folge war, daß die orthodoxe Wahrheit sich überall verbannt fand.
Fast allein stand der heilige Sophronius von Jerusalem gegen Honorius auf, indem er ihn in aller Form der Häresie beschuldigte. Schließlich erkannte der Papst seine Pflicht, aber er starb, ohne den der Gesamtkirche durch seinen Widerruf der Glaubenswahrheit zugefügten ungeheueren Schaden wiedergutzumachen. Das trug ihm 680 das Anathema des VI. Konzils von Konstantinopel ein, das von Papst Leo II. bekräftigt und von allen großen ökumenischen Konzilen bis zur modernen Zeit wieder aufgenommen wurde. Ein wunderbares Signum der Wahrheit gibt hier die Kirche von Rom, indem sie einen ihrer Oberhirten durch die Jahrhunderte hindurch wegen Häresie unter Anathema hält, und sogar in dem Augenblick, wo sie sich in ruhiger Klarheit unfehlbar erklärt! Johannes XXII. sagte 1331 zu Allerheiligen in Avignon, daß die Toten die selige Anschauung erst nach der Auferstehung am Ende der Welt erlangen werden. Es folgten Proteste, das verneinende Urteil der befragten Universität von Paris. Johannos XXII. starb 1334, seinen Irrtum bekennend und widerrufend.
Soll man noch Alexander VI. nennen, von dem Savanarola behauptete, er heuchele den Glauben, habe ihn aber nie gehabt, da er von einer jüdischen Linie falscher Konvertiten abstammte, den nur allzu berüchtigten Borgia? Savanarola konnte seine Beschuldigungen nicht beweisen, und dennoch hält ihn Italien für heilig!
Zählen wir und bewerten wir die Fälle. Fünf Päpste haben während einer kurzen Zeit ihres Pontifikats, in Bezug auf eine dunkle Spezialfrage, oft eher aus Diplomatie und dem Wunsch nach Versöhnung als aus formeller Häresie, gegen die Reinheit und Integrität des Glaubens gefehlt oder vielmehr gegen die Festigkeit im Lehramt. Gegenüber 263 Päpsten und zwanzig Jahrhunderten Geschichte ist das nichts! Bzw. nur gerade soviel um zu zeigen, daß es möglich ist...
Und wenn man sich jeden dieser Fälle vornimmt, um sein Gewicht abzuschätzen, wie das vor der Proklamation der päpstlichen Unfehlbarkeit 1870 geschehen ist, so wiegen die mildernden Umstände mehr als die Belastungen. Man kann sie schließlich fast alle entschuldigen. Die einen sind in Unsicherheit gestoßen worden durch byzantinische Fragen (man kann das hier wohl so sagen) oder zweitrangige Fragen, wie Vigilius. Andere waren alt, krank, wie Liberius vom Tode bedroht und von allen Bischöfen der Welt im Stiche gelassen, und sie haben indessen nur einen Augenblick kapituliert und haben alsbald ihre vorübergehende Feigheit wieder abgeschüttelt. Honorius hat durch seine Schwäche die Häresie groß werden lassen, aber den Historikern gelingt es nicht einmal, den genauen Gegenstand und das exakte Maß seiner Verfehlung zu erkennen! Da ist die Absonderlichkeit Johannes XXII. ja, aber sie dauerte nicht lange und betraf keinen zentralen Punkt des Glaubens... Das schlimmste wäre der Fall Alexanders VI., der auch sonst so skandalös ist, wenn bewiesen wäre, daß er, von einer scheinkonvertierten jüdischen Familie abstammend, niemals den christlichen Glauben und vielleicht nicht einmal den Glauben an Gott gehabt hätte. Ich, für meinen Teil, halte es nicht für erwiesen.
Schließlich - kann ein Papst wegen Häresie angeklagt werden?
Nach dieser historischen Bilanz versteht man, daß eine Anzahl von Theologen eigentlich inkonsequenterweise - einen solchen theoretisch möglichen Fall für praktisch unmöglich gehalten haben. Es ist demnach widersprüchlich. Wir wollen logischer schließen und sagen, daß ein solcher Fall von höchster Unwahrscheinlichkeit ist. Man muß so etwas also als letzte Hypothese in Betracht ziehen, wenn alle anderen sich als unbefriedigend erwiesen haben. Es ist normaler, wahrscheinlicher, statistisch sicherer, anzunehmen, daß der Papst sich in Hausarrest befindet, daß er nicht weiß, daß von seiner Umgebung Dokumente fabriziert werden, um ihn zu täuschen, daß er unter dem Einfluß von Drogen ist, daß er durch einen Doppelgänger ersetzt ist, was weiß ich? Alles eher als diese äußerste Hypothese. Das ist die Hypothese der Verzweiflung. Und ich verstehe sehr gut, daß man uns nicht folgt, wenn wir zu dieser Lösung Zuflucht nehmen, um das gegenwärtige Pontifikat zu erklären, einer Lösung, die im Absoluten möglich, aber statistisch unwahrscheinlich ist.
Und doch, wenn keine andere Lösung bleibt, wenn alle Beweise zusammenkommen und dahin konvergieren, so ist weder unser Glaube erschüttert, noch unsere Hoffnung im Sterben, noch findet sich die Liebe verletzt, wenn wir sagen: unser Papst ist häretisch.
2. KANN EIN PAPST SCHISMATISCH SEIN?
Das erscheint noch unwahrscheinlicher, weil per definitionem ein Schismatiker ein Christ ist, der sich von Rom trennt, der die souveräne und universelle Autorität des Papstes ablehnt. Wollte der Papst gegen sich selbst sein? Dennoch erkennen dieselben Theologen die wenigstens theoretische Möglichkeit des Schismas ebenso wie der Häresie seitens des Papstes an. Aus den gleichen Gründen, zu denen sich psychologische Betrachtungen gesellen, da das Schisma mehr affektiver als intellektueller Natur ist.
Es gibt zwiespältige Wesen, die im Streit mit sich selbst stehen, widerstreitenden Leidenschaften ausgeliefert sind, und zwischen ihren Amtspflichten und ihren Launen oder ihrem Ehrgeiz hin und her schwanken. Der Fall eines zwiespältigen Papstes, der schließlich sein Amt zugunsten der Ziele seines Ehrgeizes oder im Dienst einer anderen Macht verraten würde, oder eines Papstes, der ganz in einer Ideologie, einer Schimäre, einem politischen Spiel aufginge, ist nicht gänzlich undenkbar. Suarez, Bellarmin und andere alte Autoren ziehen diesen Fall in Betracht und zeigen sich darin von einer erstaunlichen Aktualität. Wir, die wir unmittelbar den klinischen Fall beobachten, werden drei Arten und Stufen des päpstlichen Schisma unterscheiden:
DAS AFFEKTIVE SCHISMA, wenn der Papst seiner eigenen Kinder in dem Maße überdrüssig wird, daß er sie alle oder wenigstens die treuesten unter ihnen ohne legitimen Grund exkommuniziert. Das ist zweifellos das Verhalten eines entarteten Vaters. Diese Umkehr der Liebe, die auf einmal Fremden entgegengebracht wird, und eines Hasses, der sich auf die Allernächsten und Verdienstvollsten richtet, ist ein Zeichen eines tiefgehenden Schismas.
DAS EFFEKTIVE SCHISMA, wenn der Papst ein Desinteresse und sogar einen Widerwillen gegen alle Riten und alle traditionellen Einrichtungen SEINER katholischen Kirche zeigt. Wenn alles, was alt ist, ihn bedrückt und wenn er dieses ganze ehrwürdige Erbe der Vergangenheit umstürzt, um alle Dinge fieberhaft neu zu schaffen, die Liturgie, das kanonische Recht, die pastoralen Methoden, die dogmatischen Formulierungen, dann gibt es einen Einschnitt in der Zeit, einen Bruch der Tradition, ein wirkliches Schisma des amtierenden Papstes mit dem immerwährenden Papsttum und der gegenwärtigen Generation mit der apostolischen Kirche.
DAS ABSOLUTE SCHISMA, wenn der Papst das heilige Band seines Amtes, das ihn an den Dienst der Kirche bindet, zerreißt, wenn er aufhört, für seine Herde zu sorgen, und sich gar nicht mehr um das übernatürliche Allgemeinwohl kümmert, vielmehr sich anderen Interessen widmet. Er könnte sich beispielsweise gänzlich der Bereicherung seiner Familie oder der Verschönerung seiner Villa hingeben; er würde sich einzig der Diplomatie widmen, um bei den Regierungschefs wohl angesehen zu sein und von ihnen empfangen zu werden zum Schaden der vernachlässigten Kirche. Er könnte sich für eine andere Religion, eine andere Gesellschaft, die Schimäre einer zukünftigen weiteren universelleren Religion als seine eigene Kirche soweit begeistern, daß er die Integration dieser letzteren in jene betreiben würde. Es gäbe dann einen Bruch des Papstes mit seinem Volke, des Statthalters Jesu Christi mit seinem Herrn und Gott.
Die Vergangenheit liefert uns gewiß einige Beispiele solcher Abirrungen, allerdings geringfügigere. Wie in dem Fall der Häresie, aber in einer konfuseren Weise, da es sich hier mehr um Gefühle und Verhaltensweisen als um bestimmte Doktrinen handelt, sind solche Abirrungen als eine Warnung vor dem, was möglich bleibt, aber bis zu unseren Tagen niemals stattgehabt hat, vorgekommen. Sind die oberhirtlichen Schismen der Vergangenheit nicht etwa schattenhafte Vorwarnungen vor dem, was heute kommen mußte, am Ende der Zeiten, bei der ganz großen Apostasie, die in den heiligen Schriften vorausgesagt ist?
Alles kann geschehen, denn es gibt nichts, von Seiten der Menschen, das uns in Erstaunen setzen sollte. Man wird mit Kardinal Journet anerkennen müssen, "daß es eine entsetzliche Sache ist, wenn die Kirche von dem, dem sie anvertraut ist, verraten wird". ("Die Kirche des Fleisch gewordenen Gottes", Bd. II, S. 840) Dergestalt sind aber die finsteren Anschläge des menschlichen Herzens und die Tiefen Satans.
3. KANN EIN PAPST SKANDALÖS SEIN?
Sicherlich, weil dem Papst keineswegs eine permanente Sittlichkeit verheißen wurde, ebensowenig wie anderen Menschen, und weil er ohne Zweifel der Sünde mehr ausgesetzt ist als irgend jemand unter ihnen, denn der Papst kann gegen die Vollkommenheit Seines Standes fehlen und dadurch Ärgernis erregen. Laßt uns nicht über die große Diskretion staunen, mit der die Kirche auf diesem Gebiet die Sitten ihrer Glieder, selbst der höchsten behandelt! Sie ist gewillt, das Geheimnis des Privatlebens außerhalb der Kritik zu halten. Eben in diesem Bereich ist es niemand erlaubt, zu richten. Wenn ein Papst in seinem Privatleben ein Ärgernis für das gläubige Volk ist, so lästere man nicht den Gesalbten des Herrn, sondern man bete und tue Buße für seine Besserung und Züchtigung, an der Grenze des Unerträglichen flehe man Gott an, die Kirche von ihm zu befreien durch das einfachste Mittel, das allein in Seinen Händen liegt, durch Berufung des Anstößigen vor seinen ewigen Richterstuhl. "Das einzige Mittel gegen einen sittlich schlechten, jedoch gläubigen Papst" ist das Gebet (Journet, op.cit.I, 547).
Aber es gibt eine andere Art des Ärgernisses, das die klassische Theologie nicht gekannt zu haben soheint, von dem aber unsere gegenwärtige Erfahrung uns in Kenntnis setzt: wenn der Papst unwürdige Handlungen, nicht im Privatleben, sondern in und durch seine pontifikale Funktion begeht in der Weise, daß es sich nach der bekannten Unterscheidung nicht mehr um "Akte des Papstes", sondern genau um "pontifikale Akte" handelt. Dann wird das Verbrechen des Oberhauptes alle Gläubigen mitreißen. Es wird für alle eine Falle sein, die man nur vermeiden kann, indem man sich offen gegen ihren Urheber erhebt. Die stets "schweigenden Mehrheiten" werden in einem solchen Falle zu Komplizen oder gar zu Mitwirkenden.
Nehmen wir ein Beispiel unter Tausenden. Wenn es geschähe, daß ein Papst in einer feierlichen Rede in Gegenwart eines Konzils oder in einer Enzyklika die Häretiker und Schismatiker wegen der angeblichen Fehler seiner Vorgänger und der Kirche selbst, die sie verdammte, um Verzeihung bäte, wenn es ferner geschähe, daß er sich mit ihnen versöhnte und sie sogar einlüde, am Gottesdienst teilzunehmen... so wäre dieses Ärgernis doch wohl "öffentlich" und nicht privat. Es bewirkte Solidarität und eine Mittäterschaft aller, die es akzeptierten, sei es auch nur durch ihr Schweigen. Die auf diese Weise "ex officio" ausgesprochene Aufforderung zum Bösen wäre alsdann für den einfachen Gläubigen beinahe unwiderstehlich....
Das Ärgernis in vollem Sinne, das päpstliche Ärgernis, wäre eine Falle für die Tugend der Gläubigen und ein Hindernis für ihren Glauben. Man könnte wohl einige Beispiele in der Vergangenheit finden, aber in keinem Verhältnis zu dem, was wir heute zu erblicken das traurige Vorrecht haben. Da das offizielle Ärgernis noch mehr als das Schisma und die Häresie zum Bereich der Aktion gehört, ruft und verlangt es nach einer offiziellen und entsprechenden Reaktion der Diener Gottes. Es ist dann keine Gleichgültigkeit oder Neutralität mehr möglich. Daher die Dringlichkeit der ins Auge zu fassenden Maßnahmen gegen einen Papst, der die Kirche korrumpiert.
(Schluß folgt)
|