Wurzel, Stamm und Krone
Von Dr. theol. Otto Katzer
VIII.
Es ist gar kein Zufall, daß gleich zu Beginn der heiligen Messe das Confiteor gebetet wird, vom Priester so auch vom Volk; denn niemand hat Gott so gedient, wie er hätte können und sollen. Wie wird wohl das Confiteor unserer Ureltern gelautet haben! Doch wenden wir uns selbst zu! "Ehe der einzelne Mensch sich dem Erlösungstode in Christus hingibt, muß er seine Sünde erkennen, und wenn er sie erkannt hat, muß er sich derselben DURCH CHRISTUS vor Gott schuldig bekennen, damit dann das Sühnopfer, zu welchem er sich ibretwegen hingibt, für ihre Tilgung wirksam sein könne. Dieses Sündenbekenntnis vor Gott muß durch und in Christus geschehen, weil es ein integraler Teil des subjektiven Erlösungeopfers ist, das nur durch und in Christus geschehen kann. Aber wo ist Christus für das einzelne Individuum?
Der Sohn Gottes war als ,', der Synagoge in der Schechinah verborgen, und während er in der Umhüllung dieses Licht- und Wolkenkreises auf dem Zuge durch die Wüste dem Blicke des Volkes ausgesetzt war, wurde er bei Aufrichtung der Stiftshütte im heiligen Land durch den Vorhang des Allerheiligsten der Anschauung der Israeliten entzogen. Im neuen Bunde hat er sich als Gottmensch in das Mysterium der Eucharistie zurückgezogen. Aber als stellvertretendes Erlösungsprinzip, das alle jene Erlösungsakte in seiner Kraft vollbringen soll, die notwendig an die äußere menschliche Form, die er selbst im alten Bunde überhaupt noch nicht angenommen oder aber im neuen Bunde für sein zeitliches Dasein wieder abgelegt hat, geknüpft sind, hat er das Priestertum in beiden Testamenten eingesetzt. Das Priestertum ist der die Erlösung fortsetzende und zur Subjektivität vermittelnde Christus. Wenn also das Individuum sein Sündenbekenntnis vor Gott durch Christus ablegen muß, so kann dies nur insofern durch Christus geschehen, als sich dieser in dem Priestertum, sozusagen, verkörpert hat. Durch den Priester also muß der einzelne Mensch seine Sünde Gott bekennen, und zwar nicht bloß die Sünde, welche er als Mensch durch den Eintritt in die Welt auf sich geladen' sondern alle anderen einzelnen Vergehen, deren er sich während seines Lebens gegen das göttliche Gesetz schuldig gemacht hat. Aber dieses Bekenntnis kann nun natürlich nicht mehr wie in Christus bloß in innerer, stillschweigender Sprache vor sich gehen: es muß heraustreten und sich in äußere Worte verkörpern, weil der Priester, durch den es vor Gott zu geschehen hat, bloß in dieser äußeren Verkörperung zugänglich werden kann.
So geht also das Sündenbekenntnis, wie es sowohl im alten, als auch im neuen Bunde vor dem eigentlichen Opferakte vorgeschrieben war, notwendig aus dem Begriffe des Sühnopfers hervor, und man sieht leicht, daß das zweite Moment der Sühnopferform ... unvollständig sein würde, wenn nicht das Sündenbekenntnis vor dem Priester als notwendiges Präliminare vorausgehen würde." 1)
Das Confiteor zu Beginn der heiligen Messe ist natürlich nur eine Erneuerung des sakramentalen Bekenntnisses, welches bei einer vorhandenen Todsünde vorausgehen muß, wenn Gelegenheit zur heiligen Beichte ist; bei "leichten" Sünden zwar durch einen Reueakt ersetzt werden kann, wenn auch eine mindest monatliche hl. Beichte dringend zu empfehlen ist. Die hl. Beichte muß dem Sühneakt vorausgehen, denn das, was gesühnt werden soll, muß als zu Sühnendes erkannt werden. "Die reagierende Bewegung ist nach naturgemäßem psychologischen Verlaufe die beginnende und sie besteht ebenfalls ganz psychologisch in dem Schmerz über die Tat, durch welche das lebendige Verhältnis zu Gott gebrochen und der Tod inkurriert worden ist. Dieser Schmerz fußt aber, wie klar ist, in der Liebe zu Gott und zu sich selbst. Denn da das normale lebengebende Verhältnis zu Gott in der Liebe und der daraus hervorgehenden Verherrlichung Gottes besteht, so ist der Schmerz über die Aufhebung dieses Verhältnisses vor Allem ein Schmerz über den Verlust der Liebe zu Gott und der Möglichkeit, ihn gebührend zu verherrlichen: woraus sich ergibt, daß die Liebe Gottes der erste Beweggrund zu jenem Schmerze ist; daran schließt sich als zweiter Beweggrund die Liebe zu sich selbst an, indem ein ewiger Tod in der Trennung von Gott vor allem Übrigen geeignet ist, den Schmerz über die Tat, wodurch jene Trennung veranlaßt worden ist, in dem Menschen rege zu machen. Was die Zukunft betrifft, besteht der Zustand in dem wirklichen Verlangen, dem Zustande des Todes zu entrinnen, in die Vereinigung mit Gott zurückzukehren, und demzufolge alle jene Mittel zu ergreifen, die zu diesem Übergange erforderlich sind."2) Das Confiteor zu Beginn der heiligen Messe will diese Reue erneuern und verstärken. Erst dann ist es möglich, das Heiligtum im vollen Sinne zu betreten.
Werfen wir einen Blick in das Alte Testament, in den Tempel, dann erkennen wir folgendes: „Vorne an der Spitze des Heiligtums stand der Schaubrotetisch mit den Schaubroten, der Rauchopferaltar und der siebenarmige Leuchter. Ich kann mir unmöglich diese drei Symbole getrennt vorstellen[- schreibt Stöckl -]; so wie sie in der Wirklichkeit immer bei- und nebeneinander waren, so kann ich sie mir auch in ihrer höheren Bedeutung nur als Ein einziges großes Symbol denken.
weiter Hart an dem Vorhange, welcher das Allerheiligste vor dem Heiligen schied, also in nächster Nähe an dem Throne des in der Schechinah sich manifestierenden göttlichen Erlösungsprinzips stand der Schaubrotetisch mit den Schaubroten und dem Weine, welcher nach der fortwährender Tradition denselben beigegeben war. Die Nähe dieser beiden Materien an der Schechinah hat eine höhere Bedeutung. Der Sohn Gottes war noch nicht Mensch geworden; darum war der Himmel noch verschlossen, und der geheimnisvolle Vorhang war noch uneröffnet über dem Allerheiligsten - dem symbolischen Himmel ausgebreitet. Das war der Grund, warum die Schaubrote und der Schauwein noch nicht der Transsubstantiation unterliegen konnten, aber die nächste Nähe, in welcher sie bei der Schechinah waren, zeigte an, daß sie zur Transsubstantiation geordnet waren, daß sie also in dieser Stellung schon im voraus jene reelle Vereinigung symbolisieren sollten' welche dereinst, wenn der Vorhand zerrissen, der Himmel geöffnet und das göttliche Erlösungsprinzip selbst aus dem Allerheiligsten in das Heiligtum - aus dem Himmel in die Kirche - herabgestiegen wäre, in der Tat eintreten würde. Daher ihr Name: Lachme panim (Schaubrote), weil sie immer im Angesichte des Erlösers liegend immer auch in symbolischer Vereinigung mit ihm standen und in dieser Vereinigung ein würdiges Material zur Fortsetzung des Erlösungsopfers bilden konnten.
Waren diese Brote, wie die Tradition sagt, mit Öl angemacht, was auch ohne das Zeugnis der Tradition höchst wahrscheinlich sein würde' so zeigt sich dieses "Hingeordnetsein" derselbon zur Transsubstantiation in noch glänzenderem Lichte. Wer es weiß, was dem Orientalen das Öl war, wie es ihm nicht bloß statt der Butter zur Nahrung (Lev.2,1ff), zum Salben des Hauptes und Barthaares (Ps.22,5), zur Arznei, namentlich bei Wunden (Is.1,6), diente, sondern auch in seinen Augen als Symbol aller Schönheit und Lieblichkeit, aller Reinheit und Liebe, alles Großen und Herrlichen galt: dem wird es nicht mehr auffallen, wenn wir behaupten, daß gerade in dem "Durchsogensein" der Brotmasse von dem Öl eine Hinweisung auf das dereinstige Geheimnis lag, in welchem die Brotsgestalt von der unendlichen Schönheit, Reinheit, Liebe und Herrlichkeit selbst durchwaltet werden würde - nicht mehr im Symbol, sondern in der Wirklichkeit. (Das Öl deutete die Liebe und Barmherzigkeit Christi an, welche er in seinem eucharistischen Opfer erwiesen hatteO So der hl. Bernhard in Cant.I: "Oleum effusum nomen tuum.")
Dieselbe Beziehung lag in dem Salze, welches den Schaubroten beigegeben war. Das Salz ist es, welches der Speise nicht nur ihre nährende Kraft verleiht, sondern dieselbe auch vor Fäulnis und Verwesung bewahrt. Die Symbolik ist klar. Die Schaubrote sollten der Vorläufer eines Brotes sein, das eine nicht mehr leibliche, sondern geistige, zum himmlischen' nicht zum irdischen Leben ernährende Nahrungskraft in sich enthalten' und keiner Fäulnis, keiner Verwesung unterworfen, fortwährend his zum Ende der Tage in immer gleicher Frische und Lebenskraft fortbestehen würde. (Das Brot deutete den Leib Christi an, der Wein sein Blut, durch welches wir erlöst wurden, das Öl die Gnade Christi' das Salz sein Wissen, Weibrauch das Gebet O - S. Thomas Aqu., 1.2.q.102,art.3. Besonders in resp.12,13,140)
So tritt also in dem Material des Schaubroteopfers die Symbolik des neutestamentlichen Opfermaterials auf das bestimmteste hervor, und wir können deshalb schon von vornherein mit umso größerer Zuversicht den Nachweis dieser Symbolik auch in der Form des Schaubrotes gehen.
Natürlich muß auch der eigentlichen Opferhandlung jenes Moment als Einleitung vorausgehen, welches ihr ihre Beziehung als Opferhandlung gibt, nämlich das offertorische Opfergebet. So wie aber dieses Opfergebet im neutestamentlichen Opfer auch äußerlich durch den Ritus der Emporhebung des Brotes und des Kelches versinnbildet wird und daher dieser Ritus und jenes Gebet immer zusammenfallen müssen, so mußte auch das Opfergebet, durch welches dem Schaubroteopfer Einleitung und Beziehung gegeben ward, mit dem Ritus der Aufstellung dieser 3rote im Angesichte der Schechinah verbunden' und durch diese äußerlich versinnbildlicht sein
Nun ist zwar in der heiligen Schrift keine eigene Gebetsformel hierfür angeführt; aber das kann uns dadurch nicht irremachen, da ja anch im neutestamentlichen Opfer die offertorische Gebetsformel nicht'durch die Heilige Schrift, sondern durch die Kirche bestimmt worden ist. Die Analogie mit den übrigen im Vorhofe des Tempels dargebrachten' Opfern; mit welchen, wie wir gezeigt haben, jedesmal bestimmte Gebetsformeln verbunden waren, deren Formulierung in der Befugnis der Synagoge lag, läßt uns mit Recht den Schluß ziehen, daß auch mit der Aufstellung der Schaubrote auf dem Schaubrotetisch die Rezitation einer bestimmten, von der Synagoge vorgeschriebenen offertorischen Gebetsformel verbunden war. Der Fingerzeig war schon durch die Intention, in wolcher der Priester die Brote aufsetzte, gegeben, und es brauchte dieser Gebets-Intention, die, absolut genommen, allein schon hingereicht hätte, nur der Wortauedruck gegeben zu werden.
Worin aber bestand in den Schaubroten die Symbolik der eigentlichen Opferhandlung, wie sie im neutestamentlichen Opfer durch den Akt der Transsubstantiation gesetzt wird? Ich habe schon gesagt, daß ich die drei Symbole, welche vor dem Vorhange des Allerheiligsten standen, voneinander nicht zu trennen vermag, sondern daß ich sie als Ein einziges großes Symbol betrachten muß. Indem ich dieses Prinzip hier festhalte, ist mir auch schon die Symbolik des Transsubstantiationsaktes gogeben. Sie liegt in der Verbrennung des Räucherwerks auf dem direkt neben dem Schaubrotetisch stehenden Rauchopferaltar.
Die Transsubstantiation nach katholischem Begriffe, besagt die Vernichtung der zu verwandelnden Substanz, und das Hintreten der anderen Substanz an die Stelle der vernichteten, jedoch ohne Veränderung der Gestalten. Indem aber das Rauchwerk sich ir der Glut des Rauchopferaltars verzehrte, und seine konkrete Substanz in eine ätherische überging, während die Schaubrote und der Schauwein, die - wie schon gesagt - mit jenem zur Einheit des Symbols gehörten, unverändert blieben, kann hierin eine symbolische Transsubstantiation nicht verkannt werden. Geschah damals im jüdischen Tempel die Verwandlung durch die Glut des Rauchopferaltars, so geschieht sie nun durch die Glut der göttlichen Allmacht. Steigt jetzt im Augenblicke der Verwandlung aus dem Verwandelten ein unsichtbarer Opferwohlgeruch zum Himmel empor, so wurde damals dieser Opferwohlgeruch durch das Emporsteigen des wohlriechenden Rauches aus dem verglühenden Räucherwerk vorgebildet. So ist also die Versinnbildlichung des einen Momentes der neutestamentlicllen Opferhandlung - des Opfertodes der Seele, d.i. des in wahrer Selbstentäußerung gegründeten Verzichts auf die himmlische Herrlichkeit von Seiten des Erlösers, insofern Er in den Gestalten durch den Wandlungsakt sich verbirgt - in der Symbolik des Schaubrote- und Rauchopfers des Heiligtums unverkennbar. Aber ebenso erscheint auch das andere Moment, nämlich der mystische Tod des Leibes des Gottmenschen, in dem genannten Opfer vorgebildet, und zwar geschah analog mit der Trennung der Gestalten im neutestamentlichen Opfer auch hier diese Vorbildung durch das Getrenntsein der Schaubrote und des Schauweins. Und zum Zeichen, daß dieses Opfer, unbeachtet seiner bloßen Sinnbildlichkeit, doch nicht total bedeutungs- und wirkungslos sei, sondern von himmlischer Anordnung ausgegangen, auch seinen Ausgangepunkt wieder im Himmel habe, wurde jährlich am großen Versöhnungsfeste noch vor dem Blute des Opfertieres von dem Hohenpriester das Rauchwerk in das Allerheiligste getragen und dort angezündet. Es war ja das Rauchopfer die symbolische Form des objektiven Erlösungsopfers, und dessen Darbringung wird ja als notwendiges Requisit vorausgesetzt, damit das subjektive Opfer, welches durch die Sprengung des Blutes im Allerheiligsten repräsentiert war, Bedeutung und Kraft habe.
Die Schaubrote sollten ferner immerwährend im Angesichte des Herrn liegen; waren die alten abgenommen, so mußten sogleich wieder neue aufgesetzt werden. So wie das fortwährende Daliegen der Schaubrote (Lechem hatamid = das tägliche Brot, Num.4,7; hiermit auch das ewige – Anm.d.Verf.) die Kontinuität des Daseins des Fleisches und Blutes des Herrn in dem neutestamentlichen eucharistischen Brote und Weine bis zur Destruktion der Gestalten darstellt: so symbolisiert der beständig daraufliegende Weihrauch das in diesem beständigem Dasein gegebene, fortwährende, stille Opfer, zu dem sich der Erlöser im Mystorium hingibt, und das erst dann aufhört, wenn die Gestalten der Destruktion unterliegen.
Literatur: 1) Stöckl, Liturgie und dogmatische Bedeutung der alttestamentlichen Opfer, S.196f 2) op.cit. S.189
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