DER HL. JOSAPHAT KUNCEVYCZ
Zum Fest am 14. November
von Heinrich Storm, München
Zu den traurigsten Ereignissen in der Geschichte des christlichen Glaubens gehört ohne Zweifel das große Schisma, das im 12. Jahrhundert die Kirche des Ostens von der Gemeinschaft mit dem lateinischen Westen und dem Nachfolger Petri, dem römischen Papst, trennte. Es hat in den folgenden Jahrhunderten nicht an Versuchen gefehlt, die verlorengegangene Einheit wiederherzustellen, ohne daß dies, wenn man von einigen Jahren nach dem Unionskonzil von Ferrara und Florenz (1438/42) absieht, je für den Gesamtbereich des griechisch-orthdoxen Ostens gelungen wäre. Wohl sind seitdem einzelne Teilkirchen in die katholische Einheit zurückgekehrt, indem sie sich unter Beibehaltung ihrer Riten und Gebräuche der päpstlichen Autorität unterordneten. Zu den bedeutendsten dieser Teilunionen gehört die von Brest-Litowsk, die 1596 die ruthenische Kirche, die die polnisch beherrschten Gebiete der Metropolie Kiew in Litauen, Weißrußland und der Ukraine umfaßte, mit dar katholischen Kirche wiedervereinigte.
Die überragende Gestalt dieser Union ist der hl. Ezzbischof Josaphat, dessen Leben ihrer Erhaltung galt und der sie schließlich mit seinem Blute geheiligt hat.
Der Heilige kam 1580 in Wladimir, dem Hauptort Wolhyniens, als Sohn des Schuhmachers Gabriel Kuncevycz und seiner Frau Marina zur Welt. Die Eltern, gläubige orthodoxe Christen, ließen das Kind auf den Namen Johannes taufon und führten es so früh wie möglich in die Grundlehren des Glaubens ein. Johannes verschloß sich den frommen Ermahnungen der Eltern nicht, sondern bewies im Gegenteil schon vom frühen Kindesalter an eine religiöse Aufgeschlossenheit und hingebungsvolle Frömmigkeit. Bei einem seiner ersten Kirchenbesuche hatte er, als er eine Ikone, die Kreuzigung darstellend, betrachtete, ein Erlebnis, das für sein ganzes ferneres Leben entscheidend war und Über das er selbst sagt: "Ich sah, wie ein Feuerfunke die Seite unseres Herrn verließ und in mein Herz eindrang. Ich wurde plötzlich von einer solch überströmenden Liebe erfaßt, daß ich ganz still verharrte und nichts mehr sah noch hörte. Von diesem Moment an war in mir eine solche große Liebe zum Erlöser des Menschengeschlechtes und zur göttlichen Liturgie geboren, daß ich dreißig Jahre lang niemals das Gesetz der Kirche mißachtete und nur darauf bedacht war, Ihn (den Erlöser) in seinem Leben der Armut und des Leidens nachzuahmen. "
So erkannte der Heilige schon als Kind in der Kirche seine eigentliche Heimat. Sein liebster Aufenthalt war im Gotteshaus, und regelmäßig hielt er die kirchlichen Tageszeitengebete ein. "Ich will den Herrn Jesus niemals kreuzigen!" so bekannte er einmal seiner Mutter, deren Hinweis auf Gottes Allgegenwart und Allwissen bereits genügte, um ihn von jedem unrechten Tun abzuhalten.
Als Johannes das Alter erreicht hatte, in dem es für ihn an der Zeit war, einen Beruf zu erlernen, wurde er von seinem Vater zu einem Kaufmann nach Wilna, der litauischen Hauptstadt geschickt. Hier, wo die von Deutschland hereindringenden Irrlehren Luthers und Calvins bereits festen Fuß gefaßt hatten, fand der tieffromme junge Mann bald den Weg zur unierten Gemeinde das katholischen Metropoliten Hypiathius Potij. In der katholischen Kirche der Hl. Dreifaltigkeit, die er beinahe in jeder freien Stunde zum Gebet aufsuchte, fühlte er sich weit mehr geborgen als bei seinem Lehrherrn, der ihn nicht selten ausschalt, wenn er ihn untertags beim Lesen eines religiösen Buches antraf. Trotzdem schätzte der Kaufmann Johannes, ja er wollte ihn sogar, da er selbst keinen Sohn hatte, an Sohnesstatt annehmen und zu seinem Erben einsetzen. Dieses verlockende Angebot schlug Johannes mit Festigkeit aus, fühlte er sich doch längst zur vollkommenen Nachfolge Christi durch ein mönchisches Leben berufen.
An der Echtheit dieser Berufung kam kein Zweifel bestehen: Sobald Johannes 1604 in das Kloster der Basilianermönche in Wilma eingetreten war und dort den Ordensnamen Josaphat angenommen hatte, erfüllte er seine mönchischen Pflichten mit solcher Vollkommenheit und Hingabe, daß bereits nach kurzer Zeit ein Mitbruder von ihm sagen konnte: "Was soll ich von seinem einsamen, ganz mönchsgleichen Leben anders sagen, als daß Gott uns den Josaphat als Spiegel und Vorbild gegeben hat. Wir Unglücklichen, die wir Josaphat kennen und nicht nachhhmen können!" Mit eiserner Strenge unterwarf der junge Mönch, in dem bereits jetzt der Heilige sichtbar wurde, durch harte Bußwerke seinen Leib dem Willen. Er fastete oft tagelang, aß niemals Fleisch, selten Fisch und schlief meist auf nacktem Erdboden. Ständig trug er auf der Haut ein härenes Bußhemd, um die Hüften einen Bußgürtel, der mit eisernen Nägeln besetzt war. Viele Stunden des Tages verbrachte er in innigem und flehentlichem Gebot, selbst während des Nachtschlafes formten seine Lippen noch das Jesusgebet: "Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme Dich unser." In der übrigen Zeit studierte er mit großem Fleiß und Beharrlichkeit die Bibel und die Schriften der Väter. Sein ganzes Sinnen und trachten war darauf gerichtet, die "Hl. Union" zwischen dem Apostolischen Stuhl und der ruthenischen Kirche zu erhalten und zu fördern. Diesem Ziel galten sein Studien, seine Gebete und Bußübungen. Oft geißelte er sich bis aufs Blut, indem er in Tränen betete: "Herr Jesus Christus, gib uns die Hl. Union, so daß wir alle eins werden."
Sobald er glaubte, den inneren Menschen genügend gefestigt zu haben, begann er mit großem Erfolg innerhalb und außerhalb seines Klosters seinen Glauben missionarisch für das große Anliegen der katholischen Einheit zu verkünden. Er wußte die Argumente der hartnäckigen Schismatiker so überzeugend zu entkräften, daß niemand ihm im Wort widerstehen konnte und viele sich zur Union bekehrten. Unter diesen Umständen nimmt es nicht wundert, daß die Wut der "Kirchenzerschneider" (so nannte Josahat die fanatischen Gegner der Union) gegen den heiligmäßigen Mönch bald keine Grenzen kannte, Sie nannten ihn "Seelenräuber", ein Schimpfwort, das Josaphat lächelnd mit den Worten aufnahm:
"Gebe Gott, daß ich euer aller Seelen raube und zum Himmel führe." Der Heilige mußte bald mannigfache Verfolgung erleiden: In der Öffentlichkeit warfen fanatische Schismatiker mit Steinen und Kot nach ihm, und im Kloster wurde er vom Archimandriten (Abt), einem Gegner der Union, in jeder nur möglichen Art und Weise drangsaliert. Selbst vor Morddrohungen schreckten seine Gegner nicht zurück.
All das konnte Josaphat nicht beirren in seiner Treue zum katholischen Bekenntnis und zu seinem rechtmäßigen Oberen, dem unierten Metropoliten. Als dieser ihn jedoch zum Priester weihen wollte, weigerte sich Josaphat zunächst aus übergroßer Ehrfurcht vor diesem Amt: "Fürwahr, wenn eine unsterbliche Seele an Wert die ganze Schöpfung überragt, wird nicht jeder, der eine einzige Seele ärgert, vom Herrn Jesus Christus in das unauslöschliche Feuer geworfen worden? Darum möchte ich kein Priester sein, denn welcher Priester wird vor dem furchtbaren Richterstuhl sagen dürfen: Hier bin ich, und hier sind alle deine Kinder, die Du mir anvertraut hast." Schließlich beugte er sich aber doch im heiligen Gehorsam und wurde im Jahre 1609 zum Priester geweiht.
Josaphat war ein wahrhaft treuer Verwalter der Sakramente und ein begnadeter Seelsorger. Täglich feierte er, was für die damalige Zeit durchaus nicht selbstverständlich war, das heilige Opfer, zu dem er aber nie trat, ohne sich vorher durch langes Gebet und den Empfang des Bußsakramentes darauf vorbereitet zu haben. Mit Leidenschaft kämpfte er gegen den Mißbrauch der Schismatiker, die eine einmalige Beichte im Jahr für ausreichend erklärten. Es gab für ihn kaum eine größere Freude, als wenn es ihm gelungen war, möglichst viele Menschen zum Ablegen der hl. Beichte zu bewegen: "Das war immer ein Trost auf der Reise: Wenn es die Zeit erforderte, die Beichten anzuhören, in den Siechenhäusern von den Siechen, in den Kerkern von den Gefangenen, und alle durch die Buße zu heilen." Josaphats Wort besaß eine seltsame Gewalt über Menschenseelen. Mehr als einmal gelang es ihm, innerhalb kürzester Zeit sogar aus Todfeinden Freunde, das heißt gläubige Katholiken zu machen. Ein Edelmann, den er auf dem Totenbett bekehrte und ihm von der Herrlichkeit des Himmels erzählte, bekannte erschüttert: "Nun glaube ich, daß Gott mir seinen Engel gesandt hat."
Seine Predigten waren so fesselnd, daß nicht nur die Katholiken, sondern auch die Schismatikor, ja selbst die Juden und Kalvinisten scharenweise zu ihnen hinströmten und nicht umhin konnten, staunend zuzugeben: "Überheilige Worte fließen aus seinem Munde". Wenn er später als Erzbischof, um die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer zu schärfen, am Anfang der Predigt sagte: "Kinderchen werdet nicht müde, ich will heute nicht lange predigen", so scholl es ihm vielstimmig entgegen: "Verweile, heiliger Vate, bleibe. Wenn du auch bis zum Abend predigen wollest, werden wir dich gerne anhören." Tausende hatte der Heilige durch seine Predigten zur Hl. Union bekehrt; mit Fug und Recht könnte mm ihn daher einen "Chrysostomus der Hl. Union" nennen.
Seine großen Fähigkeiten, die seinen Oberen nicht verborgen blieben, ließen Josaphat bald höhere Ämter bekleiden. Er wurde zunächst Prior, dann Archimandrit seines Klosters. Als solcher trug er eine Last, unter der er ohne den göttlichen Beistand wohl zusammengebrochen wäre. Täglich erhob er sich als erster, um sich als letzter zum Schlaf niederzulegen. Von den niedrigsten Diensten über die Verwaltungstätigkeit bis hin zur Seelsorge lud er sich so weit wie möglich alle Arbeit selbst auf, ohne dabei in seinem Gebets- und Bußeifer zu erlahmen. Durch sein Vorbild und seine Führung blühte das Kloster, sowohl was die Zahl seiner Mitglieder als auch was ihren Eifer anging, mächtig auf, vor allem aber schuf er durch die Heranziehung überzeugt katholischer Mönche der Hl. Union eine feste Grundlage.
Als im Jahre 1617 der erzbischöfliche Stuhl in Polozk (Weißrußland) vakant wurde, konnte es dem Metropoliten und dem polnischen König nicht schwerfallen, einen geeigneten Kandidaten zu finden: Trotz seines anfänglichen Widerstrebens wurde Josaphat dieses hohe Amt verliehen, und, da der Ruf seiner Heiligkeit ihm voraneilte, bereiteten ihm die Gläubigen von Polozk bei seinem Einzug einen begeisterten Empfang. Das neue Amt veranlaßte den Heiligen keineswegs zu einer Änderung seiner Lebensweise; er blieb der arme, betende und büßende Mönch, der nun aber womöglich noch härter arbeitete. Seine vernehmliche Sorge galt der Erneuerung des ruthenisch-unierten Klerus, dessen mangelhafte Ausbildung und fehlender Eifer viele Gläubige dazu veranlaßten, sich dem lateinischen Ritus anzuschließen. Das war Öl auf das Feuer der schismatischen Orthodoxen, die behaupteten, der Erzbischof wolle den Glauben und die geheiligten Bräuche der Ruthenen den verhaßten Lateinern opfern. Durch seine Güte und Kraft seiner Worte und Taten hatte Erzbischof Josaphat schon das Vertrauen eines großen Teils seiner Gläubigen errungen, als ein neuer Sturm losbrach: Die Schismatiker stellten unter dem Schutz der in das Land einbrechenden Kosaken gegen jeden unierten Bischof einen Gegenbischof auf. Gegen die der Hl. Union treuen Bischöfe, Priester und Gläubigen, die sich wegen der Furcht vor den Kosaken bald Schutzes beraubt sahen, ja selbst von ihren polnischen Glaubensbrüdern im Bischofsamt schmählich im Stich gelassen wurden, brach eine ungeheure Hetze und Verleumdung los, durch deren Verführung die meisten Menschen abfielen. Vor allem Josaphat, den man zu Recht als einen der Hauptpfeiler der Union ansah, wurde wiederum ins Ziel von Verfolgungen und Bedrohungen, die jedoch den Erzbischof so wenig erschüttern konnten, wie vorher den einfachen Mönch. Den Feinden ins Angesicht bekannte er mutig und standhaft seine Treue zum Papst und zur Hl. Union, indem er jedes Übereinkommen mit den Schismatikern, das nicht in der Wahrheit begründet war, ohne Schwanken ablehnte: "Gut ist der allgemeine Friedc, aber der, von welchem Christus selbst sagt:'Ich bin nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert.' Das wahrhaft Gerechte darf um nichts für einen unsicheren Frieden preisgeben, denn was für ein Frieden wird durch die Beleidigung Gottes geschaffen werden?" Diese heiligmäßige Standhaftigkeit, die jedem ihrer Scheinargumente das richtige Wort und die richtige Tat entgegensetzte, steigerte die Wut der Feinde des Erzbischofs aufs höchste, und so beschlossen sie, ihn, der weder durch Versprechungen noch durch Drohungen zu bezwingen war, mit blutiger Gewalt aus dem Wege zu räumen. Josaphat wußte, daß er dem Tod entgegenging, aber der Gedanke daran konnte ihm keine Furcht einjagen, im Gegenteil, er verlangte danach, für die Sache der Hl. Union auch dieses Opfer seines Lebens zu bringen. Als er deshalb 1623 zu einer Reise in die Stadt Witebsk, von deren Mordplänen gegen ihn er wußte, aufbrach, lehnte er jeden bewaffneten Schutz ab: "Es schickt sich nicht, daß ich von einem anderen als von Gott beschützt werde." Seine Begleiter aber ermutigte er mit den Worten: "Kinderchen, nur Gott ist zu fürchten, er wird mit uns sein, und uns nicht verlassen!... Gebe Gott, daß ich mein Blut für die irrenden Schafe vergieße, damit alle gerettet worden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen."
Am Festtage das hl. Großmartyrers Demetrios predigte er in der Hauptkirche der aufgewühlten Stadt über das Schriftwort: "Jeder, der mich tötet wird meinen, Gott ein Opfer darzubringen." Der versammelten Menge rief er entgegen: "Ihr sucht meinen Tod..., ich aber bin zu euch gekommen, damit ihr erkennt, daß ich euer Hirte bin." Doch für das verblendete Volk kam jede Ermahnung zu spät. Bereits bei seinem Einzug hatte es den Erzbischof und sein Gefolge mit dem Ruf empfangen: "Erschlagt sie, ersäuft sie, sie kommen, um unsern Glauben hinwegzunehmen!" Nun, einen Tag nach der letzten Predigt Josophats, ließ es diesen Vorsatz grausame Wirklichkeit werden: Eine blutrünstige Menge drang in das erzbischöfliche Gebäude ein, schlug die wenigen Diener Josaphats nieder, um schließlich den Heiligen, der seine Mörder ruhig mit dem Gruß: "Gott sei mit euch, meine lieben Kinder" empfing, mit unglaublicher Bestialität zu erschlagen. Ohne einen Laut der Klage ertrug Josaphat sein Martyrium, und mit seinen letzten geflüsterten Worten: "Ehre sei Dir, Jesus Christus" gab er seine Seele in die Hand des Schöpfers zurück, am 12. November 1623.
Schon bald noch dieser grauenhaften Tat wurde es einem großen Teil des Volkes bewußt, daß es mitschuldig am Tode eines Heiligen geworden war. Man barg daher den Leichnam Josaphats aus dem Fluß, in den ihn die Mörder geworfen hatten. Obwohl er nach dem Mord noch bis zur Unkenntlichkeit geschändet worden war, strahlte er nun nach dem Zeugnis der Beteiligten eine solche Schönheit aus, daß er "an die Schönheit der verklärten Leiber erinnerte." Er wurde im triumphalen Zug in die Bischofsstadt Polozk überführt und dort zwei Monate lang der Verehrung des Volkes ausgesetzt, ohne Spuren der Verwesung zu zeigen. Am 28.1.1624 wurde die sterbliche Hülle des Martyrers feierlich in der Bischofskirche von Volozk beigesetzt.
Bald nach seinem Tode ereigneten sich am Grabe Josaphats, den das Volk bereits wie einen Heiligen verehrte, die ersten Wunder, und im Laufe der Jahrzehnte wurden es immer mehr Menschen, die auf die vertrauensvolle Anrufung Josaphats hin wunderbare Hilfe erlangten. Schon zwanzig Jahre nach seinem Tode wurde Josaphat Kuncovycz durch Papst Urban VIII. selig gesprochen. 1867 sprach Papst Leo XIII. ihn heilig und führte sein Fest für die gesamte Kirche ein.
|