Die hl. Theresia von Avila
Von Heinrich Storm
Zu Beginn des 16. Jahrhunderts gehrte Avila zu den bedeutendsten Städten Kastiliens. An der "reconquista", der Zurückeroberung der maurischen Teile Spaniens durch die christlichen Königreiche, hatte es lange Zeit hindurch hervorragenden Anteil7 und bis in die Zeit der hl. Theresia hinein waren seine Einwohner stolz auf ihre kriegerische Tüchtigkeit. Wenn wir heute den Namen dieser spanischen Stadt hören, denken wir weniger an den Ruhm ihrer Krieger als vielmehr den ihrer Heiligen, vornehmlich aber der bedeutendsten unter ihnen, der hl. Theresia "von Avila". Ihr Name überstrahlt den ihrer Heimatstadt ebensosehr, wie ihre Heiligkeit die bloße Tugend der Tapferkeit.
Am 28.3.1515 kam Theresia als drittes von sieben Kindern des Don Alonso Sanchez y Cepeda und der Beatriz de Ahumada, seiner Gemahlin, zur Welt. Beide Eltern stammten aus vornehmen Adelsgeschlechtern Kastiliens, sie erzogen ihre Kinder gemäß den Grundsätzen ihres Standes und, mehr noch, ihres Glaubens. Theresia ließ bereits als Kind erkennen, daß sie mit außergewöhnlichen Gaben auegestattet war. Mit ihrem um vier Jahre älteren Lieblingsbruder Rodrigo führte sie religiöse Gespräche, deren Reife ihrer Altersstufe weit voraus lag. Besonders der Gedanke an die Ewigkeit beeindruckte sie tief, oft wiederholte sie das Wort "ewig" mit den Lippen, um sein Sinn besser zu erfassen. Die Leiden der Martyrer auf Erden und ihre Herrlichkeit im Himmel begeisterten sie als Siebenjährige so sehr, daß sie beschloß, es ihnen gleichzutun. Zusammen mit dem Bruder, den sie bald überredet hatte, wollte sie fort ins Mohrenland, "in der Hoffnung, dort geköpft zu werden". Die beiden Kinder versuchten auch tatsächlich, ihr Vorhaben auszuführen, wurden aber vor den Toren der Stadt, bis wohin sie gelangt waren, von einem Onkel aufgehalten und ins Elternhaus zurückgebracht. "Ich will Gott schauen", hatte Theresia mit tiefem Ernst erklärt, als sie von ihrem Verwandten nach dem Grund ihres Fluchtversuches gefragt wurde.
Mit dem Heranwachsen begann für die junge Adelige die Zeit der ersten großen Versuchung. Die hohen Ideale der Kindheit verblaßten zusehends, ohne allerdings je ganz zu verlöschen. Theresia wurde sich ihrer körperlichen und geistigen Vorzüge bewußt und merkte, welche Macht sie durch ihre Rede, ihr Aussehen und ihr ganzes Auftreten auf die Menschen ausüben konnte: mehr und mehr geriet daher ihre junge Seele in die Gefahr, in Eitelkeit und Gefallsucht zu ersticken. Erst als ihr Vater, der ihre Entwicklung nicht ohne Sorge beobachtete, sie zur Erziehung einem Augustinerinnenkloster übergab, erhielt auch die ernstere Seite ihres Wesens wieder Anstöße: "Als ich sah, wie einer meiner Gefährtinnen beim Beten die Tränen kamen, (...) beneidete ich sie sehr, denn Mein Herz war so hart, daß ich die ganze Leidensgeschichte hätte lesen können, ohne auch nur eine einzige Träne zu vergießen, und das bekümmerte mich sehr." Zum ersten Mal kam Theresia hier der Gedanke, selbst ins Kloster berufen zu sein. So sehr sie diesen Gedanken in der Folgezeit auch bekämpfte, sie konnte doch nicht verhindern, daß er immer festere Gestalt in ihr annahm. Als sie aber endlich bereit war, in diesem Ruf aus ihrem Inneren die Stimme Gottes zu erkennen, folgte sie mit der ganzen unbedingten Entschlossenheit, die ihrem Wesen eigen war. So verließ sie 1536 ihr Elternhaus, obwohl ihr dabei zumute war, daß sie meinte, "im Sterben könne es nicht ärger sein", und trotz des Widerstandes ihres Vaters, und bat im Karmelitinnenkloster der Inkarnation zu Avila um Aufnahme.
Theresia, deren erstes Gefühl im Kloster das lebhafter Freude war an ihrem neuen Stand, war nun wieder zurückgekehrt zu den hohen Zielen ihrer Kindheit, doch von ihrer Erreichung war sie weit entfernt, schreibt sie doch selbst: "Mehr als die Liebe trieb mich eine knechtische Angst, den Schleier zu nehmen. " Niemand war sich über ihre Unvollkommenheit klarer als sie selbst, und da sie das Mittelmaß verabscheute, versuchte sie, in den Werken der Abtötung, wie auch im Gebet die frömmsten ihrer Mitschwestern zu erreichen, wenn nicht gar zu übertreffen. Sie unterwarf sich den strengsten Bußwerken, fastete, geißelte sich mit Brennesseln und verbrachte lange Stunden im Gebet, ohne dadurch ihrem eigentlichen Ziel, nämlich dem inneren Herzensgebet, der Versöhnung in Gott, näher zu kommen. Die übergroße Anstrengung, der sie Körper und Geist unterwarf, führte schließlich zu ihrem Zusammenbruch: Theresia wurde so schwer krank, daß die herbeigerufenen Ärzte, nachdem jede Behandlung nur zum Schlechten der Kranken ausgefallen war, endlich ihren Fall für aussichtslos erklärten. Sie fiel in eine so tiefe Bewußtlosigkeit, daß man sie bereits für tot hielt und Anstalten für ihre Beerdigung traf. Als sie nach vier Tagen doch wieder aufwachte, galten ihre ersten stammelnden Worte Visionen, die sie während ihres totenähnlichen Zustandes hatte: "Ich war im Himmel. Ich habe die Klöster gesehen, die ich werde gründen müssen, das Gute, das ich meinem Orden erweisen soll und die Seelen, die ich zum Himmel führen werde.... " An die Erfüllung einer solchen Vision war allerdings vorerst nicht zu denken: drei weitere Jahre lang wurde Theresia durch ihre Krankheit, die nun in einer Lähmung fast aller Glieder bestand, ans Bett gefesselt. Sie ertrug das Leiden mit einer Geduld, die die Bewunderung ihrer Mitschwestern erregte, und wenn sie auch seine schlimmsten Erscheinungen schließlich überwand, so blieb die Krankheit doch ein ständiger Begleiter in ihrem Leben und läßt uns die großen körperlichen Strapazen, die sie später auf sich nahm, umsomehr bewundern.
Kaum hatte Theresia ihre Kräfte einigermaßen wiedererlangt, als eine neue Versuchung auf sie zukam. Durch ihre Krankheit war sie in der Stadt so bekannt geworden, daß eine immer größere Zahl von Menschen sich im Sprechzimmer des Klosters mit ihr unterhalten wollten, vor allem, als ihre Gewandtheit in der Rede und das Angenehme eines Gespräches mit dieser außergewöhnlichen Nonne nach kurzer Zeit offenbar wurden. Anfänglich wehrte sich Theresia gegen die dauernde Ablenkung, allmählich aber fand sie, wie schon in ihrer Jugend, eine gewisse Befriedigung darin, den anderen zu gefallen. So ging es nach ihrem eigenen Zeugnis, "von Zeitvertreib zu Zeitvertreib, von Eitelkeit zu Eitelkeit, von Gelegenheit zu Gelegenheit." "Es hatte den Anschein, als wollte ich diese Gegensätze ausgleichen, diese beiden Feinde miteinander versöhnen: das geistige Leben mit dem Zeitvertreib, den Befriedigungen, die die Sinne gewähren." Immer mehr kam Theresia von der Übung des inneren Gebetes ab, um sich in Oberflächlichkeiten zu verlieren. Die erstaunlichen Begnadungen, die ihr schon damals zuteil wurden, bedrückten sie daher mehr, als sie sie erfreuten, weil sie deutlich ihre Unwürdigkeit einsah.
Es bedurfte der Ermahnungen ihres Vaters, den sie einst selbst im kontemplativen Leben angeleitet hatte, und der gesamten Willensanstrengung, um sie endlich den Kampf um das innere geistige Leben wieder aufnehmen zu lassen. Doch erst in das Jahr 15530 nach fast 20 Jahren klösterlichen Lebens, fällt das Ereignis, das man die "zweite Bekehrung der hl. Theresia" genannt hat. Als sie eines Tages in das Oratorium eintritt, stößt sie dort unvermutet auf eine Skulptur Christi als des Schmerzenmannes, die sie bis ins Innerste erschüttert. "Es war eine so ergreifende Darstellung des wundenbedeckten Christus, daß ich schon beim ersten Anblick völlig erschüttert war, weil ich die Leiden, die Er für uns erduldet hat, mitempfand. Mein Herz verging vor Gewissensbissen, als ich daran dachte, mit welcher Undankbarkeit ich diese Wunden gelohnt hatte. Ich sank weinend vor Ihm in die Knie und flehte Ihn an, mir ein für allemal die Kraft zu verleiben, daß ich Ihn fortan nicht mehr kränkte."
Die Wirkung dieser inneren Erschütterung war vollständig. Erst jetzt hatte Theresia voll und ganz zu ihrer Berufung gefunden, sie war nicht mehr Nonne aus Furcht vor der ewigen Strafe, sondern aus Liebe zu Christus. Nun war sie auch fähig, immer höhere Stuten des mystischen Gebetes zu erreichen, Stufen, auf denen ihrem Geist ein Grad der Entzückung zuteil wurde, den sie mit den Worten beschreibt: "Es ist dies ein herrliches Irresein, eine himmlische Torheit, in der man die wahre Weisheit erlernt, und für die Seele ein gar herrlicher Genuß." Auch erhabener, außergewöhnlicher Visionen und Eingebungen wurde sie gewürdigt, zu deren Beschreibung die menschliche Sprache, unfähig, sie in ihrer ganzen Herrlichkeit zu beschreiben, sich nur noch schwacher Vorgleiche bedienen kann: "Im Vergleich mit diesem Licht erscheint selbst die Klarheit der Sonne, die wir sehen, so dunkel, daß man ihretwegen nicht mehr die Augen öffnen möchte. Es ist, als sähe man ein ganz klares Wasser, das über Kristallglas fließt und die Sonne widerspiegelt, und im Vergleich dazu ein trübes, umwölktes, das über Erdreich fließt." Es kam aber auch vor, daß Zustände solch höchster Beglückung abwechselten mit solchen der "Nacht des Geistes", in der das Gefühl der Gottesferne Theresias Seele in tiefste Niedergeschlagenheit stürzte: "Dann vergaß ich alle Gnaden, die mir der Herr zuvor erwiesen hatte, sie waren nur noch zu meiner Pein wie ein Traum in Erinnerung. Mein Vorstand war so verdunkelt, daß er mich tausendfach in Verzweiflung und Argwohn geraten ließ. Es schien mir, als hätte ich nicht verstanden, und als hätte ich mir nur alles vorgemacht. (...)Ich kam mir so schlecht vor, daß ich meinte, an allen Übeln und Ketzereien wären nur meine Sünden schuld. " Zu diesem inneren Leiden gesellten sich bald äußere Verfolgungen, nachdem die Ekstasen und Verzückungen Theresias, während derer ihr Körper oft mit unwiderstehlicher Gewalt emporgehoben wurde, so daß er frei über dem Erdboden schwebte, bekannt geworden waren. Man hielt sie für das Opfer teuflischen Truges, ja wollte sie sogar einem Exorzismus unterziehen. Nur das Zeugnis zweier Heiliger für die göttliche Herkunft der Visionen, nämlich der hl. Franz von Borja und Pedro von Alcantara, die Theresia in dieser Zeit aufsuchten, und der innere Zuspruch des Herrn selbst, den sie daran erkannte, "daß seine Worte zugleich Werke sind", konnten sie in ihrer Verwirrung trösten und aufrichten.
Auf einer solchen Höhe der Kontemplation wie sie Therese nun erreicht hatte, auf der ihr größter Schmerz die Trennung von Gott war und ihr größtes Opfer "aus Liebe zu Ihm noch länger in dieser Welt leben", empfand sie schmerzlich das Ungenügende in Zucht und Regel ihres Klosters und des Ordens vom Berge Karmel überhaupt. Deutlich erkannte sie, was ihr schon während ihrer schweren Krankheit eingegeben worden war, daß es nämlich ihre Aufgabe war, einen Orden zu gründen, der nach der ursprünglichen strengen Regel der Karmeliter lebte und dessen Mitglieder Gott, dem Herrn ein Leben des Gebetes und der Buße stellvertretend für die Sünden der übergroßen Zahl der Irrlehrer und Gottesleugner darbringen sollten.
Am Anfang des Werkes wäre die Heilige beinahe verzagt vor den Schwierigkeiten und Hindernissen, die sich ihr entgegenstellten. "O mein Herr! Warum gebietest du mir Dinge, die unmöglich erscheinen? Ich bin ja nur ein Weib, aber wäre ich doch wenigstens frei! So aber bin ich von vielen Seiten gebunden, ohne Geld und ohne Aussicht, welches zu bekommen, ... was kann ich da ausrichten, o Herr?" Welchen Kampf und welche Demütigungen kostete es sie, bis sie ihre kirchlichen und klösterlichen Oberen von der Notwendigkeit der Reform überzeugt hatte. Doch weil der Herr selber es war, der ihr den Plan eingegeben hatte, verließ er sie auch in seiner Ausführung nicht: Am 24. August 1562 wurde in Avila das erste Kloster der unbeschuhten Karmelitinnen, das dem hl. Joseph geweiht war, eingeweiht.
Die Jahrzehnte, die nun im Leben der hl. Theresia folgen, erinnern uns stark an das biblische Gleichnis vom Senfkorn, aus dem ein großer Baum wird: Trotz der vielen Gegner, der äußeren Hemmnisse und der schwachen Gesundheit der Heiligen wuchs das von ihr ins Leben gerufene Werk unaufhaltsam weiter. 1567 gründete sie das Zweite Kloster der Unbeschuhten in Medina del Campo, und damit begann für die "Madre Fundadora" (Mutter Gründerin), wie man sie bald nannte, die Zeit der großen Reisen, die sie zunächst kreuz und quer durch Kastilien, später durch ganz Spanien führen sollten. Vor Bischöfen, Fürsten, ja dem König vertrat die demütige und doch so mächtige, weil von Gott begnadete Nonne ihre Anliegen. Nur wenigen gelang es, sich der Gewalt und Überzeugungskraft ihrer Worte zu entziehen. Bald sprang der Funke der Begeisterung auch auf die Mönche des Karmel über: 1568 wurde, unter den armseligsten äußeren Bedingungen, das erste Kloster der unbeschuhten Mönche zu Duruelo gegründet. Einer der Gründer, ein Mönch, klein von Gestalt, aber groß an heiligem Eifer, war Juan de la Cruz, der hl. Johannes vom Kreuz. In den folgenden Jahren, während derer immer neue Klöster der unbeschuhten Mönche und Nonnen gegründet wurden, brach die erste Verfolgung über den neuen Orden herein. Die beschuhten Karmeliter der gemäßigten Regel faßten die Gründung eines unbeschuhten Ordenszweiges als eine Zurücksetzung und Herausforderung auf und versuchten mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln, diesen zu unterdrücken. Die führenden Mitglieder der Unbeschuhten wurden ihrer Ämter entsetzt, vielen Verhören unterzogen und verbrachten zum Teil sogar lange Jahre in Klosterhaft. Doch das Feuer, das der Hl. Geist selbst entfacht hatte? war durch keine menschliche Gewalt mehr zu löschen: Das Jahr 1579 brachte das vorläufige Ende der Verfolgungen und ein weiteres Aufblühen der Ordensreform.
Bis zum Ende war das Leben der hl. Theresia erfüllt von rastloser äußerer Tätigkeit, die die Kräfte ihres Körpers bis zum Letzten aufbrauchte, und einem überreichen inneren Leben. Doch inmitten der Stürme von Gnaden, die auf sie niedergingen, blieb die Heilige demütig, natürlich und heiter. Als sie einmal ein Kloster in Madrid besuchte, meinten die Nonnen, die von ihrer Heiligkeit und den außergewöhnlichen Begnadungen natürlich gehrt hatten, ganz erstaunt, aber auch erleichtert: "Gelobt sei Gott, der uns eine Heilige sehen ließ, die wir alle nachahmen können, sie spricht, schläft und ißt wie wir und ist auch im Umgang nicht umständlich und nicht honigfließenden Geistes."
Es mutet uns wie ein Wunder an, daß Theresia neben den schon überreichen Anstrengungen, die die Gründungen, Besichtigungen und die Beratung der Klöster mit sich brachte? auch noch die Zeit fand? ihre Mystischen Erlebnisse in Werken zu beschreiben, die zum Besten gehren7 was wir im Bereich der Mystik besitzen und die sie darüber hinaus zu einem der großen Autoren spanischer Sprache gemacht haben.
Im Herbst 1582 brach die Heilige zu ihrer letzten Reise nach Alba de Tormes auf. Als sie dort ankam, versagte ihr kränklicher Körper, den sie in ihrem Leben nie geschont hatte, endgültig seinen Dienst. Theresia ging dem Tod nicht nur ohne Furcht, sondern sogar in seliger Erwartung entgegen: "Mein Herr und mein Bräutigam! Die ersehnte Stunde ist gekommen. Es ist Zeit, daß wir uns sehen, mein Geliebter, mein Herr. (...) Es ist Zeit, daß ich von dieser Erde scheide und meine Seele ausruhe in Dir, den ich so sehr ersehnt habe..." Am Abend des 4. Oktober 1582, dem Festtag des hl. Franziskus von Assisi, mit dem sie in vielen Dingen geistig verwandt war, entschlief die Heilige sanft im Herrn. Nach dem Zeugnis der Anwesenden strahlte ihr Antlitz noch im Tode solche Schönheit und solchen Glanz aus, "daß es an eine feurige Sonne gemahnte."
"Herr, wer Dich wahrhaft liebt, wandelt sicher auf einer breiten und königlichen Straße." (Hl. Theresia von Avila)
Literatur: Giorgio Papásogli, Teresa von Avila, Paderborn 1959. Marcelle Auclair, Das Leben der hl. Teresa von Avila, Zürich 1953. Louis Bertrand, Die hl. Theresia, Paderborn 1928. Sämtliche Schriften der hl. Theresia von Jesu, Bd. 2, München 1935.
|