DIE LOGIK EINES THEOLOGEN
(von einem Leser aus der Tschechoslowakei)
Die Tatsache, daß Paul VI. in erster Reihe und unmittelbar für die sog. liturgische Reform und die übrigen Mißstände und Verwirrungen, an welchen die Kirche heute leidet, verantwortlich ist, wirft notwendigerweise die Frage auf, ob er nicht etwa den katholischen Glauben verraten und infolgedessen sein Amt verloren hat, wenn er es überhaupt je gültig ausgeübt hat.
Die Möglichkeit, daß die Kirche derzeit ohne einen Papst ist, und daß seinen Platz ein Eindringling einnimmt, der die Kirche zu seinem Bild umzugestalten trachtet, ist für jeden gläubigen Katholiken ungemein peinlich, ja sogar unerträglich. Es ist daher verständlich, daß viele Katholiken, die das gegenwärtige Übel klar erkennen, vor dem Gedanken zurückschaudern, daß der Papst daran schuld sein könnte; und deshalb trachten sie die Ehre Pauls VI. dadurch zu retten, daß sie bei ihm eine unverschuldete Unwissenheit voraussetzen oder alle Schuld seiner Umgebung zuschreiben, deren Gefangener er angeblich sei.
Andere, die sich mit dieser allzu naiven Auslegung nicht begnügen können, verurteilen wohl einerseits seine "Politik", jeden Zweifel über seine Legitimität aber lehnen sie als "Schisma" ab. Damit behaupten sie eigentlich, im Widerspruch mit der katholischen Theologie und dem Kirchenrecht, daß der Papst nicht vom Glauben abfallen und so seines Amtes verlustig werden kann. Die Frage, ob Paul VI. legitim ist oder nicht, ist in der Tat keine theologische oder juristische Frage, sondern eine Tatbestandsfrage. Für diese traurige Tatsache, daß sich Paul VI. mit seinen "Reformen" außerhalb der Kirche und gegen sie gestellt hat, lassen sich leider mehrere überzeugende Beweise anführen.
Eine Art indirekten Beweises für die Richtigkeit der Schlußfolgerung bezüglich der Illegitimität Pauls des VI. ist auch die Tatsache, daß jene, die seine "Reformen" verurteilen, hierbei aber keinen Zweifel an seiner Legitimität zulassen, sich in unlösbare logische Widersprüche verwickeln und sogar zu praktischen Verteidigern der "Reformen" werden, die sie doch theologisch verurteilen. Ein anschauliches Beispiel eines solchen Verhaltens liefert Abbé de Nantes im Juliheft 1972 seiner Zeitschrift "La Contre- Reforme catholique", wo er unter dem Titel "La Messe catholique" die Gültigkeit und Zuverlässigkeit der neuen Meßordnung verteidigt.
Um die Gültigkeit der neuen Meßordnung außer jeden Zweifel zu stellen, behauptet dort Abbé de Nantes, daß die Messe gültig sei, wenn ein wirklicher Priester die Konsekrationsworte ausspricht und äußerlich den Anschein erweckt, daß er die sakrale Handlung vornehmen will (paraissant extérieurement vouloir faire le sacrement). Dazu ist zu bemerken, daß der äußere Anschein der richtigen Absicht nicht dasselbe wie die richtige Absicht ist. Außerdem erweckt eben die neue Messe ernste Bedenken über die richtige Absicht des zelebrierenden Priesters. Es fehlt hier also auch der "äußere Anschein", daß der Priester ein katholisches Meaopfer bringen will. Gebraucht der Priester noch dazu die umgeänderten Konsekrationsworte, dann fehlt hier auch noch der "äußere Anschein" der richtigen Absicht. Daß die neue Liturgie auch ohne diese heute ganz übliche Deformation in vieler Hinsicht verdächtig ist, und den Opfercharakter der Messe weniger klar zum Ausdruck bringt, als die vom heiligen Pius V. kodifizierte Liturgie, das anerkennt auch Abbé de Nantes. Das von ihm vorgeschlagene Kriterium genügt aber keineswegs dazu, daß wir die Gültigkeit der laut neuer Meßordnung gelesenen Messen für ganz unzweifelhaft erklären.
Die Gründe, welche Abbé de Nantes für die Zulässigkeit der neuen Messe anführt, sind so interessant, daß man sie wörtlich wiedergeben muß: "Da die Messe ein von Christo für seinen mystischen Körper dargebrachtes Opfer ist, ist allein die Kirche berufen über die Vollkommenheit ihres Ritus zu urteilen. Wir haben das Recht und die Pflicht gegen die neue und untraditionelle Liturgie, die uns der Papst und alle Bischöfe aufzwingen zu protestieren. Wir haben dagegen kein Recht zu behaupten - solange das nicht das Lehramt der Kirche entschieden hat - daß die neue Liturgie unzulässig ist und uns fernzuhalten /s'en abstenir/. Das würde bedeuten, sich eine besondere, der Autorität des Papstes und der Bischöfe übergeordnete Lehrautorität anzumaßen. Jeder folge daher seinem richtig geformten Gewissen, so wie es das natürliche Gesetz fordert. Wenn jemand einen unüberwindlichen Abscheu vor dem neuen Ritus hat und die Unmöglichkeit sich an ihm zu beteiligen, wie auch die Teilnahme an ihm seinen Angehörigen zu gewähren, empfindet, ist das im Rahmen der heiligen christlichen Freiheit, die unsere Hirten fördern sollten. Die guten Priester sollen die Gläubigen belehren, das zu tun, was gut ist und das Vollkommenste zu wählen."
Aus diesen Folgerungen des Abbé de Nantes geht hervor, daß jeder Priester und Laie die neue Liturgie wählen darf, obwohl sie "untraditionell und in vieler Richtung verdächtig ist" und bei manchen Gläubigen einen berechtigten Abscheu erweckt, so daß diese das Recht und die Pflicht haben, gegen sie zu protestieren. Dazu muß man bemerken: Wenn der neue Ritus gesetzlich erlaubt ist, dann haben die Gläubigen weder das Recht noch die Pflicht, gegen ihn zu protestieren und ihrem unüberwindlichen Abscheu zu frönen. Wenn er gesetzlich unerlaubt ist, dann hat niemand das Recht, ihn zu wählen. Tertium non datur.
Im Endergebnis behauptet Abbé de Nantes also, daß es erlaubt sei, einen zweifelhaften und verdächtigen Ritus vor einem vollkommenen und einwandfreien den Vorzug zu geben. Es sei also Papst und Bischöfen erlaubt, solch eine an und für sich schlechte Handlung zu "bewilligen", vielleicht sogar aufzuzwingen, und jedem Priester und Laien sei es "erlaubt", diese Erlaubnis auszunützen. Die Freiheit, entweder einen traditionellen und einwandfreien, oder einen "untraditionellen und verdächtigen" Ritus zu wählen - solange man die anders Denkenden und Wählenden nicht verketzert und stört - nennt Abbé de Nantes "die heilige christliche Freiheit." Solche Freiheit ist leider keineswegs christlich. Es ist höchstens eine sehr unchristliche und unnatürliche "Gewissensfreiheit" nach den Prinzipien des "M.A.S.D.U."
Um diese Stellungnahme "jenseits von Gut und Böse" in der Frage der Vollkommenheit des Meßritus zu rechtfertigen, behauptet Abbé de Nantes, daß die Kirche diese Frage noch nicht entschieden hat. Das ist jedoch eine krasse Unwahrheit.
1. Die Kirche, die wahrlich der einzige Richter über die Vollkommenheit des Meßritus ist, hat längst schon feierlich entschieden, daß sie als ganz vollkommenen und unveränderlichen Meßritus jenen anerkennt, der im "Missale Romanum" des heiligen Pius V. kodifiziert wurde. Was den Kanon betrifft, so erklärt das Konzil von Trient im Dekret über die hl. Messe autoritativ: "Der römische Kanon entspricht durchaus vollkommen / quam maxime/ seinem Zwecke. Der heilige Pius V. erweiterte dieses autoritative Urteil in der Bulle "Quo primum" auf den ganzen Meßritus, wie er; entsprechend den Intentionen des Konzils von Trient im "Missale Romanum" festgesetzt wurde. In dieser Bulle verbietet Pius V. unter Sanktion des Zornes des allmächtigen Gottes und der seligen Apostel Petrus und Paulus, daß an diesem Ritus etwas geändert, ihm etwas zugefügt oder von ihm weggenommen werde.
2. Abbé de Nantes verschweigt auch, daß mit der erwähnten Bulle das Missale Romanum des heiligen Pius V. den katholischen Priestern römischen Ritus' als Pflicht auferlegt wurde. Wenn also die Priester das Recht haben, dieses Missale zu gebrauchen, dann vor allem deshalb, weil das ihre Pflicht ist, die sie durch das tridentinisch-vatikanische Glaubensbekenntnis eidlich bekräftigt haben.
3. Endlich verschweigt Abbé de Nantes, daß viele durch die neue Meßordnung eingeführte Praktiken, z. B. die Vereinfachung der Riten, die laute Rezitation des Kanons und der Gebrauch der Volkssprache in der Bulle des Papstes Pius VI., "Auctorem fidei" unter Exkommunikation feierlich verworfen wurden, womit die bezüglichen Trienter Beschlüsse ihre Ergänzung bekommen haben. In diesem Dokument verbietet Pius VI. unter Exkommunikation "ipso facto sine ulla declaratione" selbst das Sprechen und Schreiben über die verworfenen Forderungen der Synode von Pistoja "nisi impugnando". Das ist namentlich für Abbé de Nantes aktuell, der nicht im Stande ist, über die neue Meßordnung, wo alle diese lehramtlich verworfenen Forderungen aufzufinden sind, zu sprechen, ohne dabei die Erlaubtheit zu betonen und jene zu verurteilen, die sie als unerlaubt ablehnen.
Aber jene, die die neue Meßordnung als unerlaubt ablehnen, tun das nicht aus eigener Autorität, wie es ihnen Abbé de Nantes zu Unrecht vorwirft, sondern sie stützen sich dabei auf die Autorität des Lehramtes der Kirche, das in den angeführten Entscheidungen alle Versuche um eine liturgische Reform im Sinne der neuen Meßordnung im voraus feierlich verurteilt hat. Es ist daher nicht notwendig, eine neue Entscheidung abzuwarten. Wer die neue Meßordnung ablehnt und sie als unerlaubt bezeichnet, handelt streng im Sinne des tridentinisch-vatikanischen Glaubensbekenntnisses, d. h. er lehnt ab und verwirft das, was die Kirche verwirft und verflucht.
Im letzten Absatz des angeführten Aufsatzes "La messe catholique" wirft Abbé de Nantes wieder die Gegner des Missale Romanum Pius' V., wie auch die Gegner der neuen Meßordnung in einen Sack. Beide nennt er Extremisten und Teiler der Kirche. Der Absatz endet mit den Worten: "Wo Christus ist, ist auch die Kirche, dort ist auch die Einheit." Wie sich aber Abbé de Nantes diese Einheit vorstellt, geht aus dem vorletzten Absatz hervor. Da schreibt er: "Seien die Meinungen noch so verschieden oder entgegengesetzt, wir müssen in der großen Kirche mit unserem heiligen Vater, dem Papst, mit unseren Bischöfen, mit der ganzen Gemeinschaft der Priester und Gläubigen im eucharistischen Kultus, der uns alle in der katholischen Messe zur Einheit schweißt, vereint bleiben. Sei sie in welchem Ritus auch gelesen, wenn sie nur gültig zelebriert ist, dann verbindet sie uns alle."
Abbé de Nantes spielt hier mit den Begriffen "gültig" und "katholisch" so, daß es leicht den Anschein erwecken kann, als ob eine gütige Messe schon dadurch ein Band katholischer Einheit wäre. So einfach ist jedoch die Sache nicht. Sonst wären wir "in einer großen Kirche verbunden" auch mit den Schismatikern, soweit sie eine gütige Messe besitzen, und nicht mit den katholischen Priestern, die gültig zelebrieren, obzwar sie im Sinne des Dekrets "De Missa" des Konzils von Trient, wie auch der Bulle "Auctorem Fidei", oder aus einem anderen Grund exkommuniziert sind.
Diese Ausdrucksweise des Abbé de Nantes erinnert auffallend an den populären Ökumenismus. Die Einheit des Kultus allein genügt aber nicht, auch dann nicht, wenn es sich um denselben Kultus handeln würde, was im Falle der neuen Meßordnung zumindest zweifelhaft ist. Nicht minder wichtig ist die Einheit des Glaubens und Einheit in der Unterordnung unter den römischen Papst, also auch unter den heiligen Pius V., Pius VI., Pius XII. bezüglich ihrer lehramtlichen Entscheidungen, d. h. der Bullen "Quo Primum", "Auctorem Fidei" der Enzyklika "Mediator Dei" und aller übrigen Entscheidungen des lebendigen kirchlichen Lehramtes.
Wir können also nur unser Bedauern aussprechen, daß "der heilige Vater, Papst" Paul VI., die Mehrzahl der derzeitigen Bischöfe und Priester, Abbé de Nantes inbegriffen, von der Kirche aufgrund ihrer "verschiedenen und entgegengesetzten Meinung" über die glaubenslehrliche Verbindlichkeit der erwähnten, die Liturgie betreffenden Dokumente getrennt sind.
Abbé de Nantes täuscht seine Leser gewissenlos, wenn er sich bemüht, der neuen Meßordnung den Anschein der Erlaubtheit zu geben mit dem Hinweis, daß die neue Messe "allgemein" zelebriert wird. Der angebrachte Ausdruck deutet nämlich an, daß die "allgemein" zelebrierte neue Messe eine ähnliche Berechtigung gewinnt, wie z. B. die "allgemeine" Messe der (rechtgläubigen) Theologen oder sogar die glaubenslehrliche Autorität einer Wahrheit, die in der Kirche "allgemein" bekannt wird.
Aber ein allgemein getriebener Unfug wird dadurch nicht gerechtfertigt, und keine Autorität darf ihn gültig und ohne Sünde "erlauben", noch weniger aufzwingen. Da steigt der Verdacht auf, daß jene, welche die sog. neue Meßordnung aufzwingen, nicht mehr Repräsentanten der lehrenden Kirche sind. Man schaudert förmlich vor dem Gedanken zurück, daß sich an ihnen die Worte des hl. Leo I., des Großen, bewahrheiten könnten, sie seien "der Antichrist und der Teufel", bzw. ihre Helfershelfer. Diese "Würdenträger" Paul VI. inbegriffen, verstoßen nämlich gegen eine ganze Reihe unfehlbarer päpstlicher und konziliärer Entscheidungen, wodurch sie in der Folge auch das Dogma über die Infallibilität bestreiten. Hiermit befinden sie sich zumindest der Häresie nahe, (haeresi proximi). In derselben Nummer der "Contre-Reforme catholique" entfaltet Abbé de Nantes weiter seine "Schemen" für das "III. Vatikanische Konzil", dessen selbstberufener Propagator und Hauptkonzilstheologe "in spe" er ist Der Inhalt dieser Schemen ist leider belanglos, da sie durch den Namen eines "III. Vat. Konzils" gekennzeichnet sind. Diese Benennung deutet an, daß dieses zukünftige "Konzil" stillschweigend die Legitimität des sog. II. Vat. Konzils anerkennt.
Die einzige zukünftige Entscheidung, die wir von dem nächsten legitimen Papst sehnsüchtig erwarten, ist dagegen jene, durch welche das sog. II. Vat. Konzil mit dem rechten Namen bezeichnet wird, d. h. als eine Versammlung exkommunizierter Befürworter der sog. liturgischen Reform und aller anderen gegenkatholischen "Pastoralmaßnahmen", und dadurch autoritativ aus dem Leben der Kirche gestrichen wird, "als ob es nie gewesen wäre", also nach der Formel, mit welcher Papst Benedikt XIV. gewisse bedingte, den berüchtigten chinesischen Ritenstreit betreffende, Bewilligungen widerrufen hat.
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