DER HL. HIERONYMUS
- ZUM FEST AM 30. SEPTEMBER
von Heinrich Storm
Der hl. Kirchenlehrer Sophronius Eusebius Hieronymus kam um das Jahr 340 in Stridon, einem Städtchen in Dalmatien, zur Welt. Wir wissen nur sehr wenig über die Kindheit und erste Jugend des Heiligen. Die Eltern, begüterte Landbesitzer, waren zwar katholisch, scheinen aber den jungen Hieronymus kaum zu einem wirklich ernsthaften christlichen Leben angehalten zu haben. In einem Brief schreibt er später einmal sehr negativ über die geistige Atmosphäre in seinem Geburtsort: "In meiner Heimat, wo bäuerisches Wesen zu Hause ist, da ist der Bauch Gott. Man lebt nur so in den Tag hinein. Der ist am heiligsten, der am reichsten ist."
Stärker noch als zum Beispiel die östlichen Kirchenväter, die schon in eine überwiegend christliche Umgebung hineingeboren wurden, erlebte der Lateiner Hieronymus den Umbruch der Zeiten, die letzten Lebensäußerungen der heidnischen Kultur, aber auch die Gefahr des Absinkens vieler Christen in ein veräußerlichtes Glaubensverständnis, unter dem bereits ein neues Heidentun sichtbar wurde.
In Rom, der alten Reichshauptstadt und der 2. Station auf seinem Lebensweg, konnte er den Kampf dieser Geistesrichtung nicht nur beobachten, sondern mußte ihn selber durchfechten. Er studierte zunächst mit Begeisterung die antike Literatur, lernte die Rhetorik und führte sonst ein wenig christliches Leben. Erst auf einer Reise nach Gallien, die er mit seinem Jugendfreund Bonosus unternahm, wurde ihm die Nichtigkeit seiner bisherigen Lebensweise klar. Er kehrte nach Italien zurück und trat in Aquileja einem Kreis von jungen Menschen bei, die sich, ähnlich wie er, durch ein Leben der Askese und der geistlichen Lesung vervollkommnen wollten. Wenn sich dieser Kreis auch nach einigen Jahren durch einen "plötzlichen Sturm" auflöste, so blieben einige seiner Mitglieder doch für immer mit unserem Heiligen in herzlicher Freundschaft verbunden. Im Jahre 373 verließ Hieronymus Italien, und nachdem er sich in seiner Heimat von seinen Verwandten verabschiedet hatte, machte er sich auf den Weg nach Jerusalem, "um ein Gott geweihtes Leben zu führen." Bevor er aber sein Ziel erreichen konnte, warf ihn in Antiochia eine schwere Krankheit nieder und brachte ihn an den Rand des Todes. Schlimmer noch als diese körperliche Krankheit war die seelische Krise, die mit ihr einherging. Durch ein furchtbares Traumgesicht erkannte Hieronymus mit einem Male, daß er bis dahin noch immer mehr in der Welt der antiken Literatur als in der des göttlichen Wortes gelebt hatte: "Plötzlich fühlte ich mich im Geist vor den Richterstuhl geschleppt. Dort umstrahlte mich soviel Licht und von der Schar der den Richterstuhl Umstehenden ging ein solcher Glanz aus, daß ich zu Boden fiel und nicht aufzublicken wagte. Nach meinem Stande befragt, gab ich zur Antwort, ich sei Christ. Der auf dem Richterstuhl saß, sprach zu mir: "Du lügst, du bist ein Ciceronianer, aber kein Christ. Wo nämlich dein Schatz ist, da ist auch dein Herz!" Darauf verstummte ich. Er aber gab den Befehl, mich zu schlagen. Mehr noch als die Schläge peinigten mich die Gewissensqualen. ... Ich fing an zu schreien und zu heulen: "Erbarme dich meiner, o Herr, erbarme dich meiner!"
Die Wirkung dieses Traumes auf Hieronymus war so vollständig, daß er später von sich sagen konnte: "Und nachher habe ich mich mit einem solchen Eifer den göttlichen Schriften zugewandt, wie ich ihn bei der Beschäftigung mit den profanen nie gekannt habe."
Gewiß hatte Hieronymus, der nun schon im 4. Jahrzehnt seines Lebens stand, lange gebraucht, um sich endgültig zum Christentum zu entscheiden, aber nun, da die Entscheidung gefallen war, richtete er sein Handeln mit umso größerer Entschlossenheit und Konsequenz danach aus. Von Antiochia aus zog er in die Wüste Chalcis an der Ostgrenze Syriens, um dort, in der harten Schule des Einsiedlerlebens sein Fleisch mit allen seinen Begierden und Schwächen vollkommen dem Geist untertan zu machen. Trotz seines Fastens, Betens und der harten körperlichen und geistigen Arbeit, der er sich unterzog, blieben ihm schwere Versuchungen nicht erspart: "Als ich in der Wüste weilte, da schweiften meine Gedanken oft hin zu den Vergnügungsstätten Roms. Die Wangen bleich vom Fasten, aber im kalten Körper flammte der Geist auf in der Glut der Begierden. ... Ich erinnere mich noch sehr gut, wie ich oft Tag und Nacht ohne Unterbrechung schreiend zubrachte, daß ich nicht eher aufhörte, meine Brust zu schlagen, bis der Herr mich schalt und meine innere Ruhe zurückkehrte." Die Prüfungen, denen er unterworfen wurde, konnten Hieronymus nicht bezwingen, wußte er doch, daß, je schwerer sie waren, ein umso größerer Sieg und umso herrlichere Tröstungen seiner warteten: "Und nachdem ich viel geweint und die Augen gen Himmel gerichtet hatte, glaubte ich mich bisweilen unter die Heerscharen der Engel versetzt."
Nach vier Jahren verließ Hieronymus die Wüsteneinsamkeit: Kleinliches Gezänk der in seiner Nachbarschaft wohnenden Mönche, aber wohl auch das Bewußtsein, zu anderen, größeren Aufgaben berufen zu sein, ließen ihn in die Welt zurückkehren. Er wandte sich zunächst wieder nach Antiochia, wo er seine Studien vertiefte und vor allem die Schriften der griechischen Väter kennenzulernen suchte. 380 ging er in die Reichshauptstadt Konstantinopel und wurde dort Schüler und Freund des hl. Gregor von Nazianz, der damals das Patriarchenamt der Hauptstadt bekleidete. Mehr und mehr hatte er sich in diesen Jahren auch in die äußeren Angelegenheiten der Kirche eingeschaltet. Nachdem er in der Frage des antiochenischen Schismas den römischen Bischof mehrmals brieflich um eine Entscheidung angegangen hatte, wurde dieser schließlich auf den gelehrten Mönche aufmerksam und berief ihn 382 zu einer Synode nach Rom. So kehrte Hieronymus als Berater des Papstes in die Stadt zurück, die er als Student verlassen hatte.
Seine Stellung beim Papst Damasus war bald so stark, daß nicht wenige ihn für den aussichtsreichsten Anwärter auf dessen Nachfolge hielten. Jedoch tat er selbst nichts, um sich die Gunst des römischen Klerus und Volks zu sichern. Er erfüllte seine Pflichten beim Papst, ging weiter seinen gelehrten Studien nach und übernahm außerdem die geistliche Leitung eines Zirkels vornehmer römischer Frauen, die in den Idealen der Keuschheit und der Nächstenliebe leben wollten. Es dauerte nicht lange, bis diese Tätigkeit das Ziel gehässiger Verleumdungen von seiten solcher Kleriker und Laien wurde, die es weder mit der Keuschheit noch mit ihren sonstigen Pflichten besonders ernst nahmen und denen daher die Lebensweise des Hieronymus und seiner Schülerinnen ein dauernder Vorwurf sein mußte. Hieronymus seinerseits scheute sich nicht, seinen Gegnern ihre Schwächen unbarmherzig vor Augen zu führen: "Weil wir keine seidenen Kleider tragen, nennt man uns Mönche. Weil wir nicht trunken sind und ausgelassen im Lachen betitelt man uns als Enthaltsame und Mucker. Weil unsere Kleidung nicht vornehm ist, wendet man auf uns das Wort von der Straße an: "Er ist ein Betrüger und Grieche!" Mögen sie ruhig noch schlimmere Spottreden führen, mögen die Dickwänste und vollgepfropften Schmerbäuche gegen uns hetzen!"
Solange Papst Damasus sein schützende Hand über Hieronymus hielt, konnte der Haß der Massen ihm nichts anhaben. Als dieser Papst jedoch 385 starb, und sein Nachfolger Siricius ihn nicht in ähnlicher Weise begünstigte, blieb ihm nichts anderes übrig, als aus Rom zu fliehen. Ohne Bedauern, aber auch ohne Groll verließ er Italien und die Stadt der Apostel für immer: "Ich danke Dir, mein Gott, daß ich den Haß der Welt verdient habe. Man hat verleumderische und falsche Anklagen wider mich erheben können, aber ich weiß, daß man durch bösen und durch guten Ruf ins Himmelreich eingeht." Nachdem er "Babylon und der Herrschaft Nabuchodonosors" glücklich entronnen war, fuhr er zum zweiten Mal dem Orient entgegen. Diesmal ging sein langgehegter Wunsch endlich in Erfüllung: Er konnte Jerusalem und das ganze Hl. Land besuchen. Nachdem er auf einem Abstecher noch Alexandria und das Mönchstum der ägyptischen Wüste kennengelernt hatte, ließ Hieronymus sich 386 endgültig in Jerusalem nieder. Während er dort ein Männerkloster gründete und leitete, errichteten die Frauen, die ihm aus Rom nachgereist waren ebenfalls mehrere Klöster, um sich so weiterhin seiner geistlichen Leitung unterstellen zu können.
Sicher hätte Hieronymus sich neben seiner Tätigkeit als Seelenführer am liebsten nur noch dem Gebet und seiner Gelehrtenarbeit gewidmet. Doch selbst In der Stille von Bethlehem blieb er nicht verschont von den Streitigkeiten und Drangsalen der Kirche. Je mehr sein Ansehen als Mensch, als Gelehrter, als Verteidiger der Orthodoxie in der ganzen Welt stieg, desto öfter wurde er um Rat angegangen, er mußte Mahn- und Trostbriefe schreiben, Irrlehren widerlegen und den wahren Glauben verteidigen und begründen. So blieb ihm für seine eigentliche Arbeit, die ihm zur Lebensaufgabe wurde, nämlich die Revision, Neuübersetzung, Auslegung der Hl. Schrift, oft nur die Nacht: "Mir bleiben die wenigen abgesparten und gestohlenen Stunden der Nächte, die mit dem Einbruch des Winters länger zu werden beginnen. So versuche ich denn, beim flackernden Schein meiner Lampe, diese Seiten zu diktieren und durch die Auslegung der Schrift die Traurigkeit meiner verstörten Seele zu vertreiben."
34 Jahre lang hat der Heilige in Bethlehem, in seiner Grotte nahe der Geburtsgrotte des Erlösers, dieses Leben der rastlosen Arbeit und des immerwährenden Kampfes geführt. Am 30. September 420 ging seine Seele ein in die ewige Ruhe. Wie ein Vermächtnis klingen die Worte, die er kurz vor seinem Tode an Papst Innozenz I. schrieb: "Mögen die Häretiker spüren, daß Du der Feind der Treulosigkeit bist! Mögen sie Dich hassen! Die Katholiken werden Dich darum umso mehr lieben. Führe die Maßnahmen Deiner Vorgänger mit aller Entschiedenheit durch! Dulde auf keinen Fall, daß Männer, die Häretiker begünstigen und mit ihnen halten, Träger des bischöflichen Amtes bleiben!"
Aus diesen Worten können wir deutlich einen Grundzug von Hieronymus Charakter heraushören: den der Kampfbereitschaft. Niemals hat dieser wahre Streiter für das Wort Gottes den Kampf gescheut, sondern sich mit einer wahren Begeisterung in ihn hineingestürzt : "Ich will ganz offen reden. Mögt ihr die Nase rümpfen, euch die Haare raufen, mit dem Fuße stampfen, nach den Steinen der Juden rufen: Ich werde mit lauter Stimme den Glauben der Kirche verkünden." Wer den wahren Glauben angriff, der konnte seiner unerbittlichen Gegnerschaft sicher sein. "Ich habe niemals die Irrlehrer geschont, und es war mir ein Herzensbedürfnis, die Feinde der Kirche möchten auch meine Feinde werden", bekennt er in der Einleitung einer gegen einen Irrlehrer gerichteten Schrift. Hieronymus war sich vollkommen darüber im klaren, daß es einerseits wirkliche Eintracht nur im gemeinsamen Bekenntnis des wahren Glaubens geben kann, zum anderen daß der, der nicht sammelt, zerstreut. "Wenn wir das Schlimme nicht hassen, können wir das Gute nicht lieben." Dieser Leitspruch des Heiligen zeigt uns, daß er nicht kämpfte um des Kampfes willen, sondern nur um den Frieden zu erlangen, jenen Frieden, den die Welt nicht geben kann. "Friede! Wer wünscht ihm mehr als wir! Aber wir wollen einen wirklichen Frieden, der nicht nur die Bemäntelung des Krieges ist; einen Frieden, der sich auf Gerechtigkeit gründet." In der Einsicht der Alleingültigkeit des einen, heiligen, katholischen und apostolischen Glaubens und in der Hoffnung auf einen künftigen Frieden Gottes hatte er die Kraft, alle Halbheiten gegen sich und seine Mitmenschen von sich zu werfen und mit heiliger Begeisterung den Kampf das Lebens zu bestehen: "Welcher Heilige wurde ohne Kampf gekrönt? Ist es nicht besser, kurze Zeit zu kämpfen sich im Graben aufzuhalten, die Waffen zu tragen, unter dem Gewicht des Panzers zu ermüden, um dann als Sieger zu triumphieren, statt in ewige Knechtschaft zu geraten, weil man sich nicht der Last einer Stunde unterziehen wollte?"
Wenn man das Lebenswerk des Kirchenvaters Hieronymus betrachtet, so werden seine großen Verdienste um die Abwehr des Pelagianismus und Origenesmus, sein Einsatz für die Ideale des jungfräulichen und mönchischen Lebens und seine Bemühungen um die Erklärung der Hl. Schrift bei weitem überstrahlt von seinem Hauptwerk: der Vulgata. Voraussetzung für dieses großartige Werk der Revision, Vereinheitlichung bzw. Neuübersetzung der Hl. Schrift aus dem Hebräischen ins Lateinische war neben der außergewöhnlichen Sprachenkenntnis ein tiefes Eindringen in Buchstaben und Geist der Bibel. Der hl. Hieronymus hat sich in jahrelangem Bemühen hineingelebt, seine Ehrfurcht vor ihm war so groß, daß ihm "in ihr selbst die Anordnung der Worte ein Mysterium" war. Mit dieser Einstellung war es ihm möglich, dem Wort Gottes statt dem "Lumpengewand" seiner bisherigen Übersetzungen ein Kleid zu schaffen, das es in seiner ursprünglichen Schönheit sichtbar machte und darüber hinaus der lateinischen Kirche die Möglichkeit zu geben, es endlich "mit einer Stimme" in ihrer Sprache zu verkünden zu können. -
Hieronymus und uns ist es gemeinsam, an einem gewaltigen Umbruch der Zeiten, am Wendepunkt der Geschichte zu stehen. Während der heilige Kirchenlehrer durch den Untergang des alten Rom erschüttert wurde, erleben wir in unseren Tagen den nicht weniger erschütternden Untergang des neuen Rom, der geistlichen Herrschaft der Kirche über einen großen Teil der Menschheit, und wir hätten wahrhaftig Grund wie er zu dem klagenden Ausruf: "Schrecklich! Die Welt bricht zusammen, aber nicht die Sünde in uns." Daher kann uns die Haltung des hl. Hieronymus seiner Zeit gegenüber ein vollkommenen und beherzigenswertes Vorbild auch für unsere Zeit sein. "Wie auf einem Wachtturm festgebannt betrachte ich, nicht ohne schmerzliches Seufzen, die Stürme und Schiffbrüche dieser Welt. Aber nicht auf das Gegenwärtige richte ich meinen Sinn, sondern auf das Zukünftige, und nicht das Urteil der Menschen und deren Gerede fürchte ich, sondern das Gericht Gottes."
Literatur: Bibliothek der Kirchenväter, Reibe I, Bd. 15 (Kempten 1914); Reihe II, Bd. XVI u. XVIII (München 1936/37). F. Cavallera, St. Jérôme, sa vie et son oeuvre (Löwen, Paris 1922),
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