DER HEILIGE ULRICH - ZUM FEST AM 4. JULI
von Heinrich Storm
Der hl. Ulrich entstammt dem vornehmen alemannischen Geschlecht der Hunfridinger, von dessen Mitgliedern im 10. Jahrhundert mehrere die Herzogswürde in Schwaben innehatten. 'Oudalrich', wie sein Name eigentlich lautet, bedeutet 'reich an väterlichem Erbe', und so trifft der Name auf unseren Heiligen sowohl im natürlichen wie auch im übernatürlichen Sinne zu. Reich war Ulrich nicht nur durch das Erbe des großen Namens, der Güter und des Ansehens seiner Familie, sondern er war auch, wie schon sein erster Biograph Gerhard schrieb, "bereichert durch die Erbschaft des Ewigen Vaters". Indem er dieses himmlische Erbe nicht nur in seiner ganzen Reinheit bewahrt, sondern darüber hinaus mit allen seinen Kräften gefördert und vermehrt hat, ist er zu dem geworden, als den wir ihn heute verehren: zu einem der großen Heiligen der Kirche in Deutschland. -
Im Jahre 890 kam Ulrich auf der Burg Wittislingen bei Dillingen an der Donau zur Welt. Wie für viele Edelknaben seiner Zeit, so hieß es auch für ihn schon sehr früh, Abschied vom Elternhaus zu nehmen: Er wurde auf die berühmte Schule des Benediktinerklosters zu St. Gallen geschickt, um dort eine für die Verhältnisse der damaligen Zeit sehr gute und gründliche Ausbildung zu erhalten. Die Brüder, die bald die ungewöhnlichen Anlagen Ulrichs sowie seine hervorragende Frömmigkeit bemerkten, versuchten, ihn zum Eintritt in ihre Gemeinschaft zu bestimmen, er aber entschied sich, wohl auf die Weissagung einer frommen Klausnerin hin, zur Rückkehr in die Heimat. Jedoch blieb der benediktinische Geist, den er in St. Gallen kennengelernt und in sich aufgenommen hatte, sein ganzes weiteres Leben hindurch in ihm lebendig.
Ulrich begab sich nun nach Augsburg in die Dienste des Bischofs Adalbero, der damals unter der Regierung Ludwigs des Kindes als Mitregent einen bedeutenden Einfluß auf die Geschicke des Ostfränkischen Reiches ausübte. Nach dessen Tode kehrte er, da inswischen auch sein Vater verstorben war, zu seiner Mutter auf deren Güter zurück und verwaltete diese 13 Jahre lang. Im Jahre 923 schließlich, als Bischof Hiltine, der Nachfolger Adalberos auf dem Augsburger Bischofsstuhl, gestorben war, wurde Ulrich König Heinrich I. als dessen Nachfolger vorgeschlagen. "Der König aber", wie uns wiederum der Chronist Gerhard berichtet, "der sein stattliches Äußeres betrachtete und von seiner großen Gelehrsamkeit hörte, verpflichtete ihn nach Königsart und beehrte ihn durch die Übertragung des bischöflichen Amtes." 50 Jahre lang sollte Ulrich nun die Geschicke des Bistums Augsburg als Bischof leiten.
In diesen für die Geschichte des deutschen Reiches so wichtigen Jahren von 923 bis 973 nahm er aber als Reichefürst - denn die geistliche und die weltliche Macht waren damals noch nicht streng voneinander getrennt - auch einen bedeutenden Anteil an der Geschichte des ganzen Reiches. Mit Kaiser Otto dem Großen - dem ersten eigentlich deutschen Kaiser - verband ihn eine herzliche Freundschaft, und wie der Name des großen Herrschers, so ist auch der seinige unlösbar verknüpft mit der Abwehr der Ungarn von Mitteleuropa, die in der Schlacht auf dem Lechfeld vor Augsburg im Jahre 955 ihren Höhepunkt und siegreichen Abschluß fand. Im Innern des Reiches bemühte sich Ulrich um Eintracht unter den Stammesfürsten und erfüllte treu, auch unter Opfern, die Pflichten, die er seinem obersten weltlichen Herrn, dem Kaiser, schuldete. So müssen wir ihn, neben seiner Bedeutung innerhalb der Kirche, auch unter die Menschen rechnen, die sich um das deutsche Volk und darüber hinaus um das ganze christliche Imperium wahrhaft verdient gemacht haben. -
So sehr sich Ulrich aber bemühte, seinen weltlichen Pflichten als Reichsfürst nachzukommen, da er darin auch eine ihm von Gott übertragene Aufgabe sah, so blieb er sich doch bewußt, daß sein eigentliches Aufgabengebiet ihn seiner Stadt und seiner Diözese verpflichtete. Wo es möglich war, versuchte er, die Angelegenheiten des Reiches auf andere zu übertragen, "zu dem Zwecke, damit er dem Dienste Gottes, der Aufsicht über die ihm anvertraute Gemeinde und der Sorge für das Beste der Kirche wie auch dem Gebete und Almosengeben so, wie es sein Herzenswunsch war, obliegen konnte". Als weltlicher Herr seiner Stadt und ihrer Umgebung zeichnete er sich durch Gerechtigkeit und eine überströmende Barmherzigkeit für alle Schwachen, Armen und Notleidenden aus. Er schützte ihre Einwohner in kluger Vorausschau, indem er ihre Mauern und die gesamte Befestigung verstärken ließ. Als die Ungarn 955 Augsburg belagerten, setzte er sein Leben für die Verteidigung der Stadt und ihrer Bewohner ein: Bei einem Ausfall der Verteidiger aus der Stadt ritt der Bischof mitten unter ihnen, völlig ungepanzert, mit dem priesterlichen Gewand und der Stola angetan, als einzige Waffe ein kostbares Reliquienkreuz in der hocherhobenen Faust.
Weitaus mehr noch als der weltliche Herrscher und Schützer der ihm anvertrauten Menschen war Ulrich aber ihr geistlicher Vater, in Wort und Werk ein unermüdlicher Arbeiter im Weinberg des Herrn. Als er sein Bischofsamt antrat, stand es durchaus nicht zum Besten um die seelsorgliche Situation seiner Diözese: Viele Kirchen waren durch die dauernden Ungarneinfälle zerstört worden, Ortschaften und Klöster lagen zum Teil öde und verlassen. Im Klerus herrschten Zuchtlosigkeit und mangelnder Eifer, die Bevölkerung aber, vor allem auf dem Lande, beobachtete vielfach noch die heidnischen Bräuche. Gegen alle diese Übel ging Bischof Ulrich entschlossen, streng oder mild, immer aber gerecht, vor: Die zerstörten Gotteshäuser ließ er, so gut und schnell es ging, wiederaufrichten, darüber hinaus aber auch völlig neue erbauen. Er achtete streng darauf, daß die Priester ihren geistlichen Pflichten nachkamen und vor allem nicht dadurch Ärgernis gaben, daß sie das Gebot des ehelosen Lebens verletzten. Auch in die Angelegenheiten der Klöster griff er häufig ein, wenn es im Interesse der Erneuerung wahren christlichen Geistes nötig war. So faßt seine erste Lebensbeschreibung seine Tätigkeit als Bischof sehr zutreffend zusammen, wenn sie schreibt: "Mit solchen und ähnlichen Arbeiten fortwährend zur Ehre Gottes beschäftigt, bemühte er sich, das ihm anvertraute Bistum mehr und mehr zu Ehren zu bringen, und den Dienst Gottes und der hl. Gottesmutter Maria zu vermehren, und wurde daher in allem durch die Gnade unterstützt."
Stärker aber als durch alle diese äußeren Werke wirkte Ulrich durch sein eigenes, heiligmäßiges Vorbild. In seiner Lebensführung war er von einer fast mönchischen Strenge gegen sich selbst. Er aß nur sehr selten Fleisch, hielt die Fastenzeit äußerst streng ein und verrichtete, soweit es ihm seine Amtsgeschäfte erlaubten, die den Mönchen vorgeschriebenen Tagzeitengebete. Zur Matutin, dem Gebet um Mitternacht, erhob er sich regelmäßig. Täglich las er mindestens eine, meist aber mehrere hl. Messen und hielt darüber hinaus noch eine Reibe von Andachten, davon täglich eine zu Ehren der Muttergottes. Befand er sich auf einer Visitationsreise, so verbrachte er die Stunden der Fahrt mit Psalmengesang und geistlichen Lesungen, "indem er es für unzweifelhaft hielt, daß je mehr er sich menschlicher Unterhaltung entzöge, umso näher dem Göttlichen sein würde." Bei alledem war er aber durchaus keine finstere Asketennatur, sondern besaß die Gottesgabe einer lichten, klaren, wahrhaft christlichen Fröhlichkeit. Die Gastfreundschaft war ihm zum Beispiel ein solches Herzensanliegen, daß er seine Gäste "mit Freudenbezeugungen" empfing, unterhielt und bewirtete. Über die kleinen und großen Widrigkeiten des Alltags ging er oft mit einem Scherzwort hinweg. Den Höhepunkt der geistlichen Freude bedeutete es für ihn, das hl. Meßopfer feiern zu dürfen, und so suchte er die Liturgie, wann immer es angängig war, besonders aber an den hohen Feiertagen, zu einem wahren Fest an Pracht und Feierlichkeit zu gestalten. Neben dieser Heiterkeit war seinem Wesen eine innige Frömmigkeit eigen: Wenn er auf der Kanzel stand, dann war er wirklich eins mit dem Gotteswort, das er verkündete. Es kam vor, daß er bei einer Predigt über das Leiden des Herrn selbst so ergriffen wurde, daß er zu weinen begann und dadurch auch seine Zuhörer zu Tränen rührte.
Der hl. Ulrich besaß ein wunderbar schlichtes, kindliches Gottvertrauen, in keiner Not zweifelte er an der Hilfe des Herrn. Der Chronist Gerhard erzählt uns dazu die folgende Begebenheit: Auf einer seiner Romreisen kam Ulrich an einen stark angeschwollenen Fluß, und niemand aus seinem Gefolge wußte Rat, wie man ihn überqueren sollte. "Der hl. Ulrich aber ließ sich, auf Gott vertrauend, die Meßkleider anlegen und feierte mit seinen Begleitern das hl. Opfer am, Ufer des Flusses; und nach Beendigung desselben überschritt er ihn mit solcher Leichtigkeit, daß keinem seiner Gefährten irgend etwas Widriges zustieß und alle wohl und unverletzt, Gott lobend und dankend, ihres Weges fröhlich weiterzogen." Das gleiche Gottvertrauen spiegelt sich auch in einem Ereignis am Lebensende des Bischofs: In seinem letzten Lebensjahr war er so hinfällig geworden, daß er nicht mehr stehen und daher auch die hl. Messe nicht mehr zelebrieren konnte. Am 24. Juni 973 aber, dem Geburtsfest des Täufers, erhob er sich noch einmal von seinem Lager und feierte aufrecht stehend in der von ihm selbst erbauten, Johannes dem Täufer geweihten Kirche eine stille Messe und anschließend das Hochamt. Dem aufs höchste erstaunten Klerus erklärte er anschließend: "Den Gottesdienst, welchen ich soeben mit der Hilfe Gottes gehalten habe, habe ich nicht im Vertrauen auf meine Kräfte, sondern auf seinen Befehl verrichtet..."
Nach diesem letzten Aufflackern seiner Kräfte erwartete der greise Bischof in großer Zuversicht den Tod. Nachdem er seine Verwandten und Freunde, an denen er im Leben mit unerschütterlicher Treue und Zuneigung gehangen hatte, noch einmal gesehen hatte, "befahl er, während die Geistlichkeit die Litanei sang, seine Seele Gott und ging gleichsam in sanftem Schlummer, von den Banden des Leibes befreit, in seligem Tod zur ewigen Ruhe ein, im Jahre der Fleischwerdung unseres Herrn Jesu Christi 973, im 83. seines Alters, im 50. seiner Ordination, am 4. Juli, dem 4. Tage vor den Nonen desselben Monats, an einem Freitage." Am 7. Juli wurde Ulrich von Wolfgang, dem hl. Bischof von Regensburg, beerdigt.
Schon während seiner letzten Lebensjahre stand Ulrich im Rufe der Heiligkeit und der Wundertätigkeit. Der Chronist Gerhard, der als Propst lange Jahre dem Heiligen sehr nahegestanden hat, bekräftigt seine Wunderberichte ausdrücklich mit der Versicherung: "Dieses alles aber habe ich nicht vom Hörensagen, sondern in vielen Fällen mit eigenen Augen gesehen." Auch nach Ulrichs Tod trugen sich an seinem Grabe, das allmählich zu einer Wallfahrtsstätte wurde, zahlreiche Wunder zu. Die Chronisten der Zeit sind voll überschwenglichen Lobes über den heiligen Bischof. "Gemma sacerdotum" (Perle der Priesterschaft) nennt ihn Thietmar, und Othloh vom Kloster St. Emmeran schreibt, daß über die ganze christliche Welt "der holde Duft seiner Heiligkeit verbreitet ist". Keine 20 Jahre nach seinem Tod, am 6. Februar 993, wurde Ulrich, als erster Heiliger überhaupt, durch einen feierlichen Akt des Papstes heilig gesprochen, "unter dem Beifall aller Kirchen und mit Zustimmung des Apostolischen Stuhles, damit das Andenken des ehrwürdigen Bischofs Ulrich in der Kirche Gottes ständig gefeiert und dadurch das Lob des Höchsten immer mehr gefördert werde." (Aus der Kanonisationsbulle)
1000 Jahre worden es im nächsten Jahr, seit der hl. Ulrich aus diesem Leben gegangen ist, 1000 Jahre, innerhalb derer sein Volk, das einmal ein christliches Imperium getragen hat, zum großen Teil vom Glauben abgefallen ist. Umso klarer leuchtet die Gestalt des hl. Bischofs, dessen hoher Geburts- von seinem Seelenadel weit überragt wurde, in unsere dunkle Zeit hinein, und umso mehr Veranlassung haben wird den allzeit furchtlosen Kämpfer gegen den Unglauben und seine Sendboten um seine Fürsprache zu bitten, auf daß er vom Himmel her für uns weiterstreite.
Lit.-angabe: Gerhard, Vita Udalrici, M.G.ss. IV, S. 381 ff, Übersetzung durch G. Grandaur in : Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit, 10. Jahrh., Suppl.-Bd. (Leipzig 1891) Peter Dörfler, St. Ulrich (Augsburg 1955)
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