DIE VERLETZUNGEN DES KIRCHENLICHEN RECHTS DURCH DAS SOG. ZWEITE VATIKANISCHE KONZIL
von H.H. Walter W.E. Dettmann
Besonders in solchen Büchern, die von dem progressistischen Herder-Verlag herausgegeben werden, kann man immer wieder lesen, Johannes XXIII. habe am 25. Januar 1959 im Kloster St. Paul vor den Mauern in Rom zugleich mit dem Konzil auch eine "Reform" des kirchlichen Gesetzbuches angekündigt.
Im Geistlichen Tagebuch Johannes, XXIII. ist sogar aufgezeichnet, daß er bereits fünf Tage vorher, nämlich am 20. Januar 1959, im Gespräch mit dem Kardinalstaatssekretär Tardini die "Neufassung" des kirchlichen Gesetzbuches erwähnt habe ("Johannes XXIII. Geistliches Tagebuch", Herder 1966/69, S. 350).
Ein einigermaßen gut unterrichteter Katholik weiß jedoch, daß das kirchliche Gesetzbuch nach seiner Neuausgabe durch Papst Benedikt XV. im Jahre 1917 keiner "Reform" bedurfte. Papst Benedikt XV. hatte im Jahre 1917 in der "Constitutio Apostolica" zur Einführung des neuen kirchlichen Gesetzbuches über seinen Vorgänger Papst Pius X. folgendes geschrieben: "Er richtete an alle Erzbischöfe des katholischen Erdkreises eine Weisung, sie sollten die ihnen untergebenen Bischöfe anhören und sobald wie möglich dem Hl. Stuhl mitteilen, was an dem damals geltenden kirchlichen Recht nach ihrer Meinung einer Verbesserung bedürfe... Er wandte sich zuletzt nochmals an die Klugheit und Autorität aller Ehrwürdigen Brüder im Bischofsamt sowie an alle Generalobern der religiösen Orden, die zu einem allgemeinen Konzil eingeladen zu werden pflegen, und schickte jedem einzelnen von ihnen einen vollständigen Entwurf des neuen Gesetzbuches, damit jeder einzelne frei seine Bemerkungen zu den vorgesehenen Bestimmungen machen sollte..." - "Uns hingegen" (damit meinte Papst Benedikt XV. sich selbst) fiel es zu, die von allen Seiten gesammelten Ansichten der mit Uns lehrenden Kirche mit gebührender Ehrerbietung in Empfang zu nehmen..."
Das kirchliche Gesetzbuch des Jahres 1917 war somit in engster Zusammenarbeit mit allen katholischen Bischöfen der ganzen Erde zustandegekommen. Und wenige Jahre danach sollte dieses Riesenwerk bereits wieder "reformbedürftig" sein? Man muß sich vor Augen halten, daß vorher sechs Jahrhunderte lang - seit dem Jahre 1317 - keine einzige Gesamtausgabe des kirchlichen Rechtes veranstaltet worden war!
Eine Erleichterung des Nüchternheitsgebotes vor der hl. Kommunion und die Erlaubnis für "Abendmessen" für solche Gläubige, die jeweils sehr früh zur Arbeitsstätte gehen müssen, kann man noch lange nicht als "Reform" des kirchlichen Gesetzbuches bezeichnen.
Johannes XXIII. hatte somit etwas Unmögliches angekündigt. Dementsprechend sagte auch der "Osservatore Romano", als er am 26./27. Jan. 1959 über das Ereignis im Kloster St. Paul vor den Mauern berichtete, kein Wort von einer "Reform" des kirchlichen Gesetzbuches, sondern er erwähnte nur die Konzilsankündigung. Gerade das Konzil aber war dazu bestimmt, der Zerstörung des kanonischen Gesetzbuches Tor und zu öffnen.
Wenn man heute sieht, was aus der sog. Reform des kirchlichen Gesetzbuches geworden ist, muß man sagen, daß Johannes XIII. nicht nur einen Schildbürgerstreich, sondern eine Katastrophe angekündigt hatte.
Statt der versprochenen Verbesserungen ist ein Chaos der Gesetzeslosigkeit über die Kirche hereingebrochen. So wie vor siebenhundert Jahren im alten Reiche vor der Regierung König Rudolfs von Habsburg jeder tat, was er wollte, ohne sich um die Gesetze und das Eigentum des Reiches zu kümmern, so und noch viel schlimmer ist es heute in der Kirche nach dem "Zweiten Vatikanischen Konzil". Vor 700 Jahren gab es lange Zeit keinen deutschen König. Heute herrscht auf kirchlichem Gebiet die Gesetzlosigkeit und das Faustrecht wie einst vor der Regierung König Rudolfs von Habsburg, bis dieser mit starker Hand durchgriff und dem Unfug der Raubritter ein Ende machte.
Heute kann fast jeder Lausejunge mit dem höchsten Eigentum der Kirche, nämlich mit dem hl. Altarssakrament oder mit dessen Nachäffung tun, was er will, weil die oberste Kirchenführung selbst über die wichtigsten Gesetze leichtfertig hinweggegangen ist.
Paul VI. und die Bischöfe bilden sich ein, ein Konzil, mit dem Papst, an der Spitze könne mit allen früheren kirchlichen Gesetzen tun, was es wolle.
Die heutige Kirchenführung kümmert sich nicht darum, ob das frühere Recht unabänderlich ist oder nicht, ob es zwingend ist oder nicht. Die heutige Kirchenführung, die von sehr untauglichen Professoren beraten ist, bildet sich sogar ein, im bisherigen kirchlichen Gesetzbuch seien Dinge enthalten, die gar nicht juristischer Natur seien, sondern eher in das Gebiet der Dogmatik oder Liturgie eingeordnet werden müßten.
Zu jenen Teilen des kirchlichen Gesetzbuches, denen die heutige Kirchenführung den juristischen Charakter abspricht, gehört auch der Kanon 801, der da lautet:
"In sanctissima Eucharistia sub specibus panis et vini ipsemet Christus Dominus continetur, offertur, sumitur." ("In der hl. Eucharistie ist unter den Gestalten des Brotes und Weines Christus der Herr selbst enthalten, wird geopfert und als Speise genossen.")
Es war von verhängnisvoller Tragweite, daß schon Professor Dr. Eduard Eichmann in München in seinem Lehrbuch des Kirchenrechts aus dem Jahre 1934 (!) nicht ein einziges Wort zur Erklärung dieses Kanons 801 aufgewendet hat. Andere Professoren haben es ebensowenig getan. Das im Jahre 1953 von Domkapitular Dr. Franz Vetter in Freiburg bei Herder herausgegebene Buch "Das Recht der katholischen Kirche" schließt den Kanon 801 ausdrücklich von der Erklärung und Besprechung aus. In dem Buch heißt es: "Aus den Bestimmungen des CIC (d. h. des kanonischen Rechts) werden hier nur die rechtlichen Charakters behandelt; bezüglich der liturgischen sei auf den CIC selbst verwiesen" (S. 155).
Diese sonderbare Bemerkung soll heißen: Der Kanon 801, ferner der Kanon 803, worin die Konzelebration verboten wird, außerdem der Kanon 818, worin die gewissenhafte Ausführung der Zeremonien beim hl. Meßofper vorgeschrieben wird, werden vom Domkapitular Dr. Franz Vetter gar nicht zum "kanonischen Recht" gezählt, sondern bloß zur Liturgie, und wenn jemand darüber etwas wissen will, soll er selber sehen, wie er mit dem Text im Gesetzbuch fertig wird.
Prälat Dr. Franz Vetter gehörte somit ebenso wie Professor Eichmann zu jenen, die meinen, im kirchlichen Gesetzbuch seien Dinge enthalten, die nicht dorthin gehören, und schon deshalb sei eine "Reform" des kanonischen Rechtes erforderlich.
Die Lehrer der Priesterkandidaten haben im Falle des Kanons 801 etc. die Hauptsache nicht gesehen oder wollten sie nicht sehen. Denn der Kanon 801 bezeugt nicht nur, daß bei der hl. Eucharistie das Opfer Christi niemals vom Sakrament getrennt werden kann, sondern dieser Kanon 801 bezeugt im kanonischen Recht vor allem, daß die römisch-katholische Kirche ihren Herrn Jesus Christus im heiligsten Altarssakrament als besonderen Gegenstand ihrer Gesetzgebung ansieht, nämlich als den Träger heiligster Rechte.
Die Kirche hat ihren Herrn nicht nur im allgemeinen, z. B. als den auferstandenen Sohn Gottes, zum Träger kirchlichen Rechtes erklärt, sondern sie hat mit Betonung das heiligste Altarssakrament als Träger kirchlichen Rechtes erklärt.
Aus dem Kanon 801 ergibt sich, daß die Kirche sich selbst als strengste Pflicht auferlegt, das heiligste Altarssakrament so zu behandeln, wie es Christus, unserem Herrn und Gott, gebührt. Diese Pflicht ist eine Pflicht der Gerechtigkeit, und darum ist dieser Kanon 801 ein Hauptbestandteil des kanonischen Rechtes.
Infolge und kraft dieses Kanons 801 empfangen alle Konzilsbestimmungen von Trient und alle früheren Konzilsbeschlüsse über das hl. Altarssakrament eine noch stärkere Verpflichtung, als sie ohnehin schon besitzen.
Hier an diesem Punkt liegt die ungeheure unverantwortliche Rechtsverletzung des sogenannten Zweiten Vatikanischen Konzils. (Nur vier einzelne Bischöfe gegenüber 2147 treulosen oder gedankenlosen "Kollegen" haben dieser Rechtsverletzung durch die Liturgiekonstituion bis zum Schluß widerstanden.)
Das sogenannte Zweite Vatikanische Konzil hat den unabänderlichen Kanon 801, ohne ihn direkt aufzuheben, dadurch zuschanden gemacht, daß es die Liturgie an das anbetungslose Tun jener Häretiker angeglichen hat, die das Altarssakrament als Träger heiligster Rechte entschieden ablehnen.
Die Hauptverantwortung für diese katastrophale Rechtsverletzung trägt Paul VI. Es nützt ihm nichts, wenn er seinen wöchentlichen Ansprachen im Radio Vatikan während der Fastenzeit immer nur von Buße und von "Erneuerung" redet. Er selbst hat zuerst Buße zu tun und seine ungeheuren Rechtsverletzungen gegenüber dem hl. Altarssakrament wieder gutzumachen.
Ein rechtmäßiger Papst hat dafür zu sorgen, daß dem hl. Altarssakrament gerade während der Feier der hl. Messe wieder jene Anbetung zuteil wird, die ihre nach dem sogenannten Zweiten Vatikanischen Konzil auf der ganzen Erde geraubt worden war.
Ein rechtmäßiger Papst hat dafür zu sorgen, daß der Tabernakel wieder unbeweglich in die Mitte des Altares gestellt wird, wie es die Vorschrift des kirchlichen Gesetzbuches ist (Kanon 1269).
Ein rechtmäßiger Papst hat dafür zu sorgen, daß die völlig verfehlte Liturgiekonstitution des sog. Zweiten Vatikanischen Konzils wieder aufgehoben und für ungültig erklärt wird. Denn sie besteht aus lauter Vorwürfen gegen das heilige Meßopfer, und sie mißachtet den Kanon 818, der die gewissenhafte Beobachtung der Zeremonien beim heiligen Meßopfer einschärft ("sacerdos celebrans accurate ac devote servet rubricas suorum ritualium librorum."- "Der zelebrierende Priester soll die Rubriken seiner Ritenbücher sorgfältig und ehrfürchtig beachten.").
Die gesamte Liturgiekonstituion ist eine geschlossene Kette von Vorwürfen gegen die bisherigen Zeremonien beim hl. Meßopfer: Sie tut so, als verhinderten die bisherigen Zeremonien die volle und tätige Teilnahme des ganzen Volkes am Opfer Christi (Artikel 14 und Art. 50).
Die Liturgiekonstitution tut so, als seien die bisher vorgeschriebenen Zeremonien im Widerspruch mit der liturgischen Wissenschaft (Art. 16 bis 19), deshalb müßten "Experimente" für neue Zeremonien gemacht werden (Art 44).
Das liturgische Dokument des "Zweiten Vatikanischen Konzils" behauptet, mindestens einige, wenn nicht viele der bisher vorgeschriebenen Zeremonien hätten sich "eingeschlichen" und entsprächen nicht "der inneren Wesensart der Liturgie" (Art. 21).
Gemäß der Liturgiekonstitution müßte man annehmen, die bisher vorgeschriebenen Zeremonien brächten das Heilige dem sie dienen, nicht deutlich genug zum Ausdruck (Art. 21).
Ferner sind gemäß der Liturgiekonstituion die bisherigen Zeremonien einem angeblich "berechtigten Fortschritt" im Wege (Art. 23).
In Art. 34 der Liturgiekonstitution wird den bisherigen Zeremonien beim hl. Meßopfer vorgeworfen, es mangle ihnen der "Glanz der edlen Einfachheit", sie seien zu wenig "Durchschaubar", sie seien nicht frei von "unnötigen Wiederholungen" und sie seien der "Fassungskraft der Gläubigen" nicht angepaßt.
Der Art. 51 behauptet, daß im bisherigen hl. Meßopfer der "Tisch des Gotteswortes" zu wenig reichhaltig gewesen sei.
Der Art. 53 tut so, als sei im bisherigen hl. Meßopfer zu wenig für Kirche und Staat gebetet worden.
Artikel 55 verlangt die Abschaffung des Kanon 352 des kirchlichen Gesetzbuches, wonach den Gläubigen die hl. Kommunion nur unter den Gestalten des Brotes gegeben werden darf. Die Art. 57 und 58 der Liturgiekonstitution mißachten offen das kirchengesetzliche Verbot der Konzelebration (Kanon 803). Die gesamte Liturgiekonstitution ist weiter nichts als eine mehr oder weniger getarnte Mißachtung und Verachtung alles dessen, was das Konzil von Trient zum Schutz des hl. Meßopfers und der übrigen Sakramente bestimmt hat. Ein rechtmäßiger Papst hat dafür zu sorgen, daß die Konsekrationsworte der hl. Messe wieder so ausgesprochen werden, wie sie die römisch-katholische Kirche seit ältester Zeit ausgesprochen hat. Die Änderung, die sich in der neuen Liturgie an den Konsekrationsworten vollzogen hat, ist für die meisten Laien gar nicht oder nur sehr schwer erkennbar: Wie wenige unter den Laien verstehen das, worauf bereits Kardinal Ottaviani als erster hingewiesen hat, nämlich daß die früheren Konsekrationsworte das Sakrament bewirkten, während die geänderten Worte in der neuen Liturgie sowohl beim Brot als auch beim Wein nur noch als rein erzählender Bericht gewertet werden können: Eine Kraft, die das Sakrament zustandekommen läßt, kommt ihnen auf keinen Fall mehr zu.
Jeder Geistliche, der das alte römische Meßbuch nicht mehr benützt, setzt sich zwangsläufig dem Verdacht aus, rein "erzählend" und damit ungültig zu zelebrieren.
Es ist eine Unwahrheit, wenn die modernen Geistlichen behaupten, der alte römische Meßkanon sei neben den drei anderen sogenannten Eucharistischen Hochgebeten unverändert erhalten geblieben. Das ist in mehrfacher Hinsicht nicht wahr, besonders deshalb, weil die Konsekrationsworte in einen rein erzählenden Bericht umgestaltet worden sind.
In den neuen Meßbüchern gibt es einfach keinen "Canon Romanus" mehr: Im Bereich der progressistischen Funktionäre des sog. Zweiten Vatikanischen Konzils ist die hl. Messe in ihrem eigentlichen Wesen völlig vernichtet.
So offenkundig die Rechtswidrigkeit dieser Änderung für jeden einigermaßen gewissenhaften Priester ist, so offenkundig rechtswidrig ist auch alles, was damit zusammenhängt, z. B.: wenn Paul VI. zur Einführung der neuen Meßordnung schrieb, er habe die Konsekrationsworte deshalb neu festgesetzt, um die "Konzelebration" zu erleichtern. Hier tut Paul VI. so, als sei die Konzelebration niemals verboten gewesen (vergl. Kanon 803).
Die Konzelebration mußte früher von der Kirche verboten werden, um das zu verhindern, was heute die Progressisten des sog. Zweiten Vatikanischen Konzils aufs neue anstreben, nämlich daß sich katholische und protestantische Geistliche zugleich um denselben Tisch herum versammeln und aufstellen.
Das Konzil von Trient und seine Beschlüsse haben bereits über 400 Jahre lang Geltung gehabt, und sie werden bis zum Ende der Zeiten Geltung haben. Die Beschlüsse des sog. Zweiten Vatikanischen Konzils dagegen sind in sich eine Mißgeburt.
Alle jene deutschen Soldaten, die nach den rauschenden Siegesmeldungen der ersten Kriegemonate in Rußland an den weiteren Vorstößen in das Landesinnere beteiligt waren, wurden mehr und mehr von einem Schrecken und von einem Grauen gepackt, nämlich von dem Schrecken über die endlose und unübersehbare Weite des fremden Landes das sie besetzen sollten.
Ein ähnlicher Schrecken und ein ähnliches Grauen überkommt einen heute, wenn man auf die unübersehbar weitreichenden Folgen blickt, die nach der so siegessicher angekündigten "Reform" des kirchlichen Gesetzbuches auftauchen.
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