Vom "Kampf der Kulturen" zum "Krieg der Ideen"
- George W. Bush auf den Spuren Samuel P. Huntingtons -
von
Werner Olles
Im Sommer 1993 veröffentlichte der Politikwissenschaftler und
Harvard-Professor Samuel P. Huntington in der einflußreichen
Zeitschrift "Foreign Affairs" einen Essay mit dem provozierenden Titel
"The Clash of Civilisations". Seine Hauptthese lautete kurz und bündig,
daß die Welt nach dem Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums und dem
damit verbundenen Ende des Kampfes der Ideologien nun einem Zeitalter
globaler Kulturkämpfe entgegengehe. Die Gewißheit dafür entnahm
Huntington einem kulturgeographischen, -biologischen und -zyklischen
Zivilisationsmodell, das Kultur und Zivilisation als weitgehend
identisch betrachtet, und das er in enger Anlehnung an Oswald Spenglers
organisches und kulturmorphologisches Geschichtsdenken für seine eigene
macht-begriffliche Kulturdefinition nutzbar machte. 1) Zwar prophezeite
Huntington noch nicht den "Untergang des Abendlandes", konstatierte
jedoch, daß mit der Auflösung traditioneller politischer Herrschaft,
der chaotischen multikulturellen Diversifikation und dem damit
zwangsläufig verbundenen Verfall der nationalen Einheit die politische
Stabilität eines Gemeinwesens nicht mehr gewährleistet sei. Huntington
wähnte, daß das "alte Europa" - ein Begriff, der kurioserweise zehn
Jahre später im Zusammenhang mit den politisch-diplomatischen
Vorbereitungen der USA zum Irak-Krieg erneut auftauchen sollte -, den
diversen ethnischen Interventionen nicht gewachsen sei und seines
Grundbestandes an okzidentalem Erbe verlustig ginge, um sich
schließlich in ein amorphes politiko-kulturelles Gebilde zu verwandeln.
Diese Einschätzung ist zunächst nur aus den Spezifika
nordamerikanischer Mentalitäten und dem US-internen Kampf der Kulturen
- Stichworte: Hispanisierung und demographischer Vorsprung des
afroamerikanischen Bevölkerungsteils - zu erklären. Huntington war auch
beileibe nicht der erste, der nach dem mit dem Kollaps des sowjetischen
Imperiums verbundenen Ende des Kalten Krieges auf die neuen
identitätspolitischen Grenz- und Kampflinien hinwies. Bereits drei
Jahre zuvor hatte Bernard Lewis in der Zeitschrift "The Atlantic
Monthly" mit seinem Aufsehen erregenden Artikel "The Roots of Muslim
Rage" die Thematik eines Kampfes der Weltkulturen angesprochen, aber
kaum Anklang und Beifall gefunden. Es blieb Huntington vorbehalten die
von seinem Schüler Francis Fukuyama imaginierte Verabschiedung des
Westens aus der Geschichte als Endzeit-Paradigma abendländischer
Theoriebildung und als die Große Illusion des 21. Jahrhunderts zu
entlarven.
Während Fukuyama 1992 in seinem Bestseller "Das Ende der Geschichte"
noch damit beschäftigt war die Vereinbarkeit von Konfuzianismus und
Demokratie nachzuweisen, traten zwei Jahre später mit Zbigniew Brzinski
und Henry Kissinger zwei weitere Geostrategen auf den Plan, die in
ihren Büchern "Macht und Moral. Neue Werte in der Weltpolitik" und "Die
Vernunft der Nationen. Über das Wesen der Außenpolitik" die Ausbreitung
des Islams nach Norden und der sinischen Macht in Südost- und
Zentralasien und das damit verbundene "Aufeinanderprallen der
Zivilisationen" an der imperialen Peripherie thematisierten. Wie
Huntington bezogen auch sie sich auf Arnold J. Toynbees bereits Ende
der vierziger Jahre ausgesprochene Warnung vor der Gefahr, die von
einem "äußeren Proletariat" ausgeht. Doch der Harvard-Professor glaubte
längst nicht mehr an die integrative Kraft einer alles überspannenden
Erfahrung des "american way of life" und eines aus der Ideologie des
Republikanismus entstandenen genuin amerikanischen Regulativs. Seine
Warnungen vor einer Wiederbelebung des Islam und der kommenden
Bedeutung des chinesischen Konfuzianismus als einem weit über den
eigentlichen chinesischen Kulturkreis hinausreichenden
Kulturnationalismus, die beide völlig neue, eigenständige Kulturtypen
hervorbringen und die untergehende europäische Hochkultur ablösen
werden, hält er - für Amerika und den gesamten Westen - für eine
Katastrophe. Wie Spengler, auf den er sich immer wieder beruft, sieht
Huntington die gesamteuropäische Kultur als einheitlichen Organismus -
trotz aller EU-Bemühungen - bereits im Abstreben begriffen und
bezweifelt sogar deren Fortbestehen als eine international organisierte
Zivilisation. Und genau wie der "kleine Metternich" Kissinger zieht er
daraus die Konsequenz, daß Amerika "zum dritten Mal in diesem
Jahrhundert eine neue Weltordnung schaffen (muß)". 2)
Huntingtons Reduktion der Krise des Westens, oder genauer gesagt: der
westlichen Art zu denken, zu leben und Politik zu betreiben, auf ein
simples Globalisierungs-Paradigma ist im Grunde ein von
Endzeitbewußtsein geprägtes schlichtes kulturpessimistisches
Stimmungsbild. Die nichtwestlichen Kulturen, vor allem die islamische,
scheinen durch "Kriegslust und Gewaltbereitschaft" genetisch codiert zu
sein: "Die Grenzen des Islam sind in der Tat blutig, und das Innere ist
es ebenfalls!" 3) Und ganz in diesem Sinne tönte es bereits 1996 unter
Clinton aus dem Weißen Haus: "Es gibt Augenblicke, in denen Amerika und
ausschließlich Amerika den Unterschied zwischen Krieg und Frieden
machen darf, zwischen Freiheit und Repression, zwischen Hoffnung und
Angst." 4) Schöner kann man die Quintessenz des hegemonialen Diskurses
aus Huntingtons "Kampf der Kulturen" wohl kaum definieren.
Mit der sogenannten "Sieben-Stadienlehre": "Vermischung, Reifung,
Expansion, Zeitalter des Kon-flikts, Weltreich, Niedergang, Invasion"
war er zudem im Besitz eines beeindruckenden Zivilisations-Paradigmas,
das Spenglers Kulturbiologie mit den urkulturellen Werten des
westlichen Willens zur Dominanz anreicherte: "Der Westen ist der
einzige Kulturkreis, der in jeder anderen Kultur oder Region
wesentliche Interessen wahrzunehmen hat und die Fähigkeit besitzt,
Politik, Wirtschaft und Sicherheit jeder anderen Kultur oder Region zu
beeinflussen."5 ) Diese Doktrin ist im strengen und objektiven Sinne des
Wortes imperialistisch. Das Problem ist nur, daß der Westen sich nach
seinem Sieg über den kommunistischen Ostblock zwar einerseits auf dem
Höhepunkt seiner Macht befindet, andererseits jedoch kulturell,
militärisch und moralisch bereits auf dem absteigenden Ast sitzt.
Huntington spricht vom "Verblassen des Westens", von einer "reifen
Kultur an der Schwelle zum Verfall" und meint damit primär dessen
nachlassende Verteidigungsbereitschaft und die kontinuierliche
Abwendung von Geopolitik und Geokultur.
Eng verbunden mit diesem Niedergang, der schon das Tor zum nächsten und
letzten Stadium, der Invasion, öffnet, ist natürlich die Vorstellung,
daß besonders Europa "weit offen (ist) für "barbarische Eindringlinge",
die aus anderen, jüngeren, kraftvolleren Kulturkreisen kommen." 6)
Huntingtons Vorstellung von Europa ist die eines schwindsüchtigen
Patienten, der von seiner Krankheit noch nichts ahnt, auch wenn sich
seine inneren Organe, die Metropolen und Regionen, aber auch die
Institutionen bereits teilweise zersetzt haben. Tatsächlich hat jedoch
gerade das viel traditionsärmere Amerika ohne größere Widerstände sein
europäisches Erbe zugunsten des mißglückten Versuchs einer Integration
raumfremder Einflüsse verraten und sich dem trügerischen Projekt einer
Schmelztiegel-Politik mit allen Merkmalen sozialer, kultureller und
moralischer Degeneration ausgeliefert. Wenn Huntington also Kulturen
als "die ultimativen menschlichen Stämme" beschreibt und den "Kampf der
Kulturen" als "Stammeskonflikt im Weltmaßstab", wird an dieser globalen
Biologisierung deutlich, daß es eigentlich um nichts anderes als
Machtpolitik geht. Aber selbst wenn man Huntingtons These folgt, daß
der Islam die Welt beherrschen will und die islamischen Staaten
korrumpiert sind, bleiben dabei einige klassische außenpolitische
konservative Einsichten in die vitale Nützlichkeit internationaler
völkerrechtlicher Regeln und Normen auf der Strecke.
Für Huntington ist "die Bevölkerungsexplosion in muslimischen
Gesellschaften und das riesige Reservoir an oft beschäftigungslosen
Männern zwischen 15 und 30... eine natürliche Quelle der Gewalt
innerhalb des Islam wie gegen Nichtmuslime." 7) Diese an sich richtige
Einschätzung unterschlägt jedoch die Geburt der westlichen Moderne aus
dem Geist des Progressismus und die philosophische Reflexion der sie
begleitenden politischen, kulturellen und sozialen Veränderungen, und
schneidet den Blick ab von den moralischen Wildwüchsen moderner
Zivilisation, an deren Ende unangefochten die USA und das amerikanische
Modell als "Führungsnation der westlichen Kultur" stehen, allein
deshalb, "weil sie das mächtigste Land des Westens sind." 8)
Huntingtons Dämonisierung der nichtwestlichen Weltkulturen läßt dann
zwangsläufig auch nur eine apokalyptische Prognose zu: "Weltweit
scheint die Zivilisation in vieler Hinsicht der Barbarei zu weichen,
und es entsteht die Vorstellung, daß über die Menschheit ein
beispielloses Phänomen hereinbrechen könnte: ein diesmal weltweites
finsteres Mittelalter." 9) Abgesehen davon, daß das Mittelalter so
finster gar nicht war, hat sich unter dem Dach der Pax Americana und in
der politisch-militärischen Organisationsstruktur der von den USA
beherrschten Nato längst ein klassischer Gesamtimperialismus formiert,
der auf der Verbreitung amerikanischer Ideen besteht und die "Werte"
des sogenannten "American Way of Life" - die in erster Linie aus
drittklassigem Tingeltangel und kultureller Prostitution bestehen -,
auch in die entlegensten Winkel der Welt exportieren will.
Real- und machtpolitisch noch weitaus bedeutender als Huntingtons
ökonomisch-kulturelle Strategieelemente ist jedoch der inzwischen
ausdrücklich erklärte Anspruch, die miltärische Vorherrschaft der USA
für alle Zeiten festzuschreiben. Dazu legte Präsident Bush Ende 2002
dem Kongreß ein Strategiepapier mit dem Titel "The National Security
Strategy of the United States" (NSS) vor. Weit mehr als sein Titel
verrät, definiert dieses Konzept die amerikanische Sicherheits- und
Außenpolitik auf fundamentale Weise neu. So enthält das Papier die
bereits zuvor verkündete Präventivschlag-Doktrin, die in Zukunft auf
feindliche Staaten und Terroristengruppen Anwendung finden wird, von
denen Gefahr ausgehen könnte Massenvernichtungswaffen herzustellen. Es
gilt ab sofort das Prinzip der "Counterproliferation" bis hin zur
gewaltsamen Entwaffnung unbotmäßiger Staaten. Die unilateralistische
Schlüsselidee Bushs ist dabei der unbedingte Wille, jede ausländische
Kraft daran zu hindern, mit der exclusiven militärischen Führungsrolle
der Vereinigten Staaten zu konkurrieren. Jeder potentielle Feind hat
mit Präventivschlägen zu rechnen, wenn er es wagt, die Macht der USA zu
übertrumpfen oder auch nur mit ihr gleichzuziehen.
Das Strategiepapier wird als die Summe der präsidialen Visionen
vorgestellt, die militärischen, ökonomischen und moralischen Ansprüche
der USA nun in einer Doktrin festzuschreiben, die dem Rest der Welt für
alle Zeiten sein machtpolitisches Wohlverhalten vorschreibt. Man
befürchtet nicht mehr länger den "Kampf der Kulturen", sondern sucht
ihn jetzt ausdrücklich: "Wir werden auch einen Krieg der Ideen führen,
um den Kampf gegen den internationalen Terrorismus zu gewinnen!" 10)
Selbst die New York Times kam nicht umhin, in dieser koperkianischen
Strategiewende ein sehr viel "muskulöseres und mitunter auch
aggressiveres Verständnis nationaler Sicherheitsbelange" zu erkennen,
als es je seit der Reagan-Ära formuliert worden wäre. 11) Ganz abgesehen
davon ist das Strategie-Papier eine Blütenlese humanitaristischen
Schwulstes und protestantisch-freimaurerischen Weltgesellschaftspathos,
vermischt mit stärkster Aggressivität gegen die sogenannte "Achse des
Bösen". Sein Hauptkennzeichen ist jedoch die Diskriminierung,
Kriminalisierung und Dämonisierung des Feindes zum Unmenschen, wobei
dieser - je nach Bedarf - auch ein Staat oder eine Nation sein kann.
Frei nach Leopold von Ranke sind Staaten und Nationen jedoch
"Gedankensplitter Gottes", was sich u.a. auch darin äußerte, daß z.B.
der "gerechte Krieg" zur Zeit des katholischen Europas grundsätzlich
mäßigende Wirkungen zeitigte, solange er innerhalb Europas geführt
wurde. Eine Kriminalisierung des Feindes war weder bei den
Kirchenvätern noch bei den Scholastikern intendiert.
Nach der Lesart dieser neuen expansiven Doktrin der NSS sind staatliche
Souveränität und Völkerrecht nun zu Lehngütern geworden. Für George
W.Bushs machtpolitische neue Weltordnung auf dem Boden amerikanisch
definierter Glückseligkeit ist fremde Souveränität nichts als Ballast,
den er mit einer kruden Mischung aus radikaler Militärpolitik, globaler
Verordnung von Demokratie, Freiheit und Menschenrechten, einer
Weltgenesungstherapie und einem pseudoreligiösen, protestantisierenden
Fundamentalismus abwirft. Tatsächlich hält sich gerade dieser Präsident
für besonders fromm, religiös, moralisch und "strenggläubig", doch der
angeblich feste Boden, auf dem er steht, ist der politische
Messianismus des WASP (White Anglo Saxon Protestant", eine Ideologie,
die an ihren extremen Rändern permanent Bigotterie und Blasphemie
produziert. Beispielsweise wenn Bush mit den Worten "Licht der Welt",
mit denen im Johannes-Evangelium Jesus Christus gemeint ist, die
Vereinigten Staaten bezeichnet. Mit diesem ständigen Mißbrauch der
Heiligen Schrift, ist es ihm gelungen vor allem jene Teile der
amerikanischen Bevölkerung, die einer protestantischen Apokalyptik
anhängen, die eigene imperialistische Mission schmackhaft zu machen.
Das zeigt sich nicht zuletzt auch daran, daß führende US-Politiker
ebenso vollmundig wie unangemessen von einer "Weltinnenpolitik" reden,
um dadurch einerseits von der inneren Krise der amerikanischen
Gesell-schaft abzulenken und andererseits das Ende aller
nationalstaatlichen Souveränitäten einzuläuten. Und die tragende Rolle
als selbsternannter Weltpolizist im Weltordnungskrieg schließt dann
selbstverständlich auch den Einsatz taktischer Atomwaffen ein, falls
die USA auf ihrem Territorium und ihre im Ausland stationierten Truppen
mit sogenannten Massenvernichtungswaffen angegriffen werden. Da zählt
eine obszön auf den Namen "almighty" - "Der Allmächtige" - getaufte
Kanone, die jetzt auch im Irak um Einsatz kommt, und mit der vermutlich
zahlreiche Menschen getötet werden, noch zu den "harmloseren"
Blasphemien. Es ist jedoch genau dieser "Auserwähltheitsanspruch"
("God's own country", "A Nation under God"), durch den sich die
Bush-Administration offensichtlich zu ihren außen- und
miltärpolitischen Amokläufen gerechtfertigt sieht. Das in der UN-Charta
verankerte eindeutige Verbot "humanitärer Interventionen" und
Präventivschläge bedeutet demnach für die USA als letzte Weltmacht nur
Makulatur.
Die in der "Nationalen Sicherheitsstrategie" enthaltenen Ankündigungen
zielen eindeutig in Richtung Irak und Al Quaida, darüber hinaus jedoch
auch auf sämtliche anderen potentiell unbotmäßigen Staaten. Kein Wort
verliert man hingegen darüber, daß die USA mit den wahhabitischen und
verwandten geheimen Terrorgesellschaften nicht nur das bekommen, was
sie verdienen, sondern auch das, was sie selbst jahrzehntelang
gepäppelt und herangezogen haben. Kein Wort darüber, warum man
ausgerechnet dem Irak mittels Bomben die Demokratie aufzwingen muß,
anstatt für das Recht des irakischen Volkes einzutreten, sich
undemokratisch regieren zu lassen. Kein Wort davon, daß das
Strategiepapier mit seiner neuen außen- und militärpolitischen Doktrin
das Völkerrecht vollständig außer Kraft setzt und einen militärischen
Hegemonismus und skrupellosen Unilateralismus propagiert und
praktiziert. Und natürlich nichts darüber, daß auch die Atombombe
Israels eine Massenvernichtungswaffe ist, die den Weltfrieden
jedenfalls mehr bedroht als die veralteten irakischen
Kurzstreckenraketen, mit denen man vielleicht ein einigermaßen buntes
Sylvesterfeuerwerk veranstalten, nicht jedoch einen Krieg führen kann.
Dennoch hat der Weltpolizist im ohnehin durch Saddam Husseins Regime
und die seit Jahren andauernden UN-Sanktionen wirtschaftlich und
sozial völlig ruinierten Irak jetzt zugeschlagen und durch diesen
neuerlichen Weltordnungskrieg die Weltunordnung weiter verschärft. Die
angeblich so chirurgisch-treffsicheren Bomben und laser-gestützten
Waffen werden voraussichtlich tausenden Irakis den Tod bringen, was
Bush und seine Spießgesellen Dick Cheney, Donald Rumsfeld, Paul
Wolfowitz, Richard Perle und Condoleeza Rice nicht daran hindert den
"gerechten Krieg" wieder zu entdecken. Der heilige Augustinus war an
diesem Problem fast verzweifelt und der heilige Thomas von Aquin
stellte vier Erfordernisse für den gerechten Krieg auf: das reine
Friedensziel ohne Haß und Ehrgeiz, die justa causa, die Kriegserklärung
durch die legitime Autorität und das Verbot jeglicher Lüge. 12) Außerdem
war geboten, daß die Bestrafung des Unrechts weniger Leid, Elend und
Blutvergießen nach sich ziehen müsse als das zu ahnende Unrecht selbst:
"Der Gerechte Krieg mußte die Unordnung in der Welt vermindern, weil
die Unordnung stets ein Indiz der Sünde ist". 13) Dieser kleine Ausflug
ins Religiöse zeigt, welch satanische Kraft theologischen Begriffen
innewohnt, wenn sie in die Gewalt bigotter Blasphemiker geraten, die
sich selbstherrlich an die Stelle Gottes setzen und sich anmaßen über
Leben und Tod entscheiden zu wollen. Den Weltfrieden wird man so mit
Sicherheit nicht gewinnen, denn "er findet sich nur in der Achtung und
Anerkennung des Feindes" 14), vor allem aber in der ewig gültigen
Erkenntnis, daß einzig und allein Gott der Herr über Leben und Tod ist.
* * *
Anmerkungen:
1) Oswald Spengler: Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte. München 1917
2) Samuel P.Huntington: Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21.Jahrhundert. München, Wien 1996
3) ebenda
4) So die Verlautbarung des Weißen Hauses im August 1996, mit der den
"staatsterroristisch" agierenden "Reichen des Bösen" Irak, Iran,
Syrien, Libyen der weltweite Kampf angesagt wurde. Zitiert nach Alain
Gresh: Neuer Kreuzzug, in: Le Monde diplomatique, September 1996
5) Huntington: Kampf der Kulturen
6) ebenda
7) ebenda
8) ebenda
9) ebenda
10) Quelle: Telepolis-Heise-Online. Angriff ist die beste Verteidigung:
Zur Nationalen Sicherheitsstrategie der USA, die Präsident Bush
vorgelegt hat.
11) ebenda
12) Augustinus, De civitate Dei,XIX,7; Thomas von Aquin, Summa theologiae, II,II q. 40,a. 1-4
13) Günter Maschke: Frank B.Kellog siegt am Golf.
Völkerrechtsgeschichtliche Rückblicke anläßlich des ersten Krieges des
Pazifismus, in: Siebte Etappe, Bonn 1991
14) ders.: Frank B.Kellog siegt am Golf. 2.Teil, in Achte Etappe, Bonn
1992. Maschke erwähnt in diesem Zusammenhang jedoch ausdrücklich auch
die "Nicht-Diskrimierung des Krieges": Die Frenetiker der Doktrin der
Menschenrechte weigerten sich "dem Krieg und dem Feind ihre Rechte
zurückzugeben". Nur dadurch könne man jedoch "die Kriege begrenzen,
formalisieren und humanisieren." Angesichts der Fik-tion einer
friedlichen, unkriegerischen Welt, von der unsere politisch-korrekten
Gutmenschen wider besse-res Wissen in ihren
schwärmerisch-pazifistischen Illusionen schwelgen, resultieren das
Elend und die Trostlosigkeit der heutigen Situation wohl in der Tat
daraus, daß es eben keinen echten Frieden gibt, weil der Feind
diskriminiert wird, oder weil er nach demokratisch-pazifistischen
Vorstellungen garnicht exi-stiert (weil es ihn ja nicht geben darf). Zu
den Deutungen Bushs und Saddams, die beide den jeweiligen Feind als
"Monster" und "Untermensch" stilisieren, stehen allerdings sowohl das
klassische Völkerrecht als auch der "gerechte Krieg der alten Theologen
und der "geregelte Krieg" eines Carl von Clausewitz in fundamentalem
Gegensatz.
***
HINWEIS
Verehrte Leser, auf die Auslassungen gegen verschiedene Mitarbeiter der
EINSICHT und mich, die die Herren Böker und Rotkranz im letzten Heft
von Kyrie Eleison meinten veröffentlichen zu müssen, werde ich nicht
eingehen. Die Absichten der Verfasser lassen eine sachliche Diskussion
nicht zu, da die Beiträge von Haß, Häme und Rachsucht geprägt sind. Es
ist schon seltsam, in welcher Weise Herr Böker damit 'Stellung' nehmen
will zu den skandalösen Zuständen im Kölner Meßzentrum. Solch geistige
Sünden ziehen ihre Strafen unmittelbar auf sich: in Herne simuliert
inzwischen Herr Lingen, der vorgibt, Priester zu sein, aber keiner ist,
die 'Messe'.
Eberhard Heller
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