WURZEL, STAMM UND KRONE II.
von H.H. Dr.theol. Otto Katzer
Wir haben bis jetzt vom Adel des ersten Menschen gesprochen, seiner natürlichen und übernatürlichen Ausstattung, wie auch von den allgemeinen Folgen seines Falles.
Es ist nun unsere weitere Aufgabe klarzustellen, wie es überhaupt zur ersten Sünde gekommen war, und wie sich diese unmittelbar bei Adams Kindern auswirken mußte.
Bevor wir damit beginnen, ist es notwendig, vom Fall der Engel zu sprechen, da wir ja wissen, was auch Glaubenssatz ist, daß ein Teil der Engel sich frei von Gott abgewendet hat und in ewiger Feindschaft Ihm gegenüber steht - so wurde es vom 4. Lateranischen Konzil definiert. Wie es aber dazu gekommen ist, darüber hat die hl. Kirche noch nicht entschieden. Das eine müssen wir mit dem hl. Thomas v. A. betonen, daß die Sünde in einer Abgekehrtheit von Gott besteht. Auf diese lassen sich, und müssen es auch, alle Theorien reduzieren. Wahrscheinlich bestand die Prüfung der Engel, welche ihnen, wenn sie diese bestanden hätten, das "non posse peccare" (d.h. das "Nichtsündigen-können") erwirken sollte, darin, daß sie für einen Augenblick nicht direkt Gott schauen sollten, aber indirekt in sich - in der Gnade Gottes, die ihnen von Gott verliehen wurde und sie in den übernatürlichen Stand erhoben hatte. Von der heiligmachenden Gnade sagten wir uns, daß sie der lebendige Abglanz des dreieinigen Gottes in der Seele ist. Durch die Gnade wird die begnadigte Person "so wie Gott".
Wenn wir am frühen Morgen durch die Fluren gehen, dann können wir sehen, wie die um ihre Kinder besorgte Mutter Natur einen Schleier gewoben hat, aus unzähligen Perlschnuren, kleinen silbergrauen Tröpfchen Tau. Beim Erscheinen der Sonne, wie von einem Zauberstab berührt, verwandeln sich diese Tröpfchen in Diamante, die mehr glitzern und glänzen als die schönsten Diamante der Welt. Es ist, als hätte sich die Sonne selbst auf ihren goldenen Strahlen herabgelassen und strahlte uns nun entgegen. Nehmen wir an, die Tröpfchen könnten sich selbst betrachten, was müßten sie da sagen, wie schön sie sind? Sind sie denn nicht so schön wie die Sonne selbst, die sich in ihnen spiegelt? Nehmen wir aber an, es gäbe unter ihnen welche, die ganz ergriffen von der an und für sich wahren eigenen Schönheit sich dazu verleiten ließen und sagen möchten: "Ich bin so schön wie die Sonne, ich brauche dich, Sonne, nicht mehr!" Würde sich in diesem Augenblicke eine dunkle, düstere Wolke zwischen die Sonne und das Tautröpfchen legen, im Nu wäre all die Pracht verloren, und das Tröpfchen wäre nun wieder das, was es nicht aufhörte zu sein, ein kleines, unbedeutendes, silbergraues Tröpfchen Wasser, so lange, wie lange die Wolke zwischen ihm und der Sonne am Himmel bleibt.
Dummheit und Stolz wächst an einem Holz, bewahrheitet sich bereits im Reiche der Engel. Unter Einwirkung der goldenen Strahlen der Gnade Gottes mußten alle erkennen, daß sie so schön sind wie Gott. Einige bildeten sich jedoch ein, wie beim törichten Tautröpfchen, sie könnten jetzt aus sich selbst so sein wie Gott, und verweigerten Ihm die gebührende Ehre und Dank . Zum ersten Mal in der Geschichte der Schöpfung ließ sich das "Non serviam" hören: "Ich will nicht dienen und werde es nicht". Da trat jener Augenblick ein, von dem der Heiland sagte: "Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen." (Luk. 10,18) Da wurde die Hölle geboren, die nie aufhören kann, weil der Teufel und seine Diener nie wieder mehr Gott dienen wollen - das Mysterium iniquitatis, das Geheimnis der Ruchlosigkeit.
Ein furchtbarer Neid erfüllte das ganze Wesen Satans und seines Gefolges, als sie sehen mußten, daß die nach ihrem Ermessen unendlich tief unter ihnen stehenden Wesen, die ersten Menschen, das besitzen, was sie verloren haben, die Gnade Gottes. Sofort setzte Satan seine ganze Versuchungskunst ein, sie um diese zu bringen: "Ihr werdet so sein wie Gott!" und das "So wie Gott" hörte seit dieser Zeit nie auf in der Welt im tausendfachen Widerhall durch alle Zeitalter zu erschallen, und läßt sich heute besonders laut hören.
Auch die Menschen, Adam und Eva, mußten erleben, wie schön sie sind ob ihrer Kenntnisse und ihrer Macht, ganz besonders aber ob der heiligmachenden Gnade, und ließen sich leider dazu von Satan verleiten, aus sich selbst so schön sein zu wollen wie Gott, und verweigerten Gott infolgedessen ihr Opfer, den Tod des eigenen "Ich" für Gott, welches auch ihnen die glückselige Ewigkeit verdienen sollte. Da schob sich eine dunkle, düstere Wolke, die erste Sünde, der Stolz, das "Echo" des Teufels, die weiter geerbt werden sollte, die Erbsünde, zwischen die Menschen und Gott, und so fielen wir alle in "tenebras exteriores", in "die Finsternis draußen" (Matth. 8,12), welche überall dort herrscht, wo die Wesen in sich und nicht in Gott sein wollen. Hatten denn nicht auch unsere Ureltern gesagt: "Das Böse komme über uns und unsere Kinder!"?
So lange wird das Tautröpfchen ein unbedeutendes Tröpfchen Wasser bleiben und nicht eine kleine Sonne, wie lange die düstere Wolke am Himmel bleibt. Erst wenn ein Windstoß sie vertreibt und die Sonne am Himmel wieder erscheint, wird es aufstrahlen.
So lange mußte die dunkle Wolke am Himmel für das Einwirken von seiten der Menschen unerreichbar bleiben, bis der Gottmensch gekommen war. Als Er Sich, wie wir noch zeigen werden, als ein Ganz-, Brand- und Sühnopfer der Liebe für die Menschen ans Kreuz schlagen ließ, zerriß Er mit dem Kreuz die den Todesschatten werfende Wolke der Erbsünde. Jetzt erst wurde dem Menschen wieder die Möglichkeit geboten durch die heilige Taufe erneut so wie Gott in Gott zu werden, indem Er ihn "aus der Finsternis zu seinem wunderbaren Lichte berufern hat", und dieses Licht ist Christus selbst. Alle bis jetzt wurden von den Todesschatten der ersten Sünde berührt, nur, durch Christi Verdienste, eine nicht, Maria, welche vom ersten Augenblicke an ihrer Existenz durchstrahlt wurde vom goldenen Lichte der Gnade.
Wenn wir das Wort Gnade aussprechen, dann müssen wir uns sofort an das hl. Kreuz und an die heilige Wandlung erinnern; bei welcher die Erhöhung Christi am Kreuze vergegenwärtigt und erneuert wird, um uns ihre Applikation zu ermöglichen. Unter dem Kreuze herrscht Licht, da von ihm das Licht erstrahlt, überall anderswo herrscht Finsternis. Gnade, Kreuz, Wandlung sind drei Sachen, die untrennbar sind! Entweder alle drei oder nichts!
Von der Seele sagt der hl. Augustinus, das die ihr eigene Wohnung und Heimat Gott selbst ist, von dem sie erschaffen wurde. (De quantitate animae, cap. I.) Wenn sie sich sehen will, dann muß sie sich in Gott sehen, nicht aber in den Geschöpfen, die sie weit, ja mit Rücksicht auf die heiligmachende Gnade und die Erhebung in den übernatürlichen Stand, unendlich überragt. So will Faust mit dem Erdgeiste anbändeln, wird aber von ihm angelehnt mit den Worten: "Du gleichst dem Geist, den du begreifst, nicht mir". (1. Teil, Goethe) Dies muß auch der Mensch der Neuzeit erleben, der seine Verwandtschaft bei allen möglichen Geschöpfen sucht, nicht aber dort, wo er soll, bei Gott.
Wenn auch die hl. Kirche noch nicht definiert hat, in welchem Augenblicke es zur Erschaffung der neuen Seele kommt, so ist dennoch anzunehmen, daß dies im Augenblicke der organischen Verbindung der Spermie mit dem Ovum ist. Unterstützt kann diese Vermutung dadurch werden, daß es bei der jungfräulichen Mutter Maria in Augenblicke der Verkündigung war, daß die Person Christi ihr irdisches Leben begann. Die Dauer der Schwangerschaft verlief völlig wie bei anderen Menschen. Wir lesen doch: "Während sie dort (in Bethlehem) waren, erfüllten sich ihre Tage. Sie gebar ihren erstgeborenen Sohn ..." (Luk. 2,6-7) Hiermit soll gesagt sein, daß das "Ichsein" mit der Erschaffung der Seele gegeben ist, und daß das Fest Mariä Heimsuchung gerade in unserer Zeit aktuell ist, einer Zeit, die das Kind im Mutterleibe nicht für mehr als ein Stück Fleisch wertet, eine Geschwulst, die "bösartig" für die Mutter, den Vater oder die Gesellschaft werden kann, weshalb so oft ihre Entfernung angeordnet wird. Wenn es vom hl. Johannes d. T. heißt: "Schon im Mutterschoße wird er vom Hl. Geist erfüllt sein." (Luk. 1,15) und wir von der Ankunft Marias bei Zacharias und Elisabeth lesen: "Sobald Elisabeth den Gruß Marias vernahm, frohlockte das Kind in ihrem Schoße". (1,41), dann wird das Kind im Mutterschoß bei Maria und Elisabeth doch etwas mehr gewesen sein als ein Stück Fleisch. Möchte uns doch das Mittelalter belehren! Man betrachte nur die diesbezüglichen Darstellungen der Kunst!
Die menschliche Seele Jesu, wie auch die Seele seiner jungfräulichen Mutter, sah sich und erlebte sich im Augenblicke ihrer Erschaffung in Gott. So sollte es mit allen Seelen sein, wäre es nicht zum Sündenfall der Stammeltern gekommen. Das Leben im Schoße der Mutter vor der Sünde sollte eine Vorstufe des Himmels sein, wo die neuerschaffene Seele sich des Himmelsgesanges der Engel erfreute. Nach der Sünde wurde der Aufenthalt im Schoße der Mutter zur Vorstufe der Hölle, wobei die Gesellschaft der Engel der teuflischen weichen mußte, besonders dort, wo von seiten der Mutter oder der Umgebung aufgrund eines frommen, von Gebeten und guten Werken durchtränkten Lebens nicht entgegengewirkt wurde. Nach der Erbsünde erlebt die Seele, d.i. das neue "Ich" nicht die beseligende Innewohnung des Hl. Geistes, sondern lebt "in tenebris", in einer Finsternis, wo einzig und allein die Stella maris als Stern der Hoffnung leuchtet und Gebete und gute Werke Morgenrot des möglichen kommenden Tages herbeirufen.
Das Nichtvorhandensein, umso schrecklicher der Verlust der heiligmachenden Gnade muß verheerende Auswirkungen zeigen. Die ganze Tragik ist für uns einfach unvorstellbar, da wir mehr oder weniger bloß ein Sinnenleben führen und uns nur äußerst selten zu einem geistigen aufschwingen. Wenn auch heute der "mündige Übermensch" nicht selten (oder meistens?), selbst im Talar, die Gefahr teuflischer Anfeindungen geringschätzt (z.B. läßt man bei der hl. Taufe den Exorzismus aus) oder sich sogar darüber lustig macht (wie bei der Herbstsynode 1971 in Rom), so ist damit die traurige Wirklichkeit nicht aus der Welt geschafft, wie schon ein "Heide" Goethe bemerkt: "Den Teufel spürt das Völkchen nie, und wenn er sie beim Kragen hätte!" (Faust, 1. Teil, Auerbachs Keller) Das Nichtvorhandensein der heiligmachenden Gnade unterwirft die Seele der Macht des Teufels, wobei der Mensch unrettbar verloren wäre, käme ihm da nicht die gratia medicinalis zur Hilfe. Einen objektiven Beweis für unsere Zeit, wie für alle Zeiten, liefert uns die Geschichte. Das, was sich vor kurzem abgespielt hat (die beiden Kriege mit all dem Schauder der Konzentrationslager, wo immer in der Welt) bis in die letzten Tage, man lese nur in den Zeitungen nach, lausche Rundfundnachrichten ab, staune beim Fernsehapparat, - ist das, wovor wir zurückschrecken müssen, wenn in uns noch der letzte Funken von menschlichen Gefühl übriggeblieben ist. Ist das menschlich? Ganz bestimmt nein, so muß die Antwort lauten. Ist es tierisch? Nein, denn kein Tier zeigt sich so blutdürstig wie der Mensch! So bleibt nur die letzte Möglichkeit, es ist teuflisch, und teuflisch ist es, wenn auch lange schon der Name Satan ins Fabelbuch geschrieben ist. Ist es denn göttlich, was du tust, du "mündiger Übermensch"? - für den Gott bereits gestorten ist! Hörst du nicht aus den verwüsteten Schößen der sog. Mütter, hörst du nicht aus den zerstörten Kinderstuben, aus den Krankenhäusern, Konzentrationslagern, Gefängnissen, Schlachtfeldern, Freudenhäusern, Rauschgifthöhlen usw. das Geschrei der leidenden Menschheit?
"Erkennst du mich? Gerippe! Scheusal du! Erkennst du deinen Herrn und Meister - dem du dich verschrieben hast? Was hält mich ab, so ruft dein Herr, so schlag ich zu, zerschmettre dich" ... und deine Kultur! (Faust, Hexenküche.)
Du weißt nicht, du "mündiger Übermensch", was Gnade ist? So sollst du ein Leben ohne Gnade kennen lernen! Du weißt nicht, was das Gute ist, so sollst du es am Bösen erkennen! Du weißt nicht, was die Wahrheit ist? Dann wird dich die Lüge belehren! Daß solche Verirrungen der Menschheit ohne die Herrschaft Satans und seiner Diener nicht denkbar sind, dürfte einleuchtend sein.
Unsere Verkehrtheit zeigt sich aber schon darin, daß wir dem, was das Sein selbst ist, Gott, eine rein imaginäre Realität zuschreiben, während das alltäglich Vergängliche für uns die Realität ist. Aber auch das zeigt sieh als Strafe für die erste Sünde. Wir, die wir so gerne vom Corpus Chrísti mysticum sprechen, dem mystischen Leib Christi, dem wir so gerne angehören möchten, nehmen es leider nicht wahr, daß wir zuerst Glieder des Corpus Adae mysticum sind, des mystischen Leibes Adams, wo, wenn das Haupt leidet, die Glieder nichts anderes als mitleiden müssen!
Daß uns diese Tatsachen nichts sagen wegen unserer Herzenshärte und Stumpfheit des Geistes, beweist schon das allein, daß wir am liebsten die hl. Taufe hinausschieben möchten, bis in die Zeit der "Geistesreife". Eine ähnliche Weisheit, wie wenn wir die Rettung eines in Gefahr des Ertrinkens sich befindenden Kindes in die Zeit hinausschieben würden, bis es selbst schwimmen kann. Ausgesprochener Unsinn diese unsere Weisheit! Ein strafwürdiges Handeln! Natürlich war die hl. Kirche nicht so "klug" wie wir es heute sind, wenn sie anordnete, das Kind womöglich noch am Tage der Geburt taufen zu lassen. Die hl. Mutter Kirche wußte um all die Gefahren, die dem Kinde drohen, sie wußte aber auch von all den Herrlichkeiten, die ihm von Gott angeboten sind, die Eltern jedoch so häufig ihm vorenthalten, wir verstehen ja heute alles! Man verzeihe mir die bittere Ironie. Haben wir denn auch nur eine Ahnung von dem, was sich in der Seele nach der hl. Taufe abspielt? - abspielen muß!
Die Umwelt der Kinder Adams und Evas nach dem Sündenfall war also wesentlich verschieden von der, wie sie ursprünglich sein sollte. In einem gewissen Sinne, müssen wir sagen, daß die Hölle bereits im Mutterschoße beginnt, wenn ihr nicht entgegengearbeitet wird von seiten des Menschen, in der ersten Reihe der Mutter selbst, indem die Grundlage für das in der Seele zu gründende Reich Gottes bereitet wird. Diese Vorhölle, diese Finsternis, dauert, wie wir uns angedeutet haben bis zur hl. Taufe.
Das erste Erlebnis eines jeden "Ich" ist das Staunen. Es sollte vor der unendlichen Majestät Gottes sein, diese wurde uns aber durch die erste Sünde entrissen, und so bleibt ihr Gegenstand die kalte Finsternis, die "tenebrae exteriores", das Schaudern vor einer Finsternis, die aber nicht, wie wir uns zeigten, ohne Sterne der Hoffnung ist. Ohne die Sünde wäre es nicht nur zum Staunen allein, zur admiratio, sondern auch zur veneratio, der Verehrung und der adoratio, der Anbetung gekommen. So aber ist das erste Erlebnis ein schauderndes Staunen allein.
Wenn wir nun auf das von Gott erschaffene "Ich" zu sprechen kommen, welches in die Körperlichkeit versenkt wurde und zugleich in den Schatten des Todes ob der ersten Sünde unseres Hauptes, können wir uns schon vorstellen, wie schwer es für das "Ich" war, sich zu orientieren. Der einzige Spiegel, in dem die Seele sich selbst sehen konnte, war unbenützbar, denn es fehlte ihr dazu das übernatürliche Licht, für welches ja der Mensch bestimmt und ausgestattet war. Und da das natürliche Licht sich erst in den allerersten Anfängen befand und die dazu notwendigen Sinne noch ganz unentwickelt waren, mußte ein eigenartiger, schwer beschreiblicher Zustand eintreten. Etwas können uns zum Verständnis helfen, die in der Neuzeit bekannten psychologischen Höhlenexperimente. In absoluter Finsternis, Stille, entsprechend mäßiger Temperatur, Einsamkeit eine längere Zeit zu leben, ist nicht möglich. Wenn das "Ich" von den Sinnen keinen Gebrauch mehr machen kann, wie beim soeben angeführten Experiment, oder bei ihrem Absterben, zuletzt im Tode, wie auch in der Zeit, bevor das Kind zum Gebrauche der Sinne kommt, muß ein schwer bedrückendes Gefühl eintreten. Ein kleines Beispiel möge uns die Sache etwas näher bringen.
"Diderot hat Recht, wenn er sagt: "Einen Blindgeborenen studieren und präparieren, wäre eine Aufgabe, würdig der vereinigten Talente von Newton, Descartes, Locke und Leibnitz." Aber es ist nicht mehr wahr, wenn der Enzyklopädist den Idiotismus als eine unausweichliche Folge der "dreifachen Naturverstümmelung" bezeichnet, unter welcher ein von Geburt an blinder Taubstummer leidet. Zum Beweise des Wesensunterschiedes zwischen dem von Natur begünstigsten Tier und dem unglücklichsten Menschen führen wir ein lebendiges Beispiel an, das eine "Verkettung von Wundern" genannt werden darf.
In einer Kongreganistenschule Frankreichs, in der Taubstummenanstalt zu Larnay (Poitiers) ward die Erziehung eines blinden und taubstummen Mädchens begonnen und vollendet unter den interessantesten Umständen, mit einer ebenso geschickten als unermüdlichen Hingabe, mit ganz unerwarteten Erfolgen. Wir sehen die Geschichte einer im Dunkel der Materie vereinsamten Menschenseele, welche mühsam ans Licht dringt, in Berührung tritt mit der Außenwelt, Verbindungen anknüpft mit anderen Seelen, allmählich ihre Wesensmerkmale nebst ihren spezifischen Tätigkeiten offenbart und endlich sich entfaltet in den höchsten Lichtregionen des Gedankens. Die hierauf bezüglichen Originalberichte ... stammen aus den Jahren 1878 - 1885.
Das arme Kind war acht Jahre alt, als es uns zu Larnay anvertraut wurde (1875) . Es war eine träge Masse ohne irgendein Mittel, mit Seinesgleichen zu verkehren. Es vermochte nur durch Schreien und Bewegungen des Körpers seine Empfindungen anzudeuten. Schrei und Bewegung entsprachen stets seinen Eindrücken ... Das Mädchen selbst ist es, welches später einen Einblick in ein solches Leben ermöglicht ... Ein Originalbriefchen enthält die merkwürdigen Gedanken: 'Als ich hierher (in die Anstalt) kam zu lernen, war ich allein; ich dachte nichts, ich begriff nichts, um zu sprechen .. Als ich herkam, ist meine Mama fortgegangen. Ich bin sehr in Zorn gekommen und habe heftig geschrieen. (j' ai crié fortement.)'" (Apologie des Christentums von F. Duilhé de Saint-Projet, Herder 1889)
Der Mensch ist ein animal sociale, ein Gesellschaftswesen. Am "Nicht-Ich" erst kann sich das "Ich" zu einem reflexiven Bewußtsein durcharbeiten, nicht aber daß dann das "Ich" wach werde, oder sogar anfangen würde zu existieren! Das Denken ist eine Fähigkeit und fordert unbedingt als solches ein Subjekt. Aber dieses Subjekt besteht auch dann, wenn die Tätigkeit ruht, entweder weil sie kein Objekt hat, oder so viele, daß sie nicht zum Einsatz kommen kann. Es kann hier nicht unsere Aufgabe sein, den Stoff eingehender zu behandeln, wir müssen uns auf das Allernotwendigste beschränken. Deshalb führen wir hier die Definition des Denkens an, die wir bei Dr. Kurt v. Sury, Wörterbuch der Psychologie, Basel 1967, finden: "Denken ist ein zielbewußtes, begriffliches Vorstellen, Urteilen, Schließen, Erfassen, Verstehen und Zuordnen von Sachverhalten. Das aktive oder gerichtete Denken ist eine Willenshandlung, indem die Vorstellungsinhalte einem gewollten Urteilsakt unterworfen werden. Es handelt sich dabei biologisch um einen psychischen Assimilationsprozoß." Wie konnte es nun bei Martha Obrecht, wie kann es beim Kind Mutterschoße, nach dem Sündenfall, zum Denken kommen, wenn keine Sachverhalte und Vorstellungsinhalte vorhanden sind, oder so unbestimmte, daß sie unfaßbar sind? Ich war allein, betont Martha, wir alle waren allein im Mutterschoß, Schreckensgespenstern ausgestellt, denen wir zum Opfer hätten fallen müssen, wäre nicht Hilfe von Oben gekommen. Ich bin nicht erst dann, wenn ich denke, aber wenn ich denke, kann ich nicht nicht sein! Der Satz heißt ja: Cogito, ergo sum = also bin ich, nicht propterea = deswegen. Die englische Version: I am thinking, läßt klar das Subjekt erkennen, wie auch die Fähigkeit, von welcher wir uns soeben gesagt haben, daß sie sich in Ruhe befinden kann.
Allerdings beginnt für den Zuschauer das Ichbewußtsein verhältnismäßig spät und macht in der Agonie den Eindruck (ähnlich wie während des Schlafes), es sei erloschen. Das Leben des "Ich" ist mit der Erschaffung der Seele gegeben; zu einem reflexen "Ichbewußtsein" kommt das "Ich" erst allmählich und erreicht mit dem Tode und dem darauffolgenden göttlichen Gericht seinen Höhepunkt. Wenn es finster ist, kann ich mich selbst im besten Spiegel nicht sehen. Mit den Eintreten des Lichtes zeigen sich mir die Umrisse meiner Person, welche im ewigen Lichte mit absoluter Klarheit vor die Augen eines Geistes tritt.
Der Teufel ist ein Extremist. Ist es ihm nicht gelungen, das "Ich" in der Finsternis des Mangels festzuhalten, so treibt er es in den Überfluß, um es in ihm zu ersticken. Das Bewußtsein des eigenen "Ich" wird plötzlich überbetont und wird nicht selten zum krankhaft gesteigerten Selbstbewußtsein. Auf diese Weise will der Teufel die Erlösung des Menschen verhindern, wenn schon durch das Opfer Christi ihre Möglichkeit gegeben wurde. Er weiß nur zu gut, daß die Erlösung des Einzelmenschen keine mechanische sein sollte, "sondern der Mensch sollte (wie wir uns später näher zeigen werden - Bermerkg. des Verf.) mit vollem Bewußtsein und mit voller Freiheit sich der Erlösung in Christus anschließen und so aus dem Tode der Sünde zum Leben der Gnade gelangen. Denn war auch der Mensch durch die erste Sünde dem Tode verfallen, so ging doch dadurch seine Natur nicht unter. Es blieb ihm immer noch diese seine Freiheit der Wahl zwischen Gut und Böse, und es hatte diese seine Freiheit durch die Sünde nur in so ferne gelitten, als sie ihrer durch übernatürliche Einwirkung Gottes verursachten Erstarkung verlustig ging, und auch in der ihr dadurch gewordenen Natürlichkeit durch eine in den Verstands- und Willensorganen sich haltende Unordnung - wenigstens in Verlaufe der Zeit - geschwächt wurde, indem in Bezug auf den Verstand das Bewußtsein des eigenen Ichs und die sinnliche Erkenntnis, die durch das Organ der Vernunft vermittelte höhere Erkenntnis zu verdrängen oder doch wenigstens zu sich herabzuziehen, und in Bezug auf den Willen der sinnliche und egoistische Trieb über den höhere, religiösen Trieb sich emporzuarbeiten strebte." (Stöckl, Liturgie und dogm. Bedeutg. der alttest. Opfer, Mans, Regensbg. 1848, S. 127)
Die geschaffene Welt Soll für das "Ich" durch teuflische Gaukelei zu Irrlichtern werden, deren Strahlen ihn fesseln sollen. Er soll sich selbst bestaunen im Flitterglanz des vergänglichen Tands, welchen er als ewig betrachtet. Da müssen uns die Worte des hl. Augustinus klar sein, daß "ein jeder, der körperlich ist und sich danach sehnt, so zu sein, wie Gott ihn geschaffen hat, d.h. Gott ähnlich, alles Körperliche verachten muß und der ganzen Welt entsagen muß." (De quantitate animae, cap. III.)
"Der erste Mensche hatte von Gott einen übernatürlichen Besitz seiner selbst zur Bestimmung erhalten, und damit seine Kräfte mit der Erreichung dieses Zieles in Proportion stünden, wurde ein übernatürliches Element, in seine Natur gelegt, und er dadurch zur übernatürlichen Lebensgemeinschaft mit Gott emprogehoben. Dadurch erhielt aber auch die Natur in dem Menschen ein übernatürliches Ziel." (Stöckl, Lit... S.4)
Er sollte durch die Haltung der religiösen Pflicht, die ihm Gott auflegte (Verbot, vom Baume in der Mitte zu essen, Gen. 2, 16-17), das Paradies bearbeiten und bewachen, d.h. er sollte das Paradies, und weil das Dasein des Paradieses, als des übernatürlichen Zustandes der Natur, notwendig an das Dasein des übernatürlichen Elementes im Menschen selbst geknüpft war und mit ihm stehen und fallen mußte, vor allem sich selbst in der Übernatur erhalten und in dieser Übernatur seine religiösen Tätigkeiten entwickelnd sich selbst und durch sich die Natur immer Paradiese zum übernatürlichen Endzweck hinführen. Diese beiden Tätigkeiten waren also, wie gesagt, nach dem Willen Gottes selbst an die Haltung der einen, von Gott auferlegten religiösen Pflicht geknüpft und in ihr enthalten. Handelte also der Mensch dieser Pflicht entgegen, so ging nach der Bestimmung Gottes selbst das übernatürliche Gnadenelement in ihm samt dem übernatürlichen Endziele für ihn verloren, und damit ging auch seine Religion ihres übernatürlichen Charakters verlustig, weil dieser nur durch die Übernatur des Menschen principiirt war, so wie endlich auch die Natur, die nur wegen und in Hinblick auf das übernatürliche Leben des Menschen in die Übernatur eingetreten war, aus derselben heraustreten mußte, wodurch die Unsterblichkeit und Impassibilität des menschlichen Körpers aufhörte, und das Paradies von der Oberfläche der Erde verschwand." (Ebd. 5-6)
Es ist gesichertes Glaubensgut, daß Adam selbst Salomo an Weisheit überragte. (vgl. Summa,1,94,3) So war er sich auch ganz klar seiner Aufgabe bewußt, welche zwei Momente aufweist: "Das Hinstreben des Menschen zu Gott" und "Die Hinführung der Natur zu Gott durch den Menschen". (ebd. 117) Das sind aber auch schon die Wesenszüge des Opfers, als der intentionalen Selbsthingabe des Menschen an den nach göttlichem Gefallen über ihn verhängbaren Tod." (ebd. 267) Die Gott gebührende Verehrung und Anbetung mußte neben anderem auch aus dem Bewußtsein der absoluten existentiellen Abhängigkeit entwachsen, indem sie die Todesstrafe annahm für das Nichtbefolgen der Anordnung Gottes. Gewissermaßen kommt dies als Abklatsch zum Ausdruck im Pakt Fausts mit Mephistopheles: "Werd' ich zum Augenblicke sagen: Vorweile doch! du bist so schön! Dann magst du mich in Fesseln schlagen, dann will ich gern zugrunde gehen!" (2. Teil)
Im Bunde Gottes mit den Menschen war der immerwährende Vorrang des Schöpfers vor den Geschöpfen unterstrichen und die Anerkennung seiner absoluten Herrschaft durch das Opfer des eigenen "Ich" zum Unterpfand für die ewige Seligkeit. Diese von Gott geforderte Hingabe mußte sich auf das ganze Leben des Menschen erstrecken, und so mußte sein ganzes Dasein ein wahres Opferleben sein. "Unter diesem Begriffe aufgefaßt, ist das Opfer für den Menschen im sündenlosen Zustande, so wie für jedes andere Geschöpf eine wesentliche Verpflichtung, und sie bleibt ihm, eben weil sie wesentlich in dem Begriffe des Geschöpfes liegt, solange, als er als Geschöpf existiert. Sein ganzes Dasein, mag es nun erst zeitliches oder schon ewiges sein, muß ein Opferleben, also ein Opfer sein", wenn auch die Form, solange er der Sünde ausgesetzt ist, eine andere ist, die wirkliche Hingabe an den Opfertod in Christus .
Das paradiesische Opfergesetz enthält "in seiner Fassung selbst eine genaue Bestimmung der Materie und der äußeren Form des vorgeschriebenen Opfers. Den Beweis für beides liefert die Analyse des bezeichneten Gebotes selbst. Es lautet: 'Von allen Bäumen des Gartens darfst du essen, nur vom Baume der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du nicht essen! Denn sobald du davon ißt, bist du dem Tode verfallen." (Gen. 2,16-17) Man sieht, daß dieser Satz einen Doppelbefehl enthält; der Genuß der "übrigen Früchte des Gartens", ward dadurch eben sowohl geboten, als der Genuß der Frucht des Baumes der Erkenntnis verboten ward ... In diesem Doppelbefehle ist die innere Form des Opfers, ... klar ausgesprochen, und damit dieses Gesetz als Opfergesetz charakterisiert. Ist nämlich das Opfer seiner Form nach die symbolische Darstellung der vom Menschen betätigten inneren Hingabe seiner selbst und der Natur durch sich an den von Gott bewirkbaren Tod: so kann über den ausgesprochenen Satz kein Zweifel mehr obwalten. Denn indem sich der Mensch durch den Nichtgenuß der verbotenen Frucht des Genusses der Natur in symbolischer Weise enthielt; setzte er eben dadurch das äußere Symbol des inneren Aktes der Hingabe an den nach dem Gefallen Gottes verhängten Tod, und schlachtete sich so, durch den äußeren Akt des leiblichen und geistigen Nichtgenusses der Natur, in symbolischer Weise Gott zum Opfer auf dem Altare der Natur auf. - Indem dagegen der Mensch durch den Genuß der erlaubten Frucht die Natur genoß, durch den Genuß in sich aufnahm und durch diese Aufnahme in sich einer Art Zerstörung hingab, setzte er eben dadurch den symbolischen Akt der Hingabe der Natur an die nach dem Gefallen des Schöpfers ihr bereitbare Zerstörung, so daß für die Natur der Mensch zum Altar wurde, auf welchem sie sich durch ihn ihrem Schöpfer zum Tode hinopferte. - Ist somit in dem bezeichneten göttlichen Gebote die innere Form des Opfers nach seiner zweifachen Beziehung deutlich ausgesprochen: so ist aber auch, wie klar, die Materie und die äußre Form eben so deutlich in ihm bestimmt: erstere in der verbotenen und erlaubten Frucht einerseits und in dem Essen der erlaubten andererseits. -" (Stöckl, 118 f. ) Dieses Gebot des Opfers stellte Gott nicht seinetwegen, aber aus Liebe zu uns, um uns durch dieses freiwillige Opfer deseigenen "Ich" eine Vervollkommnung zu ermöglichen, da aus der "Darbringung des Paradiesopfers eine immerwährende Lebensvervollkommnung und -erhöhung für den Menschen ausströmte. Dieser Fortschritt im Leben war aber nur der Hingabe zu dem eigentlichen Verklärungsleben in Gott, welches als letzter und wesentlicher Zweck des Opfers dastand. 'Nobis enim prodest, colere ipsum Deum, non ipsi Deo.'" ('Für uns ist es nämlich nützlich, Gott zu ehren, nicht für Gott selbst.' Hl. Augustinus ep. 49; Stöckl, op. cit.) Die Verweigerung des Opfers mußte nun gegenteilige Wirkungen aufweisen.
(Fortsetzung folgt.)
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