DER HL. POLYKARP VON SMYRNA
- ZUM FEST AM 26. JANUAR -
von Heinrich Storm, München
Das Leben des hl. Hartyrers Polykarp führt uns zurück in die frühesten Anfänge des Christentums. Polykarp gehört zur Generation der sog. "Apestolischen Väter", die ihren Glauben noch von den Apesteln und anderen Jüngern Jesu selbst empfangen hatten. Daß die biographischen Quellen jener Zeit nur in sehr kärglichem Umfang auf uns gekommen sind, kann nicht verwundern. Immerhin gehört der hl. Polykarp für uns zu den bestbezeugten Märtyrern der Frühkirche.
Wenn wir von dem wahrscheinlichen Alter Polykarps bei seinem Tode ausgehen, dürfen wir für seine Geburt die Zeit des 7. Jahrzehnts nach Christus annehmen. Wahrscheinlich bekehrte sich Polykarp relativ früh zum Christentum, denn nach dem Zeugnis mehrerer Kirchenväter und des berühmten Kirchengeschichtsschreibers Eusebius von Caesarea hatte er noch Umgang mit mehreren der Apestel und Jünger des Herrn. Insbesondere war er ein Schüler des hl. Apestels Johannes, der ja lange Zeit in Ephesus, nahe Smyrna, lebte und wirkte. In einem Brief, den uns Eusebius in seiner "Kirchengeschichte" überliefert hat, schreibt der hl. Irenäus, Bischof von Lyon und Märtyrer, an seinen einer Irrlehre verfallenen Freund Florinus; "Ich könnte dir noch den Ort angeben, wo der selige Polykarp saß und lehrte, und sein Ein- und Ausgehen und sein ganzes Verhalten und sein Aussehen und die Vorträge, welche er an das Volk richtete und wie er von seinem Verkehr mit Johannes erzählte und mit den anderen, welche den Herrn gesehen hatten, und wie er deren Worte anführte und was er von ihnen über den Herrn und seine Wundertaten und seine Lehre gehört hatte." Nach einer alten Tradition der Kirche war es auch Johannes, der Polykarp zum Bischof von Smyrna erhob. Bei Irenäus im III. Buch gegen die Häresien heißt es dazu nur: "Er war nicht allein von den Apesteln unterrichtet und hatte noch mit vielen verkehrt, die unseren Herrn Christus gesehen haben, sondern war von don Apesteln auch zum Bischof von Smyrna für Kleinasien eingesetzt worden." Da Polykarp bereits in jungen Jahren zu dieser Würde gekommen sein muß, können wir annehmen, daß die Heiligkeit seines Lebenswandels und die Art seines Auftretens ihn schon damals den Apesteln besonders geeignet erscheinen ließen. Dieses Vertrauen hat Polykarp wohl kaum entscheidend enttäuscht. Leider sind uns nur wenige Ereignisse aus seinem langen, 5-6 Jahrzehnte währenden Pontifikats überliefert.
Im Jahre 155, also bereits hochbetagt, unternahm er eine Reise nach Rom, wo er mit Papst Anicetus Verhandlungen über den zwischen Morgen- und Abendland umstrittenen Termin des Osterfestes verhandelte. Obwohl es damals zu keiner Einigung kam, ließ der Papst Polykarp doch, wie uns Eusebius überliefert hat, alle Ehrungen zuteil werden. Bereits daraus können wir schließen, in welch hohem Ansehen der Bischof von Smyrna selbst im Abendland stand. Unter den Kirchen Kleinasiens nahm er sicherlich einen herausragenden Platz ein, wozu vor allem das Ansehen seiner Lehre, deren unverfälschte Rechtgläubigkeit er auf die Apestel zurückführen konnte, beitrug. "Mit seiner Lehre", schreibt Irenäus, "stimmen alle Kirchen in Kleinasien und die Nachfolger Polykarps überein." Irenäus berichtet an derselben Stelle auch, daß Polykarp während seines Romaufenthalts sehr erfolgreich gegen die Häresie des Marcion auftrat, der lehrte, Christus habe nur einen Scheinleib angenommen. Als er diesem Irrlehrer einmal auf der Straße begegnete und von ihm gefragt wurde; "Kennst du mich?",t zögerte er nicht zu antworten: "Ich kenne dich, du Erstgeborener des Satans."
Eine Probe der Lehre des Polykarp besitzen wir noch in dem Brief, den er an die Gemeinde von Philippi geschrieben hat und der die einzige erhaltene sicher verbürgte Schrift aus seiner Feder darstellt. In ihm stellt er seine Lehre zunächst bescheiden hinter die des Apestels Paulus zurück, dessen Wirken den Philippern wohl noch in guter Erinnerung war: "Brüder, nicht ich selbst habe es mir herausgenommen, euch dies über die Gerechtigkeit zu schreiben, sondern (ich tat es), weil ihr mich dazu aufgefordert habt. Denn weder ich noch sonst einer meinesgleichen kann der Weisheit des seligen und berühmten Paulus gleichkommen, der persönlich unter euch weilte und die damaligen Menschen genau und untrüglich unterrichtete im Worte der Wahrheit." Im Folgenden ermahnt Polykarp die Christen, die Laster, vor allen Dingen das der Habgier, das er "den Anfang aller Übel" nennt, zu meiden und warnt sie eindringlich vor den falschen Lehrern: "Denn jeder, der nicht bekennt, daß Christus im Fleische erschienen ist, ist ein Antichrist, und wer das Zeugnis des Kreuzes nicht bekennt, ist aus dem Teufel, und wer die Reden des Herrn verkehrt nach seinen eigenen Begierden und die Auferstehung und das Gericht leugnet, der ist der Erstgeborene Satans". Es klingt wie eine Vorausschau des eigenen Geschicks, wenn Polykarp schließlich zu treuer Christusnachfolge auch und vor allem im Leiden anspornt: "Unablässig wollen wir festhalten an unserer Hoffnung und an dem Unterpfand unserer Gerechtigkeit, nämlich an Jesus Christus, der unsere Sünden an seinem eigenen Leib ans Kreuz getragen, der keine Sünde getan hat und in dessen Mund kein Betrug gefunden wurde, sondern unseretwegen hat Er alles auf sich genommen, damit wir in Ihm das Leben haben. So wollen wir denn Nachahmer werden Seiner Geduld, und wenn wir seines Namens wegen leiden, wollen wir Ihn verherrlichen."
Wenn die Martyrorakte von Polykarp als von einem Mann spricht, der "wegen seines guten Wandels schon vor seinem Martyrium mit allen Tugenden geschmückt war", so dürfen wir daraus schließen, daß er nicht nur seiner Lehre, sondern auch seinem Leben nach eine herausragende Gestalt war. Das glaubwürdigste und unverdächtigste Zeugnis mit den Worten forderte: "Dieser ist der Lehrer Asiens, der Vater der Christen, der Zerstörer unserer Götter, der durch seine Lehre viele bewegt, nicht zu opfern und anzubeten." Aus diesen Worten kann man wenigstens ungefähr erahnen, welch reiche Frucht das Wirken des heiligmäßigen Bischofs getragen hat.
Damit stehen wir bereits an der Schwelle des letzten Lebensabschnittes unseres Heiligen, der zugleich der am genauesten überlieferte ist: Seinem Martyrium. Die Akte, die uns darüber berichtet, gehört zu den ältesten und kestbaren Quellen der Martyrerkirche.
Systematische Verfolgungen der Christen hat es in den zwei ersten Jahrhunderten nach Christus kaum gegeben. Jedoch hat die latente Spannung zwischen dem staatsrömischen Götzen- und Kaiserkult und der christlichen Religion örtlich immer wieder zu Ausschreitungen seitens der Staatsmacht geführt, wobei man die Christen der Gesetzlesigkeit beschuldigte oder ihnen auf bloße Gerüchte hin andere noch schlimmere Verbrechen zur Last legte. Solche Verfolgungen waren es ja auch, denen die Apestelfürsten Petrus und Paulus unter Nero oder etwa der hl. Ignatius von Antiochien unter Trajan zum Opfer fielen. Ebenso brach diesmal unter Kaiser Antonius Pius in Smyrna eine Christenverfolgung aus. Vor Polykarp hatten bereits 11 andere Christen ihren Glauben mit dem Blute bezeugt. Vor einer großen Menschenmenge wurden sie auf grauenhafte Art und Weise gemartert und schließlich von wilden Tieren zerrissen: "Zerfleischt mit Geißeln derart, daß man bis auf die Adern und Blutgefäße in ihrem Innern den Bau ihres Leibes sehen konnte, hielten sie aus. Selbst die Zuschauer wurden von Mitleid ergriffen und weinten. Sie selbst aber erschwangen sich zu einer solchen Höhe der Seelenstärke, daß keiner von ihnen schrie oder stöhnte...". Da die Glieder sich als standhaft erwiesen, verlangte der Pöbel, daß das Haupt der Christen, Polykarp, gebeugt werden sollte. Dieser entzog sich der Verfolgung zunächst durch die Flucht auf ein Landhaus, wo er sich mit einigen seiner Getreuen aufhielt, "ohne Tag und Nacht etwas anderes zu tun als zu beten für alle Menschen und für die Kirchen der ganzen Welt, wie er es gewohnt war." Bald spürte man Polykarps Versteck auf. Er mußte in ein anderes Landhaus fliehen, wurde aber auch dert verraten.
Da gab er endlich die Flucht auf und stellte sich seinen Verfolgern: "Als er von ihrer Anwesenheit hörte, stieg er hinab und sprach mit ihnen, sie aber waren betroffen über sein hohes Alter, seine Ruhe und darüber, daß sie sich eine solche Mühe gegeben hatten, einen so alten Mann aufzugreifen." Der Bischof wurde nun in die Stadt gebracht, in die er, Christus ähnlich, auf einem Esel einritt, und in der Arena dem römischen Prokonsul (Statthalter) zum Verhör vorgeführt. Nachdem man ihn, vielleicht sogar aus Mitleid, schon unterwegs vergeblich zu überreden versucht hatte, das vorgeschriebene Kultopfer für den Kaiser zu vollziehen, versuchte der Statthalter nun zunächst in ähnlicher Weise, Polykarp mit dem Hinweis auf sein Greisenalter nachgiebig zu stimmen: "Bedenke dein hohes Alter! Schwöre beim Glück des Kaisers! Geh in dich, sprich: "Hinweg mit den Gottlesen (= den Christen)!" Den Sinn dieser Rede kehrte Polykarp genau um, indem er "mit finsterer Miene" die Scharen der in der Rennbahn versammelten Heiden anseh, die Hand gegen sie ausstreckte und sprach: "Hinweg mit den Gottlesen!" Dem Statthalter jedoch gab er auf die Aufforderung, Christus zu vorleugnen, zurück: "86 Jahre diente ich ihm, und er hat mir nie ein Leid getan. Wie könnte ich meinen König und Erlöser lästern?" Als der Römer nicht aufhörte, ihn zu bedrängen, bekannte er schließlich fest und klar: "Ich bin ein Christ. Willst du aber die Lehre des Christentums kennenlernen, so bestimme mir einen Termin zur Aussprache."
Der römische Beamte sah, daß er mit seinen Überredungsversuchen nicht weiterkam, und versuchte es stattdessen mit der Drohung der furchtbaren Todesstrafe durch die Bestien oder das Feuer, konnte damit aber nicht einmal die Ruhe, nooh weniger die Festigkeit des Bischofs erschüttern. Die Drohung des weltlichen Machthabers mit weltlichen Strafen beantwortete er mit der Wanrnung vor den ewigen Strafen: "Du drohst mir mit einem Feuer, das nur eine Stunde brennt und nach kurzem erlischt, denn du kennst nicht das Feuer des zukünftigen Gerichtes und der ewigen Strafe, die auf die Gottlesen wartet. Doch was zögerst du? Hole herbei, was dir gefällt!"
Allein durch die Macht seines Auftretens hatte Polykarp das Verhältnis zwischen sich und seinem Ankläger völlig umgekehrt: Er, der mit dem Tode Bedrohte, "war voll Mut und Freude, und sein Antlitz strahlte von Anmut, so daß er nicht nur nicht die Fassung verlor, sondern daß vielmehr der Prokonsul staunte." Da dieser sich keinen Rat mehr wußte, teilte er der Menge das Ergebnis seiner Befragung mit, auf das sie mit einem vereinten Wutschrei antwortete. Da die Tierhetze aber beendet war, beschloß der Statthalter, Polykarp entgegen der Forderung der blutgierigen hasse durch Verbrennung hinrichten zu lassen. Die Vorbereitungen dazu waren schnell getroffen, weil die Zuschauer, unter ihnen vor allem die Juden, sich diensteifrig daran beteiligten. Polykarp ließ das alles ruhig geschehen, nur, als man ihn auf dem Scheiterhaufen annageln wollte, wehrte er sich mit den Worten: "Laßt mich so, denn Der mir verliehen hat, den Feuertod geduldig zu leiden, wird mir auch die Kraft verleihen, ohne die durch eure Nägel gebotene Sicherheit unbeweglich auf dem Scheiterhaufen auszuharren". Indem er so, auf dem Scheiterhaufen stehend, seinem Tod entgegensah, erhob er ein letztes Mal seine Stimme zu einem begeisterten Lob- und Dankgebet, einem großartigen Zeugnis christlichen Starkmutes: "Herr, allmächtiger Gott, Vater Deines geliebten und gobenedeiten Sohnes Jesus Christus, durch Den wir Kenntnis von Dir erlangt haben, Gott der Engel, der Mächte, der gesamten Schöpfung und der ganzen Schar der Gerechten, die vor Deinem Angesichte leben! Ich preise Dich, daß Du mich dieses Tages und dieser Stunde gewürdigt hast, Teilnehmer in der Gemeinschaft Deiner Märtyrer an dem Kelche Deines Christus zur Auferstehung ins ewige Leben nach Leib und Seele in der Unvergänglichkeit des Hl. Geistes. Unter diesen möchte ich heute von Dir aufgenommen werden als ein fettes und wollgefälliges Opfer; so wie Du, untrüglicher und wahrhafter Gott, mich dazu vorbereitet, wie Du es mir vorherverkündet und wie Du es jetzt erfüllt hast. Deswegen lobe ich Dich auch für alles, ich preise Dich und verherrliche Dich durch Deinen ewigen und himmlischen Hohenpriester Jesus Christus, durch Den Dir mit Ihm und dem Hl. Geiste Ehre sei jetzt und in alle Ewigkeit. Amen."
Nach diesen Worten wurde das Feuer angezündet. Jedoch verzehrte die Flamme zum Staunen der Umstehenden nicht den Leib des Märtyrers, sondern wölbte sich, einem Segel ähnlich, um ihn. So waren die Henker schließlich gezwungen, Polykavp durch einen Dolchstoß zu töten. Darauf erlesch nach dem Bericht der Akte das Feuer ob der des hervorströmenden Blutes. Der hl. Polykarp von Smyrna gab sein Leben hin am 23. Fabruar des Jahres 156.
Um den Leichnam des Blutzeugen entspann sich nach seinem Tod eine heftige Auseinandersetzung zwischen Christen und Juden. Während jene ihren Bischof auf ehrenvolle Art und Weise bestatten wollten, suchten die Juden das zu hintertreiben unter dem dreisten Vorwand, die Christen würden dann den Gekreuzigten verlassen und statt seiner Polykarp anbeten. Dazu bemerkt die Martyrerakte treffend: "Sie begreifen nämlich nicht, daß wir Christus niemals verlassen werden, Der für das Heil aller, die auf Erden gerettet werden, gelitten hat als ein Schuldleser für die Schuldigen, und daß wir auch keinen anderen anbeten können. Denn Ihn beten wir an, weil Er der Sohn Gottes ist. Den Märtyrern aber erweisen wir als Schüler und Lehrer des Herrn gebührende Liebe wegen ihrer unübertrefflichen Zuneigung zu ihrem König und Lehrer".
In dem Streit entschied der Prokonsul schließlich, daß der Leichnam des Bischofs verbrannt werden sollte. Die Gebeine des Martyrers aber wurden von den Christen als kestbare Reliquien aufgehoben und bestattet. Die Verehrung, die man Polykarp in seiner Grabstätte erwies und von der die Akte berichtet, ist ein ob ihres Alters kestbarer Beleg der ungebrochenen Tradition der christlichen Heiligenverehrung und ihren Ursprung von den Quellen des christlichen Glaubens selbst: "Dort (am Begräbnisort) werden wir uns mit der Gnade Gottes nach Möglichkeit in Jubel und Freude versammeln und den Geburtstag seines Martyriums feiern zum Andenken an die, welche bereits den Kampf bestanden haben, und zur Übung und Vorbereitung für die, welche ihm noch entgegengehen"
Literatur:
Martyrerakten, hrsg. von G. Rauschen in "Bibliothek der Kirchenväter" (BdK), Reihe I, Band 14 (München 1912) "Die Apestolischen Väter; in BdK, I, 35 (München 1918) Irenäus, "5 Bücher gegen die Häresien", BdK, I, 3 (München I912) Eusebius von Caesarea, "Kirchengeschichte", BdK. II, 1, (München 193 ) Märtyrer der Frühkirche, hrsg. von W. Schamoni (Düsselderf 1964) |