SIND DIE NEUEN HOCHGEBETE ANNEHMBAR?
Zur Kontroverse zwischen J.A. Jungmann SJ und H. Chr. Seraphim
von Wigand Siebel
I. Inhalt der Kontroverse
Es ist ein ungewöhnliches Ereignis, wenn die - nur im Umdruck vervielfältigte - Dissertation eines evangelischen Theologen durch einen hervorragenden katholischen Wissenschaftler in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift besprochen wird:
Joseph Andreas Jungmann SJ., Besprechung von:
Hans-Christian Seraphim: Von der Darbringung des Leibes Christi in der Messe. Studien zur Auslegungsgeschichte des römischen Meßkanons. Dissertation der evangelischtheologischen Fakultät der Universität München, München 1970; in: Zeitschrift für katholische Theologie, Innsbruck, 95. Jg. 1973 , S. 91-93.
Es geht dabei allerdings auch um keine geringe Sache, denn die Folgerungen, die aus der Dissertation gezogen werden können, stellen einen Angriff gegen die neuen Hochgebete dar, die durch die Liturgieänderung Pauls VI. eingeführt wurden. Seraphim hat diese Folgerungen expressis verbis selbst gezogen. Sie finden sich insbesondere in zwei in hektographierter Form verbreiteten Stellungnahmen, die Jungmann in seine Besprechung einbezogen hat - auch dies ein höchst ungewöhnlicher Vorgang.
1. Die Forschungsergebnisse Seraphims
Worum geht es Seraphim in seiner Dissertation? Der Verfasser setzt bei einer - wie es zunächst scheint - nicht sehr wichtigen Frage an, nämlich bei der Frage nach der Bedeutung der drei Gebete des römischen Kanons, die nach dem Einsetzungsbericht folgen, nämlich "Unde et memores...", "Supra Quae ..." und "Supplices ...".
Diese drei Gebete gehören eng zusammen, sodaß sie eigentlich eine Einheit bilden. Forschungsziel ist es, festzustellen, ob es sich bei dem Objekt, das Gott in diesen Gebeten dargebracht wird, um die noch nicht gewandelten Gaben (die consecranda) oder um die bereits gewandelten Gaben (die consecrata) handelt. Auf den ersten Blick scheint das nicht zweifelhaft zu sein.
Die "hostia pura, hostia sancta, hostia immaculata", "das heilige Brot des ewigen Lebens und der Kelch des immerwährenden Heils" - was anderes sollte damit gemeint sein als die konsekrierten Gaben, Christi Leib und Blut? Die mittelalterliche Theologie hatte über den Augenblick der Wandlung intensiv nachgedacht und war überzeugt, ihn auf den Moment der Wiederholung der Einsetzungsworte durch den Priester, die Christus im Abendmahlssaal sprach, bevor er seinen Jüngern seinen Leib und sein Blut reichte, festlegen zu müssen. Diese Überzeugung wird inzwischen zu dem als sicher angesehen Lehrgut der römischen Kirche gerechnet. Der Wortlaut von "Unde et momores ..." scheint sich dieser Voraussetzung auch gut einzufügen. Seraphim schreibt unter Zitierung Jungmanns: Wenn es wirklich "die consecrata, nämlich Leib und Blut Christi sind, die von uns Gott dargebracht werden, stehen wir hier, 'vor dem zentralen Opergebet der ganzen Meßliturgie', vor dem 'primären liturgischen Ausdruck der Tatsache, daß die Messe ein Opfer ist' (J.A. Jungmann (1)). Unser Abschnitt enthielte dann den entsprechenden liturgischen Vollzug für die Aussage des römisch-katholischen Lehramtes, daß die göttliche Opfergabe von der Kirche Gott darzubringen sei" (2).
Es gibt jedoch begründete Zweifel, ob die Auslegung der Gebete, wonach consecrata Gott darzubringen sind, aufrechtzuerhalten ist. Das frühe Mittelalter kennt nämlich eine andere Auslegungstradition. Sie unterscheidet sich wesentlich von dem Denken der späteren Zeit. Diese Auslegungstradition hat Seraphim im Anschluß an Joseph Rupert Geiselmann (3) in einer umfassenden Weise erforscht. Seraphim kann davon ausgehen, daß Isidor von Sevilla (+ 636) - der letzte Kirchenvater des Abendlandes - in der Überzeugung, einer vom Apostel Petrus eingerichteten Ordnung der gesamten Kirche zu folgen, die Meßfeier in sieben Abschnitte einteilte. Die Konsekration wurde dabei mit der oratio sexta verbunden die vom Post-Sanctus bis zum Vaterunser ausschließlich reichte. Die konsekratorischen Wirkungen schrieb er der Oratio sexta als ganzer zu, nicht etwa nur dem Einsetzungsbericht. Es ist eine allgemeine Erkenntnis, daß die alte Kirche wie Isidor kein momentum consecrationis kannte, vielmehr das ganze Eucharistiegebet as konsekratorisch ansah. Weder kannte Isidor eine Darbringung der consecrata an Gott, noch war eine solche Auffassung der alten westlateinischen (spanischen und gallischen) Tradition bekannt.
Es gibt einige strittige Gebete nach dem Einsetzungsbericht, bei denen Erklärer wie Geiselmann annehmen, sie seien nur verständlich unter der Voraussetzung, daß die Vergegenwärtigung des Herrenleibes schon erfolgt sei. So wird in anamnetischen Gebeten der Altspanische Liturgie von der "Darbringung der hochheiligen Gaben unseres Heils" (4) oder gar vom "Leib, der am Kreuze hing" und vom "Blut, das aus der heiligen Seite floß" (5) gesprochen. Seraphim kann jedoch in präziser Analyse nachweisen, daß auch in diesen Fällen die consecranda gemeint sind. U.a. ist das damit zu beründen, daß die Segnung der Gaben durch den Heiligen Geist erbeten wird. Auch die Bezeichnung der Elemente als "libamina" (Opfergaben) weist darauf hin, daß es sich noch nicht um die konsekrierten Elemente handeln kann.
Den ältesten Erklärern des römischen Kanons im Frühmittelalter ist der Gedanke einer Darbringung der gewandelten Gaben an Gott ebenfalls fremd. Seraphim legt die Auffassung dieser Erklärer besonders am Beispiel des Florus von Lyon (+ um 860) dar. Er kommt so dem Ergebnis: "Die sacrificia sind also Brot und Wein, die 'in mysterio' für die Glaubenden als Gedächtniszeichen des Opfers Christi gelten und deshalb bei ihrer Darbringung als Bestandteile des Lobopfers zu verstehen sind. Damit wird ihr symbolischer Doppelbezug erklärbar. Er hängt mit dem Vorgang des Bekennens und Lobens zusammen. Der Bekennende, sei er der Lobende oder der Liebende, gibt sich durch sein Bekennen der Person und ihrer Wirklichkeit preis, die er nennt. Im Lobopfer und Bekenntnis geht es um die Übereignung der Menschen an Gott. Die Darbringung der sacrificia wird damit zum Ausdruck des Hingabewillens der Darbringenden an Gott in der Wirklichkeit des Opfers Christi, das heißt in seinem Namen" (6). "Auch bei der Konsekration geht es nie um Brot und Wein als Gegenstände" (7). Die Bitten um Annahme dieser hostia im Gebet "Supra quae ..." und um ihre Aufnahme auf den himmlischen Altar im Gebet "Supplices ..." sind also Konsekrationsbitten.
Die erste Meßerklärung, in der nach Seraphim von einer Darbringung der consecrata an Gott die Rede ist, ist die expositio missae "Primum in ordine" (um 800). (Der Text der Meßerklärung (8) ist jedoch nicht eindeutig. Er läßt sich auch im bis dahin allgemein angenommenen Sinn verstehen). Schließlich faßt die scholastische Theologie die Einsetzungsworte als forme consecrationis auf. Die an den Einsetzungsbericht anschließenden Gebete "Unde et momores ..." bis "Supplices ..." erhalten dadurch eine neue Stellung im Geschehen der Messe. Ihr Verständnis als postkonsekratorische Gebete liegt nahe. Damit erhält das Objekt dieser Gebete eine Bedeutung, die den ursprünglichen Sinnzusammenhang zerstört.
Die Forschungsergebnisse Seraphims sind von zentraler Wichtigkeit für die Orientierung des Ökumenismus. Die Interpretation der Gebete nach dem Einsetzungsbericht als Darbringung der consecrata hatte Luther zu seiner Ablehnung der Messe veranlaßt. Er bemerkte, daß der durch dieses Objekt gegebene Sinnzusammenhang des Textes unmöglich sei und bezeichnete ihn als gotteslästerlich. Aus dem gleichen Bedenken ergeben sich schwerwiegende Vorbehalte gegen die neuen Hochgebete. In den hektograhierten Texten bringt Seraphim die Anwendung seiner Ergebnisse auf die gegenwärtige liturgische Lage. "Eine Darbringung der consecrata durch die Kirche an Gott im Zusammenhang des Anamnesegebetes ist weder für die Ostkirchen, noch für die Kirche der Reformation zumutbar, noch entspricht sie dem alten Sinngefüge des römischen Kanons und ebensowenig der alten westlateinischen Liturgietradition und auch nicht dem Eucharistiegebet Hippolyts von Rom. Um der Einheit der Kirche Gottes willen, um Christi willen ist zu fordern, daß solche Formulierungen aus dem Eucharistiegebet entfernt werden." (9). "Die vier amtlichen römisch-katholischen Eucharistiegebete können im Hinblick auf die in ihnen enthaltenen Opferformulierungen ... nicht mit Amen beantwortet werden" (10).
Er schränkt diese Aussage aber ein: "Zu den positiver zu beurteilenden Hochgebeten gehört wohl auch der alte römische Meßkanon (!), wenn man ihn in dem Sinn versteht, in dem ihn die ältesten Ausleger beteten: Florus von Lyon, Hrabanus Maurus und Paschasius Radbert, denen der Gedanke einer Darbringung der consecrate an Gott fremd war. Wir brauchen nicht anzunehmen, daß die abendländische Kirche über tausend Jahre ein Eucharistiegebet mit gotteslästerlichen Formulierungen gebetet hat!" (11) Damit ist jedoch keine Stellung bezogen gegen die Lehre, daß der Wandlungsmoment im Einsetzungsbericht festliegt.
2. Die Besprechung Jungmanns
Jungmann stellt in seiner Besprechung fest, daß es sich bei der Dissertation Seraphims um eine Arbeit handelt, die "schon jetzt Bedeutung in Anspruch nimmt". Er gibt zu, daß ein Bewußtsein von der ausschließlich konsekratorischen Kraft der Einsetzungsworte bei Florus von Lyon und anderen karolingischen Erklärern nicht zum Ausdruck kommt. "Tatsächlich sind die auf die Einsetzungsworte folgenden Gebete von karolingischen Erklärern als Konsekrationsbitten verstanden worden".
Im Hinblick auf die von Seraphim gezogenen Konsequenzen entgegnet Jungmann kritisch, daß Seraphim sich das Verständnis der katholischen Meßopferlehren erschwere "durch die Annahme, es werde durch das Konzil von Trient, um die Einheit des Opfers sicherzustellen, eine vollkommene und allseitige Identität des Meßopfers mit dem Kreuzesopfer behauptet". Speziell wendet Jungmann sich gegen die Auffassung, die Mittätigkeit der Kirche im Opferakt Christi "geschehe durch einen Opferakt, der auf die Wandlung folgt". Seraphim habe ihn (Jungmann) falsch interpretiert, wenn er unterstelle, er (Jungmann) habe die anamnetischen Gebete als "liturgischen Vollzug" (siehe das Zitat oben) des Opferaktes der Kirche begriffen. Jungmann fährt fort: "Aus dem 'Ausdruck' ist bei Seraphim 'Vollzug' geworden. Es ist aber ein Mißverständnis, das vielleicht auch auf katholischer Seite nicht immer ausgeschlossen wird, daß durch die Einsetzungsworte Christi Leib und Blut gegenwärtig gesetzt und dann in den folgenden Gebeten dargebracht würde. Was in der Messe geschieht, geschieht mit den Einsetzungsworten. Alles andere ist Entfaltung und Ausdruck". Die "betende Haltung kann aber nur in vorhergehenden oder nachfolgenden Gebeten zum Ausdruck kommen".
Beim "Darbringungsgebet" ist zu berücksichtigen, daß es "nach den Einsetzungsworten mit memores beginnt. Es handelt sich nicht um ein selbstmächtiges Darbringen. Die Darbringung ist vielmehr mit der memoria identisch." "Das Tun der Kirche geht auf das Gedächtnis der Erlösung. Cyprian hat das mit großer Deutlichkeit ausgesprochen (Ep. 63): Passio est enim Domini sacrificium quod offerimus." Jungmann meint dann, "es kann doch wohl nicht unrecht sein, wenn die Kirche dieses Geschenk vor dem Vater im Himmel dankend und bittend vorweist, wenn sie die 'göttliche Opfergabe', das 'geopferte Lamm' 'darbringt'. Abschließend stellt Jungmann fest: "Es ist erfreulich, daß Seraphim die bei Florus vorgefundene Symbolik der Gaben als Zeichen der Selbstdarbringung der Gläubigen betont. Es ist aber nicht einzusehen, wieso diese für die angeblich nicht konsekrierten Gaben festgestellte Symbolik nicht ebenso und umso mehr für die konsekrierten gelten soll".
3. Ergebnis der Kontroverse
Zunächst muß man Jungmann zustimmen, daß Seraphim die katholische Lehre vom Meßopfer nicht völlig richtig darstellt. Das Konzil von Trient hat nicht eine Identität von Kreuz- und Meßopfer festgestellt, wie Seraphim mehrfach behauptet. Es hat auch nicht gesagt, daß beim "Meß- und Kreuzesopfer" die Opfergabe und der primäre Opferpriester identisch seien, sondern es hat gesagt, daß die Hostie am Altar des Kreuzes und der Messe die gleiche sei und identisch derjenige, der jetzt im priesterlichen Dienst darbringt und der, der sich selbst am Kreuz darbrachte, wobei allein die Art des Darbringens verschieden ist (12). Auch ist es höchst zweifelhaft, ob das Konzil den "Irrtum" vertrat, daß "die Gläubigen die consecrata an Gott darbringen" (13). So konnte es Seraphim nicht gelingen, die Repräsentationsverhältnisse klar zu durchschauen.
Jungmann hat zweifellos auch recht mit der Behauptung, daß Seraphim ihn (S. 4) mißverstanden habe. "Unde es memores ...." ist von Jungmann nicht als "Vollzug" des Opfers der Kirche angesehen worden, sondern als ein "Ausdruck" davon. An anderer Stelle in Missarum sollemnia heißt es: "Derselbe Akt, der das Opfer Christi verwirklicht, verwirklicht auch das Opfer der Kirche". (14)
Die Frage ist jedoch, ob damit der neuartige Ansatz Seraphims mit seiner kritischen Spitze abgewehrt worden ist. Seraphims begründetes Forschungsergebnis lautet ja, daß die anamnetischen Gebete ihrem Sinn nach vorkonsekratorische Gebete sind. Sie als nachkonsekratorische Gebete aufzufassen, ist nach ihm nicht erlaubt, weil damit der Sinn der Messe unzulässig verändert wird. Jungmann aber beharrt darauf, daß diese nachkonsekratorische Gebete seien; sie stellen nach ihm eine Art Erklärung dessen dar, was während des Vortrages des Einsetzungsberichts durch den Priester geschieht (15). Ein einleuchtender Grund für die Beibehaltung dieser Stellungnahme aber wird von Jungmann nicht gegeben. Die von ihm genannten Beispiele, deren stärkstes das Cyprianzitat ist, beziehen sich keineswegs notwendig auf eine Darbringung, der consecrata. Die Darbringung des Leidens des Herrn kann sehr wohl vor dem Wandlungsmoment erfolgen. Gerade das hat ja Seraphim nachgewiesen. Darüber hinaus ist zu fragen, ob die Darbringung nicht überhaupt notwendig der Wandlung vorausgeht. Es zeigt sich so, daß die Schrift Seraphims nicht nur kritisch auf den neuen Ordo gerichtet ist, sondern zugleich - obwohl mehr indirekt- eine fundamentale Kritik der Meßtheorie Jungmanns darstellt.
II. Weiterführung der Kontroverse
1. Unstimmigkeiten der Jungmannschen Meßtheorie
In folgenden soll die Jungmannsche Meßtheorie genauer auf ihre Haltbarkeit untersucht werden. Wie Jungmann behauptet, geschieht alles, was in der Messe geschieht, in den Wandlungsworten, d.h. im Einsetzungsbericht. Mit dieser Behauptung ist schwer in Einklang zu bringen seine Darstellung der Phasen des Opfers. Ganz besondere Probleme entstehen, wenn man überlegt, wie die Annahme der Opfergabe von seinem Ausgangspunkt her begriffen werden kann.
Jungmann nimmt mehrfach auf eine Abfolge des Opfergeschehens bezug. Er sagt z.B.: "So ist auch jede Opfergabe, die wir Gott anbieten können, vorher 'eine Gabe und ein Geschenk', das er uns verliehen hat (16) . An anderer Stelle heißt es: Sowie man "darauf achtet, daß das Opfer des Neuen Bundes als kultisches Opfer wesentlich den Händen der Kirche übergeben ist, die sich an das Opfer Christi anschließt, wird sofort klar, daß wir darin trotz der Erhabenheit seines Wesenskernes doch nur ein äußeres Zeichen haben, mit dem die Kirche, und zwar zunächst diese Gemeinde, Gott huldigt und das Gott als Huldigungsgabe aus ihren Händen tatsächlich nur dann annehmen kann, wenn wenigstens ein Mindestgrad von innerem Hingabewillen der Beteiligten die äußere Darbietung begleitet und beseelt. In diesem Sinn ist es durchaus denkbar, daß sogar die harten Prophetenworte, in denen Gott die nur äußerlich und seelenlos dargebrachten Opfer seines Volkes zurückweist, auch einmal dem Opfer des Neuen Bundes gelten" (17) Jungmann meint von "Supra quae ..." und "Supplices ...", daß diese Gebete ganz beim äußeren Vorgang des Opfers verweilen, dessen Stufen sie betend verfolgen". (18)
"Eine Gabe hat erst dann völlige Annahme gefunden, wenn sie ... ins Besitztum des Empfängers hinübergenommen ist. In einem kühnen Bilde wird nun diese abschließende Phase einer menschlichen Geschenküberreichung übertragen auf unsere Opfergabe und auf Gott, dem wir sie bieten" (19).
Ob man nun die einzelnen Annahmen Jungmanns teilt oder nicht, man kommt notwendig zu einem Dreiphasenmodell: 1. die Gaben werden gewandelt, 2. die Gaben werden Gott dargebracht, 3. Gott nimmt die Gaben an (oder verweigert sie). Wenn dieses Modell eine zeitliche Stufung darstellt - und sehr viel spricht dafür - dann wäre die Zusammenfassung in einem Akt, der Wandlung, nicht möglich. Aber auch wenn es sich um eine logische Stufung handelt, ist das Dreiphasenmodell fragwürdig. Denn worin besteht die Annahme der Gaben durch Gott Vater, wenn nicht in der Wandlung? Diese aber wird an den Anfang gesetzt, sodaß in diesem Modell eine zweimalige Annahme der Gaben stattfinden muß.
Um die entstandenen Probleme zu klären, sollen im folgenden die Struktur einer individuellen und dann die Struktur einer gemeinschaftlichen Geschenküberreichung dargestellt werden. Jungmann selbst vergleicht ja den Vorgang mit einer "menschlichen Geschenküberreichung".
2. Die Struktur einer individuellen Geschenküberreichung
In einer feierlichen Geschenküberreichung - etwa eines Kindes an seine Mutter zu deren Namenstag - wird ein Gegenstand, über den der Schenkende Verfügungsrecht hat, einer anderen Person überreicht und von ihr angenommen (bzw. verweigert). Worin besteht das Geschenk? Es besteht nicht nur im materiellen Gegenstand, sondern auch in einer geistigen Bedeutung, die mit dem Gegenstand verbunden ist. Diese Bedeutung liegt in der Erklärung der Hingabebereitschaft (der Liebe) des Schenkenden gegenüber dem zu Beschenkenden. Von dem Geschenk wird angenommen, daß es dem Beschenkten Freude macht. Durch den bloß materiellen Gegenstand braucht aber eine Freude nicht ausgelöst zu werden, wohl aber durch die mit ihm verbundene Bedeutung. So kann eine Kindermalerei in sich gesehen völlig wertlos sein, aber von hohem Wert durch das, was das Kind damit ausdrücken wollte. Die Überreichung des Geschenks im Sinne der Bitte um Annahme stellt einen Lob- und Bekenntnisakt dar, der Zustimmung zur Gemeinsamkeit von Schenkendem und zu Beschenkendem ausdrückt.
Lob und Bekenntnis können auch in sprachlichen Sätzen geäußert werden. Ein solches Tun ist jedoch als Lob- und Bekenntnisakt unvollkommen. Eine festliche Geschenküberreichung ist immer in die Gegenwart der Feiernden hineingenommen, geschieht also in Öffentlichkeit. Durch eine Geschenküberreichung kann der Bekenntnisakt in seiner Glaubwürdigkeit sehr viel mehr zum Ausdruck kommen. Denn alle Mühe der Auswahl,
1) der Herstellung 2) und der Überreichung 3) des Geschenkes
geht ja in die geistige Bedeutung des Geschenkgegenstandes ein. Schließlich läßt sich bei einem Geschenk die Annahme durch den, dem das Geschenk überreicht wird, deutlich demonstrieren. Alle drei genannten Momente sind bei bloß verbalem Bekenntnisakt undeutlich oder können entfallen.
Wenn das Gegenüber das Geschenk annimmt, nimmt es also eigentlich den durch Taten erhärteten Bekenntniswillen des Schenkenden im Bekenntnisakt an und stellt insofern die Gemeinschaft mit ihm her. Der materielle Gegenstand wird nicht als solcher, sondern als Symbol dieser Gesinnung angenommen. Durch die Annahme erhält er eine zusätzliche Bedeutung. Er ist jetzt nicht nur Zeichen der Hingabe, sondern auch der Gemeinsamkeit, des Bundes. Das zeigt sich darin, daß das angenommene Geschenk, keinesfalls zu beliebigen Zwecken verwendet werden darf, also "tabuiert" ist. Die Kinderzeichnung z.B. darf von der Mutter nicht gleich als Notizzettel für das Haushaltsgeld verwendet werden.
3. Die Struktur einer gemeinschaftlichen Geschenküberreichung - das Opfer -
Für die gezogene Folgerung spricht ein weiterer Gedanke. Bisher wurde von dem Bild der Geschenküberreichung als Tat eines Individuums ausgegangen. Tatsächlich handelt es sich aber nicht um das Tun eines Individuums, sondern um das Tun einer Sozialeinheit, nämlich der Kirche. Christus ist der Hohepriester der für sie an ihrer Stelle das Opfer darbringt. Auch die Presse ist ein wahres und eigentliches Opfer (20). Opfer meint also eigentlich, nicht ein individuelles "Opfer", sondern ein Gemeinschaftsopfer. Ein solches Opfer stellt den Kern eines Festes dar (21).
Zu einem Gemeinschaftsopfer gehören wie die Religionsgeschichte lehrt, zwei Hauptphasen sowie eine einleitende und eine ausleitende Phase. In der einleitenden Phase wird ein bestimmter Gegenstand ausgesondert aus dem alltäglichen Bereich, eine Taube, ein Bock, Öl, Wein, Räucherwerk oder was sonst aus der Tradition vorgeschrieben ist, um zur Opfergabe zu werden. Die erste Hauptphase ("Aufopferung") besteht in der Sakralisierung des profanen Gegenstandes. Das heißt, dieser Gegenstand wird zu einem Ausdruck der opfernden Gemeinschaft. Eine solche Sakralisierung kann natürlich nur eine Autoritätsperson vornehmen, die berechtigt ist, für die Sozialeinheit legitimer Weise zu sprechen, also z.B ein König, der dann priesterliche Funktionen ausübt oder jemand, der das hauptamtlich macht, eben ein Priester. Zugleich mit der Sakralisierung der Gabe wird der Gott der Sozialeinheit gebeten, die Gabe anzunehmen. Angenommen werden soll aber nicht eigentlich die materielle Gabe, sondern die mit ihr verbundene Botschaft der Hingabebereitschaft der Gemeinschaft als ganzer.
Der Priester spricht dabei Gebete, die diesen Vorgang verdeutlichen sollen. Er sagt etwa: Gott, nimm diese Opfergabe (dieses Opfer) an, die (das) Ausdruck unserer Hingabe, unseres Gehorsams und unserer Sühne sein soll. Es sind dadurch auch alle Mitglieder zur bekenntnishaften Erklärung der Hingabebereitschaft aufgefordert, sodaß in dieser Phase die höchstmögliche Form der Identifizierung der Mitglieder mit ihrer sozialen Gruppe zum Ausdruck kommt. Die Sündenfrage ist mit der Hingabe stark verknüpft. Man kann sich nicht voll hingeben, man kann nicht in vollem Sinn gehorsam sein, wenn man mit Sünden belastet ist. Denn mit einer Tat des Ungehorsams stellt man sich außerhalb der Gemeinschaft. Man bedarf also immer wieder des Neueinfügens in den Kern der Gemeinschaft durch eine Reinigungszeremonie. Für den einzelnen besitzt die als Buße angenommene Strafe eine solche reinigende Wirkung. Die Gemeinschaft als ganze kann nur durch ein Opfer gereinigt werden. Die Sühne für die Sünde und die :Erklärung der Hingabe hängen also eng zusammen.
Im Zusammenhang mit den genannten Gebeten steht ein wesentlicher Akt. Die Sakralisierung muß öffentlich manifest gemacht werden. Das geschieht durch einen sichtbaren Segensgestus der - wie die Bitte um Annahme - wiederholt werden kann. Dieser Vorgang ist vergleichbar der feierlichen öffentlichen Erklärung eines Staatspräsidenten bei einer Staatsgründung, daß aus einem materiellen Gegenstand, nämlich einem Tuch, eine Fahne als Symbol des Staates werden soll. Der Segensgestus kann z.B. in einer Handauflegung oder in einem erstmaligen zeremoniellen Aufziehen der Fahne am Mast bestehen. Durch die so vollendete Sakralisierung steht man vor einem sakralen (heiligen) Gegenstand, der zu Verehrung auffordert. Zum Abschluß der ersten Hauptphase des Opfers hat man also einen heiligen Gegenstand vor sich, der die Gemeinschaft in höchstem Maße vergegenwärtigt.
Die zweite Hauptphase ("Opferung" im engeren Sinn) erhält erneut Bitten um Annahme der Opfergaben. Schließlich wird die Opfergabe in einem besonderen Akt ausdrücklich überreicht. Die Übergabe wird durch Tötung des Tieres, durch Ausgießen des Weines oder durch einen weiteren feierlichen Segen verdeutlicht. Entscheidend ist die Annahme des überreichten Gegenstandes durch den Adressaten des Opfers, den Gruppengeist oder Gott. Angenommen werden soll nicht eigentlich die materielle Opfergabe, denn der Gott braucht weder Stiere, noch Wein, noch Räucherwerk. Angenommen werden soll vielmehr die Botschaft, die durch die Sakralisierung mit einem materiellen Gegenstand verbunden worden ist. Ohne diese Annahme wäre alles Tun umsonst. Ist die Opfergabe, und damit die Erklärung der Hingabebereitschaft, angenommen, dann sind nicht nur die Sünden als Hemmnis der Hingabe weggeräumt, sondern dann ist die volle Gemeinschaft mit dem Gott oder den Göttern wiederhergestellt. Die Opfergabe erhält so eine zweite Bedeutung, sie ist jetzt in einem noch höheren Sinn heilig, weil sie Ausdruck der wiedergewonnenen vollen Gemeinschaft mit dem Gott oder den Göttern ist. Als ausleitende Phase kann sich nun ein Essen der Opferspeise anschließen. Sie stellt einen weiteren Bekenntnisakt dar, der die wiedergewonnene Gemeinschaft besiegelt. (22).
4. Schenkender und Geschenk in der Messe.
Auf dem Hintergrund der Überlegungen zur Geschenküberreichung als individuelle Tat und als Opfertat der Gemeinschaft kann jetzt genauer festgelegt werden, wer Schenkender und was das Geschenk in der Messe ist.
Der Schenkende kann nicht die Kirche für sich, ohne Christus sein. Die Kirche kann zweifellos nicht ohne ihr Haupt handeln. Wenn die Kirche handelt, dann handelt Christus an ihrer Stelle für sie. Er ist der Hohepriester, der legitimiert ist, die Gemeinschaft gegenüber Gott zu verpflichten. Der Schenkende ist also die Kirche derart, daß Christus für sie und damit zugleich für sich selbst durch den Priester handelt.
Für die genaue Fixierung dessen, was das eigentliche Geschenk der Kirche an Gott Vater bzw. an die Heiligste Dreifaltigkeit ist, muß präzise zwischen jeweiligem Zeichen und seiner Bedeutung unterschieden werden. Das Zeichen besteht als einem materiellen Gegenstand als Träger der Bedeutung und der Bedeutung als geistigem Inhalt des Zeichens. Botschaft, Zeichen und Bedeutung sind immer in den Rahmen einer Sozialeinheit (Sprachgemeinschaft) eingefügt .
a) Das Geschenk ist nicht Christus in dem Sinne als sei er der materielle Geschenkgegenstand. Es fehlt dann die für ein Geschenk im oben definierten Sinne notwendige mit dem materiellen Gegenstand verbundene Bedeutung. Das Geschenk wäre folglich ohne Zeichencharakter.
b) Das Geschenk ist aber auch nicht Christus im Sinne des materiellen Geschenkgegenstandes und zugleich der damit verbundenen Bedeutung. Das gilt jedenfalls für den natürlichen Leib Christi. Dieser ist in seinem Leiden und Sterben am Kreuz zwar Mittel der Überreichung der Hingabe gewesen. Aber dieses Mittel ist; als solches nicht unmittelbar zu vergegenwärtigen, sondern nur im Zeichen. Christus überreicht sich also in der Messe nicht, so weit er in seinem natürlichen Leib ist. Das ist allein auf Golgatha geschehen.
c) Das Geschenk kann nur Christus insofern sein, als er sich selbst durch seine am Kreuz durch die Tat bezeugte Hingabebereitschaft überreicht und damit seine unendliche Liebe erweist. In das Geschenk ist eingefügt die in Lob- und Opfertaten ausgedrückte Hingabe der Gläubigen, die in Christus handeln, obwohl die Annahme des Geschenks von diesen nicht abhängt. Das Geschenk ist also kein materieller Gegenstand und kein Zeichen, sondern eine geistige Bedeutung. Und diese wird mit Brot und Wein verbunden, sodaß diese zum Zeichen werden. Brot und Wein als Zeichen der Hingabebereitschaft Christi und der Kirche und der daraus folgenden Taten, hauptsächlich des Leidens Christi, sind so - schon vor der Wandlung - auch Zeichen für den Leib Christi, nämlich die Kirche und für das über sie ausgegossene und immer weiter fließende Bundesblut. Insofern sind Leib und Blut Christi als die sich hingebende, lebende und bekennende Kirche mit ihrem Haupt Christus, der eigentliche Inhalt des dargebrachten Geschenks.
Diese Auffassung läßt sich durch ein frühes Eucharistiegebet ausdrücklich bestätigen. Es handelt sich hier um die "canonica prex" aus "De sacramentis". Die überwiegende Mehrheit der Patrologen ist für Ambrosius (+ 397) als Verfasser eingetreten. Nach Gamber (23) muß der Kanontext noch aus dem 2./3. Jahrhundert stammen. Dieser Text besagt: "Mach uns diese Opfergabe zu einer eingetragenen, gültigen, geistigen, weil sie ein Symbol (eine Darstellung des Leibes und Blutes unseres Herrn Jesus Christus) ist". (24)
Das Geschenk können danach nicht die gewandelten Gaben sein. Denn wie sollte Christus selbst, wie er sich - und in ihm die Kirche - Gott Vater hingibt, Gott Vater überreicht werden? Die darin steckende komplizierte Gedankenkonstruktion wird deutlich, wenn man ein - freilich nicht in jeder Hinsicht paralleles - Beispiel heranzieht: Einer Braut wird man durch einen Liebesbrief, den man als Freund des Bräutigams in dessen Auftrag überreicht (oder vorliest) eine Freude machen. Denn die Botschaft ist ein Bekenntnis zur Gemeinsamkeit der Braut und der Liebesbrief selbst ein Zeichen für die Gemeinsamkeit und damit für die Hingabebereitschaft des Bräutigams gegenüber der Braut. Der Bräutigam bringt sich also selbst mit Hilfe des Freundes der Braut dar. Würde der Bräutigam den Freund wohl auch beauftragen, ihn selbst der Braut körperlich zu überreichen?
Eine besondere Schwierigkeit der Überreichung der consecrata liegt aber auch darin, daß diese von ihrer Materialität nicht zu trennen sind. Durch die Wandlung ist in einem bestimmten Sinn die Differenz zwischen Zeichen und Bedeutung aufgehoben, weil das gewandelte Brot und der gewandelte Wein Christus nicht nur (symbolisch) bedeuten, sondern in der Auferstehungsherrlichkeit wirklich sind. Dennoch bleibt das Zeichen in der Materialität von Brot und Wein bestehen. Es ist ganz ausgeschlossen, diese (akzidentelle) Materialität von der zur Realität gewordenen Bedeutung zu brennen. Die consecrata haben darüberhinaus aber auch einen im vollen Sinn materiellen Charakter. Denn Christus ist in ihnen mit seinem verklärten Leib und Blut gegenwärtig. Die Verklärung hebt die Materialität nicht auf, sondern führt sie nur zu ihrer höchsten Vergeistigung. Eine Botschaft, gesprochen oder gedacht, erreicht Gott den Vater von überall her. Wie aber kann man ihm an die Materialität gebundene Gaben überreichen? Wie kann er sie angenommen haben, wenn sie doch auf dem Altar verbleiben?
Eine Darbringung materieller Gaben würde darüber hinaus der Überzeugung der Väter widersprechen, wie sie besonders St. Johannes Chrysostomos ausgedrückt hat, nämlich daß die hl. Liturgie ein geistiges Opfer darstellt. Eine Überreichung materieller Gaben als eigentlicher Geschenkinhalt ist danach ausgeschlossen.
Man darf sich hier von einem bestimmten Sprachgebrauch in der Kirche nicht irritieren lassen, wonach alles aufgeopfert werden kann; Krankheit, Leiden, Glück und Freude, Beruf und auch Christi Leib und Blut, Christus selbst. In diesem Gedankengang ist nicht an eine Überreichung des Genannten gedacht, sondern an die Darbringung der Gesinnung, die bereit ist, alles anzunehmen, wenn Gott es will und auf alles zu verzichten, wenn Gott es will.
5. Folgerungen für Jungmanns Meßtheorie
a) Segnung. Unter den gegebenen Voraussetzungen kommt der Herstellung des Geschenkes vor der Geschenküberreichung und damit dem Opferakt der Sakralisierung erhebliche Bedeutung zu. Die Segnung der Opfergaben in der Phase der "Aufopferung", ist für die Messe konstitutiv, wenn auch der entscheidende Kern des Opfers in der Phase der "Opferung" und damit in der Konsekration liegt.
Andererseits müssen vorkonsekratorische Segnungen für die Meßtheorie Jungmanns Schwierigkeiten bringen. Nach seiner Überzeugung wird die Konsekration "vollzogen an einer Sache, die noch profan, die noch Welt ist, ja die im intensivsten Sinn Welt und Menschenleben ist, weil die Menschen davon ihr Leben fristen" (25). Von diesem Verständnis her versucht Jungmann, die Kreuzeszeichen der Messe (Papst Pius V.) zu relativieren. Er trägt die Meinung vor, daß dieser Gestus sich entsprechend den Grundsätzen der Rednerschulen des ausgehenden Römerreiches entwickelt hätte (26): "Zum rednerischen Wort, das einen vor Augen stehenden Gegenstand berührt, gehört die Gebärde des Hinweises auf den Gegenstand, ein Grundsatz, der übrigens jede lebendige Rede und darum auch die noch natürlich und ursprünglich fließende Gebetsrede beherrscht .... Wir müssen damit rechnen, daß diese hinweisende Gebärde nachträglich, d.h. seit dem 8. Jahrhundert, zum Kreuzzeichen stilisiert worden ist". Gegen diese Meinung macht Seraphim geltend, daß das Kreuzzeichen "in der westlateinischen Liturgietradition mit Sicherheit als Segnungszeichen aufgefaßt" (27) wurde. Einer seiner Belege geht auf Gregor von Tours (+ 594) zu (28).
Wenn einige frühe Handschriften kein Segenszeichen kennen sollten, so ist damit keineswegs gesagt, daß diese Segenszeichen nicht gemacht wurden. Es kann ein so selbstverständlicher Brauch gewesen sein, daß man es nicht der Mühe wert fand, ihn aufzuzeichnen. Natürlich muß das Segenszeichen nicht von Anfang an ein Kreuzzeichen gewesen sein. Bereits im ältesten Beispiel eines ausgeführten eucharistischen Hochgebets, wie es in der "Apostolischen Überlieferung" (kurz nach 200) Hippolyts erhalten ist, gibt es einen Segensgestus und zwar in engem Zusammenhang mit der "Präfation" (29). Von hier aus wird das Wort aus dem Einsetzungsbericht voll verständlich: "gratias agens benedexit". Zum Danksagen gehört hier der Segen, was auch für die hebräischen Berakagebete (30) gilt. Daher kann die frühe Christenheit gelegentlich auch den ersten Teil des Eucharistiegebetes allein "Immolatio" nennen (31). Aus dem Wort "Immolatio" ist die sakralisierende Wirkung des Gebets in besonderer Weise zu entnehmen, da es ursprünglich "Bestreuen (des Opfertieres) mit Opfermehl" bedeutet. Entsprechende Segnungen finden sich in allen Liturgien, die auf den Ursprung zurückgehen. Auch Christus hat im Abendmahlssaal zweifellos Brot und Wein gesegnet, wie die Evangelien beweisen und wie es die jüdische Tradition erforderte.
b) Annahme: Stehen die Christen wirklich, wie Jungmann meint, wie die Glieder des Alten Bundes oder die Heiden vor der Frage, ob Gott ihr Opfer angenommen hat? Wenn ja, wie kann Gott zeigen, ob ihr Opfer angenommen wurde? Für die Lösung dieser Frage enthält die Jungmann'sche Meßtheorie keinerlei Kriterien. Tatsächlich hat Gott Vater die Annahme des Bekenntnis- und Hingabeaktes Christi am Kreuz überaus sichtbar und eindrucksvoll demonstriert, nämlich durch die Auferstehung. Die Auferstehung Christi ist also der Prüfstein, von dem alles andere abhängt. Die Wandlung des materiellen Leibes Christi in seinen verklärten Leib, ist der Beweis für die Annahme des Opfers Christi und damit für unsere Erlösung Das gilt auch dann, wenn Christus aus eigener Kraft die Auferstehung vollzog. Die Annahme des Bekenntnisaktes der Kirche ist auch in der Messe vor Augen zu führen, wenn auch in einer verborgenen, geheimnisvollen Weise: nämlich durch die Wandlung! Von hier aus ist festzustellen, daß an der Annahme des Hingabeaktes Christi in der Messe durch Gott Vater überhaupt kein Zweifel sein kann, sofern die Messe in der apostolischen Tradition steht. Daraus folgend wird auch die Annahme des Opfers der Kirche stets gewährt. Fraglich ist dagegen die Annahme der individuellen Hingabeakte der Gläubigen und damit die Annahme der Gläubigen selbst durch die Heiligste Dreifaltigkeit. Daß der Hingabeakt Christi in der Messe durch Gott Vater stets angenommen wird, würde Jungmann sicher anerkennen. Zu seiner Rechtfertigung könnte er auf die Wandlung verweisen, die Ausdruck der Annahme des Opfers Christi sei. Unter dieser Voraussetzung müßte Jungmann dann aber von zwei zeitlich aufeinander folgenden Annahmeakten sprechen:
1. von der Annahme der Hingabe Christi und der Kirche, wie sie in der Wandlung zum Ausdruck kommt und 2. von der Annahme der gewandelten Gaben, die durch die Kirche im Namen Christi übereicht werden.
Die Einheit des Opferaktes Christi und der Kirche wäre damit in Frage gestellt.
Gegen diese Überlegungen könnte Jungmann einwenden, er habe überhaupt keine zeitliche Abfolge gemeint. Die Opfergabe sei nämlich nicht zeitlich früher, sondern der "Natur" nach früher vorhanden, sodaß sie mit der Wandlung zugleich dargebracht werden könne (32). Der "Natur" nach früher kann in diesem Zusammenhang nichts anderes meinen als eine logische Voraussetzung. Versteht man das Dreiphasenmodell in diesem Sinn, so hat man die Satzfolge:
1. die Wandlung ist logische Voraussetzung der Darbringung, 2. die Darbringung ist logische Voraussetzung der Annahme, 3. die Annahme ist logische Voraussetzung der Wandlung.
Dadurch ändert sich aber nichts. Es ergibt sich ein Zirkel, weil dem ausdrücklich behaupteten ersten Satz der dritte mit gleicher Berechtigung (im Hinblick auf den "Natur"-begriff) entgegen gestellt werden kann. Auch hier wäre der - unannehmbare - Ausweg nur die Behauptung von zwei (voneinander logisch zu unterscheidenen) Formen der Annahme. Eine zweifache Annahme setzt eine zweifache Darbringung voraus. Tatsächlich kennt Jungmann auch zwei Darbringungen. So spricht er öfter von der "Darbringung der materiellen Gaben" (33). Nach seiner Theorie müßten daher zwei verschiedene Gaben in der Messe überreicht werden, nämlich zunächst die "profanen Gaben" und danach die consecrata. Es gäbe dann nicht nur eine zweimalige Annahme sondern auch eine zweimalige Darbringung.
St. Thomas von Aquin kennt dagegen nur eine einzige Darbringung ("oblatio") die als eine eigene, zeitlich der Konsekration vorausgehende Phase des Opfers (gegenüber dem Sakrament): Das Mysterium wird "dargebracht als Opfer und konsekriert und empfangen als Sakrament. Daher wird zuerst die Darbringung vorgenommen, an zweiter Stelle die Konsekration der dargebrachten Materie, an dritter Stelle dessen Empfang" (34). Daß die oblatio als eigene Phase vor der Konsekration begriffen wurde, läßt sich auch noch aus vielen Rubriken des pianischen Missale ablesen, desgleichen die Änderung des Charakters der Gaben durch die oblatio. (35).
c) Tötung. Aus der Darlegung der Grundstruktur des Opfers hat sich ferner ergeben, daß die Tötung (des Opfertieres) kein notwendiger Bestandteil des Opfers ist, sondern eine Form - und zwar die ausdrucksvollste Form - der Überreichung der Opfergabe, nämlich der Eingabe der Gemeinschaft. Die nachtridentinischen Opfertheorien sind von der Idee der Tötung in starkem Maß bestimmt. In dieser Linie steht auch Jungmanns Opfertheorie. Es ist von diesem Gedanken aus besonders naheliegend, eine Darbringung der consecrata anzunehmen. Denn eine Tötung - die Schlachtung des Opferlammes - läßt sich nur vollziehen, wenn das Opferlamm, Christus, zugegen ist.
Nun ist aber die Frage, ob es sich beim Opfer der Messe um eine Tötung handelt, entschieden zu verneinen. Das Leiden Christi ist ein einmaliges und unwiederholbare Ereignis. Außerdem erfolgt die Gegenwart Christi nicht in seinem materiellen, sondern seinem verklärten Leib, der dem Tod nicht mehr ausgesetzt ist. Christus stirbt also nicht erneut, sondern er opfert die gleiche Opfergabe wie damals am Kreuz. Es kann sich folglich nur um eine symbolische Schlachtung handeln, die zur Vergegenwärtigung (repraesentatio, memoria) des Kreuzestodes Christi führt. (36).
Wenn man nun glaubt, das Entscheidende des Meßopfers als Opfer liege in der symbolischen Schlachtung (mactatio mystica), dann ist es äußerst problematisch, wie man einsichtig machen kann, daß die Messe nicht nur die Darstellung eines Opfers, sondern selbst ein Opfer ist. Der Versuch Odo Casels, die Lösung durch Übersteigerung der repraesentatio zur Identität von Kreuzesopfer und Meßopfer zu gewinnen, kann wohl als gescheitert angesehen werden (37). Es bleibt daher nichts anderes übrig, als den entscheidenden Punkt des Opfers nicht in der Schlachtung, sondern in der Darbringung einer Botschaft der Hingabe zu sehen. Die Vorstellung, daß man nur das darbringen könne, was man in der Hand halte, entspricht einer positivistischen (oder materialistischen) Sichtweise. Dadurch wird leicht der zentrale Inhalt des Opfers übersehen. Das Darbringen von Gesinnungen und durch Taten bekräftigten Haltungen im Bekenntniswillen. Der entsprechende Bekenntnis in der Messe, der im Leiden Christi kulminiert, wird in Zeichen vergegenwärtigt und in der 2. Hauptphase der Messe, der "Opferung", von Gott Vater angenommen.
Eine Anzahl von Äußerungen der Enzykliken "Mystici Corporis" (1943) und "Mediator Dei" (1947) sind bisher häufig im Sinne einer Darbringung der consecrata verstanden worden. Sie sind jedoch so wenig bestimmt, daß sie durchweg auch im Sinne der hier vertretenen Auffassung interpretiert werden können (38). Als Beispiel sei ein Satz aus Abschnitt 113 (39) von "Mediator Dei" angeführt: "Das eucharistische Opfer ist seiner Natur nach eine unblutige Opferung (immolatio) der göttlichen Opfergabe, was auf geheimnisvolle Weise durch die Trennung der heiligen Gestalten und durch ihre Darbringung an den Ewigen Vater zum Ausdruck kommt". Die Trennung der "heiligen Gestalten" findet nämlich in gewisser Hinsicht bereits in der ersten Hauptphase des Opfers durch die Sakralisierung statt. Dann kann ihre Darbringung in der zweiten Hauptphase und damit ihre Annahme durch Gott Vater erfolgen.
d) Zusammenfassung. Aus dem Vorgetragenen insgesamt ist zu folgern, daß die Meßtheorie Jungmanns - die freilich nicht nur von ihm vertreten wird - schwerlich haltbar ist. Die auf den ersten Blick vielleicht einfach wirkende Meßtheorie hat sich als ein überaus kompliziertes Gebilde erwiesen, das allein wegen seiner schweren Durchschaubarkeit wenig Vertraucn verdient. Es gibt im Meßopfer nur eine Darbringung der Opfergaben durch die Kirche und nur eine Annahme der Opfergaben durch Gott. Die Wandlung kann daher nicht Voraussetzung des eigentlichen Opferaktes sein, sondern ist dessen Ende. Um das Opfer der Messe zu verstehen, ist es unbedingt nötig, die phasenlose, punktartige Opfertheorie aufzugeben, die das ganze Opfer im Aussprechen des Einsetzungsberichtes konzentriert sieht. Vor der Wandlung gibt es eine weitere, wesentliche Phase, die die Hingabebereitschaft Christi und der Kirche durch Brot und Wein zum Ausdruck bringt. Anders gesagt: Die der Wandlung vorausgehende Opferphase besteht in der Sakralisierung der zunächst profanen Opfergaben im Namen Christi durch den Priester. Nachdem die Gaben sakralisiert sind, sind sie allerdings hochheilige Gaben, nämlich Symbol des Leibes und Blutes Christi. Die Darbringung dieser Gaben bedeutet die Teilnahme der Kirche an einem innertrinitarischen Liebesakt.
Wenn die hier entwickelten Gedankengänge richtig sind, entfallen einige von Jungmann selbst gesehene Schwierigkeiten. Man braucht dann z.B. das Gebet "Quam oblationem ..." nicht mehr mühsam umsuinterpretieren. (40) Der augenscheinliche Sinn des Gebets, nämlich die Bitte, daß die noch nicht konsekrierten Gaben Gott genehm seien, damit sie Leib und Blut Christi werden, fügt sich unter den hier vorgetragenen Überlegungen nahtlos in die gesamte Meßkomposition ein. Desgleichen könnte man im Gebet "Hanc igitur ..." den Ausdruck "Oblatio servitutis nostrae" schlicht mit "Opfergabe unseres Gehorsams" wiedergeben und brauchte nicht auf den Vergleich mit Anredeformen auszuweichen, wie Jungmann es tut (41).
Für das hier entwickelte Verständnis des Meßopfer hat die Arbeit Seraphim einen grundlegenden Beitrag geliefert. Das von ihm herausgearbeitete Verständnis des Meßopfers durch die frühe Christenheit bietet die Lösung der in Jungmanns Meßtheorie enthaltenen Schwierigkeiten. Es ist sehr zu hoffen, daß H.-Chr. Seraphim seine angekündigte größere Arbeit über die Auslegungsgeschichte des römischen Meßkanons bald veröffentlichen wird. Vorerst würde der Diskussion sehr gedient werden durch eine Druckveröffentlichung seiner Dissertation und möglichst auch seiner weiterführenden Thesen.
III. Konsequenzen für die heutige Kirche
1. Die Einwände gegen den neuen Ordo.
Nach den vorangegangenen Überlegungen ergeben sich sehr ernste Bedenken gegen die neuen Hochgebete von zwei Seiten aus.
1. Im Hinblick auf die anamnetischen Gebete ist festzustellen, daß diese nicht mehr wie im Ordo Pius' V. als vorkonsekratorische Gebete interpretierbar sind: weil entsprechende Gebete vor dem Einsetzungsbericht fehlen. Außerdem hat die Institutio Generalis, die Einführung in das neue Meßbuch Pauls VI., in ihrer Zweitfassung unverändert eine Interpretation des "Darbringungsgebetes" gegeben, die eine abweichende Interpretation nicht mehr erlaubt: (42) "In eben diesem Gedächtnis bringt die Kirche, besonders insofern sie hier und jetzt zur Feier versammelt ist, im Heiligen Geist die makellose Opfergabe dem Vater dar. Die Kirche möchte erreichen, daß die Gläubigen nicht nur die makellose Opfergabe darbringen, sondern auch lernen, sich selbst hinzuschenken." Emil Joseph Lengeling hat dies kommentiert mit: "Es ist wichtig zu sehen, daß das Opfer, das die Kirche feiert, gerade in der Anamnese begründet ist, wie zu Beginn von Abschnitt f erfreulicherweise ausgesagt wird." (43).
2. Im neuen Ordo fehlt jedes Kreuzzeichen, das sakralisierende Funktion ausüben könnte. Es ist sowohl der große Segen des Offertoriums gestrichen worden, als auch selbst das Kreuzeszeichen bei dem Wort "benedexit" im Einsetzungsbericht. Der neu eingeführte "Segen" kurz vor den Einsetzungsworten hat den Sinn, die Wandlung einzuleiten. Es ist eine Bitte um Weihe, wie auch in der Institutio Generalis eindeutig ausgesagt wird (44). Selbst der römische Kanon, der textlich weitgehend aber keineswegs vollständig, in der Liturgieänderung erhalten geblieben ist, wurde von seinen Kreuzzeichen getrennt mit der einzigen Ausnahme des "Te igitur ..." (45).
- Beide Neuerungen - die offizielle Umprägung der Anamnesegebete zu einem postkonsekratorischen "Darbringungsgebet" und die Entfernung der Segnungen der Gaben - sind eng mit einer weiteren Änderung verbunden: Die neuen Hochgebete enthalten keine Bitten des Priesters um Annahme der Gaben mehr. Da nach diesen Hochgebeten der Wandlung keine Sakralisierung vorausgeht, sind die Hingabeakte der Gläubigen nicht mehr in das Opfer integrierbar. Folglich braucht der Priester auch nicht mehr um die Annahme dieser Opfer und damit dieser Personen im Opfer der Kirche zu bitten (46).
Der Ordo Pius' V. kannte, einschließlich des Offertoriums, acht vom Priester gesprochene ausdrückliche Annahmebitten. Mit diesen Gebeten bitten die Beter für sich und die anwesenden Gläubigen um Bereitung ihrer Herzen für die Selbsthingabe. "Offenbar suchen die Beter wie Liebende die immer intensiver werdende Zuwendung, deren Formen zwar im Wortlaut der einzelnen Gebete variieren, die aber doch im Grunde alle dasselbe ausdrücken. Wenn also Te-igitur alsbald in Hanc-igitur die nächste Annahmebitte folgt und sogleich darauf in Quam-oblationem wiederum, dann ist das nicht Zweifel an der Gültigkeit des Gebetes, sondern Zuwendung der Beter zu der Mitte ihres Anliegens." (47) Einzig in der "Gabenbereitung" ist mit "Suscipiat Dominus ..." ein Gebet stehen geblieben, das durch den Mund des Volkes um Annahme des Opfers bittet. Aber dieses Gebet hat durch die Zerstörung des Offertoriums einen völlig anderen Sinn bekommen, es bezieht sich jetzt nur mehr auf das "Opfer" der anwesenden Individuen ohne mit der Selbsthingabe Christi verbunden zu sein. (48) Die Ersetzung des Offertoriums durch eine bloße Gabenbereitung, in der Brot und Wein für die Wandlung bereitgestellt werden, bedeutet - besonders wenn man berücksichtigt, daß die Segnungen in den neuen Hochgebeten ausgefallen sind - den Ausfall der ersten Hauptphase eines Opfers.
Die Messe Papst Pius V. (Tridentinische Messe) besitzt dagegen die erste Phase des Opfers klar und eindeutig ausgeprägt im Offertorium. Von einer Vorwegnahme des eigentlichen Opfergeschehens durch die angeblich "proleptische" Ausdrucksweise (49) der Gebete des Offortoriums kann keine Rede sein. Zunächst wird im Gebet "Suscipe.." die Hinordnung der Hingabe, Gehorsam und Sünde auf das Brot vollzogen. Entsprechendes wird im Gebet "Offerimus ..." im Hinblick auf den Wein gesagt. Dabei meint der "liebliche Wohlgeruch" nichts anderes als die Hingabe. Dieser soll "zum Heil der ganzen Welt" emporsteigen.
Es folgt die Formulierung der Selbsthingabe der anwesenden Gläubigen im Gebet "In spiritu humilitatis...". Schließlich wird der feierliche Segen unter Anrufung des Heiligen Geistes über die Gaben erteilt. Damit ist die Sakralisierung vollzogen. Die im Kanon vorhandenen weiteren Kreuzzeichen sind Wiederholungen und Bekräftigungen dieser Segnung. Historisch gesehen, ist die Segnung des Offertoriums aus den Segnungen der Präfation bzw. des Kanons hervorgegangen, um die erste Hauptphase des Opfers deutlicher herauszuheben.
Abschließend, ist festzustellen, daß die neuen Hochgebete nicht nur Formulierungen enthalten, die mit Recht von evangelischer Seite (50) abgelehnt und von katholischen Theologen (51) infrage gestellt werden, der neue Ordo ist vielmehr in seiner Grundidee anfechtbar. Benutzt man die Terminologie von Thomas, so kann man sagen, daß an die Stelle der Darbringung eines Opfers die "Darbringung" eines Sakramentes getreten ist.
Die angeführten Gründe für dieses Urteil lassen sich noch um eine Reihewichtiger anderer ergänzen, die hier nicht weiter auszuführen sind. Man kommt daher um das Urteil schwerlich herum, daß der neue Ordo in die allen alten Riten gemeinsame christliche Tradition nicht mehr einzufügen ist. Aus welchem Grunde sollte die Wandlung in der neuen Liturgie vollzogen werden, da in ihr Gott Vater ja nicht zuvor Leib und Blut Christi - wie in den Liturgien der apostolischen christlichen Tradition - dargebracht wird? Die Realisierung des Opfers allein anhand der im Text vorgegebenen Intentionen muß daher ernsthaft bezweifelt werden. Es ist bedauerlich, wenn unhaltbare Meßtheorien von Theologen geschaffen werden. Für die Kirche kann es aber eine Katastrophe bedeuten, wenn ohne genügende Ehrfurcht vor der Tradition aus einer solchen Meßtheorie ein neuer Ordo der Kirche konstruiert wird.
2. Wirkungen der Liturgieänderungen auf das Leben der Kirche
Wenn der neue Ordo Pauls VI.; die dargestellten Schwächen hat und das Bild des Kreuzes durch ihm verdunkelt wird, dann muß das in vielfacher Hinsicht zu schwerwiegenden negativen Wirkungen in der Kirche führen. Es ist vor allem die Moral der Gläubigen betroffen. Denn die Moral setzt voraus, dass man sich als Mitglieder einer Sozialeinheit zu dieser Sozialeinheit ständig neu bekennt. Dieser Bekenntnis- und Identifikationsakt ist besonders mit dem Offertorium verbunden gewesen. Die ausdrückliche Demonstration der Hingabebereitschaft hat somit ihren Platz verloren. Die guten Werke der Gläubigen in der Selbstverleugnung des Kreuztragens können damit in das Opfer Christi nicht mehr eindeutig eingefügt werden (52). Das allgemeine Priestertum der Gläubigen verliert seine Gestalt. Die Hingabe wird von dem neuen Ordo auch sonst kaum mehr gefordert. Sie scheint etwas recht sekundäres zu sein, wenn man dem oben zitierten Satz der Institutio Generalis in Artikel 54 folgt. Dieser Geist hat seinen Ausdruck z.B. deutlich in der von den deutschen Bischöfen approbierten Kindermesse (53) gefunden. In der Verlautbarung heißt es im Blick auf die "Gabenbereitung": "Der Gedanke der persönlichen Hingabe kann hier anklingen". Müßte es hier "nicht vielmehr heißen: der Gedanke der persönlichen Hingabe der Gläubigen, vereint mit der Hingabe der Kirche und der Hingabe Christi im Abendmahlssaal, muß hier anklingen?" (54) Ja, mehr noch: muß hier grundlegende Orientierung sein?
Wenn die ausdrückliche Demonstration der Hingabe im neuen Ordo entfallen ist, dann ist natürlich noch aus der Vergangenheit das Bewußtsein der Hingabe, die man mitvollziehen muß mit dem Priester in Christus vorhanden. Aber auf die Dauer gesehen ist zu erwarten, daß die Moral der Katholiken erheblich zurückgeht. Das ist einfach eine Folge der eingeleiteten Änderungen.
Der liturgische Wirrwarr, der heute herrscht, ist zumindest teilweise auf die Änderungen zurückzuführen. Man spürt den Mangel der neuen Liturgie und versucht von sich aus, so gut es geht, die Dinge zu bessern. Von daher kann also ein gar nicht unbedingt negativ zu sehender Änderungswille sehr wohl angestachelt sein. Die Verlegung des Schwergewichts des Meßverständnisses auf die Kommunion und auf den Empfang von Gnadengaben statt auf die Hingabe ist eingetreten. Diese Tendenz wird unterstützt durch die vielfachen Erleichterungen auf dem kultischen Gebiet in den letzten Jahren. (55).
Ohne diese wäre die schnelle Durchsetzung der Liturgieänderung überhaupt nicht möglich gewesen. Eine Wiederherstellung der Disziplin und des Gehorsams wird daher, obwohl das Bild des Verfalls der Kirche offenbar ist, mit starken Widerständen rechnen müssen, die nicht nur aus dem weit verbreiteten Schwärmerturn und dem aktiven Modernismus (56) stammen.
Von diesen Überlegungen her ergaben sich auch Folgerungen für das Gebet. Mit dem Rückgang der Demonstration der Hingabebereitschaft wird nämlich das betrachtende (kontemplative) Gebet, das ja nichts anderes als Ausdruck der persönlichen Hingabe gegenüber Gott ist, aus der Liturgie gedrängt. An die Stelle des Aufschwungs der Seele zu Gott in der Gemeinschaft der Kirche tritt immer stärker das wörtliche Dank- oder Bittgebet oder das bloß vordergründige Austauschen von Sprachformeln. Die Kontemplation weicht damit dem Wortaktivismus.
Das Verständnis für Sakralisierung, Aussonderung und Weihe wird mehr und mehr getroffen werfen. Das zeigt sich nicht nur im Bereich des Ordenslebens, sondern auch beim Verständnis des Priestertums, speziell des Zölibats. Die schwere Demoralisierung des Priestertums - die durch ca. 2000 Niederlegungen des priesterlichen Amtes jährlich seit 1964 erschütternd vor Augen tritt - ist also nicht zuletzt auf,- die liturgischen Änderungen zurückzuführen.
Schließlich aber wird auf die Dauer der Zerfall eines ernst zu nehmenden Ökumenismus die Folge sein. Denn außer evangelischen Christen wird auch die Orthodoxie diesen Entwicklungen sicher nicht folgen können, ja selbst für Juden wird die römische Kirche immer unverständlicher worden. Deshalb ist es ein tröstliches Zeichen, daß evangelische Christen zur Selbstbesinnung der römischen Kirche und zur Rückbesinnung auf ihre Tradition beitragen. Denn die zukünftige Una Sancta wird die Tradition, die verloren zu gehen scheint, als ihre Grundlage wieder aufzurichten haben.
Anmerkungen: (1) Missarum Sollemnia, Eine genetische Erklärung der römischen Messe, 2 Bde., 5. Auflage, Freiburg 1962, (MS), S. 277. (2) Seraphim (S.), S. 4. (3) Die Eucharistielehre der Vorscholastik, Paderborn 1926 und Die Abendmahlslehre an der Wende der christlichen Spätantike zum Frühmittelalter, München 1933. (4) S., S. 100. (5) S., S. 140. (6) S., S. 48. (7) S., S. 53. (8) S., S. 127. (9) Text von Weihnachten 1970, S. 5. (10) Text von Februar 1972, S. 9. (11) Ebd. (12) Denzinger-Schönmetzer 1743. (13) Text vom Februar 1972, S. 6. (14) MS I, S. 251. (15) Über diese Position ist Jungmann auch nicht in seinem Aufsatz: Die Gebete zur Gabenbereitung, in: Liturgisches Jahrbuch H. 3, 1973 hinausgegangen. (16) MS II, 279. Hervorhebung hinzugefügt. (17) MS II, 283. (18) MS II, 282. (19) MS II, 287. Hervorhebung hinzugefügt. (20) Denzinger-Schönmetzer 1751. (21) Vgl. zum folgenden W. Siebel: Das Opfer in der neuen Liturgie, Kalkar 1972, zugleich in: Una Voce Korrespondenz; 1972, S. 229 ff. (22) Ähnlich ist die Opfertheorie von Charles de Condren: L'idée du sacerdoce et du sacrifice de Jésus-Christ; 3. Aufl., Paris 1697. Das Opfer besteht aus fünf Teilen (S 46.) "La premiere est la sanctification, ou la consecration de la victime. 2. L'oblation de la victime. 3: L'occasion ou immolation. 4. L'inflammation ou consomption. 5. La communion." (23) Klaus Gamber: Missa Romensis, Regensburg 1970, S. 58 ff. (24) "Fac nobis hanc oblationem scriptam ratam rationabilem, quod figura est corporis et sanguinis domini nostri Jesu Christi, qui pridie quam pateretur ...". (25) MS I, S. 247. (26) MS II, S. 182 f. (27) S., S. 124. (28) Beeindruckend ist für diese Auffassung auch eine Darstellung der Messe unter mystischem Gesichtspunkt durch die Hl. Gertrud: Der Hl. Gertrud der Großen Gesandten der göttlichen Liebe; Freiburg 1972, S. 509. (29) Es heißt dort im Anschluß an die Bischofsweihe: "Quicumque factus fuerit episcopus, omnes os offerant pacis, salustantes eum, quia dignus effectus est. Illi vero offerant diacones oblationes, quique imponens manus in eam cum omni presbyrterio dicat gratias agens: Dominus vobiscum ..." Es folgt das Eucharistiegebet (Präfation). Anton Hänggi, Irmgard Pahl (Hrsg.): Prex eucharistica (Spicilegium Friburgense, Vol.12), Freiburg/Ü. 1968. S. 80. (30) Birkat ha-mazon, ebd. S. 9 f. (31) Das gilt besonders für den westlateinischen Bereich, vgl. den Abschnitt "Contestationes seu Immolationes", ebd., S. 481 ff (32) So z.B. Joseph A. de Aldama u.a.: Sacrae Theologiae Summa, Bd. 4, 4. Aufl. Madrid 1962, S. 309 ff, besonders die Objektion 172. 2 (S. 311). (33) MS II, S . 124. (34) S. Th. III. qu. 83,4 ad 2: "...mysterii, quod quidem et offertur ut sacrificium, et consecratur et sumitur ut sacramentum. Unde primo peragitur oblatio; secundo consecratio materiae oblatae, tertio ejusdem perceptio." vgl. auch ebd. qu. 79,5. Thomas macht hier darauf aufmerksam, daß es beim Opfer auf die Gesinnung ankommt. Die gleiche Unterscheidung zwischen Opfer und Sakrament findet sich im Römischen Katechismus II, 4, Nr. 71. (35) Vgl. die Rubriken "De defectibus in celebratione Missarum occurrentibus". Hier heißt es unter "III-De defectu Panis": Ziffer 4: "...remota illa Hostia, aliam ponat, et facta oblatione, saltem mente concepta, prosequatur ..."; Ziffer 5 "... posita alia, faciat oblationem, ut supra, et a consecratione incipiat ..."; Ziffer 6: "...et facta prius oblationem ut supra, Sacerdos consecret..." "IV-De defectu Vini", Ziffer 3: "... et facta oblatione, ut supra, consecrare..."; Ziffer 5: "offerat utrumque", et consecret. ..". Ferner "X-De defectibus in Ministrio ipso occurrentibus", Ziffer 9: "... si autem scandalum populo esse possit, alia accipiatur et offeratur: quod si illius Hostiae iam erat facta oblatio, eam post ablutionem sumat. Quod si ante oblationem Hostia appareat confracta, accipiatur altera integra..." (36) Vgl. z.B. Matthias Premm, nach dem das "metaphysische Wesen" des Meßopfers in der symbolischen, Schlachtung liegt (Katholische Glaubenskunde, Bd. 3, Wien 1957, S. 343). (37) Vgl. dazu Jakob Plooij: Die Mysterienlehre Odo Casels, Neustadt an der Aisch 1968 und Gerhard, Fittkau: Der Begriff des Mysteriums bei Johannes Chrysostomos, Eine Auseinandersetzung mit dem Begriff des "Kultmysteriums" in der Lehre Odo Casels, Bonn 1953. (38) Das gilt neben dem Abschnitt 82 in "Mystici-Corporis" mindestens für die bedeutsamen Abschnitte 69, 85, 91 und 113 in "Mediator Dei". Der Grund dafür dürfte in dem Bemühen liegen, sich eng an die Ausdrucksweise der Tradition zu halten. Das gilt nicht mehr für die Enzyklika Pauls VI. "Mysterium Fidei" (1965) und für die "Instruktion über Feier und Verehrung des Geheimnisses der Eucharistie" (1967). Hier ist eindeutig von der Opferung der consecrata die Rede, eine andere Interpretation ist ausgeschlossen. (39) Nach anderer Zählung Abschnitt 87. (40) MS II, S. 234 ff. (41) MS II, S. 231. (42) Art. 55 f; Übersetzung nach Emil Joseph Lengeling: Die neue Ordnung der Eucharistiefeier, 3. Aufl. Münster 1971. (43)) Ebd. S. 236 Vgl. auch Joseph Scheutz: Die Struktur der neuen Hochgebete, in: Otto Nußbaum (Hrsg. ) Die eucharistischen Hochgebete II-IV, Münster 1971 S. 9 ff. (44) Art. 55 c). (45)) Was das Erheben der Hände während der Präfation betrifft, so wird dieses durchweg nur als Ausdruck für eine besonders feierliche Gebetsform verstanden. Daß schließlich in der von Rom approbierten Liturgie für die Ureinwohner Australiens (Australien Aboriginal Liturgg), die in englischer Sprache zu feiern ist, jedes Segenszeichen fehlt, sei nur am Rande vermerkt. Vgl. International Eucharistical Congress, Liturgies and Programme, Melbourne 1973, S. 105 ff. Vgl. hierzu auch die 20 seitige Schrift von Gottfried Melzer (A-9920-Sillian 25): Im Kreuz allein ist Segen, Gnade und Heil. Die vielfache Beseitigung dieses hl. Zeichens - eine Entehrung des Kreuzes Christi. (Anm. d. Red.) (46) Demgegenüber gibt es amtliche Verlautbarungen der Kirche, nach denen den Gläubigen, wenn sie es verlangen, die Hostien zu reichen sind, die in der Messe konsekriert wurden, die diese besuchen. Das ist nur zu verstehen, wenn die Oblation im Sinne der ersten Hauptphase des Opfers der Wandlung vorausgeht. Vgl. Josephus de Guibert S.J.: Documenta ecclesiastica, Romae 1931; S. 346 ff. (47) S., S. 54. (48) Vgl. W. Siebel, a.a.O. S. 9 bzw. 235. (49) So z.B. Lengeling a.a.O., S. 225 f. (50) Neben Seraphim z.B. Landesbischof Hans-Heinrich Harms, Oldenburg: vgl. dazu: Anstoß am Opferbegriff der Hochgebete, in: Gottesdienst 6 (1972), S. 41. (51) Hans-Joachim Schulz: Christusverkündigung und kirchlicher Opfervollzug nach den Anamnesetexten der eucharistischen Hochgebete, in: P.W. Scheele, G. Schneider (Hrgb): Christuszeugnis der Kirche, Festschrift Bischof Hengsbach, Essen 1970, S. 91 ff und Theodor Schneider: Dogmatische Neuorientierung - Beispiel Meßopfer, in Trierer Theologische Zeitschrift 81 (1972), S. 347. (52) Vgl. Kol. 1, 24. (53) Vgl. dazu Ulrich Lange. Liturgie und Glaube, Grundsätzliche Überlegungen und Anmerkungen anläßlich der "Verlautbarung der deutschen Bischöfe, Eucharistiefeier mit Kindern", in: Scidae (Blätter), 14 (1973), H. 2 abgedruckt in: Una Voce Korrespondenz 3 (1973), S. 10 ff. (54) Ebd. S. 15. (55) W. Siebel: Liturgie als Angebot, Berlin 1972, S. 5 ff. (56) Vgl. Bischof Rudolf Graber: Athanasius und die Kirche unserer Zeit, Abensberg 1973.
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