PAUL VI. UND DER APOSTEL PAULUS
von H.H. Prof. P. Severin M. Grill SOCist
Der Erzbischof Giovanni Montini hat sich bei seiner Erhebung zum Oberhirten der Kirche den Amtsnamen Paulus gewählt. Er wollte damit andeuten, daß er wie dieser auf eine neue Weise missionarisch wirken wolle. Wie Paulus von manchen Interpreten des mosaischen Gesetzes abrückte, so würde er die kirchliche Überlieferung kritisch betrachten und alles Unzeitgemäße fallen lassen. Er gab das offen zu in einer Ansprache an die Pfarrer Roms: "Es muß vieles anders werden." Er hat sich auch öfters auf Paulus berufen und damit sein Vorgehen gerechtfertigt. Ob und inwieweit Paul VI. das mit Recht tat oder ob wir ihm wie der Prophet Jehu dem König Josaphat zurufen müssen: "Dem Gottlosen gewährst du Hilfe und mit denen, die Gott hassen, bist du in Freundschaft verbunden" (2 Chron 19,2), das ist kritisch zu untersuchen.
1. Der Apostel Paulus fühlte sich als Apostel der Heiden berufen und unternahm zu diesem Zweck weite Reisen, um den Völkern Christus zu predigen. In 2 Kor 11,23-27 berichtet er von den Mühsalen, Leiden und Mißhandlungen, die er dabei auszustehen hatte. Er hielt solche Ansprachen an die Menschen, die sich an Inhalt und Form der Fassungskraft derselben anpaßten. Er sprach in Athen vom unbekannten Gott (Apg 17,16), in Derbe von der Güte Gottes in der Wirtschaft (Apg 14,16) und er zitierte Tit 1,12 den heidnischen Propheten Epimenides. So unternahm auch Paul VI. weite Reisen nach Ländern Europas, Asiens und Amerikas, um den Kontakt aufzunehmen in erster Linie mit den Nichtchristen (Mohammedanern, Juden, Heiden), in zweiter Linie mit den christlichen Konfessionen, persönlich oder durch Delegierte. Wenn er bei der Reise nach Indien Götzenstatuen als Geschenk entgegengenommen hat, so bedeutet das nicht restlose Anerkennung des Heidentums, sondern daß dieses auch in einem Bundesverhältnis mit Gott steht durch den Noebund Gen 9,9. Denn vor dem Neuen Bund schloß Gott drei Bündnisse mit den Menschen: Den Noebund mit allen Nachkommen Noes, den Patriarchenbund mit den Nachkommen Abrahams, Isaaks und Jakobs, den Sinaibund mit den Juden. (1). In einer Unterredung mit Guitton (2) sagte Paul VI: "Der Apostel Paulus wollte die Religion Adams, Abrahams und Moses mit der Gnade Christi vereinigen." Wie der Apostel Paulus, so konnte auch der Paul VI. bei seinen Ansprachen nicht wie mit geistigen Menschen reden, sondern wie mit fleischlichen und wie mit Kindern im Christentum. Milch gab er ihnen zu trinken und nicht feste Speise (zu essen), 1 Kor 3,1-2. Das Opfer Noes nach der Flut war mehr als eine schlichte Familienfeier. Sie hatte heilsgeschichtlichen Charakter und ist als ein Bund Gottes mit der ganzen Menschheit zu betrachten.
2. Der Apostel Paulus predigte bei diesen Missionsreisen Christus den Gekreuzigten, "den Juden ein Anstoß, den Heiden eine Torheit" (1 Kor 1,23). Er hielt sich genau an den Beschluß des Apostelkonzils, für den Armendienst Diakone zu bestimmen, um^selbst von der Verkündigung des Evangeliums nicht abgehalten zu werden. "Es geht nicht an, das wir das Wort Gottes beiseite schieben und den Tisch bedienen" (Apg 6,2). Er mahnt 2 Tim. 2,4: "Kein Streiter Christi läßt sich in weltliche Geschäfte ein." Paul VI. und seine Anhänger haben sich aber dieser Tischbedienung sehr stark zugewendet, wenn sie sich einer neuen Soziallehre anschlossen, die von den durch Leo XIII. gegebenen Richtlinien abweicht. Der Vertreter der Una Sancta bietet der Uno Mundi gleichsam Magddienste an, wenn er auf die Wohltätigkeit der Kirche hinweist und dadurch an einer Weltdemokratie, genannt MASDU (= mouvement d'animation Spirituelle de la Democratie Universelle), teilnimmt. Er betrachtet Una und Uno als zwei gleichwertige Partnerinnen, die wesentlich ein gleiches Ziel anstreben, nämlich die irdische Wohlfahrt der Menschen. In der Pastoralkonstitution Gaudium et Spes vom 7.11.965 und dem darauf folgenden Rundschreiben Ecclesiam suam vom 6. VIII. 1966 gingen Paul VI. und Konzil breit ein auf den kulturellen Fortschritt in der Technik und im Wirtschaftsleben in allen seinen Zweigen, so daß manche Konzilsväter darin einen Verrat am Wesen der Kirche befürchteten (2). Denn die übertriebene Sorge um die irdische Wohlfahrt widerspricht der Offenbarung des Neuen Bundes und ist Rückfall in den Geist der drei Vorbereitungsbündnisse im Alten Bunde. Der Apostel Paulus hätte eine solche Instruktion über die sozialen Verhältnisse wohl nicht geschrieben. Er war um die Unterstützung der Armen durch Sammlungen bemüht ( 1 Kor 16. 2 Kor 8-9) war aber kein Anhänger an der Kommunistischen Richtung der Gemeinde in Jerusalem. Er setzt persönlichen Besitz voraus, wenn er zu Spenden auffordert und warnt vor den Müßiggängern, die nicht arbeiten wollen. (2 Thess 3,10). Während also auf Probleme des gesellschaftlichen Lebens: Krieg und Frieden, Wirtschaft und Politik, Technik, Kunst und Wissenschaft oft detailliert eingegangen wird, wird eine wichtige Frage der biblischen Exegese übersehen. Der Apostel Paulus zitiert oft das Alte Testament und weist auf dessen Vorbildlichkeit hin. Ihm folgenden die Väter und Scholastiker und sie sahen einen Zusammenhang zwischen den beiden Testamenten (4) .
Der Modernismus leugnete die göttliche Inspiration und damit die Offenbarung in der Bibel. Er stellte deren Weltbild nur als Produkt geistreicher Menschen hin. Pius X. sah sich gezwungen, den Anti-Modernisteneid aufzuerlegen, in dem diese Irrtümer zurückgewiesen wurden. Paul VI. hat diesen Anti-Modernisteneid zugleich mit dem Index aufgehoben.
Das war ein zweischneidiges Schwert. Die beiden Erlasse können den Fortschritt in der Forschung fördern, indem sie vor Angriffen kleinlicher Geister schützen, besonders was die Religionsgeschichte und die biblische Textkritik betrifft. Sie können aber auch mißdeutet werden und zu phantastischen Lehren verführen, die sich in die biblische Theologie einschleichen. Die Bibelkommission, die noch zwischen 1895 und 1915 ihre Weisungen autoritativ an die Exegeten richten konnte (die Responsa), sah sich 1915-1945 genötigt ernste Mahnungen ergehen zu lassen, die Bibel im gläubigen Sinne auszulegen (Monita). Inzwischen haben es Vertreter der freien Bibelforschung erreicht, daß die Bibelkommission sogar die Formgeschichte als Methode erlaubt (Mai 1964). Nach dieser Hypothese habe Jesus nur einiges gewirkt und gesprochen, vieles, besonders die Wundererzählungen haben die Apostel zur Veranschaulichung der Lehre in die Form von Erzählungen gebracht. Noch andere Erweiterungen seien von einer zweiten und dritten Generation hinzugefügt worden. Es ist klar, daß mit dieser Dreigeschichtenlehre es möglich ist, unliebsame Wunderberichte und drückende Gesetze einer späteren Zeit zuzuweisen und auf zeitbedingte Verhältnisse zurückzuführen, die bei uns Heutigen nicht mehr zutreffen. Paul VI. und seine linken Anhänger schweigen zu dieser Entartung der Bibelexegese, verhängen keine Indizierung über solche Werke und belassen deren Autoren in ihrer Stellung als Erzieher der Jugend.
3. Der Apostel Paulus ruft den Galatern zu: "Zur Freiheit, Brüder, seid ihr berufen, nur mißbraucht die Freiheit nicht" (5,13). Er war der Bringer der Freiheit von national jüdischen Riten in der Beobachtung des geoffenbarten Gesetzes. Er befreite von bestimmten Speise- und Trankgeboten, von Waschungen, von der Beobachtung von Tagen, Monaten und Zeiten (Gal 4,16. Hebr 9,10). Er beruhigte ihr Gewissen wegen des Einkaufes und Genusses von Götzenfleisch (1 Kor 8,4). So hat auch Paul VI. verschiedene Erleichterungen in der kirchlichen Disziplin gewährt. Z.B. im Gebot der Nüchternheit vor der Kommunion für alle Gläubigen, durch Verteilung der Brevierpsalmen auf vierzehn Tage statt auf acht Tage, durch die Wiedereinführung des Wahloffiziums u.a. Leider sind auch Änderungen geschehen, die nicht als Erleichterungen empfunden werden, sondern eher eine Schockwirkung bei Priestern und Laien hervorgerufen haben. G. d. Nantes sagt: "Es ist mir unmöglich, die Zerstörungen und Neuschöpfungen einzeln aufzuzählen", die sich unter dem Pontifikat Paul VI. ereignet haben, im Ritus bei Weihen, Sakramenten und Sakramentalien (6). Die Taufe soll nunmehr ohne Exorzismus gespendet werden, die Firmung ohne Kreuzzeichen und mit der Formel: Empfange das Siegel der Gabe des Heiligen Geistes. Der Messordo sollte so überarbeitet werden, daß der "eigentliche Sinn der einzelnen Teile und ihr wechselseitiger Zusammenhang deutlicher hervorträte". Dieser angestrebte "eigentliche Sinn" war natürlich der Wahlcharakter der Messe, der unter Auscheidung des Opfergedankens angestrebt wurde. Die Konzelebration, die nach dem bisherigen Kirchenrecht verboten war (Cn 803), wurde nun erlaubt mit der unbewiesenen Begründung, sie sei bisher in der Kirche des Ostens wie des Westens bis auf den heutigen Tag in Übung gewesen. In Wirklichkeit erscheint weder bei den Kirchenvätern noch bei den Scholastikern eine Spur von einer Konzelebration oder höchstens in dem Sinne, daß jeder Teilnehmer am Meßopfer durch seine Andacht gleichsam mit konsekriert und die Kommunion in beiden Gestalten empfängt. Es sollte ein Meßritus geschaffen werden, der von Katholiken und Protestanten angenommen werden könnte, je nachdem man ihn auslegte.
4. Der Apostel Paulus tadelte in den Gemeinden freimütig, was der christlichen Glaubens- und Sittenlehre widersprach: Daß die Galater meinten, die Beschneidung annehmen zu müssen, die Korinther verheidnischen Richtern prozessierten (1 Kor 6,1-7), daß sie Eucharistie unwürdig feierten, Spaltungen unter ihnen seien (1 Kol 11,20-21) und sie einen Unzüchtigen in der Gemeinde unbehelligt ließen. Er droht mit der Rute zu kommen (1 Kor 4,21). In diesen Belangen haben Paul VI. und seine Mitarbeiter im Konzil sich nicht an das Vorbild des Apostels Paulus gehalten. Sie hatten im Gegenteil vom Anfang an beschlossen, auf diesem Konzil nicht zu tadeln, niemanden zu verurteilen und nicht mit der Rute zu kommen. Nun soll aber gerade ein Konzil die Zeitschäden feststellen und auf Heilmethoden hinweisen.
5. Der Apostel Paulus konnte von sich sagen: "Allen bin ich alles geworden(1 Kor 9,20-23), den Juden wie ein Jude, den Heiden wie ein Heide. Ob das auch Paul VI. von sich sagen kann? Er empfängt keine Pilger der Traditionalisten und verbietet dem Vorstand der Una Voce von vornherein, das Thema "Liturgie" anzuschneiden. Er antwortet nicht der spanischen Priestergemeinschaft Hermandad auf Glückwünsche derselben zu seinem 75 Geburtstag und verweigert ihr den apostolischen Segen. Er sendet kein Beileidsschreiben an die Witwe des ermordeten spanischen Ministerpräsidenten. Er empfängt aber Frauen in Miniröcken und führt Gespräche mit Künstlern und Philosophen. Sein Segen besteht in einer kreuzähnlichen Geste, bei welcher der linke Querbalken fehlt und der rechte losgelöst vom Stamm frei in der Luft schwebt. Er erregt Verdacht, warum gerade die Tridentinische Messe verboten sein soll, während so viele andere Formularien zugelassen werden.
Sollten alle diese Neuerungen, in denen Christus und die Kirche keine selbständige Rolle mehr spielen, nur Wegbereitung sein für einen neuen Glauben? Dann kann aber von einer Unterstützung derselben von Seiten des Apostels Paulus keine Rede mehr sein, der sagt: "Wer euch ein anderes Evangelium vorträg, als ihr empfangen habt, der sei verflucht" (Gal 1,5). Paul VI. der seit seiner Studienzeit zeitlebens wohl mehr soziologische, philosophische und künstlerische Literatur eingesehen hat als patristische und scholastische, aus der ihm das Mysterium Kirche hell und warm aufgeleuchtet hätte, bedarf der Gebete der Frommen, in einer Zeitenwende, in der ein weiter Blick und ein weites Herz notwendig sind, um Christi Reich aufzubauen.
Literatur: (1) Irenäus. Gegen die Häresien 311. PG 7,889. Die Schrift "Von der Berufung aller Heiden 2,14. PL 51,699. (2) Dialog mit Papst Paul VI. S. 151. Alle Heiden stehen somit im Noe- oder Adamsbund, die Mohammedaner im Patriarchenbund (Gen 17) und die Juden im Sinaibund. Sie sind sozusagen "sitzen geblieben und bis zur Matura im Neuen Bund gelangt. Siehe meine Studie "Vergleichende Religionsgeschichte und Kirchenväter" Horn 1959. (3) Alois Grillmeier. Wandernde Kirche und werdende Welt. Köln 1968. S. 177. (4) Daß Jesus, der Sohn Gottes, im Fleische kommen, sterben, auferstehen und in den Himmel auffahren werden, daß er durch seinen allmächtigen Namen in allen Völkern immer ergebene Anhänger haben, daß in ihm die Nachlassung der Sünden verliehen und den Gläubigen das ewige Heil zugewendet werde - das war der Gegenstand aller Verheißungen und aller Weissagungen des (hebräischen) Volkes, das der Sinn seines Priestertums, seiner Opfer und aller seiner Sakramente. Augustinus, Brief 3 an Volusianus. PL 33,522. (5) besonders der Evangelist Lukas wird neuestens attackiert. (6) Liber accusationis in Paulum sextum. S. 42.
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