Die röm. kath. Kirche
in ihrem Verhältnis zu den von Rom getrennten Christen 1)
I.
Apostolisches Schreiben
an alle Bischöfe der Kirchen des orientalischen Ritus,
welche mit dem Apostolischen Stuhle nicht in Verbindung stehen
Durch den unerforschlichen Ratschluß der göttlichen Vorsehung sind Wir,
freilich ohne irgendwelche Verdienste, von Unserer Seite auf diesen
erhabenen Stuhl als Erbe des heiligen Apostelfürsten eingesetzt; er ist
"gemäß dem ihm von Gott gewährten Vorrang, der feste und ganz
unerschütterliche Fels, auf dem der Erlöser die Kirche erbaut hat" (hl.
Gregor von Nyssa); deshalb drängt uns der Eifer, den die Uns auferlegte
schwere Amtspflicht hervorruft, daß Wir leidenschaftlich wünschen und
versuchen, auf alle, die in irgendeiner Gegend der Erde leben und sich
Christen nennen, Unsere Sorgen auszudehnen und alle in die Arme
väterlicher Liebe zu rufen. Nun können wir aber ohne Gefährdung Unseres
Seelenheils keinen Teil der Christenheit vernachlässigen; sie ist ja
durch das kostbare Blut Unseres Heilands erlöst und durch die heiligen
Wasser der Taufe in die Herde des Herrn aufgenommen und verlangt so mit
Recht Unsere ganze Fürsorge. Da Wir daher auf das Heil aller, die Jesus
Christus kennen und anbeten, all Unser Sinnen und Trachten unabläßlich
richten müssen, wenden Wir Unsere Augen und Vaterherz zu jenen Kirchen,
die einst durch das Band der Einheit mit diesem Apostolischen Stuhle
verbunden waren, deren so lobenswerte Heiligkeit blühten und so
reichliche Früchte für die Ehre Gottes und das Heil der Seelen
brachten; jetzt aber befinden sie sich durch die gottlosen Künste und
Machenschaften dessen, der die erste Spaltung im Himmel hervorgerufen
hat, im Zustande der Scheidung und Trennung von der Heiligen Römischen
Kirche, die auf dem ganzen Erdkreis ausgebreitet ist.
Führwahr aus diesem Grunde haben Wir schon gleich zu Beginn Unseres
Hohenpriesteramtes zu Euch Worte des Friedens und der Liebe aus
herzlicher Zuneigung gesprochen (Brief an die Orientalen "In suprema"
vom 6. Januar 1848). Wenn nun auch diese Unsere Worte den so sehr
erwünschten Erfolg keineswegs hatten, so haben Wir doch niemals die
Hoffnung aufgegeben, daß der milde umd gütige Urheber des Heiles und
des Friedens Unsere in gleicher Weise demütigen wie glühenden Bitten
gnädig erhören werde; "er wirkte ja mitten in der Welt das Heil, er kam
aus der Höhe und zeigte klar, daß ihm der Frieden lieb sei und daß alle
ihn annehmen müßten, ihn ließ er bei seiner Geburt den Menschen, die
guten Willens sind, künden, und da er unter den Menschen weilte, lehrte
er ihn durch sein Wort, predigte ihn durch sein Beispiel" (Brief des
hl. Gregor X. an den griechischen Kaiser Palaeologus vom 10. Oktober
1271).
Da Wir nunmehr vor kurzem nach dem Rate Unserer Ehrwürdigen Brüder, der
Kardinäle der Heiligen Römischen Kirche, eine Allgemeine
Kirchenversammlung, die im kommenden Jahre in Rom gefeiert werden, und
die am 8. Dezember, dem Festtage der Unbefleckten Empfängnis der
jungfräulichen Gottesmutter, begonnen werden soll, angesagt und
zusammengerufen haben, richten Wir wiederum an Euch Unsere Stimme, und
bei allem, was Euch heilig ist, bitten Wir Euch, ermahnen Wir Euch und
flehen Wir Euch an, wenn es möglich ist, mit noch größerem Eifer
Unseres Herzens, Ihr möget zu dieser Allgemeinen Kirchenversammlung
kommen wollen, wie Eure Vorfahren gekom-men sind zu der zweiten
Kirchenversammlung von Lyon, die von Unserem Vorgänger seligen
An-gedenkens Eugen IV. gefeiert wurde; so sollen die Gesetze der Liebe,
die in früherer Zeit bestanden, erneuert werden; so soll der Friede der
Väter, dieses himmlische und heilige Geschenk Christi, das in der Zeit
versiegt ist, wiederum zum Leben zurückgerufen werden (70. Brief des
hl. Basilius des Großen an den hl. Papst Damasus), so soll als dann
nach dem langen Nebel der Trauer und nach der schwarzen, widrigen
Finsternis langdauernder Zwietracht der helle Glanz der ersehnten
Einigung aufleuchten (Definition der Allgemeinen Kirchenversammlung von
Florenz in der Bulle Eugens IV. "Laetantur coeli").
Und dies soll die erfreuliche Frucht des Segens sein, mit der Jesus
Christus, unser aller Herr und Erlöser, seine unbefleckte und innigst
geliebte Braut, die katholische Kirche, trösten und ihre Tränen stillen
und abtrocknen wolle in diesen schweren Zeiten: es sollen nach völliger
Aufhebung der Trennung die vorher zwiespältigen Stimmen in vollendeter
Einmütigkeit des Geistes Gott loben; er will ja nicht, daß Spaltungen
bei uns herrschen, sondern durch des Apostels Wort befiehlt er, daß wir
alle dasselbe sagen und denken; es soll immer ewiger Dank gesagt werden
dem Vater der Erbarmungen von allen seinen Heiligen und besonders von
jenen ruhmreichen alten Vätern und Lehrern der morgenländischen
Kirchen, wenn sie vom Himmel her die wiederhergestellte und erneuerte
Verbindung mit diesem Apostolischen Stuhle, dem Mittelpunkt der
Wahrheit und Einheit, schauen; denn sie haben diese während ihres
Lebens auf Erden mit allem Eifer und unermüdlicher Anstrengung zu
fördern und voranzubringen sowohl durch Lehre wie durch Beispiel sich
gemüht; in ihre Herzen war ja durch den Heiligen Geist die Liebe dessen
ausgegossen, der die trennende Scheidewand niedergerissen und durch
sein Blut alles geeint und befriedet hat, der wollte, daß das
Kennzeichen seiner Jünger in der Einheit bestehe, und der an den Vater
das Gebet richtet: "Ich bitte, daß sie alle eins sind so, wie wir eins
sind".
Gegeben zu Rom, bei St. Peter am 8. September 1868. Im 23. Jahre Unseres Pontifikats.
Papst Pius IX.
* * *
II.
Apostolisches Schreiben an alle Protestanten
und andere Nichtkatholiken
"lhr aber werdet schon wissen, daß Wir, die Wir ohne Unser Verdienst
auf diesen Stuhl Petri erhoben und dadurch zur obersten Regierung der
ganzen katholischen Kirche und zur Obsorge für sie gesetzt sind, es für
angebracht gehalten haben, alle Ehrwürdigen Brüder der ganzen Welt, die
Bischöfe, zu Uns zu berufen, und zu einer Allgemeinen
Kirchenversammlung, die im kommenden Jahre stattfinden soll, zu
versammeln; so können Wir mit diesen Ehrwürdigen Brüdern, die zur
Teilnahme an Unseren Sorgen berufen sind, alle die Beschlüsse fassen,
die besonders angebracht und notwendig sind zur Vernichtung der
Finsternis unheilvoller Irrtümer, die zum größten Schaden der Seelen
überall von Tag zu Tag mehr herrschen und toben, und zur täglichen
Mehrung der Festi-gung und Ausbreitung der Herrschaft des wahren
Glaubens, der Gerechtigkeit und des wahren Gottesfriedens in den
Unserer Obhut anvertrauten christlichen Völkern. Und gar sehr vertrauen
Wir auf den so engen und liebeerfüllten Treuebund, durch den diese
Ehrwürdigen Brüder mit Uns und diesem Apostolischen Stuhle in
bewundernswerter Weise vereint sind; denn niemals während der Zeit, in
der Wir das Hohepriestertum ausüben, haben sie aufgehört, die
glänzendsten Beweise der Treue, der Liebe und des Gehorsams Uns und
diesem Stuhle gegenüber zu geben; so dürfen Wir in der Tat die Hoffnung
hegen, daß wie in vergangenen Jahrhunderten andere Allgemeine
Kirchenversammlungen, so auch in dem gegenwärtigen Jahrhundert diese
von Uns angesagte Allgemeine Kirchenversammlung mit Hilfe der
göttlichen Gnade reiche und sehr erfreuliche Früchte tragen wird zur
größeren Ehre Gottes und zum ewigen Heile der Men schen.
In dieser frohen Hoffnung also und ganz aus Liebe zu Unserem Herrn
Jesus Christus, der für das Heil des ganzen Menschengeschlechtes sein
Leben hingab, können wir nicht anders, als bei Gelegenheit der
künftigen Kirchenversammlung mit Unseren Apostolischen und väterlichen
Worten uns an alle die zu wenden, die zwar denselben Christus Jesus als
Erlöser anerkennen und sich des christlichen Namens rühmen, aber den
wahren Glauben Christi nicht bekennen und die Gemeinschaft mit der
katholischen Kirche nicht erstreben. Und das tun Wir, um sie mit allem
Eifer und mit aller Liebe gar sehr zu ermahnen, zu ermuntern, zu
beschwören, sie möchten ernst erwägen und ihren Sinn darauf richten, ob
sie selbst den eben von Christus dem Herrn vorgeschriebenen Weg gehen,
der zum ewigen Heile führt. Nun kann gewiß niemand in Abrede stellen
und in Zweifel ziehen, daß Christus Jesus selbst, um allen
Geschlechtern die Früchte seiner Erlösung zuzuwenden seine einzige
Kirche hier auf Erden - und das ist die Eine, Heilige, Katholische,
Apostolische - auf Petrus gebaut und ihr alle Gewalt übertragen hat,
die notwendig ist, damit das hinterlegte Glaubensgut unversehrt und
unverletzt bewahrt bleibe und dieser Glaube allen Völkern, Stämmen und
Nationen gebracht werde, damit durch die Taufe alle Menschen seinem
mystischen Leibe eingegliedert würden und in ihnen stets bewahrt und
zur Vollendung gebracht werde jenes neue Leben der Gnade, ohne welches
niemals ein Mensch das ewige Leben verdienen und erlangen kann, und
damit diese Kirche, welche seinen mystischen Leib bildet, in der ihr
eigenen Natur fest und unerschütterlich bis zum Ende der Welt
fortdauere, blühe und allen ihren Kindern alles, was zu ihrem Heile
dient, darreiche.
Wer nun aber genau die Lage betrachtet und überdenkt, in der die
verschiedenen untereinander sich widerstreitenden religiösen
Gemeinschaften sich befinden, die getrennt sind von der katholischen
Kirche, welche von Christus dem Herrn und seinen Aposteln an ohne
Unterbrechung durch ihre rechtmäßig geweihten Hirten stets ausgeübt hat
und in der Gegenwart noch ausübt die göttliche Gewalt, die ihr vom
Herrn selbst übertragen ist, der wird sich gar leicht überzeugen, daß
weder eine von diesen Gemeinschaften für sich, noch auch eine
Vereinigung von allen zusammen irgendwie bilde und sei jene Eine und
Katholische Kirche, welche Christus erbaut und errichtet hat, und von
der er gewollt hat, daß sie bestehe, und daß sie auch nicht irgendwie
genannt werden können ein Glied oder ein Teil dieser Kirche, da sie ja
nun einmal von der katholischen Einheit getrennt sind.
Solche Gemeinschaften entbehren jener lebendigen und von Gott
eingesetzten Autorität, welche die Menschen vornehmlich die Gegenstände
des Glaubens und die Grundsätze der Sittlichkeit lehrt und sie lenkt
und leitet in all dem, was das ewige Heil betrifft; deshalb haben sich
diese Gemeinschaften andauernd in ihren Lehren geändert, und diese
Unbeständigkeit und Unstetigkeit hört bei diesen Gemeinschaften niemals
auf. Jeder sieht gar leicht ein und erkennt klar und deutlich, daß
außerordentlich widerstreitet der von Christus dem Herrn geschaffenen
Kirche, in welcher die Wahrheit stets fest und, ohne einer Veränderung
preisgegeben zu sein, fortbestehen muß; denn sie ist dieser Kirche als
Gut übergeben, das zu behüten ist; und um es zu behüten, ist die
Gegenwart und die Hilfe des Heiligen Geistes dieser Kirche für immer
verheißen. Nun weiß aber auch jeder, daß aus diesen Spaltungen in den
Lehren und Meinungen auch Spaltungen im Gemeinschaftsleben der Menschen
entstehen, und das hieraus unzählige Gemeinschaften und Sekten ihren
Ursprung haben, die zum größten Schaden für Kirche und Staat von Tag zu
Tag sich immer mehr ausbreiten.
In der Tat, alle, welche die Religion als das Fundament der
menschlichen Gesellschaft erkennen und bekennen, einen wie großen
Einfluß auf die bürgerliche Gesellschaft eine solche Trennung und
Uneinigkeit ausgeübt hat, in Grundsätzlichem besteht, und die in den
sich widerstreitenden religiösen Gemeinschaften zutage tritt, und wie
sehr die Leugnung der Autorität, die von Gott eingesetzt ist, die
Überzeugungen der menschlichen Einsicht zu lenken und das menschliche
Handeln im privaten und öffentlichen Leben zu leiten, hervorgerufen,
gefördert und genährt hat diese so unglückseligen Verwirrungen und
Störungen der Zeitverhältnisse, durch die fast alle Völker in
beklagenswerter Weise beunruhigt und hart mitgenommen werden.
Deshalb mögen alle, "welche die Wahrheit und die Einheit der
katholischen Kirche nicht besitzen" (hl. Augustinus, Brief 61, 223),
die Gelegenheit dieser Kirchenversammlung ergreifen, durch welche die
katholische Kirche, zu deren Gemeinschaft ihre Vorfahren gehörten,
einen neuen Beweis ihrer tiefinneren Einheit und unüberwindlichen
Lebenskraft gibt; und sie mögen den Bedürfnissen ihres Herzens Rechnung
tragen und mit allem Eifer aus dem Zustande sich herausreißen, in dem
sie über ihr eigenes Heil nicht sicher sein können. Auch mögen sie
nicht auf hören, dem Herrn der Erbarmungen ihre Bitten vorzutragen, daß
er die Mauer der Trennung niederreiße, die Finsternis der Irrtümer
verscheuche und sie in den Schoß der heiligen Mutter, der Kirche,
zurückführe, in der ihre Vorfahren die heilbringende Weide des Lebens
gehabt haben, und in der allein die unversehrte Lehre Christi Jesu
bewahrt und überliefert wird und die Geheimnisse der himmlischen Gnade
ausgespendet werden.
Unstreitig müssen Wir auf Grund des Dienstes an Unserem höchsten
Apostolischen Amte, der Uns von Christus dem Herrn selbst aufgetragen
ist, die Aufgabe des guten Hirten nach jeder Richtung hin erfüllen und
mit väterlicher Liebe allen Menschen auf der Welt nachgehen und sie
umfangen; deshalb richten Wir dieses Unser Schreiben an alle von Uns
getrennten Christen; hier mit ermahnen und beschwören Wir sie immer
wieder, sie möchten eilig zu dem einzigen Schafstalle Christi
zurückkehren; denn Wir wünschen ja von Herzen sehnlichst ihr Heil in
Christus Jesus und fürchten, die-sem Unserem Richter einmal
Rechenschaft ablegen zu müssen, wenn Wir nicht, soweit es an Uns liegt,
ihnen den Weg zur Erlangung dieses ewigen Heiles zeigen und sichern. In
allem Beten, Flehen und Danksagen hören Wir gewiß niemals auf, Tag und
Nacht für sie die Fülle himmlischen Lichtes und himmlischer Gnade vom
ewigen Hirten der Seele demütig und inständig zu erflehen. Nun
vertreten Wir in Unserer Tätigkeit hier auf Erden unverdienterweise
seine Stelle; deshalb warten Wir mit offenen Armen und mit brennendem
Verlangen auf die Rückkehr der irrenden Söhne, um sie auf das
liebevollste in das Haus des himmlischen Vaters aufzunehmen und sie mit
seinen unerschöpflichen Schätzen bereichern zu können.
Denn an dieser heiß ersehnten Rückkehr zur Wahrheit und Gemeinschaft
der katholischen Kirche hängt in hervorragender Weise nicht nur das
Heil der einzelnen, sondern auch das der ganzen christlichen
Gesellschaft, und die ganze Welt kann den Frieden nicht genießen, wenn
nicht ein Schafstall und ein Hirte wird.
Gegeben zu Rom bei St. Peter am 13. September 1868. Im 23. Jahre Unseres Pontifikates.
Papst Pius IX.
Anmerkung:
1) Anläßlich der Eröffnung des I. Vatikanums richtete
Papst Piux IX. zwei Apostolische Schreiben an die von Rom getrennten
Christen, um sie zum einen zur Einheit und zum anderen von der Abkehr
von ihren Irrtümern zu ermahnen als Bedingung für eine Wiederaufnahme
in die röm. kath. Kirche.
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