AUSZÜGE AUS EINEM HIRTENBRIEF PAUL VI. AUS SEINER MAILÄNDER ZEIT
von H.H. Walter W.E. Dettmann
Als Paul VI. noch Erzbischof von Mailand war, gab er im Jahre 1958 einen Fastenhirtenbrief heraus, der den Titel trug: "Erziehung zur Liturgie". Darin sagt er zuerst ganz richtig, das Gebet sei die "erste und natürlichste Antwort" darauf, daß Gott "durch die Unterweisung unseres Herrn Jesus Christus auf unsere Lippen den unbeschreiblichen Namen 'Vater' legte". (Nr. 3)
Ebenfalls richtig ist der unmittelbar folgende Satz: "Unsere Beziehungen zu Gott müssen die Fähigkeit zur Zwiesprache wiederfinden, wie es sich für Kinder geziemt" (Nr. 3).
Im ganzen Fastenhirtenbrief ist nun zwar viel die Rede vom "liturgischen Gebet". Aber nicht ein einziges Wort ist zu finden über die "Fähigkeit zur Zwiesprache, mit dem allerheiligsten Altarssakrament. Der Fastenhirtenbrief Pauls VI. aus seiner Mailänder Zeit von 1958 leidet somit an dem gleichen Mangel, an dem die ganze Liturgiekonstitution des sog. Zweiten Vatik. Konzils krankt.
Die Teilnahme der Gläubigen an der Sonntagsmesse soll "lebendig" sein (Nr. 5); Paul VI. verlangt die "Mittätigkeit des Volkes bei der hl. Liturgie" und beruft sich dabei sonderbarerweise auf "Mediator Dei".
Aber darüber spricht er kein Wort, daß Papst Pius XII. in seinem Rundschreiben "Mediator Dei" vom Jahre 1947 die "fromme und tägliche Besuchung beim Tabernakel" wünscht (Nr. 99) und daß die Gläubigen vor allem nach der hl. Kommunion, soweit es die Umstände gestatten, "innig mit dem göttlichen Meister verbunden, traute und heilsame Zwiesprache halten" (Nr. 93) .
Als Erzbischof von Mailand sagte Paul VI. über "Mediator Dei": "Dieses Lehrdokument muß für uns bestimmend werden in bezug auf die Wege, die wir gehen wollen". Aber von den "Wegen" zum Tabernakel ist im Fastenhirtenbrief von 1958 nichts zu finden.
Sogar der Professor J.A. Jungmann, langjähriger Fachmann für Liturgie an der Universität Innsbruck, wird von Paul VI. zitiert, um den erzieherischen Wert der Liturgie zu preisen. Vom erzieherischen Wert der Zwiesprache mit dem allerheiligsten Altarssakrament ist dabei aber nichts zu hören.
In seinem Fastenhirtenbrief schreibt der ehemalige Erzbischof: "Leider können wir nicht zufrieden sein mit der Art, wie man heute im allgemeinen betet, dem hl. Opfer beiwohnt und gemeinschaftlich betet. Ganz ohne Zweifel bedarf unser religiöses Leben einer Erneuerung, einer Steigerung" (Nr. 13). Kein Wort aber wird von einer Erneuerung oder Steigerung der Zwiesprache mit dem heiligsten Altarssakrament gesprochen.
"Das kirchliche Lehramt bringt die liturgische Erneuerung auf die rechte dogmatische Linie", heißt es in dem Mailänder Hirtenbrief (Nr. 16). Aber nichts wird davon gesagt, daß auch die persönliche Zwiesprache mit dem hl. Altarssakrament auf der "rechten dogmatischen Linie" liegt .
Der ehemalige Erzbischof von Mailand hat eine sehr minderwertige Auffassung von den Gläubigen. Denn er schrieb: "Wir können uns nicht damit zufriedengeben, die Kirche voll von Leuten zu haben; einen gestaltlosen Haufen von Anwesenden, eine nichtssagende Menge dazuhaben, die der Liturgie innerlich zerstreut, ohne innere Einheit beiwohnt" (Nr. 22 ). Paul VI. wollte nicht sehen, was für eine wunderbare innere Einheit aller Gläubigen vorhanden war, wenn in großen Domen und in kleinen Kirchen und Kapellen beim Läuten der Wandlungsglocke eine überirdische Stille herrschte, in der auch manche der kältesten Weltkinder zu denken pflegten: "O Gott, sei mir armen Sünder gnädig!" Die Gläubigen, die während und nach der hl. Wandlung den Heiland auf dem Altar anbeteten, kann man auf keinen Fall als eine "nichtssagende Menge" bezeichnen. Denn fast jedes Kind und fast jeder alte Mann sagten innerlich zum hl. Altarssakrament: "Jesus, dir lebe ich; Jesus, dir sterbe ich; Jesus, dein bin ich im Leben und im Tode". Neben dem Vaterunser und dem Ave Maria war dem Katholiken kaum ein Gebet so geläufig wie dieses: "Jesus, sei mir gnädig; Jesus, sei mir barmherzig; Jesus, verzeihe mir meine Sünden".
Paul VI. verlangt zwar, die Pflege des Gemeinschaftssinnes in der liturgischen Versammlung dürfe "die persönliche Religiosität nicht unterdrücken" und "auch nicht die innerste geistliche Sphäre und das besondere Empfinden der einzelnen Gläubigen verletzen" (Nr. 24).
Aber das sind leere Redensarten. Denn in seinem Fastenhirtenbrief schrieb er über die still betenden Gläubigen: "Die stumme Kirche besagt das Nichtverstehen dieses großen Ereignisses von geistlicher Fülle: der Messe" (Nr. 44).
Anstatt die still betenden Gläubigen zu tadeln und zu verachten, hätte Paul VI. sowohl als Erzbischof wie erst recht als Papst alle Geistlichen streng verpflichten müssen, mehr über das heiligste Altarssakrament zu predigen. Aber in diesem Punkt hat er selbst zusammen mit dem größten Teil des Klerus versagt.
Das fürchterliche Geplärre und das beinahe dämonische Geschrei der neuen Liturgie bei modernen sog. Katholikentagen und bei sogenannten Eucharistischen Kongressen verdient gar nicht, mit dem stummen Gebet der heute verratenen Gläubigen verglichen zu werden.
Es ist unerhört, daß Paul VI. in seinem Fastenhirtenbrief sagt: "Das Hindernis (nämlich für das Verständnis der hl. Messe) kommt hauptsächlich von der Form, in die die Liturgie das Gebet der Kirche und die göttlichen Mysterien kleidet" (Nr. 35).
Alle Heiligen der Katholischen Kirche, auch jene aus dem einfachen Volk, haben die Liturgie des hl. Meßopfers als den Himmel auf Erden angesehen. Paul VI. dagegen behauptet: "Das Hindernis für das Verständnis der hl. Messe kommt hauptsächlich von der Form, in die die Liturgie das Gebet der Kirche und die göttlichen Mysterien kleidet".
Diese Behauptung steht in offenem Widerspruch zu den Erklärungen und Beschlüssen des Konzils von Trient. Dieses sagt:
"Die gütige Mutter, die Kirche, hat bestimmte Riten für den Gottesdienst eingeführt.... Dadurch sollte die Hoheit dieses großen Opfers zum Bewußtsein gebracht, und die Herzen der Gläubigen mittels dieser sichtbaren Zeichen des Gottesdienstes zur Betrachtung der erhabenen Dinge, die in diesem Opfer verborgen liegen, aufgerufen werden" (Trient, 22. Sitzung, 1562; Denzinger 943).
Im Angesicht von unzählbaren Heiligen, Martyrern, Bekennern und frommen Gläubigen jeglichen Standes und Alters stellt Paul VI. in seinem Fastenhirtenbrief die verwegene Frage: "Sollen die heiligen Riten verstanden werden oder sollen sie wie Geheimformeln dem Verständnis der Gläubigen verschlossen bleiben?" (Nr. 33).
Paul VI. tut so, als müsse jeder Andersgläubige, der zufällig eine katholische Kirche betritt, auf den ersten Blick alle Zeremonien verstehen, wie wenn er in der römisch-katholischen Kirche geboren wäre.
Es ist schließlich sicher falsch, wenn Paul VI. behauptet, die Liturgie - besonders so, wie er sie versteht - sei "das einzige unersetzliche, das einzige verpflichtende Gebet" (Nr. 53).
Diese irrige Behauptung wird schon durch das Wort Christi widerlegt: "Wenn du betest, gehe in deine Kammer und verschließe deine Tür und bete zu deinem Vater im Verborgenen, und dein Vater, der im Verborgenen sieht, wird dir vergelten" (Matth. 6,6).
In den allerletzten Sätzen seines Fastenhirtenbriefes schreibt Paul VI.: "Die Mutter Gottes sei unsere Lehrerin im Gebet". - Hier kann man dem ehemaligen Erzbischof von Mailand nur wünschen, daß die Mutter des Herrn ihm zeigen möge, wie oft sie in ihrem stillen Hause in Nazareth verborgen gebetet hat. Vor allem aber möge die Mutter des Herrn dem ehemaligen Erzbischof einen kleinen Begriff davon geben, wie sie selbst ihren göttlichen Sohn bei der Feier des "Brotbrechens" und bei der hl. Kommunion angebetet hat.
Nachtrag: Die deutsche Übersetzung des Fastenhirtenbriefes Pauls VI., des früheren Erzbischofs von Mailand, ist zwar nicht besonders gut. Aber sie wurde im Auftrag des Deutschen Liturgischen Instituts herausgegeben und mit kirchlicher Druckerlaubnis des Bistums Münster in Westfalen im Jahre 1963 veröffentlicht, als Paul VI. gerade die Nachfolge Johannes' XXIII. angetreten hatte. Gemäß dem beigefügten Vorwort war das Dokument sogar schon 1958 im Liturgischen Jahrbuch in deutscher Übersetzung veröffentlicht worden.
Damit ist nicht nur angedeutet, daß die deutsche Übersetzung des Hirtenbriefes von 1958 dem italienischen Original einigermaßen entspricht, sondern es ist vor allem bewiesen, daß man in den kirchlichen Kreisen Deutschlands schon zu Lebzeiten Papst Pius' XII. über die liturgischen Ideen und Absichten und Ziele des damaligen Erzbischofs von Mailand sofort Bescheid wußte.
Papst Pius XII. war noch am Leben, als Montini seinen Fastenhirtenbrief herausgab; da das Rundschreiben "Mediator Dei", das Pius XII. im Jahre 1947 zum Schutz des alten heiligen Meßopfers verfaßt hatte, wurde ihm vom Erzbischof von Mailand sozusagen noch im Munde umgedreht. Wie das möglich war, bedarf einer besonderen Untersuchung. Der Erzbischof wußte, daß er von dem hochbetagten und altersschwachen Papst nichts mehr zu fürchten und auch nichts mehr zu erwarten hatte. Denn die Kardinalswürde, die mit dem erzbischöflichen Stuhl von Mailand verbunden war, war ihm von Pius XII. verweigert worden, was aber die meisten Gläubigen in Deutschland nicht bemerkten.
Der Erzbischof von Mailand muß sich völlig sicher gefühlt haben. Unter den Kardinälen hatte er offenbar keine ernsten Gegner mehr zu fürchten; am allerwenigsten war ihm Kardinal Ottaviani gewachsen, sonst hätte der Erzbischof so kurz vor der Wahl eines neuen Papstes andere Töne angeschlagen.
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