DER MONAT MARIENS - DIE HIMMELFAHRT
von Kardinal John Henry Newman (Schluß)
Heilige Gottesgebärerin Wer einmal die große, grundlegende Wahrheit von der Gottesmutterschaft Mariens erfaßt hat, dem leuchten auch ohne weiteres eine ganze Reihe anderer Wahrheiten ein, so z.B. daß sie vor dem Endschicksal des Menschen, nach dem Tode in Staub zu zerfallen, bewahrt geblieben ist. Sterben mußte sie, wie auch ihr göttlicher Sohn gestorben war, wie es seiner menschlichen Natur entsprach; aber eine Reihe von Gründen, welche die hl. Schriftsteller an die Hand geben, machen es wahrscheinlich oder beweisen gar, daß ihr Leib nach kurzer Grabesruhe sich wieder mit der geheiligten Seele verbunden hat und von ihrem göttlichen Sohne zu einem neuen Leben ewiger, himmlischer Glorie erweckt worden ist. Nachdem er andere Diener Gottes vom Grabe auferstehen ließ, müssen wir auch annehmen, daß er diesen Vorzug der erwähltesten aller Seelen nicht vorenthalten hat.
Matthäus berichtet, daß nach dem Kreuzestode des Herrn sich die Gräber öffneten und daß die Leiber vieler Heiligen, die den Todesschlaf schliefen, hervorgingen und in der hl. Stadt mehreren erschienen sind. Unter diesen Heiligen versteht der Evangelist offenbar Propheten, Priester und Könige des alten Bundes, die den jüngsten Tag gekommen wähnten und plötzlich unter den Lebenden erschienen. Wir können uns nicht denken, daß die Mutter des Herrn der Gnade nicht gewürdigt worden sei, die Abraham, David, Isaias, Ezechias erhalten haben. Sie hatte doch mehr Recht auf die Liebe ihres Sohnes, als irgend eine Kreatur. Ihr hl. Leib stand ihm wahrlich näher als alles Körperliche in der Welt, und wenn das Gesetz des Grabes bei ihnen eine Ausnahme erlitt, dann um so sicherer bei ihr. Wir dürfen also mit Recht sagen, daß derjenige, der durch seine Passion die Fülle der Gnaden über ihre Seele ausgegossen und sie vor der Sünde und ihren Folgen bewahrt hat, die Herrschaft des Todes auch über den Leib nicht lange geduldet, sondern ihn bald wieder mit der Seele auf immer vereinigt hat.
Unbefleckte Mutter Eine andere Erwägung, die zur Annahme der leiblichen Auferstehung und Himmelfahrt Mariens bald nach ihrem Tode geführt hat, fließt aus ihrer unbefleckten Empfängnis, daß sie sich nicht nur von jeder persönlichen Sünde, auch der kleinsten, ferngehalten hat, sondern daß auch die Erbsünde, die uns alle verstrickt, nicht die ihrige gewesen ist und darum auch kein Recht auf ihren Leib hatte. Sie brauchte darum nicht bis zum jüngsten Tage zu warten. Ihr göttlicher Sohn liebte sie zu sehr, als daß er ihren hl. Leib so lange im Grabe gelassen hätte, und zwar nicht nur als seine Mutter, sondern auch wegen ihrer durchdringenden Heiligkeit und überfließenden Gnaden. Adam und Eva waren gerecht und unschuldig erschaffen und sollten, wenn sie die Gnade bewahrten, nicht sterben. Tod und Grab kamen erst mit der Sünde, als der Herr ihrem Wahn, Gott gleich zu sein, die Worte entgegenhielt: "Du bist Staub und wirst wieder zu Staub werden". Wenn also Eva, die schöne Gottestochter, nicht zu Staub und Asche werden sollte, wenn sie nicht sündigte, so müssen wir das mit noch mehr Recht von Maria annehmen, die durch Gnade und Verdienst sich stets von aller Sünde rein bewahrt hat. Warum sollte ihr dieses ursprünglich natürliche Geschenk versagt bleiben? Es ist undenkbar, daß ihre hehre Schönheit zerfallen und ein Raub der Würmer werden sollte. Wir müssen vielmehr annehmen, daß, wie sie ihrem Sohne im Tode gefolgt ist, sie ihm auch in der baldigen Auferstehung und Himmelfahrt zu folgen gewürdigt wurde. Mystische Rose Was die Rose unter den Blumen, das ist Maria unter den Gotteskindern und hl. Seelen. Nur durch Gottes Gnade hat unsere arme, öde Erde Blüten der Heiligkeit und Anmut hervortreiben können, die ihrem sonstigen Antlitz nicht entsprechen. Die Gnadenfülle hat die Königin hervorgebracht, die mystische Rose. Mystisch heißt gewöhnlich verborgen. Es fragt sich, inwiefern Maria mehr verborgen war als die anderen Heiligen, was dieser besondere Titel zu bedeuten habe. Das führt zu einem dritten Grunde, der uns nur an eine kurze Grabesruhe der allerseligsten Jungfrau, an ihre baldige Auferstehung und Himmelfahrt glauben läßt: Wo ist ihr Leib, wenn er nicht in den Himmel aufgenommen worden ist? Wie konnte er so völlig verborgen bleiben? Warum hören wir nichts von ihrem Grabe, es sei hier oder dort? Warum pilgert man nicht hin? Warum gibt es keine Reliquien wie von sonst allen Heiligen? Die Stätte der Toten, besonders lieber und verehrter Toten, ist stets, auch in den ersten Zeiten der Christen, heilig und in Ehren gehalten worden. Der hl. Petrus spricht vom Grabe Davids als von einer allgemein bekannten Stätte der Verehrung, obwohl sein Tod mehr als tausend Jahre zurücklag. Der Täufer wurde in Ehren begraben, und Markus nennt seine Ruhestätte allgemein bekannt. Der Herr wurde nach seiner Abnahme in ein neues Grab gelegt, und die ersten Christen kamen aus allen Gegenden, um die hl. Stätten zu sehen, wie sie auch noch heute aus allen Weltteilen hinpilgern. Als die Zeiten der Verfolgung vorüber waren, wurden die Überreste der Heiligen, des hl. Stephanus, Markus, Barnabas, Petrus, Paulus und der übrigen Apostel und Martyrer noch mehr verehrt. Sie wurden in große Städte gebracht und einzelne Teile besonderen Orten des Erdkreises verliehen. Die Verehrung und Wertschätzung der hl. Leiber war von jeher in der Kirche ein besonders hervorstechender Charakterzug. Um so mehr mußte man erwarten, daß das Grab und die Gebeine der Mutter Gottes aufbewahrt und verehrt worden waren, wenn sie überhaupt vorhanden waren. Die Christen wußten offenbar von Anfang an, daß sie auferstanden und in den Himmel aufgefahren sei; darum kommen auch nicht einmal gefälschte Reliquien ihres hl. Leibes auf. Jedenfalls ist es undenkbar, daß die Gläubigen trotz ihrer sonstigen Sorgfalt um die Reliquien der Heiligen und Martyrer die kostbarsten Kleinodien, den Leib der Gottesmutter, ihre hl. Hände und Füße, ganz vernachlässigt haben sollen. - Darum wird sie auch mystische Rose genannt, weil sie vor unseren leiblichen Augen verborgen und mit Leib und Seele von dieser Erde in den Himmel eingegangen ist.
Turm Davids Ein Turm ist gewöhnlich ein Bauwerk, das zur Vertreibung gegen die Feinde errichtet ist. König David baute zu diesem Zwecke einen gewaltigen Turm, und dieser gilt von den Urzeiten an als Sinnbild der allerseligsten Jungfrau. Sie wird Turm genannt, weil sie in ganz besonderer Weise ihren göttlichen Sohn gegen die Anstürme des bösen Feindes verteidigt hat. Nichtkatholiken sind gewöhnt, die Verehrung Mariens für eine Beeinträchtigung Jesu zu halten. Aber das gerade Gegenteil ist wahr. Sie wird doch nur verehrt im Hinblick auf Ihn. Ihre Ehre ist Seine Ehre, und sie wendet dieselbe als seine Verteidigerin, als Turm Davids, selber so.
Wenn ihr Ruhm auch noch so groß wäre, so bliebe der Jesu als ihres Herrn und Gottes doch unendlich größer. All ihre Heiligkeit ist nur ein Abglanz, ein Spiegel seiner Gnadenfülle und ihre Verehrung eine Förderung und Belebung Seiner Anbetung. Das geht am klarsten aus der Geschichte hervor. Die Länder, welche die Marienverehrung zurückgedrängt haben, um den Herrn selbst zu erhöhen, sind in Wirklichkeit auch in der Verehrung des Herrn erlahmt und haben sogar den Glauben an seine Gottheit größtenteils aufgegeben. Die katholische Kirche aber, die stets Maria als die Mutter Gottes verehrt und eine innige Andacht zu ihr gepflegt hat, hält auch ebenso fest an der Gottheit und Anbetung ihres göttlichen Sohnes. So war es immer und es kann nicht anders sein. Maria ist in Wahrheit der "Turm Davids".
Mächtige Jungfrau Die natürliche Welt, das gewaltige Universum, von dem wir Tag und Nacht nur einen kleinen Ausschnitt sehen, ist von bestimmten Gesetzen, die der Schöpfer in sie hineingelegt hat, regiert; durch diese Gesetze ist sie gegen substantielle Veränderung und gegen jeden wesentlichen Verlust geschützt. Ein Teil kann gegen den anderen streiten, es kann eine Verschiebung zwischen beiden eintreten; aber im Ganzen hat sie ihren festen Bestand, wie der Psalmist sagt: "Er hat das Weltall gegründet, so daß es nicht erschüttert werden kann".
Anders in der übernatürlichen Welt. In ihr sind Kräfte, welche die sichtbare Welt bezwingen und ändern, ihre Gesetze aufheben oder durchbrechen können. Die Engel und Heiligen des Himmels, die Kirche und ihre Kinder vermögen das, und ihre Macht ist das Gebet. Durch Gebet wird alles erreicht, was natürlicher Weise unmöglich ist. Noa betete, und Gott versprach, daß er keine Sintflut mehr senden werde, um das Menschengeschlecht zu vertilgen; Moses betete und es kamen zehn furchtbare Plagen über Ägypten; Josua betete und die Erde stand still; Samuel betete, und Donner und Regen gehorchten ihm; Elias betete, und es fiel Feuer vom Himmel; Elisäus betete, und der Tote erstand wieder zum Leben; Ezechias betete, und das große Heer der Assyrer wurde in die Flucht geschlagen und vernichtet.
Maria wird nun, die mächtige oder gar die "allmächtige Jungfrau" genannt, weil sie durch ihre große Gabe des Gebetes mehr vermag als alle Geschöpfe, als alle Engel und Heiligen zusammen. Niemand hat solchen Zutritt zum Allmächtigen, wie seine Mutter, keiner auch solches Verdienst. Ihr göttlicher Sohn kann ihr nichts versagen. Darin liegt ihre Macht. Sie verteidigt die Kirche, seine Stiftung: darum kann keine Gewalt in der Höhe oder in der Tiefe, keine bösen Geister oder Menschen, keine Machthaber und keine rohen Kräfte, keine Volkswut und Revolution uns schaden. Das Menschenleben ist kurz; Maria aber herrscht droben als unsere Königin, als machtvoller Schutz auf immer.
Hilfe der Christen Seit ihrer Himmelfahrt ist unsere liebe Frau die unermüdliche Dienerin der hl. Kirche und des erdenwallenden Gottesvolkes. Darum wird sie mit Recht "Helferin der Christen" genannt. Besondere Umstände haben zur Verleihung dieses Ehrentitels Anlaß gegeben, die geeignet sind, unser Vertrauen zu ihr zu erhöhen und zu stärken.
Zunächst die Einführung des Rosenkranzgebetes durch den hl. Dominikus zum Danke dafür, daß es ihm gelungen war, die gefährliche Häresie der Albigenser im Süden Frankreichs zu überwinden. Ferner der glänzende Sieg der christlichen Flotte über die Türkenmacht bei Lepanto (6. Okt. 1571) auf die Bitten des hl. Papstes Pius V. und das einmütige Rosenkranzgebet des christlichen Erdkreises; zur Erinnerung an diese wunderbare Hilfe wurde in die lauretanische Litanei der Ehrentitel "Helferin der Christen" aufgenommen, und Gregor XIII. widmete diesem Andenken ein eigenes Fest am, 1. Sonntag im Oktober, das Rosenkranzfest. Drittens führte dazu nach den Worten des hl. Offiziums der glorreiche Sieg bei Wien (1688) über den furchtbarsten aller Türkenherrscher, der die Christen mit Füßen trat und eine Bedrohung der christlichen Kirche bedeutete; diesem Gedächtnis gilt nach der Bestimmung Innozens' XI. der Sonntag in der Oktav von Maria Geburt, ihr Namensfest. Das vierte Beispiel ihrer besonderen Hilfe ist der große Sieg über die Türken am Feste Maria Schnee, der ebenfalls auf die feierlichen Bitten der Rosenkranzbruderschaft errungen wurde, und zur Erinnerung daran wurden von Clemens XI. und Benedikt XIII. dem Rosenkranzgebet neue Ablässe und Privilegien verliehen. Als fünftes gilt die Wiederherstellung der päpstlichen Macht, die Napoleon I. erschüttert hatte. Pius VII. führte deshalb zum Danke für den 24. Mai, an dem ihm die weltliche Herrschaft wieder verliehen wurde, das Fest der "Helferin der Christen" ein.
Treue Jungfrau Dieser Name kommt der Gottesmutter seit ihrer Himmelfahrt und Krönung zur Rechten des Sohnes in ganz besonderer Weise zu. In der hl. Schrift wird ihre Treue immer wieder hervorgehoben. Treue bedeutet ursprünglich Ergebenheit, Zuverlässigkeit, eine anhängliche, opferbereite Gesinnung, im weiteren Sinne aber auch Sorgfalt und Exaktheit in der Erfüllung der Pflichten und Versprechen. In diesem Sinne wird es auf Gott selbst angewandt, der sich in seiner großen Liebe gewürdigt hat, seinen Geschöpfen Vorsprechen zu geben und einen Vertrag mit ihnen zu schließen und sich so gewissermaßen in seiner Handlungsfreiheit zu beschränken. Er hat versprochen, uns sicher durch alle Prüfungen und Versuchungen hindurchzuführen, daß wir zum Himmel gelangen, wenn wir ihn zum Erbteil erwählen und uns ganz in seine Hand geben. Um unser Vertrauen zu wecken und uns zu ermuntern, versichert er uns an vielen Stellen der Schrift, daß er der treue Schöpfer, der treue Gott ist.
Auch seine Heiligen und aufrichtigen Diener werden "Treue", genannt, und die lateinische Kirche bezeichnet so alle Gläubigen "fideles", um dadurch auszudrücken, daß durch die hl. Taufe ein Band der Treue um Gott und die Seele geschlungen ist; sie sollen deshalb seinem Willen in Demut und Aufrichtigkeit gehorchen, für seine Ehre eifern, seine hl. Interessen als die ihrigen betrachten und alle Kräfte dafür einsetzen. In diesem Sinne werden Abraham und Moses "Treue des Herrn", und David ein "Mann nach dem Herzen Gottes" genannt; der hl. Paulus dankt Gott, daß er ihn treu befunden habe, und am jüngsten Tage werden alle diejenigen, die ihre Talente gut verwandt haben, mit den Worten empfangen werden: "Komm, du guter und getreuer Knecht!"
Maria eignet natürlich die Treue gegen ihren Sohn und Herrn in ganz einziger Weise. Wie niemand sonst war sie voll Eifer für ihn und empfand all seine Interessen, seine Bitten und Wünsche, seine Pflichten und Arbeiten, seine Leiden und Enttäuschungen als die ihrigen; am weitesten ist sie natürlich von der Meinung der Andersgläubigen entfernt, daß ihre Verehrung die Treue gegen ihren Sohn beeinträchtige. Die wahren Diener Mariens sind vielmehr erst recht Diener Jesu Christi, und wer das nicht wäre oder gar sie über ihren Sohn erhöbe, den würde sie nicht als Freund, sondern als Verräter betrachten und abschütteln. Wie er für die Ehre seiner Mutter eingetreten ist, so eiferte sie für die seinige. Er ist die Quelle aller Gnaden, und alles Gute, was die Mutter besitzt, ist ein Abglanz der Urgüte des Sohnes.
Lehre mich, o Maria, deinen Sohn recht als den einzigen Schöpfer anbeten und dich als das bevorzugteste Geschöpf verehren und laß mich in dieser Verehrung die tiefe Treue verstehen und nachahmen, die Euch beide immer beseelt hat!
Morgenstern Es gibt kein Symbol in dieser Welt der Zeichen und Sinne, das die Herrlichkeit der jenseitigen Welt besser darstellen könnte als der Morgenstern. Er ist das Zeichen des kommenden Tages, der Vorbote der aufsteigenden Sonne. Sein Erscheinen kündigt dem Kranken in den langen Winternächten den sicheren Tag an. Er ist das Versprechen, die Verheißung des Lichtes. Der Sinn der Verheißung lag schon in dem Titel mystische Rose, aber weil auf die Blume nicht immer die Frucht folgt, mußte er in dem Ehrennamen "Morgenstern" ganz zur Entfaltung kommen. Denn Maria ist wesentlich Verheißung, und der Morgenstern ihr vollkommenstes Symbol.
Die Rose gehört der Erde an, die Sterne aber dem Himmel. Kein Wechsel, keine Feuersglut, keine Stürme, keine Wasserfluten berühren die Sterne; sie leuchten unbeirrt und ruhig über allen Teilen dieser wirren Erde.
Die Rose hat nur ein kurzes Leben. Ihr Zerfall ist da, sobald sie die Höhe der Entwicklung und ihren schönsten Schmuck, ihren feinsten Duft erreicht hat. Maria aber glänzt wie die Sterne, heute noch wie am Tage der Himmelfahrt, und wird in unvermindertem, unverblühtem Glanze leuchten, wenn ihr Sohn am Ende der Tage kommen wird, die Welt zu richten. Sie leuchtet ferner, wie der Morgenstern, nicht von sich und nicht für sich, sondern ist nur der Reflex des Schöpfers und Erlösers, und will nur ihn verherrlichen. Wenn Sie im Dunkel erscheint, wissen wir, daß Er nahe ist.
Er ist das Alpha und das Omega, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende. Siehe, er kommt bald und mit ihm die Vergeltung, damit jeder erhalte nach seinen Werken. "Ich komme bald". - "Amen! Komm, Herr Jesus".
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